Als Karl Gustav Feinschmidt, seines Zeichens Komponist und Starpianist eines bekannten Symphonieorchesters am Vormittag des 12. Januar das Büro seines Agenten Alfred Gerer betrat, ahnte er noch nicht wie sehr sich sein Leben und seine künstlerische Laufbahn von nun an ändern sollten.
„Ah...mein lieber Feinschmidt! Kommen sie nur herein. Ich habe sie bereits erwartet.“
„Ihre Sekretärin rief im Konzerthaus an und ließ mir ausrichten, dass sie mich dringend zu sprechen wünschen.“
„Das ist richtig, mein lieber Feinschmidt. Aber nehmen sie doch erst einmal Platz. Machen sie es sich bequem. Ich habe in der Tat, ein - zwei Dinge mit ihnen zu bereden.“
„Falls es sich um die letzte Tournee handelt, so.....“
„In der Tat, mein lieber Feinschmidt. In der Tat. Diese Tournee ist einer der Punkte, über die wir ein paar Worte wechseln sollten.“
Feinschmidt begann sichtlich nervös in seinem Sessel hin und her zu rutschen.
„Dass diese Tournee, für sie und letzten Endes schließlich auch für mich, ein ... nun ja, wie soll ich mich ausdrücken .... ein Finanzielles Desaster war, denke ich, wissen wir beide wohl nur zu genau.“
„Klassik ist im Augenblick leider nicht sonderlich gefragt....“ versuchte der Pianist sich zu verteidigen.
„Richtig!“ fiel Gerer im sogleich ins Wort. „Sie haben da sofort den springenden Punkt ausgemacht. Klassik ist einfach nicht mehr in. Klassik ist ganz und gar nicht mehr in. Oder um es mit den Worten der Hauptkonsumenten auf dem Konzert- sowie dem CD-Markt auszudrücken: Klassik ist out! Megaout!“
Feinschmidt verspürte ein unagenehmes Prickeln unter seiner Kopfhaut und wollte etwas einwerfen. Gerer jedoch ließ sich nicht beirren und fuhr fort: „Sie sehen, mein lieber Feinschmidt, wir müssen dringend etwas unternehmen!“
„Ja, aber was?“
„Aber Feinschmidt, mein lieber Feinschmidt, schließlich haben sie den besten Agenten den ein Künstler sich nur wünschen kann. Natürlich weiß ich sehr gut dass eine empfindsame Künstlerseele wie die Ihre, sich mit derartigen Belangen herumzuschlagen, nicht geschaffen ist. Selbstverständlich habe ich bereits ein umfassendes Marketingkonzept entwickelt um der derzeitigen Misere
ein Ende zu bereiten. Ich habe sie letztendlich heute zu mir gebeten, damit wir gemeinsam unsere neue Strategie durchgehen und die Feinabstimmungen vornehmen können.“
Feinschmidt horchte erwartungsvoll auf.
„Also, zu allererst einmal ihr Name: Feinschmidt! Und dann auch noch Karl Gustav! Das schreit ja geradezu nach Verlusten.“
„Ich verstehe nicht...“
„Sie brauchen einen Namen der sich verkaufen läßt, mein Lieber. Einen Namen der sich einprägt. Irgendwie aussagekräftig und doch auf ihre Persönlichkeit zugeschnitten. Nun ja, zuerst dachte ich an „Cool Daddy“, doch leider gibt es bereits einen Künstler diesen Namens. Auch „Der Hai“, „Der Gorilla“, ja sogar „Der Lurch“ sind leider bereits geschützt. Meine Mitarbeiter durchforsten die gesamte Musikszene und bis sie einen freien Namen gefunden haben, dachte ich, wir setzten vor dem was wir haben, wenigstens ein DJ.“
„Sie meinen...“
„Aber ja doch: DJ Feinschmidt! Na wie klingt das?“
Feinschmidt vermochte sich damit zwar nicht so recht anzufreunden, in Anbetracht seiner desolaten Finanzlage aber sah er sich, wenn auch widerwillig dazu im Stande, sich mit einer geringfügigen Änderung seines Images zu arrangieren.
„Zu dem...“ fuhr Gerer fort „...macht sich dieser Name auch viel besser auf dem Buchtitel.“
„Auf dem Buchtitel?“
„Aber ja doch! Ihre Memoiren: „DJ Feinschmidt - vom Straßenjungen zum Superstar!“
An diesem Punkt des Gespräches sah Feinschmidt sich genötigt einzuwerfen, dass er bislang weder seine Memoiren geschrieben habe noch sich überhaupt mit dem Gedanken getragen habe dies zu tun.
„Aber mein lieber DJ! Wer schreibt denn heutzutage seine Autobiographie noch selbst. So etwas überläßt man doch Fachleuten. Das Buch ist längst geschrieben. In zwei Wochen wird es im Handel sein. Übrigens zeitgleich erscheinend mit ihrer neuen CD.“
Feinschmidt, der sich bis dato nicht bewußt gewesen war darüber eine neue CD aufgenommen zu haben, stutzte nun doch etwas.
„Ich kann mich beim besten Willen nicht entsinnen, in letzter Zeit eine Aufnahme...“
„Aber, aber, mein lieber DJ! Wer macht denn heutzutage seine Aufnahmen noch selbst? Dafür gibt es doch Fachleute. Aber ich sehe Ihrem zweifelnden Blick an, dass Sie der Sache noch etwas skeptisch gegenüberstehen - Nein, nein, leugnen Sie nicht. Warten Sie! Ich habe ein Exemplar hier. Hören Sie es sich zuerst an. Danach können wir darüber reden.“
Gerer nahm die silberne Scheibe aus einer Schreibtischschublade und legte sie das Einschubfach der Stereoanlage.
Der, einer flächendeckenden Bombadierung einer mittleren Kleinstadt nicht unähnliche Krach, welcher hierauf das Trommelfell des Musikers zerfetzte, sein bis dahin Absolutes Gehör für immer erledigte und ihn noch Wochen später, bei Sichtung eines CD Players angstvoll wimmernd in einer Ecke Zuflucht suchen ließ, vermochte ihn bei allem guten Willen, nicht an eine seiner Schöpfungen zu erinnern.“
„Was zur Hölle ist das!?!“ schrie er.
„Techno!“ entgegnete Gerer gelassen, nachdem er der Verwüstung welche im näheren Umkreis des Firmengeländes mit Sicherheit eingetreten war, durch Betätigung der Stop - Taste Einhalt geboten hatte.
„Dieses....dieses akustische Inferno stammt nie und nimmer von mir!“
„Nun ich gebe zu...“ räumte Gerer ein „...unsere Jungs im Tonstudio haben ihr Material etwas aufpoliert. Aber wenn sie genau hinhören, können sie als Grundlage einen Akkord heraus hören den sie einmal vor einem Konzert vor sich hin geklimpert haben.“
„Mich erinnert dieser Krach mehr an das Poltern von leeren Mülltonnen!“
„Sehr gut bemerkt, mein lieber DJ. In der Tat. Ein Teil des begleitenden Sounds, wurde bei der Leerung am vergangenen Dienstag zufällig aufgenommen und eingemischt. Aber verraten Sie das bloß nicht weiter! Sonst verlangt die Städtische Müllabfuhr am Ende noch Tantiemen. Der Titel dieses Stückes lautet übrigens: “Summer-dance-Party“ Genial, nicht wahr?“
„Wieso genial?“
„Aber mein lieber DJ Feinschmidt! Wo leben sie denn? Jeder Song, der etwas auf sich hält und die Sommerhitlisten stürmen will, muß im Text und im Titel irgendetwas aufweisen können, worin zumindest Summer, Sun, Dance, Fun, Beach oder Party vorkommt. Zuerst dachten wir ja an: „DJ Feinschmidt`s Summer-Sun Danc & Fun Beachparty. Doch schließlich siegte die Überlegung, dass wir ja auch noch Material für die restlichen Titel der CD brauchen.“
„Aber...aber...“ stotterte Feinschmidt „...wenn dieser....dieser Tonmüll publik wird bin ich als Klassiker unten durch. Ich bekomme nirgends mehr ein Engagement!“
„Natürlich nicht.“ Entgegnete Gerer gelassen. „Ihr Fall aus den Höhen der Großen Musik in die Gosse und ihr phönixgleicher Aufstieg in den Pophimmel, sind ja hinreichend dokumentiert. Sie haben wohl ihr eigenes Buch nicht gelesen? „DJ Feinschmidt: Vom Straßenjungen zum Superstar“ Sie erinnern sich? Natürlich bedurfte es einer kleinen Nachhilfe unsererseits: Eine zufällige Bemerkung hier, ein dezenter Hinweis da.......Aber ich muß sagen, der Aufwand hat sich gelohnt.“
„Ach kommen sie mir doch nicht so!“ brauste Feinschmidt auf. „Sie haben mich in Kollegenkreisen unmöglich gemacht! Und außerdem: Was soll das überhaupt heißen: „Vom Straßenjungen“!?!“
„Na damit wird auf die Zeit angespielt, als sie mit Zwölf auf der Straße leben mußten, weil ihre Mutter auf den Strich ging und ihr alkoholkranker Vater sie ständig verprügelt hat....“
„Aber ich muß doch sehr bitten! Ich wuchs in einem gut behüteten Elternhaus auf. Mein Vater war auch keineswegs Alkoholiker! Wenn meine Mutter von diesem Geschmier erfährt....“
„Erleidet sie einen Nervenzusammenbruch und muß in ein Sanatorium eingeliefert werden. Steht alles in ihrem Buch. Was den Zusammenbruch betraf zeigte sich ihre Mutter, nachdem wir ihr einen Vorabdruck zukommen ließen übrigens sehr kooperativ, auch ohne unser Zutun.“
„Meine Mutter!?! Ich muß sofort zu ihr! Bitte sagen Sie mir in Welchem Hospital sie liegt! Ich muß es wissen!“
„Das würde ich nicht tun. Sie möchte Sie nicht mehr sehen. In ihrem ganzen Leben nicht mehr. Das Klinikpersonal hat Anweisung Sie auf keinen Fall zu Ihr zu lassen. Tut mir leid.“
Feinschmidt sank sichtlich in sich zusammen. Einem Häuflein Elend gleich hing er in seinem Sessel.
„Oh Gott! Bitte mach dass das alles nicht war ist! Wie soll ich das nur meiner Frau beibringen? Die läßt sich scheiden!“
„Aber sicher tut sie das. Allerdings zeigte sie sich, im Gegensatz zu Ihrer Mutter, keineswegs auf Anhieb hilfsbereit. Wir mußten ein hübsches Sümmchen locker machen bis sie endlich einlenkte und sich ihrer Karriere nicht mehr in den Weg stellte...“!
Feinschmidt fuhr hoch, packte Gerer am Kragen und schrie: „Wo ist sie!?! Was haben sie mit ihr gemacht!?!“
Gerer machte sich los, richtete sein Jackett und blickte gelassen auf die Uhr.
„Sie sitzt in diesem Augenblick bereits im Flugzeug. Unterwegs in die Karibik. Zusammen mit ihrem Tennislehrer. Sie sollten wirklich einmal Ihr Buch lesen.“
Um Feinschmidts Selbstbeherrschung war es nun endgültig geschehen. Wimmernd zusammengkauert hockte er da und brabbelte: „Was...was soll nun aus mir werden...“
„Sie ergeben sich dem Suff, genießen ihren Ruhm als Star und feiern mit ihren zahlreichen weiblichen Fans wilde Kokainpartys.“ versuchte Gerer den verzweifelten Musiker aufzumuntern.
„Kokain?“
„Aber ja doch! Denken sie nur an die Publicity!“
„Aber ich habe doch noch nie Kokain genommen, oder irgendeine andere Droge!“
„Keine Sorge. Ich habe das alles für Sie geregelt. Ich weiß ja schließlich was ich meinem Star schuldig bin. Man wird zwei Kilo reinen Kokains in Ihrem Toilettenkasten finden. Verlassen Sie sich da nur ganz auf mich.“
„Aber dann....dann komme ich ja ins Gefängnis!“
„Nur die Ruhe. Da dies ihr erstes Drogenvergehen ist haben sie sicher ein mildes Urteil zu erwarten.“
Feinschmidt sprang auf.
„Ich muß sofort nach hause! Dieses Zeug muß verschwinden bevor die Polizei....“
„Die Polizei ist bereits auf dem Weg hierher.“
„Sie haben die Polizei verständigt!?! Sie haben mich angezeigt!?! Sie...Sie...“
„Selbstverständlich. Was hätte die enorme Ausgabe für zwei Kilo Kokain sonst für einen Sinn? Außerdem weiß man ja als gesetzestreuer Bürger seine Pflicht zu tun .“
Wenig später fand das angerückte Sondereinsatzkomando im Büro der stadtbekannten Künstleragentur Gerer einen völlig verstörten, unzusammenhängend vor sich hin stotternden Musiker und ehemals sehr angesehenes Mitglied eines berühmten Symphonieorchesters unter dem Schreibtisch des Agenturinhabers.
Der Mann ließ sich ohne Gegenwehr festnehmen und folgsam abführen.
Ein Jahr später:
DJ Feinschmidt wurde ein gefeierter Star. Zwar füllten stets die wildesten Geschichten über sein ausschweifendes Leben, seine hemmungslosen Partys und seine Drogenexzesse die Klatschkolumnen der Tageszeitungen, doch auch viele unvergessene Hits sind auf ihn zurück zu führen.: „Dancing on the Beach“ etwa, und auch „Summernightparty“ oder „Summer, Sun and Fun“, sowie unzählige andere die im Laufe des letzten Jahres die Hitparaden stürmten. Diese Juwelen der Musik machten ihn in den Herzen der Menschen unsterblich. Überall wo er sich sehen ließ wurde er stürmisch gefeiert. Bis er schließlich eines Tages ganz plötzlich verschwand.
Sämtliche Nachforschungen der einschlägigen Presse, sowie alle polizeilichen Ermittlungen blieben ergebnislos.
Das Letzte was man von ihm in Erfahrung bringen konnte war, dass er zu einem Treffen mit seinem Agenten in dessen Büro eintraf. Die Vorzimmerdame gab noch zu Protokoll sie hätte Herrn Gerer sagen hören: „Techno sei out! Megaout!“ Daraufhin habe sie vernommen wie im Büro ein wildes Handgemenge wütete. Sie habe natürlich sofort die Polizei gerufen und konnte gerade noch sehen wie Feinschmidt gurgelnd und glucksend aus dem Fenster sprang. Alfred Gerer, der im Verlauf der Handgreiflichkeiten schwer verletzt wurde, liegt noch immer im Bogenhausener Krankenhaus, sei aber noch nicht vernehmungsfähig. Die Ärzte jedoch sagen Herr Gerer sähe aus als sei er dazu gezwungen worden eine 200 Watt Stereoanlage zu verschlucken.
Was DJ Feinschmidt betrifft, so verliert sich seine Spur im angrenzenden Waldstück gleich hinter dem Gelände.
Nur ab und an noch gehen in der örtlichen Polizeistation Berichte ein, über einen Verrückten welcher sich auf den Rastplätzen der A9 entlang herumtreiben soll, plötzlich unvermutet zu hilflosen Passanten in den Wagen springt und sich in deren Autoradios festbeißt - vornehmlich bei Techno-musik.
Die Polizei steht vor einem Rätsel.