Zwei Wochen Wanderurlaub im FrĂĽhjahr auf Mallorca!
Das hatte ich mir fĂĽr dieses Jahr vorgenommen. Allein wollte ich die Bergwelt an der steilen, romantischen NordwestkĂĽste erwandern. In dem kleinen Bergdorf Estellenchs am FuĂźe des Berges Galatzo hatte ich ein bescheidenes, aber doch gemĂĽtliches Hotel gefunden.
Obwohl ich mir vorgenommen hatte, alleine zu wandern, überredeten mich zwei der anderen Hotelgäste dazu, einige Wanderungen gemeinsam zu machen.
Gleich am dritten Tag wollten wir, zum Gipfelkreuz am “Puig Teix.”
“Wir brauchen keine Schlechtwettersachen mitzunehmen”, sagte einer von den beiden, als wir uns am nächsten Morgen vor dem Hotel trafen. Er zeigte auf die aufgehende Sonne, die wie ein roter Feuerball langsam über die Bergkuppen aufstieg.
Doch fünf Stunden später war die gute Laune schlagartig vorbei. Etwa zwanzig Meter unterhalb des Gipfels hüllten uns plötzlich Wolken und Nebel ein. Als wir mit dem Abstieg begannen, peitschte uns kalter Regen ins Gesicht.
Völlig durchnässt und durchgefroren erreichten wir unser Hotel.
Am Kaminfeuer vergaßen wir bei “vino tinto” und “cerveza” schnell die Strapazen und es wurde eine lange Nacht.
Am nächsten Morgen hatte ich keine Lust, eine große Wanderung zu machen.
Daher entschloss ich mich, am späten Nachmittag den Galazoo mit seinen 1025 Metern zu erkunden.
Ich stiefelte erst eine Wiese entlang und suchte mir dann die aufgebauten Steinmännchen, die den Weg nach oben zeigten.
Erschöpft, aber auch irgendwie glücklich ließ ich mich auf dem Gipfel nieder. Ich genoss den herrlichen Blick über die vielen, teils bewaldeten Bergrücken.
Dann legte ich mich in eine kleine Steinmulde, schloss ich die Augen und nahm die wohltuende Stille in mich auf. Wie ich so da lag, musste ich unwillkĂĽrlich an meine Freundin Rebecca denken und daran, dass wir uns genau heute vor einem Jahr getrennt hatten.
“Lass uns eine Gedenkpause einlegen”, sagte sie eines Tages, als wir wieder einmal unsere zunehmenden Meinungsverschiedenheiten nicht auf einen Nenner bringen konnten. Anfangs war es für mich richtig befreiend gewesen, wenn ich nach Büroschluss in die Wohnung kam und machen konnte, was ich wollte.
Doch in letzter Zeit merkte ich, dass sie mir fehlte. Trotzdem konnte ich mich noch nicht entscheiden, sie anzurufen und ihr zu sagen: “Komm zurück!”
Während ich so vor mich hingrübelte, riss mich plötzlich ein Schreien und Rufen aus meinen Gedanken.
Erschrocken sprang ich auf und versuchte festzustellen, woher die Laute kamen.
Ich ging ein paar hundert Meter und stand auf einmal vor einer schmalen Felsspalte. Vorsichtig beugte ich mich vor und sah zu meiner Überraschung, etwa drei Meter unter mir einen Menschen, zusammen gekauert auf einem kleinen Vorsprung sitzen. Die Person hatte den Kopf auf die angewinkelten Knie liegen und die schulterlangen, schwarzen Haare verdeckten völlig das Gesicht. Das muss eine Frau sein, dachte ich und rief laut: “Hallo!”
Sie hob langsam den Kopf und rief: “Bitte! Helfen Sie mir! Ich bin abgerutscht!”
“Sind Sie verletzt?” rief ich zurück.
“Nein! Ich glaube nicht!”
Gott sei Dank, dachte ich erleichtert. Ich wusste im Moment ja nicht einmal, wie ich dem Menschen da unten, ob gesund oder verletzt ĂĽberhaupt helfen konnte.
In meinem Hirn arbeitete es fieberhaft. Die Bergwacht muss her! Also musste ich anrufen. Aber wo um Himmelswillen war mein Handy? Da fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, es einzustecken.
Ich kam mächtig ins Schwitzen. Was konnte ich nur tun? In die Spalte hineinklettern, das war unmöglich. Also, ich musste sie heraufziehen. Aber Wie? Ich hatte doch kein Seil. Und während ich an ein Seil dachte, kam mir plötzlich eine Idee!
In Windeseile trennte ich die beiden Haltegurte vom Rucksack ab. Ich nahm den Anorak, riss mir Hemd, Pullover und Hose vom Leib und knöpfte mit fahrigen Fingern die Sachen zusammen. Dann warf ich dieses Stoffseil hinunter. Gebannt schaute ich nach unten, ob es so lang war, dass die Frau es auch greifen konnte.
“Was soll ich damit?” stöhnte sie und blickte ratlos zu mir nach oben.
“Halten Sie sich daran fest!” befahl ich.
Als sie mit beiden Händen zugriff, zog ich ganz langsam Zentimeter für Zentimeter.
Es dauerte unendlich lange, ehe ich sie bis auf den sicheren Felsvorsprung gezogen hatte.
Dort sackte sie sofort wie leblos in sich zusammen.
Nach einer Weile rollte sie sich vorsichtig auf den Rücken und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf meinen Körper. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich ja bis auf den Slip nichts anhatte. Hastig drehte ich mich um, zurrte die zusammengeknoteten Kleidungsstücke auseinander und zog mich schnell an.
“Lass dir ruhig Zeit!” kicherte eine Stimme hinter mir, als ich fast fertig war.
Wie vom Blitz getroffen schnellte ich herum, denn die Stimme kam mir jetzt bekannt vor.
Ich blickte in ein blasses Gesicht, in dem aber zwei grasgrüne Augen mich anstrahlten. Es war Rebecca! Ich stand da wie gelähmt. Ich war nicht fähig, weder etwas zu sagen, noch einen Schritt auf sie zuzugehen. Meine Gedanken überschlugen sich.
Ich nahm wie durch einen Schleier wahr, wie sie leise stöhnend sich aufrappelte und dann plötzlich vor mir stand.
“Danke!” flüsterte sie mir ins Ohr, nahm meinen Kopf in ihre Hände und gab mir einen schmatzenden Kuss.
Da wurde ich hellwach. Ich riss sie an mich, sah sie lange an, streichelte liebevoll über ihr zerzaustes Haar und murmelte: “Meine Rebecca!”
Nach einer Weile setzten wir uns, und ich fragte sie: “Wie kommst du denn eigentlich hierher?”
“Ich wollte mal ein paar Tage ausspannen und für mich allein sein und da dachte ich, die Berge auf Mallorca wären das Richtige.”
“Schatz, das war auch meine Idee!” jubilierte ich und gab ihr den schmatzenden Kuss von vorhin zurück.
“Und”, raunte ich ihr ins Ohr, “ich muss dir noch was sagen. “Ich möchte, dass wir wieder zusammen ziehen.”
Sie sah mich mit leuchtenden Augen an, lächelte und meinte: “Ich glaube, wir sind doch füreinander bestimmt.”