Sexlibris
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April 2003
Das verschenkte Glück
von Elisabeth Rainer


Der letzte Nachtzug hatte soeben den Bahnhof Porta Principe verlassen. Mario starrte den Schlusslichtern nach: rotglühende Augen, die im Dunkeln leuchteten und langsam in der Ferne erloschen. Tief inhalierte er den Rauch der soeben angezündeten Zigarette. Es war, als müsste er sich an etwas klammern, das ihm Halt bot. Er spürte eine große Leere in sich. Mühsam drehte er sich um und während er dem Bahnsteig entlang dem Ausgang zuging, fühlte er ein feines Nieseln auf der Haut. Es roch nach Regen. Salzige Luft, die vom Meer hereinwehte, erinnerte ihn schmerzhaft an lange, heitere Spaziergänge.

Trotz der späten Stunde war die via Gramsci noch sehr belebt. Ein paar Jugendliche rempelten ihn an, als sie lärmend und leicht angetrunken an ihm vorbeialberten. Er erwachte aus seinen Gedanken und sah kurz auf. Fast mechanisch blickte er auf die Uhr. Es dauerte noch Stunden, bis er zur Arbeit musste. Ein wenig Schlaf würde ihm gut tun. Dumpfe Gedanken überschwemmten ihn ruckartig. Wieso war er so verbohrt gewesen und hatte sie gehen lassen?

Alles hatte vor ein paar Monaten begonnen. Damals hatte er mit seiner Frau noch in Innsbruck gelebt. Nach der Arbeit war er – so wie üblich - mit einigen Kollegen etwas trinken gegangen, da spürte er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter und eine Stimme, die ihn ansprach: „Hallo Mario, was machst du hier?“ Er drehte sich um. Es war sein ehemaliger Freund Bert aus der Oberschule. Nach einigem Hallo und gegenseitigem Schulterklopfen berichteten sie sich, was inzwischen alles passiert war. Bert wohnte – so wie er - bereits seit längerer Zeit in Innsbruck. Komisch, dass man sich nicht schon früher über den Weg gelaufen war. Doch nun freute sich Mario über das Wiedersehen. Bert war behäbig geworden. So gar nicht mehr der flinke, schlanke Kerl von einst. Nun sah Bert ihn an und meinte: „Mensch Mario, komm doch einmal vorbei, dann siehst du, wo ich wohne“. Die Einladung klang ehrlich und Mario war viel zu erstaunt, um mehr als ein „aber sicher“ zu murmeln und nach weiteren belanglosen Worten verabschiedete sich Bert und ging.

Eines Tages war Mario dann hingegangen. Annette, seine Frau, befand sich gerade in Graz bei ihrer Schwester, die Nachwuchs bekommen hatte. Bert wohnte ein wenig außerhalb von Innsbruck: in Igls. Er besaß eine Villa aus der Jahrhundertwende, die von hohen, alten Bäumen umgeben war. Staunend betrachtete Mario das Haus. Wie konnte man sich so etwas bloß leisten? „Hallo!“ Bert kam ihm mit ausgestreckten Armen entgegen und begrüßte ihn überschwenglich. An seiner Seite stand eine magere unscheinbare Frau, die er als seine Frau Irene vorstellte. Als er ihn im Haus herumführte und ihm alles zeigte, fühlte Mario den Stolz in seiner Stimme.
„Warst du nicht nur Buchhalter, so wie ich? Hast du inzwischen im Lotto gewonnen?“ Mario sah seinen Freund neugierig an. „Anders läßt sich dies alles hier, nicht erklären. Geerbt kannst du nicht haben; bei euch zu Hause floss das Geld nicht gerade im Überfluß.“ „Aber nein! Ich habe gleich nach dem Abitur in einer großen Transportfirma anfangen. Und nun besitze ich selbst eine“, fügte er voller Stolz hinzu. „Weißt du was? Ich biete dir einen Job an“, fügte er jovial hinzu. „Wieviel verdienst du im Augenblick? Nicht all zu viel, schätze ich. Weißt du, ich brauche zur Zeit sowieso jemanden für meine Auslandsfiliale in Genua. Ich würde dir sofort eine Vertrauensstelle mit dem dementsprechenden Gehalt anbieten. Dass ich mich auf dich verlassen kann, weiß ich. Brauchst nur noch einzuschlagen.“ Und so kam es, daß Mario Hals über Kopf - trotz der Proteste seiner Frau - seine Stelle kündigte. Bert hatte ihm das Dreifache seines bisherigen Gehaltes geboten und da hatte er einfach nicht nein sagen können.
„Versteh‘ doch Annette, wir brauchen das Geld. Sonst kommen wir nie zu etwas. Außerdem haben ein paar Jahre Ausland noch niemanden geschadet, im Gegenteil. Du unterrichtest doch Italienisch an der Volkshochschule und so ist es für dich kein Problem, dort Fuß zu fassen. Und was mich betrifft, du kannst gerne meine Lehrerin ein.“ Er lachte. Sie aber hatte nur missbilligend den Kopf geschüttelt, dann aber ihm zuliebe nachgegeben.

So hatten sie alle Brücken hinter sich abgebrochen und waren nach Genua gezogen. Die Monate vergingen, die Arbeit war interessant, die Arbeitsstunden hielten sich in Grenzen und die Menschen, mit denen sie zu tun hatten, erwiesen sich als angenehm. Von seinem Freund sah und hörte er nicht viel.

Eines Tages wurde er von einem Arbeiter zum alten Hafen in die via del Molo gerufen, wo sie eines ihrer Lager hatten. Ein soeben geliefertes Paket war aufgeplatzt. Er staunte nicht schlecht, als aus dem Bündel kleine Päckchen mit bunten Steinen herausfielen, die Kieselsteinen ähnelten. Nun ahnte er, daß Bert Waren schmuggelte. Oder handelte es sich gar um Diebesgut? Er spürte wie er blass wurde. Das war also der Grund für all seinen Reichtum. Auf was hatte er sich da bloß eingelassen.

Mit klopfendem Herzen rief er abends Bert in Innsbruck an und wollte eine Erklärung. Der tat ganz erstaunt: „Ja, was glaubst du eigentlich, wieso ich dir soviel bezahle? Sicherlich nicht für das, was du leistest. Dazu hätte ich jemanden vom Orte nehmen können. Das wäre mir billiger gekommen. Ich brauche Verschwiegenheit und benütze deshalb gerne eigene Leute.“ Also, das war er für ihn gewesen. Ein nützlicher Idiot! Er fühlte sich hintergangen. Er konnte Anette mit ihren strengen Grundsätzen unmöglich die Wahrheit über seinen Freund erzählen. Sie war ja von Anfang an gegen diese Arbeit gewesen. Als er es dann endlich tat, war ihre Reaktion anders als erwartet. Sie schaute ihn nur an und meinte: „Dein Freund ist ein Gauner und du mußt es melden.“ Keine Schuldzuweisungen, keine Vorwürfe über seine bodenlose Dummheit, nichts.
Mario schaute sie entgeistert an: „Ja, wie stellst du dir das vor? Mit der hiesigen Polizei will ich nichts zu tun haben. Soll ich deswegen etwa nach Innsbruck fahren? Vielleicht fühlen die sich gar nicht dafür zuständig? Außerdem bin ich kein Denunziant. Er ist schließlich mein Freund und vertraut mir.“ Trotz ihrer Bitten blieb er hart.

Da hatte sie ihn voller Verachtung angesehen, war in ihr Zimmer gegangen und mit den gepackten Koffern zurückgekehrt. „Ich gehe und werde erst wieder zurückkehren, wenn du vernünftig geworden bist. Es ist nicht das Geld, das uns glücklich macht. Vielleicht, verstehst du das eines Tages. Leb wohl!“ Und nun war sie fort.

Als er so alleine und ziellos durch die nächtlichen Straßen Genuas hastete, fühlte er sich hilflos und einsam. Er bereute es, nicht nachgegeben zu haben. Und tief in seinem Innersten wußte er: seine Frau hatte recht gehabt. Aber nun war es zu spät. Ihr Urteil war vernichtend gewesen: „Du hast den Geruch des Geldes gespürt und bist ihm erlegen“.

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