Honigfalter
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Mai 2003
Zurück Aus Der Vergangenheit
von Thorsten Pache


Ein leiser, summender Ton weckte mich aus dem tiefen Schleier des Schlafes. Nur widerwillig öffneten sich meine schweren Augenlieder, als ich laut gähnend feststellten, dass ich mal wieder beim Arbeiten eingenickt war. Ich hob gemächlich meinen Kopf und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Ein stechender Schmerz zog sich durch meinen verspannten Nacken. Achtundzwanzig war ich mittlerweile und hatte immer noch nicht gelernt, wann es genug war. Ich war mir sicher, dass mich die Schriftstellerei noch einmal um den Versand bringen würde. Es war stockdunkel und das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, war, dass ich vor meinem Schreibtisch gesessen und an einem Text geschrieben hatte. Seltsam war nur, dass ich mich nicht mehr erinnern konnte, woran gearbeitet hatte. Ich verscheuchte die Gedanken und tastete vergeblich nach dem Schalter meiner Schreibtischlampe. Meine Finger fühlten sich irgendwie taub an und ich hatte Schwierigkeiten, das ständige Zittern meiner Hand unter Kontrolle zu halten.
Leicht verwirrt und immer noch gegen das dumpfe Gefühl in meinem Schädel ankämpfend schimpfte ich laut: „Verdammt! Wo ist denn nur die Lampe hin“, als sich wie auf Befehl der Raum hell erleuchtete.
Etwas verdutzt blickte ich mich um und musste mit Entsetzten feststellen, dass Jemand mein Haus ausgeräumt hatte. Nicht ein Möbelstück stand mehr da, wo es einen Tag zuvor noch seinen Platz gehabt hatte. Dann schüttelte ich verwirrt den Kopf, als mir auffiel, dass da überall neue Möbel standen. Ultramodern, so wie in dem Penthouse eines Superstars. Nein, das war nicht einmal mein Arbeitszimmer. Eine rechteckige, transparente Glasplatte stand vor mir auf dem Schreibtisch. Als ich fast automatisch mit dem Zeigefinger das Glas berührte, schreckte ich zurück. Nicht weil ein kurzer Lichtblitz und eine anschließende Bedieneroberfläche das Glas als Monitor enttarnte. Nein, es waren meine eigenen Hände, die mich erschreckt hatten. Sie waren so – knorrig und von zahlreichen Altersflecken bedeckt. Ich schob den Stuhl zurück, stütze mich ab und versuchte aufzustehen, als ein pochender Schmerz unbarmherzig den Weg durch meine Wirbelsäule nahm. Ich lehnte mich zurück in den bequemen Lederstuhl und sah mich skeptisch in dem Raum um, der mir so fremd war. Silber und Schwarz war der dominante Farbton der futuristischen Einrichtung. Die zur Hälfte in die Wände eingearbeiteten Schränke waren an der oberen Seite sanft abgerundet und gebogene Stehlampen in jeder Ecke des Raumes sorgten für genügend Licht. An einer Seite des Zimmers nahm ein Fenster fast die gesamte Wand ein. Gerade wollte ich einen zweiten Versuch starten aufzustehen, als ich einige Knöpfe an der vorderen Seite der Armlehnen meines Bürosessels entdeckte. Auf der Rechten Seite war ein kleines Touchpad installiert.
„Das ist doch nicht etwa…“, noch bevor ich meine Gedanken vollendet hatte, war ich mit meinem Zeigefinger über das schwarze Feld gefahren. Ein leises Summen war zu hören und einen Augenblick später verspürte ich einen leichten Ruck. Eine Bewegung meiner Hand nach Vorne ließ meinen Stuhl gegen den Schreibtisch fahren. Obwohl „fahren“ wohl der falsche Ausdruck war. Ein Blick nach unten bestätigte meine Vermutung, als ich erkannte, dass der Rollstuhl auf dem ich saß einige Zentimeter über dem Boden schwebte. Ein blaues Licht flimmerte zwischen dem Teppich und den geschwungenen Metallbeinen unter meinem Gefährt. Irgendwie war ich nicht überrascht. Es war mir ein vertrautes Gefühl.
Ein leises Brummen begleitete mein anschließendes Wendemanöver und ich schwebte zu dem einzigen Fenster des Zimmers. Es war aus dunklem Glas und spiegelte den größten Teil des Raumes wieder. Mich natürlich ebenfalls. Obwohl ich bei dem Anblick des alten Mannes, der sich auf der Scheibe meines Fensters widerspiegelte eigentlich entsetzt hätte reagieren müssen, entfuhr mir nicht mehr als ein leises Schluchzen. Ich strich mein dünn gewordenes, graues Haare glatt, das ich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug. Obwohl mein Gesicht stark vom Alter gezeichnet war, erkannte ich mich sofort wieder.
Hier und da konnte man durch das dunkle Glas Lichter erkennen, die in mehr oder weniger gleichen Bahnen vor dem Haus vorbeihuschten. Vermutlich Autos, dachte ich und sah mich vergeblich nach einer Möglichkeit um, freie Sicht auf die Straßen zu bekommen. Ein leicht kribbelndes Gefühl ließ mich kurz zurückschrecken, als ich das Fenster berührte. Von einer Sekunde auf die nächste blitzten am Fensterrahmen kurz elektronische Entladungen auf und das „Glas“ verschwand. Beinahe hätte ich vor Schreck aufgeschrien, als kaum einen Meter entfernt Autos an meinem Fenster vorbei rasten. Eigentlich nichts Ungewöhnliches – zumindest, wenn man im Erdgeschoss wohnt. Das tat ich aber scheinbar nicht. Als ich mich ein Stück nach Vorne traute, bemerkte ich vor mir ein unsichtbares Kraftfeld, das mich davor bewahrte, aus dem Fenster zu stürzen. Gebannt sah ich nach draußen. Es ging schätzungsweise fünf oder sechs Stockwerke nach unten. Auf der Straße fuhren alte Autos, die noch ihre Räder zum Vorrankommen nutzten und gut zehn Meter in der Luft, eben an meiner Etage vorbei, war wohl der Verkehrsweg für die schwebenden Modelle.
Meine rechte Hand suchte sich den Weg unter das Hemd auf mein immer noch wild klopfendes Herz, während ich am Horizont, weit über den zahlreichen Wolkenkratzern einen hell strahlenden Planeten wiedererkannte. Die Erde.

Es brauchte seine Zeit bis ich mich von dem Anblick dieser neuen Welt da draußen lösen konnte. Ich lehnte mich zurück und fuhr quer durch den Raum durch die einzige Tür des Zimmers, die sich bei meinem Nähern automatisch öffnete. Als Schriftsteller huschten mir unterschiedliche, mögliche Ursachen für meine Situation durch den Kopf. War es ein Traum, der nicht enden wollte? Haben mich Außerirdische entführt und irgendwelche obskuren Versuche mit mir angestellt? Nein alle Möglichkeiten schienen mir so unrealistisch. Irgendwie kam es mir so vor, als wäre ich in einer, meiner eigenen Geschichten gefangen. Vielleicht hatte ich wirklich nur zuviel Zeit mit dem Schreiben verbracht und meinen Verstand verloren?
Nachdem ich durch den Flur in einen neuen Raum gelangt war, verscheuchte ich diese verbitterten Gedanken. Ich war ganz sicher nicht verrückt. Ein breites, dunkelblaues Sofa stand vor einem silbernen Tisch mit gläserner Platte. Bilder hingen an der Wand. Eine mir unbekannte Frau und drei Kinder waren wohl das Lieblingsmotiv des Fotografen gewesen. Ich fuhr zurück in den Flur, als ich ein Klingeln hörte. Es war jemand an der Haus Tür.
Dass ich keine Klinke an der Haustür vorfand, verwunderte mich nicht wirklich.
„Tür öffnen“, befahl ich und prompt begleitete ein leises Surren die metallene Tür, die in der Mitte auseinander glitt und in der Wand verschwand.
„Was ist los Mensch, wir waren verabredet?“ Ein älterer Mann, er saß ebenfalls in einem Hoverchair, sah mich fragend an. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Ja, genau, es war ein guter Freund von mir. Er schien allerdings auch in die Jahre gekommen zu sein.
„Hat es dir die Sprache verschlagen?“, fragte Steven, sah mich etwas ungeduldig an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Willst du mich nicht reinlassen?“
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mit weit geöffnetem Mund einfach nur da saß und nicht einen Ton von mir gegeben hatte.
„Ich, ich, doch, ich habe… Ähm, ich meine…“, stotterte ich vor mich hin.
„Dein Bruder und die anderen warten schon auf der Rennstrecke, Mensch.“
Ich sah ihn nur verdutzt an.
„Du hast deine Medikamente nicht genommen, hab ich Recht?“, fragte er und stand aus seinem Gefährt auf. Er zog mich am Arm nach oben. „Nun steh schon auf, alter Mann. Du tust ja gerade so, als wenn du nicht laufen könntest.“ Er schüttelte den Kopf. „Irgendwie sind diese Dinger auch mehr ein Fluch, als ein Segen. Sie sagen immer alle, der Hoverchair würde unser Lebensstandard verbessern. Aber irgendwie gewöhnt man sich zu schnell an den Luxus, nicht mehr laufen zu müssen.“
Ich ließ mir von ihm aus dem Stuhl helfen, während mir ein wohlbekannter Schmerz durch den Rücken fuhr. Als Steven mein gepeinigtes Gesicht sah, sagte er: „Mann könnte wirklich denken, du hättest dich noch nicht an die Scherzen gewöhnt. Du bist einhundert und drei Jahre alt, Junge. Das nagt an den Knochen, sage ich dir!“
In der Tat konnte ich stehen. Ein riesiger Stein viel mir vom Herzen, als ich den Weg zu meinem Schreibtisch auf meinen eignen zwei Beinen laufen konnte, allerdings noch etwas unbeholfen. Ich sah auf dem Monitor etwas, das mir wohl vertraut war. Ein Textverarbeitungsprogramm lief. „Expedition In Den Amazonas“, las ich die Überschrift laut vor. Es war genau diese Kurzgeschichte, an der ich einen Tag zuvor noch gearbeitet hatte. Zumindest soweit ich mich erinnern konnte. Als ich Stevens Hand auf meiner Schulter spürte drehte ich mich zu ihm um.
„Du hast wieder in der Vergangenheit geschwelgt. Nicht wahr, mein Freund?“, fragte er.
Ich nickte nur zögernd. Ich war mir nicht sicher, was geschehen war.
„Du weißt doch, dass deine Krankheit dadurch nicht besser wird. In deiner Hemdtasche ist das Medikament, das dir der Arzt verordnet hat, als er dein Alzheimer diagnostiziert hat.“
Als ich ein seltsames Gerät zum Vorschein brachte, dass mich an eine Spritze ohne Nadel erinnerte und Steven meinen völlig ahnungslosen Gesichtsausdruck sah, sagte er: „Na komm, ich helfe dir.“ Er setzte mir das Gerät an den Hals und drückte eine Taste. Ein kurzes Kribbeln und langsam löste sich der dunkle Schleier, der sich in meinen Gedanken festgesetzt hatte. Meine Frau, meine Kinder und die letzten fünfundsiebzig Jahre meines Lebens waren wieder in mein Gedächtnis zurückgekehrt. Ein warmes, beruhigendes Gefühl nahm den Platz ein, den zuvor Zweifel und Angst der letzten Stunden besetzt hielten.
„Deine Krankheit ist heutzutage zwar heilbar…“, sagte Steven, doch bevor er seinen Satz beenden konnte, unterbrach ich ihn: „Ja, ja. Aber nur wenn ich regelmäßig meine Medizin nehme, kann man wirkungsvoll dagegen vorgehen, ich weiß.“
Schnell hatte ich meine Wehwehchen vergessen, holte meine Klamotten zusammen und schloss mich meinem Kumpel an, um auf der Rennstrecke endlich herauszufinden, wer von uns der beste Hoverchair Fahrer war.



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