Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
Ich heiße Cilli, Cilli Maurer, nein eigentlich Cäcilia, aber sie haben mich immer Cilli genannt. Inzwischen bin ich fast achzig Jahre alt. Die Leute geben mir höchstens fünfundsechzig. Ja, ich kann immer noch Rad fahren und mit den Beinen, das geht immer noch gut; war halt immer schlank und zäh. Meine Haare sind inzwischen weiß; nein, die färbe ich jetzt nicht mehr, ist doch egal. Ein bißchen schütter sind sie auch, aber es geht, ja.
Jetzt hab ich gerade den Tisch gedeckt für mich und meinen Mann, den Franz. Der muß jetzt gleich einmal kommen, weiß auch nicht, wo der so lange bleibt. Der war immer streng mit mir, der Franz, ziemlich streng, ja. Da mußte immer alles klappen. Wenn der heimkam, dann mußte immer alles schon gerichtet sein, zum Essen und so. Wo bleibt er denn nur? Na, er wird gleich da sein.
Die Türklingel! Jetzt bin ich ganz schön erschrocken. Nein, das ist nicht der Franz. Der läutet nicht an der Türe. Der hat selber einen Schlüssel. Muß ich halt schauen, wer da ist. Lieber erst aus dem Fenster schauen – man kann ja nie wissen! – Eine Frau, ziemlich groß, kenne ich nicht! Glaube nicht, daß ich die kenne!
"Ja bitte? Was gibt's? Ach so, sammeln wollen sie! – Fürs Kinderdorf. Mein Gott, die armen Hascherl! Warten sie einen Moment! Ich mach ihnen die Tür auf!"
Wo ist bloß mein Schlüssel? In der Einkaufstasche? .... Nein! Auf dem Haken neben der Tür? .... Auch nicht!
"Hallo! Einen Moment bitte! Ich kann den Schlüssel nicht finden! Entschuldigen Sie, tut mir leid!"
Was denkt sich bloß diese Frau von mir? Peinlich! Weiß gar nicht, wer das ist! Was die wohl will? Ach ja, der Schlüssel! Da liegt er ja, auf der Stellage. Gott sei Dank!
"Ich komme schon! Moment bitte! So, kommen Sie rein. Ich kenne Sie gar nicht.!" ----
"Was, gleich schräg gegenüber wohnen Sie? Hab Sie nie gesehen. Entschuldigen Sie, was sagten sie, was Sie wollen?" ---
"Ach so, fürs Kinderdorf. Setzen Sie sich bitte zum Tisch, ich muß die Geldtasche noch suchen. Ja, für die armen Hascherl geb ich ihnen schon was, sind schon arm die Kinder. Wollen Sie was trinken? Einen Saft?" ---
"Doch, doch, einen Saft werden Sie schon wollen, was anderes hab ich leider nicht da. Schauen Sie, da ist ein Glas mit Saft! Ich kenne Sie gar nicht. Hab ich Sie schon einmal gesehen?" ---
"Ach so ja, gleich schräg gegenüber, na so was. Ich hab Sie noch nie gesehen. Was wollte ich denn? Ach ja, mein Geld suchen. Sagten Sie nicht, Sie sammeln fürs Kinderdorf? Sind schon arm, die Kinder dort. Warten Sie, ich geb Ihnen gleich was. Wo ist denn nur die Geldtasche? In der Einkaufstasche ist Sie nicht. .... In der Kredenz auch nicht .... Wissen Sie, ich leg das Geld immer wo anders hin. Hoffentlich hat es niemand gestohlen! Ich weiß nicht, immer kommt mein Geld weg. Ich kann gar nicht genug aufpassen. Hoffentlich hat es diese Helga nicht mitgenommen, die kommt immer vorbei. Weiß nicht, was die immer will. Die ist bös, die Frau, wissen Sie. Was wollte ich denn? Ach ja, das Geld. Ich schau mal im Zimmer drinnen. Warten Sie einen Moment, bitte." ---
"Schauen Sie, ich hab ein paar Kekse gefunden. Sie mögen sicher ein paar Kekse. Warten Sie, ich leg Sie auf ein Teller. Wo ist denn? – Das eine Teller ist auch nicht da. Hat sicher meine Nichte mitgenommen. Hören Sie, die nimmt hier auch alles mit. Die klaut alles. Ich muß so aufpassen. Dann nehm ich halt das andere." ---
"Ja, ja, das ist ein altes Teller, noch von meiner Großmutter. Schön, daß es Ihnen gefällt. Möchten Sie's mitnehmen? Ich schenk es Ihnen, wenn es Ihnen gefällt." ---
"Ach so ja, da hab ich für meinen Mann gedeckt, für den Franz. Der muß gleich kommen. Wo bleibt er denn nur. Ich hab immer so Angst, wenn er nicht da ist. Wissen Sie, heutzutage kann man nicht genug aufpassen. Gott sei Dank hab ich ein Gitter vor dem Fenster. Da schleichen in der Nacht immer Männer herum. Ich hab so Angst, daß die mich vergewaltigen. Und ich sperre immer gut zu. Was war denn gleich? Ich hab doch was gesucht!" ---
"Ach so ja, mein Geld. .... In der Einkaufstasche ist es nicht. Hoffentlich hat es niemand gestohlen. Ich kann gar nicht genug aufpassen. Rücken Sie bitte mal auf die Seite! Vielleicht ist es hinter dem Kissen! .... Nein auch nicht. Wissen Sie, ich geb mein Geld immer woanders hin, damit es niemand klauen kann. Vielleicht ist es ja im Backofen? .... Nein, auch nicht. Wozu brauche ich eigentlich das Geld? Bin ich Ihnen noch was schuldig?"
"Ach so ja, die armen Kinder. Haben Sie auch Kinder?" ---
"Gleich drei, na so was." ---
"Was, hier in der Straße? Gleich schräg gegenüber? Hab ich noch nie gesehen. Wohnen Sie schon lange hier?" ---
"Ach ja, das Geld! Wo soll ich denn noch suchen? .... Vielleicht auf der Kredenz. Hoffentlich hat es diese Helga nicht mit. Wissen Sie, die kommt immer hier vorbei. Weiß auch nicht, was die immer will. Die ist bös, die Frau, wissen Sie. Und dann ist immer mein Geld weg. Nein, da ist es nicht. Ich schau noch mal in der Einkaufstasche. .... Im Seitenfach? Entschuldigen Sie, tut mit leid. Ich kann das Geld nicht finden. Irgendwer muß es weggenommen haben. Aber ich möchte ihnen doch Geld für die armen Kinder mitgeben. Das muß doch irgendwo sein. Wenn nur der Franz schon da wäre. Vielleicht weiß der, wo das Geld ist. Der Franz ist mein Mann, wissen Sie. Der muß gleich kommen. ich hab den Tisch schon gedeckt. Der war immer streng mit mir, der Franz, wissen Sie. Da muß immer alles schon auf dem Tisch stehen, wenn er kommt. Nehmen Sie noch ein Keks? Nehmen Sie doch! Ist genug da.!" ---
"Wenn ich nur wüßte, wo ich noch suchen soll! Vielleicht im Kochtopf im unteren Fach? Warten Sie .... "
"Ja, ja, bücken kann ich mich noch gut. Bin zufrieden. Könnte schlimmer sein." ---
"Ja, Rad fahren kann ich auch noch, Gott sei Dank. Aber ich muß eh nicht mehr kochen. Die bringen mir immer Essen auf Rädern." ---
"Ja schmeckt gut. Hoffentlich schmeckt es dem Franz auch. Das ist mein Mann, wissen Sie. Er muß gleich da sein. .... Da ist Sie ja, die Geldtasche. Gott sei Dank. Wissen Sie, ich verstecke Sie immer gut, damit Sie keiner findet. Schauen Sie, ich geb Ihnen einen Hunderter* für die armen Kinder. Ist das genug?" --- (*Schilling!)
"Was, wollen Sie jetzt wirklich schon gehen? Ich geb Ihnen noch ein Glas Saft! Kekse sind auch noch da." ----
"Ja dann, auf Wiedersehn, wenn Sie schon gehen müssen. Kommen Sie wieder mal vorbei! Wo ist denn der Türschlüssel jetzt?" ---
"Ach so ja, immer noch in meiner Schürzentasche. Ich mach Ihnen auf. Also dann auf Wiedersehn." ---
Nette Frau das. Wo die wohl herkommt? Wie hat Sie noch gesagt, daß Sie heißt? Na hoffentlich ist Franz bald da. Ich hab schon den Tisch gedeckt ....
*****
Cilli .... etwas fehlt in unserer Straße, seit sie nicht mehr in diesem winzigen Haus gleich schräg gegenüber wohnt. Bis zuletzt war sie kaum gebrechlich, aber halt furchtbar verwirrt. Am Anfang ging es ja noch, aber es wurde immer schlimmer. Eigene Kinder hatte Sie nicht, nur eine Nichte besuchte Sie noch gelegentlich. Eine Schwester vom Krankenpflegeverein und Helga, eine Frau vom Verein "Nachbarschaftshilfe" schauten regelmäßig vorbei und kümmerten sich um sie. Helga ist eine ausgesprochen nette, fromme und ehrliche Frau. Sie hatte es wirklich nicht leicht mit Cilli. Zuletzt kamen panische Anrufe um drei Uhr morgens: "Helga, was ist bloß los? Warum geht die Sonne nicht mehr auf? Geht jetzt die Welt unter?" Jeden Tag deckte Cilli den Tisch für einen Mann, der seit fünfzehn Jahren nicht mehr lebte. Immer hat sie auf ihn gewartet und nicht wirklich realisiert, daß er nie mehr kommen würde.
Ich selbst zog erst in diese Straße, als sie schon sehr alt war. Ein paar Mal läutete ich bei ihr um für das Kinderdorf oder für die Caritas zu sammeln. Jedes Mal überlegte ich, ob ich ihr und mir das wirklich noch einmal antun sollte, aber sie hatte eigentlich keine finanziellen Probleme und es war ihr immer so wichtig, für die armen Leute etwas zu spenden. Außerdem war es ein Grund, sie einfach einmal zu besuchen und eine zeitlang mit ihr zu plaudern, soweit das halt möglich war. Manchmal traf ich sie auf der Straße und fragte sie, wie es ihr denn gehe. Sie hat mich nie wiedererkannt, nur die Nachbarn, die schon mindestens zehn Jahre hier wohnten.
Im letzten Jahr war Cilli viel im Dorf unterwegs. Sie suchte den Weg in die Stadt, um endlich nach Hause zu gehen, wie sie sagte. Ihre Eltern würden schon so auf sie warten. In der Stadt hatte sie vor sechzig Jahren gewohnt. Im Dorf kannte sie bereits fast jeder, und fast jeden Tag lud sie irgendjemand in sein Auto, um sie zu ihrem kleinen Häuschen in unserer Straße zurückzubringen. Stimmen wurden laut: "So geht das doch nicht weiter. Man kann diese Frau doch nicht mehr allein wohnen lassen." Also brachte man sie ins Altersheim. Das ging nicht gut, denn dort fühlte sich Zilly erst recht nicht zu Hause und sie lief jeden Tag weg. Für ein paar Monate ließ man sie deshalb doch noch in ihrem Haus wohnen, dann kam sie endgültig in eine geschlossene Abteilung. Bereits eine Woche später war sie tot: Kreislaufversagen!
Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr Dieser Text enthält 9160 Zeichen.