Ganz schön bissig ...
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Juni 2003
Ein Höllenspektakel
von Christa Schmid-Lotz


Die Petroleumlampe erhellte das Zimmer nur spärlich; die Flamme tanzte verzweifelt, als wolle sie aus ihrem Gefängnis entkommen. Hannes öffnete das Fenster und sah die Wolken rasch und finster am Mond vorüberjagen. In der Höhe war ein Brausen zu hören und die Fachwerkhäuser des Städtchens duckten sich eng zusammen wie in der Ahnung eines drohenden Unheils. Er warf seinen Griffel auf den Sekretär, zog seine Schuhe und die Gamaschen an, eilte die Treppe hinab und öffnete die Tür zur Gaststube.
Im Kachelofen brannte ein Feuer. An den Tischen sah Hannes einige dunkle Gestalten sitzen.

„ Ja, Grüß Gott, Herr Stadtschreiber“, rief ihm der Wirt entgegen.
„Auch noch unterwegs zur späten Stunde?“

„Etwas muss der Mensch ja machen in dieser lausigen Zeit. Gustav, bring mir einen Krug Bier und einen Klaren ...und einen Teller Kohlsuppe!“

„Da hast Du aber Glück gehabt. Heut ist sogar Speck drin.“

„Prost, Hannes!“, begrüßte ihn Eugen, der Apotheker.

„Noch ne Runde Schnaps auf meine Rechnung.“

In diesem Moment ging die Tür auf und der Lehrer Wilhelm stürzte herein. Er ließ sich schwer auf die Bank fallen und berichtete:

„Mein Jüngster ist gestern aus Frankreich zurückgekommen. Da gibt’s schwere Unruhen. Das wird noch damit enden, dass der König gestürzt wird!“

„Ach was,“ winkte Eugen ab. „Das ist doch nur ein dummer Streich.“

„Wenn ich’s doch sag! Ihr werdet noch euer blaues Wunder erleben!“

Hannes wurde puterrot.
„Abschaffung der Monarchie? Das wäre das Ende jeder Ordnung!“

„Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt ...“, meinte Wilhelm.

„Aber diese Herrschaften pressen das Letzte aus dem Volk heraus“, ereiferte sich der Wirt. „Da gehört ein gewaltiges Aufräumen daher!“

Hannes wäre ihm fast ins Gesicht gesprungen. Er schrie:

„Gustav, willst du dich von solch einem Pöbel regieren lassen? Die morden und rauben und brandschatzen und huren und saufen doch nur!“

„Na ja, das Saufen besorgen wir ja auch ganz ordentlich“, warf Eugen vorsichtig ein.

Hannes starrte ihn an. „Willst du etwa behaupten, dass ich ein Säufer bin?“

„Um Gottes willen, so war das nicht gemeint!“

„Dann drück dich das nächste mal deutlicher aus!“

Gustav kam mit einer Schüssel, aus der es kräftig dampfte und sagte begütigend:

„Komm, Hannes, jetzt stärkst dich erst mal, und dann sehen wir weiter.“

Der Stadtschreiber stand schwankend auf, wischte dem Wirt das Geschirr aus der Hand, dass es in tausend Splitter zersprang und brüllte:

„Den Fraß kannste selber essen ... ihr könnt mich alle mal!“

Fluchend wankte er zur Tür, stieß mit dem Kopf an den Rahmen, was ein donnerndes Gelächter auslöste, drohte den anderen mit der Faust und stolperte die Treppe hinauf. Die Stimmen hinter ihm verhallten.

In seinem Zimmer ließ er sich schwer atmend auf einen Schemel fallen, zündete die Lampe an und glotzte trübsinnig auf die Wände, auf die Pritsche, die so hart war, dass er nachts nicht schlafen konnte, das Pult, wo er zu stehen und seine Traktätchen über das Geschehen in der Stadt zu schreiben pflegte. So armselig er auch hauste, es war seine Welt, in der alles seine Ordnung hatte. Jeder zog den Hut vor ihm in der Stadt und die Honoratioren trafen sich mit ihm allabendlich in der Wirtschaft. Das sah er nun durch die Ereignisse in Frankreich bedroht. Der Mob war vom Teufel dazu angestiftet worden, sich aufzulehnen und wie ein Flächenbrand würde die Revolution über alle Länder hereinbrechen ... es war die größte Katastrophe seines Lebens.

„Ach, was soll’s“, sagte er laut in die Stille hinein und angelte sich einen Krug mit Fusel unter dem Bett hervor.

Plötzlich schreckte er hoch. Er wusste nicht mehr, wie lange er hier gesessen und vor sich hin getrunken hatte. Da war doch etwas! In einer Ecke des Zimmers nahm er eine Bewegung wahr.
Eine Gestalt löste sich von der Wand und trat in die Mitte des Zimmers. Es war ein Herr mittleren Alters, mit einem Zylinder bekleidet und mit einem Wams aus gutem Tuch. Die Beinkleider waren unten geschlossen; die Schuhe schienen eher Tanzböden gesehen zu haben als den Morast der Straßen.

„Wa – was wollen Sie hier? Wie kommen Sie überhaupt herein?“

„Hannes, ich bin gekommen, um dich zu holen. Du bist zu Größerem geboren, als dein Leben in diesem Loch zu fristen!“

„Wer, zum Teufel, sind Sie denn? Ich verlange Aufklärung!“

Auf dem Gesicht des Fremden spielte ein Lächeln, dann hob er den Zylinder und verbeugte sich leicht. Aus dem Kopf wuchsen ihm zwei Hörner, die mit Fell überwachsen waren. Das Bein, mit dem er locker aus dem Stand wippte, hatte einen Pferdefuß und der Raum war plötzlich erfüllt mit Schwefelgeruch.

„Du Satansbraten, du Ausgeburt der Hölle, dir drehe ich den Kragen um!“, schrie Hannes und stürzte sich auf den Eindringling. Er fiel zu Boden und riss dabei die Lampe um. Das Petroleum floss heraus und entzündete sich, bald leckten Feuerzungen in alle Richtungen ... der Spuk war verschwunden, aber der Brand breitete sich rasend aus. Hannes schrie aus vollen Lungen und verlor dann das Bewusstsein.
Als er wieder zu sich kam, sah er den Sternenhimmel über sich. Ihm war speiübel; der Himmel war glutrot erhellt. Seine drei Kumpanen beugten sich aufgeregt über ihn.

„ Hannes, du Depp! Wenn unsere Runde nicht noch so lang zusammengesessen wäre, tätest du jetzt keinen Schnaufer mehr!“

„Was ist passiert? Ich kann mich an nichts erinnern!“

„Wir hörten dich schreien wie vom Teufel besessen. Schnell die Treppe hoch; aus deinem Zimmer schlugen uns Flammen und Rauch entgegen. Es war die Hölle! Mit aller Kraft zogen wir dich aus dem Raum und schleiften dich die Stiege hinunter.“

„Gustav!“, schrie Wilhelm, „deine Wirtschaft!“

Ein Bersten und Krachen ertönte. Das Wirtshaus „Sonne“ brannte lichterloh, brach dann in sich zusammen und ließ die vier Männer und alle, die neugierig hinzugelaufen waren, entsetzt zurückweichen.

„Um Gottes willen, holt die Eimer! Das Nachbarhaus brennt auch schon!“

Alle rannten, versuchten zu retten, was nicht mehr zu retten war.

„Die Brunnen sind leer! Wir können nicht löschen!“

„Dann holt das Wasser aus der Nagold!“

Die Bewohner bildeten Schlangen, einige schöpften fieberhaft und reichten die Eimer von Hand zu Hand weiter. Bis es bei den Gebäuden ankam, war die Hälfte verschüttet. Inzwischen brannte die gesamte Oberstadt. Menschen stürzten wie lebende Fackeln in den Fluss, andere sprangen aus den Fenstern ihrer Häuser und blieben mit verrenkten Gliedern liegen. Der Ortsvorsteher kam vom Marktplatz heruntergelaufen und brüllte:

„Rette sich, wer kann! Die Stadt ist verloren!“

Hannes, seine Kumpanen, der Ortsvorsteher und ein Dutzend anderer Menschen rannten hinaus aus der Stadt, keuchten den Berg hinauf und warfen einen Blick zurück. Da unten sahen sie Liebenzell liegen, einen Haufen aus Flammen, Rauch, Schutt und Asche. Verzweifelte Schreie waren zu hören.
Sie saßen fassungslos am Boden; über ihre geschwärzten Gesichter liefen Tränen herab. Hannes richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Seine Augen blickten irr, als er seine Faust zum Himmel rang:

„Gott, du kannst es nicht zulassen, dass so etwas passiert! Satan hat Besitz von der Erde ergriffen. Erst hat er die Franzosen gegen ihren König aufgehetzt, dann hat er Feuer, Tod und Verderben über unsere Stadt gebracht. Wer noch einen Funken Ehre in sich hat, der folge mir und eile dem französischen Könighaus zu Hilfe!“

Hannes ging, ohne sich umzusehen, Calw entgegen. Er wusste, dass die anderen ihm folgen würden. Er war der Stadtschreiber. Nur der Wirt blieb zurück und schüttelte lange und traurig seinen Kopf.
Als die Sonne tiefrot über den Wimberg stieg, hielten sie Einzug in Calw. Die ersten Händler waren unterwegs, ihre Karren ratterten Richtung Marktplatz. Dort ruhte sich die Gruppe aus und deckte sich ein mit Wasser und Lebensmitteln für ihren langen Marsch durch den Schwarzwald. Nach einer Woche erreichten sie die französische Grenze.
Die Zollstation war verwüstet, der Schlagbaum lag zerbrochen auf dem Weg.
Zerlumpt, mit hohlen Augen zogen sie weiter ins nächste Dorf. Die Straße war aufgeweicht, es stank unbeschreiblich nach tierischen und menschlichen Exkrementen. Die Gesichter der Menschen sahen hungrig und hoffnungslos aus. Vor dem Bäckerladen hatte sich eine Menge versammelt und machte sich bereit, den Laden zu stürmen. Es war ein unglaubliches Durcheinander, ein Schreien und Weinen, Knuffen, Fallen und Stoßen. In der Ferne sahen sie ein Schloss brennen. Rasch durchquerte der Haufen diesen Ort des Jammers und wurde von einem Wald aufgenommen, dessen Bäume so dicht standen, dass sie keine zehn Ellen weit sehen konnten.

Dann brach es über sie herein.
„Vive la revolution!“ hörten sie brüllen und schon stürzten sich Bauern und Tagelöhner auf sie, hauten, stachen und droschen auf sie ein, dass sie wimmernd am Boden liegen blieben. All ihre Habseligkeiten wurden geplündert. Mit letzter Kraft gelang es Wilhelm und Hannes, zu entkommen.

Auf einer Lichtung im Wald hockten sie blaugeschlagen, resigniert und blutend. Sie wussten nicht mehr, wie es weitergehen sollte, noch wo oben und unten und was da eigentlich in die ganze Welt gefahren war.

Hannes legte sich ins Gras und schaute in den Himmel, wo Haufenwolken weiß und mächtig über Schollen thronten, sich zu Wattebergen schichteten, Gewitter- und Quellwolken miteinander kämpften, Schäfchen lustig darüber hinweg segelten, Eisfahnen still in der Stratosphäre standen und die Sonne dieses ganze große Theater mit Licht untermalte.
Er seufzte tief auf. Ihm war etwas klargeworden.

„Die Welt ist von ihrem Platz verrückt worden“, sagte er. „ Ich glaube an nichts mehr, nur noch daran, dass der Schnaps vom Teufel sein muss!“











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