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Juni 2003
Verschlafen
von Daniela Hellriegel


Natalie öffnete die Augen während sie müde ihren Kopf aus dem Kissen hob, um einen Blick auf den Radiowecker zu werfen. Sie fuhr entsetzt hoch – 11.20 Uhr.
"Waaa..." Sie holte tief Luft.
"Wochenende!", schoss es ihr unaufhörlich durch den Kopf.
"Wochenende, Wochenende, Wochenende, bitte, Gott, es ist Samstag. Meinetwegen auch Sonntag; aber bitte, bitte, bitte lass es Wochenende sein".
Doch Gott war an diesem Donnerstag nicht so großzügig mit seiner Gnade.
"Noch eine abgebrochene Ausbildung, oder auch nur ein einziger Rausschmiss und du kannst gleich deine Sachen packen.", hörte sie, in ihrem Geiste, die drohende Stimme ihrer Mutter, die zum Glück auf einem Kongress in Berlin war.
In ihrer Brust rumorte es, wurde es immer enger und enger, als wolle ihr Herz ein Vakuum ziehen. Der Kloß in ihrem Hals begann zu schmerzen.
"Nein, bitte, nur nicht das auch noch."
Gerade gestern erst hatte sie sich einen blauen Lenz gemacht und sich die gelbe Erlaubnis – auch Krankenschein genannt - ihres äußerst leichtgläubigen Hausarztes geholt. Doch das war gestern, GESTERN verdammt.
Sie sprang ins Bad, dann aus dem Bad direkt an den Kleiderschrank im Schlafzimmer. Keine ausgedehnten Überlegungen, was sie anziehen sollte; sie warf ein rotes T-Shirt über, zwängte sich in die ultra enge Levis, schnappte ihre Autoschlüssel und hastete durch den Hausflur auf die Straße.
Doch auch der Blitz hätte es an diesem Tag nicht geschafft. Ihr Arbeitstag begann um 8.00 Uhr, nicht um 12.00 Uhr. Denn vor 12.00 Uhr würde sie nicht in der Firma sein. Natalie stieg in ihren Golf - nur mit Mühe konnte sie die Kulleraugen vor der Überschwemmung bewahren -, ließ den Motor an und trat aufs Gas. Um die Ecke, auf die Hauptstrasse, hier mal rechts, dort mal links, bis sie auf der Autobahn war. Zeit zum Überlegen.
Immer noch krank? Ãœbergeben? Mutter hatte einen Unfall? Zahnarzttermin?
Sie konnte sich vor Einfällen kaum retten. Denn welcher Chef, sei er auch noch so kollegial, aufgeschlossen für Neues und naiv, würde ihr glauben, sie habe verschlafen?
Runter von der Autobahn, die Bundesstraße entlang. Immer noch nichts gefunden, was glaubwürdig schien – alles wäre glaubwürdiger als verschlafen zu haben, aber in all den Ausreden, den Einfällen, war nichts zu finden, das sie nicht schon zu oft benutzt hatte. Sie stellte ihr Autoradio an, aus den hinteren Boxen grölte Metallica von der abgedudelten CD.
Herrlich, etwas Entspannung. Den Kopf klar machen. Im Augenwinkel huschte etwas über das Armaturenbrett.
"Aaaaah! Weg, weg!" Ihr Ekel hatte Gestalt aufgenommen und ist auf acht Beinen in ihr Bewusstsein getreten, welches zuvor noch von den Klängen Nothing Else Matters in Trance versetzt worden war.
Lenkrad rechts, links, die Reifen streichelten schon den Grünstreifen, auf dem sich die Leitplanke befand, sicher nicht mehr Abstand als 15cm von der linken Karosserieseite ihres VW´s.
"Ampel, rot, anhalten.", sie trat das Bremspedal, überwandt ihre Scheu und befördert das Monster, welches ungeheuer flink die Parkscheibe entdeckt hatte, durchs offene Fenster, das sie anschließend in rekordverdächtiger Geschwindigkeit wieder hochkurbelte.
"Pfffft", schoss es aus ihrem Mund und die Ampel wies ihr in ihrem grünen Schein den freien Weg nach links.
Angekommen. Parkplatz? Ihr Kopf ging ruckartig hin und her, bis sie eine Lücke zwischen zwei verwaisten Anhängern fand. Sie holte noch einmal tief Luft, ging durch die Tür, schnurstracks ins Büro des Chefs, senkte in demütiger Reue den Kopf.
"Immer noch krank?", Natalies Chef blätterte durch seine Kontoauszüge, die ihn wohl die Zeit hatten vergessen lassen.
"Nein, verschlafen!", antwortete sie, legte den Krankenschein vom gestrigen Lenz vor ihn auf den Schreibtisch und verschwand ohne jeden Blickkontakt aus der Tür.
"Fräulein Breuer, kommen sie doch bitte noch einmal zu mir.", hörte sie die Stimme ihres Chefs.
"Jetzt ist´s aus. Der wird mich rausschmeißen", dachte Natalie und ging mit schuldbewusstem Blick wieder hinein.
"Die Bescheinigung für ihre Krankenkasse."
Ihr Chef reichte ihr das gelbe Papier, das er von der, für seine Unterlagen bestimmte, Kopie trennte, ohne auch nur aufzusehen. Natalie war erleichtert und dachte: "Was für ein katastrophaler Morgen."

© Daniela Hellriegel

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