Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Juli 2003
Urlaub auf Baratschka
von Karl-Heinz Ganser


Seit Jahren ging ich im Juli in das kleine Reisebüro neben der Hauptpost, um meinen Urlaub zu buchen.
“Ist Frau Reijack heute nicht da?” fragte ich erstaunt, als mich eine junge, schokoladenbraune Schönheit hinter dem Schreibtisch anlächelte.
“Frau Reijack hat sich ein paar Tage freigenommen und ich vertrete sie.” Sie sah mich mit ihren pechschwarzen Augen so merkwürdig an und sagte dann: “Ich heiße Samuela und hoffe, dass ich Ihnen auch das Richtige anbieten kann.”
“Ich denke schon”, sagte ich und war jetzt richtig neugierig darauf, was sie mir wohl anbieten würde. Die gute Frau Reijack hatte mir in den letzten Jahren fantastische Reisen in alle Welt vermittelt. Aber dieses Jahr wollte ich mal etwas ganz besonders machen.
Als ob sie meine Gedanken erraten hatte, meinte sie schmunzelnd: “Sie sind jung und wenn Sie an eine ganz besondere Reise interessiert sind, dann schlage ich Ihnen vor, auf Baratschka Urlaub zu machen.”
“Baratschka?” wiederholte ich, “Den Namen habe ich noch nie gehört.”
“Ja!” Sie lächelte wieder und plötzlich bekamen ihre Augen einen, wie mir in diesem Augenblick schien, einen übernatürlichen Glanz, der mich erschreckte, aber gleichzeitig auch faszinierte. “Das ist mein Heimatland auf einem Planeten, den die Menschen noch nicht kennen.”
“Was sagen Sie da? Auf einen Planeten?” Ich sah sie erstaunt an.
“Nun, ja”, meinte sie, “ich habe als Reiseleiterin den Auftrag, für mutige Männer eine interessante Tour dorthin zu organisieren.”
“Sie wollen mir wohl einen Bären aufbinden, junge Frau”, lachte ich, nachdem mir bewusst geworden war, dass ich in einem ganz normalen Reisebüro saß. Hier konnte man keine Flüge zu einem anderen Planeten buchen.
“Vielleicht können Sie so etwas in hundert Jahren anbieten”, spottete ich und wartete auf ihre Reaktion.
“Schade”, seufzte sie und ich merkte, dass sie auf einmal unendlich traurig wurde. “Zwölf junge, lebenslustige Männer haben sich bisher bei mir angemeldet und Sie wären der Dreizehnte gewesen und wir hätten starten können.”
Jetzt packte mich doch die Neugier. Obwohl ich so eine Reise für völlig absurd hielt, ließ ich mir dann trotzdem von Samuela schildern, wie sie so etwas denn organisiert würde.
Begeistert erzählte sie mir dann, dass auf dem Köln-Bonner Flughafen, abseits von den normalen Flughallen ein kleines Raumschiff bereitstände. Die Flugzeit betrage zwölf Stunden. Das Land habe nicht viele Bewohner, dafür aber viel Urwald mit Tieren, die es auf der Erde nicht gäbe und ein angenehmes Klima.
Als sie merkte, dass ich jetzt nachdenklich wurde, zwinkerte sie mit den Augen und tat ganz geheimnisvoll. “Wenn es Sie interessiert, bei uns haben die Frauen das Sagen. Die wenigen Männer sorgen für den Lebensunterhalt der Sippe und für ...” Sie lachte vielsagend. “Na, Sie wissen schon. Wir sind auch bloß Menschen, wenn auch auf einem anderen Stern.”
Mit ernster Mine fügte sie dann hinzu: “Sie werden mit den anderen eine Reise machen, die preiswert ist, und die Sie nie mehr im Leben vergessen werden.”
Erwartungsvoll sah sie mich an und wartete auf meine Reaktion.
“Das hört sich ja sehr interessant an”, sagte ich in Gedanken vertieft.
“Und wie groß sind die Chancen, dort anzukommen und wieder zurück?” scherzte ich.
“Nun”, meinte sie, “Ich muss zugeben es ist ein Experiment, aber durchaus realistisch. So haben Sie und die anderen die einmalige Gelegenheit einen Nachbarplaneten kennen zu lernen.”
Obwohl ich immer noch das Gefühl hatte, das alles mit offenen Augen zu träumen, faszinierte mich das, was diese Frau erzählte.
“Ich mache mit”, hörte ich mich sagen und als ich ganz benommen das Reisebüro verließ, da war mir, als ob ich die letzte Stunde in einer fremden, unwirklichen Welt verbracht hätte.

Drei Wochen später rief Samuela mich an und sagte, dass übermorgen um Mitternacht der Abflug erfolgen würde.
Die anderen zwölf Männer, alle so in meinem Alter, wunderten sich genauso wie ich, dass wir keine Raumanzüge anzuziehen brauchten, als wir in ein Gefährt kletterten, dass eher aussah, wie eine umgebaute Boing und nicht wie eine Raumfähre.
Samuela stellte uns dann den Kapitän vor, als wir in bequemen Sesseln festgeschnallt waren.
“Das ist ja eine Frau!” rief Lars erschrocken, der in der ersten Reihe saß.
Zu unserer Überraschung hob das Gefährt fast lautlos ab, schoss dann aber minutenspäter wie eine Rakete ins Weltall.
Ich hatte schon ein mulmiges Gefühl, als wir nach endlos langer Zeit auf einem abgeholzten und planierten Plateau inmitten eines Urwaldgebietes landeten.



Als wir aus dem Raumschiff kletterten, sahen wir unter riesigen Mammutbäumen
unzählige kleine Buschhütten.
“Dort drüben in der Hütte mit den drei gekreuzten Balken werden wir übernachten,” erklärte Samuela. Lachend fügte sie hinzu: “Fast so gut, wie ein Drei Sterne Hotel.”

Als wir uns der Hütte näherten, sahen wir laut lamentierende und winkende Gestalten auf uns zukommen. Es waren Männer, alle sehr muskulös und am ganzen Körper mit roter und grüner Farbe bemalt. Sie trugen als Lendenschurz ein riesengroßes grünes Blatt und in den Nasenflügeln glänzten farbige Pfeile.
Auf einen schrillen Pfiff hin, bildeten sie ein Spalier und heraus trat eine Frau, in einem Umhang aus kunstvoll aneinander gereihten bunten Blättern.
Samuela verneigte sich vor ihr, drehte sich dann zu uns um und sagte: “Das ist unsere Königin.”

Am nächsten Morgen stiefelten wir, jeder mit einem Rucksack bepackt, durch fast undurchdringliches Buschwerk.
Wir hörten unheimliche und für uns unbekannte Geräusche, die, wie Samuela uns erklärte, von den vielen verschiedenartigen Tieren stammten.
Ich war froh, dass wir uns wenig später ziemlich erschöpft auf einen halb vermoderten Baumstamm niederlassen konnten.
“Hier! Esst mal davon!” Samuela hatte mit dem Messer eine dicke, schwarze Wurzel aus dem Boden gekratzt und gab jedem ein Stück davon.
“Jeder sucht jetzt hier in der Umgebung möglichst viele Wurzeln, denn die werden in den nächsten Tagen ein Teil unserer Nahrung sein”, sagte sie und es klang fast wie ein Befehl.
“Wie bei den Soldaten”, maulte Lars, der jüngste in unserer Gruppe, laut vor sich hin und trottete davon.
Auf einmal hörten wir Lars verzweifelt schreien: “Hilfe! Hilfe! Ein Ungeheuer!”
Wir rannten alle, wie aufgescheuchte Hühner in die Richtung, aus der Lars brüllte.
Entsetzt sahen wir, wie ein schlangenähnliches Tier mit einem riesigen feuerroten Kopf sich langsam um seinen Körper wickelte.
Als Samuela das sah, sprang sie hinzu und begann das Tier so liebevoll zu streicheln, als ob es eine harmlose Blindschleiche wäre.
Wir waren fassungslos, als wir sahen, wie langsam das Kriechtier den Körper von Lars freigab und davon schlängelte.
“Das ist eine ganz ungefährliche Schlange”, klärte Samuela uns dann auf. Ich aber war davon nicht so ganz überzeugt.

Am nächsten Tag standen wir nach einem zweistündigen Marsch durch unwegsames Gelände plötzlich vor eine mindestes fünfzig Meter tiefe Schlucht, über die eine Seilbrücke gespannt war.
“Wir müssen einzeln rüber gehen, dann ist das kein Problem”, sagte Samuela zu uns. Ich hatte schon ein mulmiges Gefühl im Bauch, als ich überlegte, dass das mindestens hundert Meter sein mussten, um von einer Seite zu der anderen zukommen.
Fasziniert sahen wir zu, wie sicher und leicht Samuela, trotz des schweren Rucksackes, über die Seile hüpfte.
Als ich als Zweitletzter in der Mitte der schaukelnden Brücke angekommen war, hatte ich das Empfinden, nicht mehr weiter gehen zu können. Das aufmunternde Zurufen von Samuela gab mir schließlich die Kraft, weiterzugehen.
Nach einer Stunde waren alle auf der anderen Seite, bis auf Lars, der scheinbar schreckliche Angst hatte.
Gespannt und ungeduldig warteten wir darauf, dass er nun endlich losging.
Er wollte gerade den ersten Schritt tun, da sahen wir zu unserem Entsetzen, wie hinter ihm ein, für uns gigantisch großer Affe auftauchte. Er packte Lars mit seinen riesigen Pranken und fauchte so gewaltig, dass ich mir spontan die Ohren zuhielt.
Das ist ja der leibhaftige King-Kong, durchfuhr es mich eiskalt.
In diesem Moment stieß die Bestie einen furchtbaren Schrei aus. Starr vor Schreck sah ich, wie das Monstrum plötzlich wankte und unter lautem Gebrüll den wild um sich schlagenden Lars in das Gebüsch schleuderte. Dann sackte der Kollos in sich zusammen und stürzte in die endlose Tiefe.
Wir sahen uns alle entgeistert an. Keiner rührte sich. Nur Samuela hatte sich schnell gefasst und während sie schon losrannte, schrie sie uns zu: “Los!, Schnell! Wir müssen zurück!”
Jeder versuchte, so schnell wie möglich auf die andere Seite zu kommen.
Als ich als Letzter ankam, lag Lars noch immer ohnmächtig auf dem Boden. Samuela war gerade dabei, den mit ihren Händen ausgepressten Saft einer gelbgrünlichen Frucht ihm in den offenen Mund zu träufeln.
Nach einer Weile öffnete er vorsichtig die Augen und blickte erstaunt um sich.
“Was ist passiert?” stöhnte er, und es schien so, als könne er sich an nichts mehr erinnern.
Samuela erklärte es ihm behutsam.
Dann wandte sie sich mit ernstem Gesicht an uns und sagte: “Ich glaube, der große Affe, den wir hier als starken Gott verehren, war nicht damit einverstanden, dass wir Baratschka-Menschen es gewagt haben, euch fremde Erdenmenschen nach hier zu holen. Deshalb ist er aus Wut in die Tiefe seines Reiches gesprungen.”
Bestürzt sahen wir uns gegenseitig an. Jeder ahnte, dass der begonnene Urlaub jetzt wohl anders als geplant ablaufen würde.
“Und was nun?” fragte ich und wies auf den verletzten Lars.
Ohne lange zu überlegen sagte sie: “Wir brechen die Tour ab und gehen zurück.”

Erleichtert, wenn auch total erschöpft, kamen wir nach zwei Tagen in unserer Buschhütte wieder an.
Gespannt warteten wir bis zum Abend, denn Samuela hatte uns zu verstehen gegeben, dass sie uns dann etwas sehr Wichtiges sagen würde.
“Meine Herren!” Ihre Stimme klang auf einmal so kalt und befehlend, wie die eines Obergefreiten, der zum Exerzieren aufruft.
“Es wird kein Rückflug zur Erde geben!” Sie durchbohrte jeden von uns mit einem eisigen Blick. “Ihr werdet unseren Experten für Untersuchungen zur Verfügung stehen!”
Wir standen wie versteinert da und blickten uns gegenseitig hilflos an.
Mit einem höhnischen Grinsen fügte sie hinzu: “Ihr seit uns inzwischen zu intelligent geworden und könntet uns eines Tages bedrohen. Darum wollen unsere Leute herausfinden, wie die Erdenmenschen so genmanipuliert werden können, dass sie nur noch primitiv denken. Dann werden wir euren Planeten erobern und euch alle zu Sklaven machen.”
Als sie das gesagt hatte, schüttelte sie sich vor Lachen.
In diesem Augenblick brannten bei mir alle Sicherungen durch.
“Du verdammte Hexe! Das hast du vorher alles genau geplant!” schrie ich verzweifelt und wollte mich auf sie stürzen, doch sie schwebte davon wie ein Engel und, ich griff ins Leere.

“Ist Ihnen nicht gut? Sie sehen so mitgenommen aus!” hörte ich plötzlich eine vertraute Stimme fragen.
Als ich vorsichtig die Augen öffnete, sah ich zu meiner Überraschung Frau Reijack vor mir sitzen. “Doch, doch”, murmelte ich etwas verlegen und wischte mir den Schweiß von der Stirn, denn mir wurde jetzt klar, dass ich immer noch in meinem Reisebüro saß.
“Ich habe gesehen”, meinte sie lächelnd, “dass Sie sich ja sehr intensiv mit dem Katalog über Fernreisen beschäftigt haben.”
Dann blickte sie mich ernst an und sagte: “Tut mir leid, dass die Klimaanlage bei diesen Temperaturen ausgefallen ist, und Sie so lange warten mussten, weil die Kundin vor Ihnen, sich einfach nicht entscheiden konnte, wohin sie fliegen wollte.”
“Macht nichts”, sinnierte ich vor mich hin. “Ich glaube, dass die Fantasie mit mir eben durch gegangen ist.”
Ich verspürte jetzt keine große Lust mehr, eine abenteuerliche Reise zu buchen, deshalb sagte ich zu Frau Reijack: “Ich möchte in diesem Jahr irgendwo einen ganz ruhigen Urlaub machen.” Als sie mich erstaunt mit ihren pechschwarzen Augen ansah, fügte ich schnell hinzu: “Am besten auf einer einsamen Insel.”


© Karl-Heinz Ganser



Letzte Aktualisierung: 26.06.2006 - 23.13 Uhr
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