Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Juli 2003
Weltenwechsel
von Thorsten Pache


Kapitel I

Alex setzte sich vor den schweren Eichenschreibtisch, auf dem ein silbernes Schild mit der Aufschrift „Dr. Prof. Seinhar – Dipl. Psychologe“ gestellt worden war. Das Leder des Sessels fühlte sich kalt an, so kalt, wie der Frost, der sich durch die Adern des jungen Mannes gefressen hatte – schon lange bevor er diesen Raum betreten hatte.
„Es freut mich, dass sie es doch noch einrichten konnten.“ Der glatzköpfige Mann auf der anderen Seite des Tisches gab ihm die Hand, ohne sich die Mühe zu machen aufzustehen.
„Das war nicht meine Idee“, antwortete Alex. Sein Gesichtsausdruck war vollkommen emotionslos, seine Stimme fast abwesend.
Ohne auf seine Bemerkung einzugehen, schlug der Psychiater eine Akte auf. „Sie sind letzten Samstag in die Notaufnahme eingeliefert worden“, sagte er. „Man musste ihnen den Magen auspumpen. Können sie mir sagen, was Sie dazu veranlasst hat, die Packung Schlaftabletten zu schlucken?“
Alex zuckte mit den Schultern. „Das steht doch in ihren Unterlagen...“
„Ich würde es aber gerne von Ihnen hören. Es ist jetzt über ein Jahr her und ich denke, es wäre an der Zeit für Sie, darüber zu reden.“
„Wenn Sie das sagen...“
Der Arzt nickte, nahm seine Brille von der Nase und steckte sie in die Hemdtasche. „Fangen wir ganz von vorne an. Bei der ersten Begegnung mit Ihrer Frau. Wann haben sie LeAnn kennen gelernt?“
„Warum sollte das wichtig sein? Sie ist tot.“
„Für sie, Mister Walker. Sie müssen sich damit auseinandersetzen. Sonst werden Sie ihr Leben nie mehr in den Griff bekommen.“
„Das ist Vergangenheit. Heute habe ich kein Leben mehr. LeAnn war mein Leben.“
Professor Seinhar lehnte sich zurück und legte seine Handflächen aneinander. „Sie sind aber noch da. Auch wenn Sie ein Problem damit haben, so sollten Sie ihr Leben nicht einfach wegwerfen. Sehen Sie es als Geschenk an, dass Sie überlebt haben.“
Alex lachte bitter. „Ein Fluch wäre wohl die passendere Bezeichnung. Ich bin müde und brauche dringend etwas Schlaf“, sagte er während aufstand.
„Normalerweise gebe ich meinen Patienten diesen Rat“, lachte der Arzt, während er einen Blick auf seine Armbanduhr warf und nickte dann zögernd.
„Dann sind wir uns ja zumindest in einem Punkt einig.“
„Wir sehen uns dann morgen, um die gleiche Zeit.“

Alex ließ sich in den Fernsehsessel fallen und griff nach der Fernbedienung. Eine Reportage, ein Kriegsfilm, Werbung... Er zappte durch fast alle Kanäle seine Satellitenrecievers. Das Programm war ihm nicht wichtig, er wollte nur diese dröhnende Stille in seiner Wohnung vertreiben. Mit der Fernbedienung in der einen und der leeren Wodkaflasche in der andern Hand fiel er schließlich in einen tiefen Schlaf.


Kapitel II


„Wollt Ihr denn gar nicht aufstehen und diesen wunderschönen Tag begrüßen, Geliebter?“ Eine bezaubernde Stimme weckte den jungen Mann aus seinen Träumen. Seltsame Träume, die eine Leere in seiner Seele hinterließen, in der nur noch Echos von Gefühlen widerhallten.
Das zauberhafte Lächeln einer wunderschönen, jungen Frau ließ ihn schnell seine düsteren Gedanken vergessen. „Ihr habt wieder zu süß geträumt, nicht wahr?“
Prinz Xelah strich sein Nachtgewand zurecht und setzte sich auf die Kante seines Himmelbettes. Zwei umeinander rotierende Sonnen standen knapp über dem Horizont und tauchten das große Schlafgemach des Prinzen in ein strahlendes, warmes Licht. Die Luft duftete nach süßem Gebäck und das fröhliche Lachen von Kindern war zu hören, die auf dem Schlosshof umhertollten.
Er lächelte und sah tief in ein paar grüne, tiefgründige Augen. „Ja, so war es“, gab er vor. „Meine Träume handelten von Euch. Wie schön Ihr aussehen werdet in eurem Hochzeitsgewand beschäftige mich die ganze Nacht.“
„Aber das bringt doch Unglück. Ihr dürft mich nicht vor unserer Vermählung in meinem Kleid sehen“, antwortet sie mit einer gespielten Ernsthaftigkeit.
„Deshalb habe ich auch gleich meinen Blick abgewandt“, spielte er mit und lächelte.
Naell setzte sich neben ihren zukünftigen Gatten und legte ihre Hand in die seine. „Wir sehr ich diesen Tag herbei sehne, mein Geliebter. Die kommenden drei Tage erscheinen mir, wie eine Ewigkeit. Ich hoffe, die Trolle werden sich nicht einmischen. Das Bündnis unserer Königreiche stellt für sie eine Bedrohung dar.“
„Macht euch keine Sorgen, wegen der Trolle. Sie werden sich zurückhalten, dessen bin ich mir sicher. Sie würden sich nicht wagen, den Zorn zweier Königreiche auf sich zu ziehen“, versuchte Xelah die Prinzessin zu beruhigen, als er ein Klopfen an der Fensterscheibe hörte.
Ein kleiner Mann mit Flügeln flatterte draußen und gestikulierte wild mit seinen Armen. Er trug eine blau weiße Uniform und nahm seinen Hut zur Begrüßung vom Kopf.
„Guten Morgen, Herr Haushofmeister“, begrüßte der Prinz den Feenmann, während er das Fenster öffnete.
„Eure Majestät, die königliche Kutsche ist bereit und die Pferde gespannt.“
„Sehr schön, ich werde mich rasch umziehen. Ich denke, wir können uns in bald auf den Weg machen. Ich möchte so bald es geht offiziell um die Hand meiner geliebten Naell anhalten. Haltet zwei Wachposten bereit. Das sollte genügen, als Geleit“, erwiderte der junge Mann.
Der Feenmann sah überrascht drein. „Zwei Männer nur? Aber ich habe ein Dutzend Soldaten abgestellt, die Euch begleiten sollten…“ Als er den entschlossenen Gesichtsausdruck des Prinzen sah, klatschte er in die Hände. „Also gut. Wie Ihr wünscht. Ruft mich, wenn ich noch etwas für Euch tun kann. Ich bin immer gern zu Diensten“, sagte er und fügte hinzu: „Dann muss ich nur noch Lady Naell wecken, falls sie noch nicht...“ Sein Blick fiel auf die hübsche, junge Frau, die neben dem Prinzen auf dem Bett saß. „Oh, ich glaube, das hat sich schon erledigt.“ Er grinste verschmitzt, während er langsam an Höhe verlor und schließlich verschwand.

Aus weißem Marmor gehauen, ragten die beiden Türme des Schlosses gen Himmel empor. Goldene Dächer reflektierten das Licht der beiden Sonnen, die mittlerweile hoch oben am strahlend blauen Himmel standen. Auf dem Schlosshof wartete der Haushofmeister neben der in weiß gehaltenen Kutsche. Das Holz war poliert und mit silbernen Verzierungen geschmückt. Gezogen von vier prachtvollen Schimmeln, sollte sie Xelah und Naell in das Reich seines zukünftigen Verbündeten und Vater seiner geliebten Naell bringen.
Die Prinzessin trug ein langes, weißes Kleid und ihre goldenen Haare fielen ihr bis über die Schulten. Ebenso wie Axel, trug sie einen silbernen Kranz auf ihrem Haupt, der sie als Thronfolgerin auszeichnete.
„Eure Hoheiten, die Kutsche steht bereit“, erklärte der Haushofmeister und flog einmal um das Gespann. „Wie Ihr befohlen habt, stehen am Tor zwei Wachen zur Eskorte bereit. Wobei ich nochmals erwähnen möchte, dass ich um Eure Sicherheit bange. Der Sumpf birgt viele Gefahren.“
Der Prinz winkte ab. „Nun habt Euch nicht so, Haushofmeister. Es wird uns schon nichts geschehen. Die Trolle haben sich seit Monaten ruhig verhalten und ich denke nicht daran, dem Vater meiner zukünftigen Gatten mit einer Armee Soldaten meine Aufwartung zu machen.“
„Wir Ihr wünscht“, antwortete der Feenmann, flog an die Seite der Kutsche und öffnete die Tür. „Ich wünsche Euch eine angenehme Reise.“
„Bald ist es soweit“, hauchte Naell in das Ohr des jungen Prinzen, als sie das Schlosstor passierten. Es wurde von zwei aus Marmor gehauenen Einhörnern flankiert. Wie angekündigt, schlossen sich zwei in schwere Rüstungen gehüllte Reichswachen an.
Xelah legte seinen Arm um ihre Schulter und antwortete: „Nichts und niemand könnte uns davon abhalten. Das schwöre ich Euch, Prinzessin Naell. Wir beide und unsere Königreiche werden für immer vereint sein. Solange einer von uns lebt, wird der Frieden auf unserer Welt gesichert sein.“
Naell lächelte. „Und mögen unsere Kinder auf ewig diesen Frieden erhalten.“
„Dann wollen wir keine Zeit mehr verlieren“, sagte er, sah aus dem Fenster und gab dem Kutscher das Zeichen die Pferde anzutreiben. „Obwohl ich mir sicher bin, dass die Trolle keinen Ärger machen werden, sollten wir vor Anbruch der Dunkelheit ihr Gebiet durchquert haben.“
Die Prinzessin nickte zustimmend und lehnte sich an seine Schulter. Xelah legte seinen Arm um sie und blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Blumen in allen Farben des Regenbogens wuchsen überall auf den saftig grünen Wiesen. Mannshohe Pilze, mit weiß getupften, roten Hüten standen, wie Bäume in der Landschaft. Fleißige Feenmänner und Frauen bestellten Felder oder hüteten das Vieh. Riesige Tiere mit langen Schlappohren und zwei Rüsseln, deren dunkelblaues Fell glänzte. Immer wieder schlichen sich die Gedanken der letzten Nacht in den Kopf des Prinzen. Schon seit einiger Zeit wachte er morgens mit seltsamen Erinnerungen auf, die er sich nicht erklären konnte. So unwirklich und verworren, wie die Träume eines Wahnsinnigen. Entschlossen schüttelte er den Kopf. Nein, dachte er. Von Nichts und niemanden würde er sich die schönsten Tage seines Lebens verfinstern lassen. Schon gar nicht, von seinen eigenen Träumen.
Die Stunden verstrichen, während die königliche Kutsche ihren Weg durch das Feenland nahm. Noch bevor sie die Grenzen zu dem Sumpf der Trolle passierten, fiel Xelah in einen tiefen Schlaf.


Kapitel III

Der laute, knallende Donner eines näher kommenden Gewitters riss Alex aus seinem tiefen, berauschten Schlaf. Er saß immer noch in dem Sessel, vor seinem Fernsehgerät, auf dem nur noch ein Testbild vor sich her flimmerte. Ein pochender Schmerz in seinem Kopf und ein Blick auf die Uhr verrieten ihm, dass er die ganze Nacht seinen Rausch ausgeschlafen hatte.
Mit schleifenden Schritten bewegte er seinen müden Körper zur Haustür. Plötzlich einsetzender Regen und drückende, schwüle Luft kündigten ein übles Unwetter an. Schnell zog er sich seinen dunklen Ledermantel über die Schultern und schob die Haustür auf.
Dunkle Gewitterwolken hatten sich vor die gerade aufgegangene Sonne geschoben und ließen die Straßen in einem schmutzigen Grau erscheinen. Peitschender Regen prasselte und Blitze durchzuckten den Himmel, begleitet vom dröhnenden Donner. Alex erhöhte sein Schritttempo. Nicht um dem Unwetter zu entkommen – es war eher die leere Flasche in seiner Hand, die ihm Sorgen machte.
Ein leichtes Summen war zu hören, als sich die automatischen Türen des Supermarktes aufschoben. „Rund um die Uhr für Sie da“, warb ein Schild über dem Eingang.
Alex schüttelte das Nass von seinem Mantel und betrachtete mit starrem Blick die Kasse, hinter der ein junger Bursche saß. Alex schloss die Augen und versuchte den Kloß herunterzuschlucken, der in seinem Hals steckte. Wie ein Blitz kam die Erinnerung zurück. Es war alles wieder da. Jedes Geräusch, jeder Geruch und jede Emotion. Es war später Abend. Ein Samstag. LeAnn und er wollten zur Feier des Tages eine Flasche Champagner köpfen. Sie hatte ihm am Morgen von dem positiven Schwangerschaftstest erzählt. Er war so glücklich über die Nachricht, dass er noch in der Nacht darauf anstoßen wollte. Dann, als der Kerl mit seiner Schimaske durch die Tür geplatzt kam und dem Verkäufer die Schrotflinte an den Kopf hielt, wollte Alex den Helden spielen. Er hatte dem Räuber die Waffe aus der Hand schlagen wollen, wobei sich ein Schuss gelöst hatte. Nur ein einziger Schuss. Aber der hatte LeAnn getroffen. Direkt in die Brust. Er hatte sich an ihre Seite gekniet und ihre Haare gestreichelt. Ihr Blut war ihm über die Hände und die Hose geflossen. Unwillkürlich zog er seine Hände zurück, als der Verkäufer ihn ansprach. „Mister? Kann ich ihnen vielleicht helfen?“
Als Alex seine Augen wieder öffnete war das Blut auf seinen Händen wieder verschwunden. „Ja… Ja, eine Flasche Wodka oder Whisky“, stotterte er leicht verwirrt. “Oder nein, packen sie mir beides ein.“

Alex schob die Flaschen in die tiefen Taschen seines Mantels – der Wodka war halb leer – und setzte sich vor das Steuer seines Wagens. Der Regen peitschte gegen die Windschutzscheibe und der Donner grölte. „Pass auf, Alex. Pass einfach auf, dass du nicht noch jemanden in den Tod reißt“, war alles, was ihm durch den Kopf ging, während er mit hundertzwanzig Sachen durch die Kurven raste. Als er schließlich den Wagen gegen einen Baum setzte, fühlte er immer noch nichts. Keinen Schmerz. Keine Erlösung. Dunkelheit und warmes Blut verschleierte seine Sicht, während er sein Bewusstsein verlor.


Kapitel IV

Prinz Xelah wurde jäh aus dem Schlaf gerissen, als die Kutsche abrupt zum Stehen kam. Naell rieb sich die Augen und sah ihn fragend an. „Was... Warum haben wir gehalten?“, fragte sie und blickte besorgt aus dem Seitenfenster der Kutsche. Knorrige, trockene Bäume ragten aus braunem, morastigem Boden.
„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Xelah, öffnete die Tür auf seiner Seite der Kutsche und fügte hinzu: „Aber ich glaube etwas blockiert den Weg.“
Es war mittlerweile später Abend geworden und kaum ein Lichtstrahl vermochte durch den dichten, grünlichen Nebel zu dringen. Nur das pulsierende Leuchten der Schlingpflanzen, die überall in den knorrigen Ästen der Baumkronen wuchsen tauchte die Sumpflandschaft in ein unwirkliches und unstetes Licht. Ein mannshoher Felsen lag auf dem ausgetreten Weg und war für den unplanmäßig Stopp verantwortlich gewesen.
Der Kutscher sprang vom Bock und stemmte seine Hände in die Hüften. Sein besorgter Blick verhieß nichts Gutes. „Ich kann mir nicht erklären, wie der große Brocken auf den Weg geraten ist.“
Xelah winkte die beiden Wachen heran, die auf ihren stolzen Rössern die Kutsche flankierten.
„Gebt mir Acht auf die Prinzessin“, befahl der Prinz, als er Fußspuren in dem Schlamm entdeckte.
„Ich befürchte ich habe mich geirrt, was die Trolle angeht. Wir sollten uns auf einen Angriff vorbereiten.“
Bevor einer der Ritter eine Gelegenheit hatte, etwas zu erwidern, schälten sich mehrere große Gestalten aus dem Nebel.
„Trolle!“, rief der Kutscher erschrocken und trat unwillkürlich zwei, drei Schritte zurück, stolperte über eine Wurzel und stürzte in den Schlamm.
Prinz Xelah schimpfte sich selbst einen Tölpel. Er hatte sich und seine geliebte Naell schnurstracks in eine Falle geführt. Er zog sein reich verziertes Schwert aus der Scheide, die er um seine Teile trug und versuchte seine Feinde einzuschätzen. Er zählte drei Trolle, die von der Statur her durchaus mit Menschen zu vergleichen waren. Nur ihr gebückter Gang und unheimlich hässlichen, verformten Gesichter zeichneten sie als das aus, was sie waren. Trolle. Ihre dreckige, grüne Haut war übersät mit eitrigen Furunkeln und Warzen. Kleine Äste und anderer Unrat steckten in ihren langen verfilzten Haaren.
„Wir wollen nur das Gold“, rief der Trolle, der in der Mitte stand. Er war der größte von ihnen und hielt eine gespannte Armbrust in beiden Händen, während seine beiden kleineren Artgenossen Baumstämme, als provisorische aber eindrucksvolle Waffen nutzten. „Wir werden euch ziehen lassen, wenn wir das haben, was auf dem Dach der Kutsche befestigt ist“, fügte der Troll hinzu, der den Prinzen gut zwei bis drei Schritt überragte.
Xelah schüttelte entschlossen den Kopf. Die Kisten waren voll gepackt mit Juwelen, Gold und anderen wertvollen Dingen. Ein Geschenk für den Vater seiner zukünftigen Braut. Er war nicht gewillt den Schatz den Trollen zu überlassen.
„Dann müsst ihr erst einmal an mir vorbei“, warnte der junge Prinz und machte sich kampfbereit.
Ein breites, böses Grinsen wuchs auf das Gesicht des Trolls, wobei sich sein vorstehendes Kinn unnatürlich zur Seite schob. Ohne weitere Warnung gab er seinen Kumpanen den Befehl zum Angriff.
„Bewacht die Prinzessin“, befahl der Prinz.
Die beiden Reichswachen waren mittlerweile von ihren Rössern gestiegen und hielten ihre Hellebarden fest im Griff. Wie befohlen, flankierten sie die Kutsche und stellten sich ihren laut grölenden Gegnern. Die schweren Rüstungen, die sie trugen machten sie schwerfällig, würden ihnen aber einen sicheren Vorteil gegenüber den massigen Trollen bieten.
Der Prinz stand dem Straßenräuber aufrecht gegenüber. Es war weniger der Hochmut des Prinzen, als das Gefühl, seine zukünftige Frau zu verraten, wenn er die Verbrecher gewähren ließe, das ihn zu dieser gewagten Auseinandersetzung mit den Trollen zwang. Auch wenn es sicherer gewesen wäre, den Räubern die Kostbarkeiten zu überlassen. Xelah versuchte sein Gegenüber besser einzuschätzen, als er sich entschied, dem Troll den ersten Schritt tun zu lassen, der nicht zögerte und den Abzug seiner Armbrust drückte.
Es hätte eine einfache Übung für den Prinzen dargestellt, dem leicht vorhersehbaren Schuss auszuweichen, als eine unbeschreibliche Angst sein Herz erfüllte. Er spürte Blut auf seinen Händen und sah in die leblosen Augen Naells. Plötzlich wusste er, dass sie sterben würde. Er hatte es in seinen Träumen schon einmal erlebt. Nicht in seinem Leben und nicht in seinem Königreich, aber er hatte schon einmal mit ansehen müssen, wie seine Geliebte in seinen Armen starb. Es war zu spät für ihn den Schuss zu verhindern. Aber er konnte Naell noch retten. Ohne zu überlegen sprang er in die Flugbahn des Armbrustbolzens, der sich tief in seine Brust bohrte.
„Nein!“, hörte er die Frau rufen, die er so liebte. Naell hatte hinter seinem Rücken gestanden. Der Bolzen, der nun in seiner Brust steckte, hätte sie ohne jeden Zweifel getötet.
Xelah wusste, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Schon einmal war diese Frau wegen seines törichten Hochmutes gestorben. In einer anderen Welt. In einer anderen Zeit. Aber diesen Fehler hatte er nicht wiederholt. Er blickte in das entsetzte Gesicht Naells und strich ihr über die Wange. „Ich liebe euch so sehr…“, flüsterte er, während seine Seele aus dem Körper glitt…

Kapitel V


„Es gleicht einem Wunder“, hörte Alex entfernte Stimmen.
„Sein Auto ist zusammengefaltet, wie eine Ziehharmonika“
Alex konnte sehen, wie sein Körper auf einem Krankenbett lag. Ein Arzt unterhielt sich mit einer Krankenschwester.
„Denken sie, dass er wieder aufwachen wird?“, fragte die Schwester und zog das Kissen unter seinem Kopf zurecht.
„Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen, aber es sind schon schwierigere Fälle aus dem Koma erwacht. Sein Zustand ist stabil und die Vorrausetzung, für eine Genesung sind optimal. Wir werden sehen. Haben sie schon seine Familie ausfindig machen können?“
Alex grinste zynisch. Da könnt ihr lange suchen. LeAnn war alles, was ich hatte, dachte er, als er eine Stimme hörte, die seinen Namen rief. Immer und immer wieder. Ein trauriges, flehendes Wehklagen. Er kannte die Stimme. Es war LeAnn. Während er versuchte, auszumachen woher die Hilferufe kamen, verschwamm die Umgebung vor seinen Augen und verformte sich zu einer neuen, ihm völlig unbekannten Welt…

Kapitel VI


Xelahs Sinne begannen zu Schwinden. Während alles um ihn herum zu verschwimmen begann, durchströmte ihn ein warmes, trostspendendes Gefühl. Nicht eine Sekunde zweifelte er daran, dass er das Richtige getan hatte. Er wollte nicht einen einzigen Augenblick auf dieser Welt verbringen, ohne seine geliebte Naell. Schwermütig beobachtete er, wie Naell an seinem Leichnam kniete und Tränen ihre Wangen hinunterliefen. Er wollte sie so gerne in seine Arme schließen und ihr sagen, dass alles wieder gut werden würde, aber das konnte er nicht. Denn dazu wäre ein Wunder nötig.
„Ein Wunder wirst du bekommen“, hörte Xelahs eine Stimme. Seine Stimme! Erschrocken fuhr er herum und sah ein Spiegelbild seiner selbst.
„Wer bist du?“, fragte er verwundert, obwohl er die Antwort bereits kannte.
Alex grinste. „Ich bin du. Nur leben wir in zwei verschiedenen Welten. Oder zumindest haben wir das.“
„Du bist mir im Traum erschienen, nicht wahr? Welche Magie auch immer dafür verantwortlich gewesen sein mag, sie hat versagt. Ich habe deine Warnung nicht rechtzeitig verstanden.“
Alex wand sich dem Geschehen zu und schüttelte den Kopf. Die Trolle hatten sich mittlerweile mit dem Gold aus dem Staub gemacht und Naell kniete immer noch schluchzend neben ihrem toten Ehemann. „Es ist richtig, was ich getan habe. Dieses mal, zumindest. Oder sollte ich sagen: Du hast es richtig gemacht. Irgendwie verstehe ich das Ganze auch nicht so wirklich.“
„Aber wie könnt ihr sagen, es sei gut. Seht ihr denn nicht, wie sehr sie leidet.“
Alex atmete tief durch. „Wenn diese Frau da unten so stark ist, wie meine LeAnn es war, dann wird sie es schaffen. Das hoffe ich jedenfalls.“
Xelah zog den Bolzen aus seiner Wunde, die ihm jetzt aber keinen Schaden mehr zufügen konnte und kratzte sich nachdenklich das Kinn. „Irgendetwas stimmt noch nicht.“
Alex sah sein anderes Ich fragend an. „Woran denkst du?“
„Seid ihr tot? – Ich meine in eurer Welt. Lebt euer Körper noch?“
„Ja… ich denke schon.“
Xelah fiel ein Stein vom Herzen. Er lächelte und sah zu seiner geliebten Frau. Aus irgendeinem Grund schien er jetzt alles zu verstehen. Der übergeordnete Sinn in alle dem, was geschehen war. „Dann nehmt ihr meinen Platz an ihrer Seite ein“, sagte er.
Alex sah zu der Frau, die seiner LeAnn bis aufs Haar glich und wand sich dann wieder Xelah zu. „Du meinst, ich könnte…?“
Xelah nickte eifrig. „Ja, genau. So sehr, wie wir beide diese Frau zum Überleben bedürfen, sosehr braucht sie auch uns. Oder besser gesagt: Euch“, sagte er voller Überzeugung. „Nun geht schon, bevor sie sich doch noch etwas antut.“
Alex hatte seit dem Tag in dem Supermarkt nichts mehr gefühlt. Sein Herz war damals zu Eis gefroren. Er war noch am Leben. Und zum ersten Mal seit langer Zeit, verspürte er auch nicht den Wunsch zu sterben. Sein Herz begann wieder zu schlagen. Voller Leidenschaft und Freude. Alex schritt auf den leblosen Körper des Prinzen zu. Nur noch ein einziges Mal sah er zurück. „Danke“, rief er Xelah zu. „Von ganzem Herzen danke ich dir.“ Er lächelte und fügt hinzu: „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass auf dich auch jemand wartet. Da wo dich dein Weg jetzt hinführt…“

Prinz Alex spuckt das Blut, das seine Atemwege zu ersticken gedroht hatte auf den staubigen Boden. Er lag immer noch neben der Kutsche und konnte Naell beobachten, wie sie sich bückte und nach einem Schwert griff. Sie setzte es sich an ihre Brust und war im Begriff, ihrem Leben ein Ende zu bereiten.
„Nein, tu das nicht“, röchelte Xelah kaum hörbar. Aber erst, als sie seine Hand auf ihrer Schulter spürte, wandte sie sich um. Ihr kreidebleiches Gesicht nahm wieder Farbe an. Ihre versteinerten Züge wichen einem Lächeln, das aus tiefstem Herzen kam, während Tränen ihre zarten Wangen hinunter kullerten. Keiner sagte ein Wort. Das war auch nicht nötig. Alles war wieder so, wie es sein sollte. Zumindest, beinahe.

„Es ist mir unerklärlich, was geschehen ist“, sagte die Krankenschwester, als der Arzt nach dem jungen Mann sehen wollte, der einen Tag zuvor den Autounfall gehabt hatte.
„Ich war mir so sicher, dass er es schaffen würde. Woran ist er gestorben?“
Der Doktor zuckte mit den Schultern. „Das kann ich ihnen auch nicht sagen. Er hat einfach aufgehört zu atmen.“
„Irgendwie glaub ich, dass er es so wollte“, sagte die Schwester. Als sie den fragenden Blick des Arztes sah, wies sie auf den Gesichtsausdruck des Verstorbenen. „Sehen sie? Er lächelt so zufrieden…“



(c) Thorsten Pache

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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