Ganz schön bissig ...
Ganz schön bissig ...
Das mit 328 Seiten dickste Buch unseres Verlagsprogramms ist die Vampiranthologie "Ganz schön bissig ..." - die 33 besten Geschichten aus 540 Einsendungen.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Lars Blumenroth IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Juli 2003
Nacht über Gmar
von Lars Blumenroth


Nein, es war nicht dunkel, es war schwarz um ihn herum. Ein absolutes Nichts. Nur Gras unter seinen Füßen. Er hatte keine Zeit gehabt, sich seine Lederschuhe überzustreifen. Jetzt war dieses Gras alles, was ihm zur Orientierung blieb. Und seine Füße schmerzten, brannten wie Feuer. Unzählige Wunden, von Dornen und Geäst in die durchaus solide Hornhaut gerissen. Er rannte weiter. Seine Lungen sogen die kalte Nachtluft gierig ein und stießen sie fast sofort erhitzt wieder aus. Nicht umdrehen, es würde ihn nur aufhalten. Nur weiter, weiter in die schwarze Nacht hinein, egal wohin. Und dann hörte er hinter sich ein rasselndes Atmen. Er war nicht mehr allein. Es war Nacht über Gmar.

Erschrocken riss er die Augen auf und schreckte hoch. Ein leichtes Tuch umgab seinen Kopf. Hastig riss er es herunter, konnte einen entsetzten Aufschrei nicht ganz unterdrücken. Eine eiserne Hand packte ihn am Arm.
„Sei ruhig! Ich bin es, Kyld, du hast schlecht geträumt.“
Verwirrt sah Kyld in das Gesicht seiner Mutter. „Was machst du hier? Was soll das?“ Unwirsch fegte er das schwarze Tuch zu Boden.
„Beruhige dich, mein Sohn!“, befahl die Frau herrisch. „Du musst mich anhören.“
„Aber es ist mitten in der...“
„Ja, ich weiß, aber es ist wichtig. Dies ist die letzte Nacht über Gmar.“
„Was redest du für einen Unsinn, Zroka?“
Zroka schwieg. Kyld wusste, dass er seine Mutter mit diesem unbedachten Ausspruch verletzt hatte. Ganz Gmar verspottete sie wegen ihrer angeblichen Magie. Sie war vor unendlich langer Zeit von weit her gekommen, um in diesem Dorf Ruhe zu finden. Doch was für Zroka normal war, Magie aus der Natur zu schöpfen, galt unter den Dorfbewohnern lediglich als alberne Wichtigtuerei. Nein, Zroka konnte nicht zaubern, im Grunde war sie nicht begabter als jeder andere Einwohner Gmars. Doch sie wusste um die Magie und sie wollte das Wenige, das sie besaß, fördern. Eigentlich, überlegte Kyld oft, grenzte es an ein Wunder, dass die Dorfbewohner sie nicht schon längst in den Kerker geworfen hatten. Aber dafür glaubten sie ihr wohl nicht genug, taten ihre Warnungen als lächerlich ab.
Und nun saß sie bleich neben seinem Bett, weil er, ihr einziger Sohn, sie nicht ernst nahm.
„Es tut mir leid“, murmelte Kyld unwillig.
Keine Antwort.
„Du hast mich erschreckt! Ich hatte einen furchtbaren Traum.“
„Erzähle mir, was du gesehen hast“, sagte Zroka tonlos.
„Ich habe nichts gesehen, Mutter, ich habe geträumt.“
„Du bist erst siebzehn. Junge Menschen sehen noch. Du hast deine Magie...“
„Bitte, lass mich mit deinen Weissagungen in Ruhe.“ Kyld wusste, dass er seiner Mutter damit wieder weh tat, doch er wollte sich auf keinen Fall eine ihrer Geschichten anhören. „Ich muss morgen beim ersten Hahnenschrei zum Schmied, und ich bin schon die letzten Male..:“
„Du wirst nicht mehr zur Arbeit gehen, Sohn, ich habe das Ende gesehen.“ Sie beugte sich beschwörend zu ihm hinüber. „Dies ist die letzte Nacht.“
„Ich muss schlafen!“, verkündete Kyld entschieden und warf sich wieder auf seine Schlafstätte.
„Du hast nichts gesehen?“
„Nein, ich habe nichts gesehen.“
„Also war alles schwarz?“
Kyld zögerte. Dann stimmte er widerwillig zu.
„Sie haben dich verfolgt, nicht wahr?“ Die Stimme seiner Mutter war nun vollkommen verändert, brüchig und voller Angst. „Sie werden kommen. Diese Nacht!“
„Wer wird kommen?“, fragte Kyld und richtete sich wieder auf. „Wer wird in dieses Dorf kommen?“
„Du musst mir zuhören, Kyld. Ich habe noch nie so eine klare Vision gehabt. Es ist eine Warnung. Seit dem dieses Kind geboren wurde...“
„Welches Kind meinst du?“
„Das Neugeborene von Jyly.“
„Das Teufelsbalg?“
Zroka nickte und sah dann zu Boden. Nach einer Weile sprach sie weiter: „Sie wollen dieses Kind haben. Wir müssen es verhindern.“
„Ich glaube dir kein Wort, wenn du mir nicht endlich sagst, von wem du redest“, forderte Kyld ärgerlich.
„Die Sqor.“
Schweigen breitete sich aus. Seine Mutter hatte ihm schon immer schaurige Geschichten von den Weißteufeln erzählt.
Nach einiger Zeit legte sich Kyld wieder nieder. „Mutter, ich bin nicht mehr zehn. Ich glaube nicht mehr an die Sqor. Sie sind eine Erfindung von dir, damit ich Angst habe und gehorsam bin.“
Zroka begann zu weinen. „Nein, mein Sohn, sie sind kein Hirngespinst. Es gibt die Weißteufel wirklich. Und du hast es auch gespürt, als ich dir im Schlaf das magische Tuch auflegte.“
„Und was ist so schlimm daran, wenn sie das Teufelsbalg holen?“, fragte Kyld gleichgültig.
„Du weißt, dass Jyly zu Unrecht im Kerker sitzt.“
„Man sagt, sie habe mit dem Dunklen Fürsten persönlich kopuliert, um diese Frucht des Bösen auszutragen.“
„Ja, das sagt man im Dorf. Und du weißt, dass man mir keinen Glauben schenkt. Dieses Kind ist etwas Besonderes. Es hat Macht. Es lässt mich schlecht schlafen. Und es scheint wichtig genug zu sein, dass die Hellen nach ihm suchen.“ Sie zitterte. „Ich habe es gesehen, in meinen Träumen. Die Sqor werden nicht nur das Kind holen, sie werden uns vernichten. Schon damals war ich vor ihnen auf der Flucht.“
Kyld wurde wieder aufmerksam. „Du warst auf der Flucht?“
„Ja, sie kamen in der Nacht ins Dorf und zerstörten es. Ich bin mit deinem Vater geflohen, weil ich sie rechtzeitig gespürt habe. Damals wusste ich noch nicht von der Größe Moras, wusste noch nicht, dass es andere Dörfer gab, sogar Städte. Ich bin vor ihnen bis hierher geflüchtet.“
„Warum hat man sie nicht bekämpft?“
„Weil keiner an ihre Existenz glauben will. Es ist für Menschen unmöglich an etwas zu glauben, was sie nie gesehen haben. Und wenn es erst soweit ist, dass die Weißteufel vor einem stehen, ist es zu spät.“
Kyld fröstelte. „Weißt du wie nah sie schon sind?“
„Nein. Aber sie können nicht weit sein“, flüsterte Zroka. „Seit der Geburt des Kindes vor fast einem Monat sind sie unterwegs. Sie suchen in den Dörfern. Und sie kamen damals aus dem Norden Moras. Ich glaube, sie kommen immer von Norden.“
„Und das Kind?“
„Du musst es retten. Ich kann dir dabei keine große Hilfe sein. Aber du musst wissen, dass ich dich sehr liebe, Kyld. Das Kind ist wichtig. Du musst es fortbringen und verstecken. Wenn es sein muss, töte dafür.“
Plötzlich hielt sie ihm eine kunstvoll geschmiedete Klinge vor die Brust. Kyld sah sie entsetzt an.
„Das ist deine Waffe. Ich bete dafür, dass sie dir hilft.“
„Was soll das alles Mutter? Wir fliehen zusammen.“
„Nein, ich werde das Dorf warnen. Ich muss es tun.“
„Sie werden dir nicht glauben! Niemand glaubt dir!“
„Ich muss es versuchen. Damals habe ich es nicht getan. Mein Schlaf war nie wieder so gut wie davor.“
„Nein, wir müssen zusammen bleiben! Sie haben es nicht anders verdient! Du hast sie schon so lange gewarnt...“
Es klopfte an der Eingangstür. Beide schraken zusammen.

Kyld stand angespannt hinter seiner Mutter. Ja, die Einwohner Gmars glaubten ihr nicht, sie hielten sie für verrückt, doch er war sich da nicht so sicher. Ein flaues Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus. Eigentlich hatte er seine Mutter zurückhalten wollen. „Nein, mach nicht auf.“ Doch sie hatte nur lächelnd geantwortet: „Sqor klopfen nicht an Türen – zumindest nicht an die der Menschen.“ Damit mochte sie sicher Recht haben. Allerdings hatte seine Mutter ihren Erzählungen nach nicht viel Kontakt zu diesen Kreaturen gehabt. Und das warnende Gefühl blieb.
Vorsichtig öffnete Zroka die schwere Holztür.
„Zrokaaa!“
Kyld fuhr zusammen. Vor ihnen stand Gyordal, der Schenk vom Nordtor. Seine Augen waren weit aus den Höhlen hervorgetreten.
Zroka winkte hinter dem Rücken ihren Sohn fort. Kyld verstand diese Geste, konnte sich aber dennoch nicht von der Stelle bewegen.
„Zrokaaa!“
„Was ist Euer Begehr, Gyordal?“ Sie gab ihrem Sohn immer energischer Zeichen. „Es ist Nacht über Gmar, Gyordal, man schläft zu dieser Zeit.“
„Wir braaauchen deine Hiiilfe.“
„Tut mir leid, Gyordal, ich kann Euch nicht zu Diensten sein.“
„Du musst miiir saaagen wo das Kiiind...“ Sein verzerrtes Gesicht schien fast zu platzen und seine Worte waren unnatürlich. Kyld sah plötzlich, dass der Schenk nicht im Eingang stand, sondern schwebte.
„Meinst du die missgebildete Geburt?“ Zroka ließ sich von der Erscheinung nicht aus der Ruhe bringen. Aber auch ihr konnte das Unnatürliche nicht entgangen sein – obwohl sie mit ihren Zeichen aufgehört hatte.
„Jaaa, Zrokaaa!“
„Das Kind liegt im Kerker am Osttor, beeilt Euch, der Henker soll es noch diese Nacht richten“, log Zroka und schloss dann die Tür. Sofort rannte sie zu Kyld hinüber und flüsterte: „Sie sind hier! Du musst zum Südtor! Befreie das Kind, es ist wichtig!“
Wieder klopfte es. Diesmal unsanft.
Zroka öffnete erneut. Der Schenk schrie auf und ließ dann plötzlich den Kopf hängen. Es war, als rutschte er von einer Lanze und fiel vornüber in den Türrahmen. Hinter ihm befand sich ein schwarzer Umhang, der kaum von der Finsternis der Nacht zu unterscheiden war. Kyld dachte daran, was seine Mutter ihm gesagt hatte. Er musste hier fort, er musste das Kind retten. Doch seine Beine bewegten sich nicht.
„Du saaagtest nicht die Waaahrheiiit!“ Es war immer noch die knarrende Stimme, mit der zuvor der Schenk gesprochen hatte. Eine riesige Hand mit einem blutigen Dolch verschwand in dem Umhang. Dann sackte der Stoff unerwartet zusammen und die Gestalt beugte sich in die Tür. Kylds Herz setzte aus. Dort schwebte mit einem mal ein Gesicht, so weiß, dass es fast zu leuchten schien. Die eingefallenen Wangen, die platte, kaum sichtbare Nase, die großen, ja riesigen Augen, durchgehend schwarz zu bösartigen Schlitzen verengt. Das war ein Weißteufel, wie ihn seine Mutter immer beschrieben hatte. Und er lächelte mit spitzen Zähnen, bevor er schnell wie ein Tier ins Haus hineinstieß, seine Mutter mit heftigem Grunzen anfiel.
Alles ging dermaßen schnell, dass Kyld noch immer da stand und das Unwesen anstarrte. Das Monster berührte in gebeugter Haltung mit dem Rücken die Decke. Das weiße Gesicht hatte sich rot gefärbt. Blut spritzte über die Holzdielen. Zorkas Schreie rissen Kyld schließlich aus der Starre.
„Lauf! Lauf! Lauf!“ Immer wieder kreischte sie diese Worte, bis der Sqor ihr die Stimme nahm.
Kyld fühlte sich kaum. Seine Beine waren wie gelähmt. Sein Blick, als trüge er die Scheuklappen eines Pferdes, zeigte sein Haus aus seltsam fremder Perspektive. Immer wieder der Gedanke, dass er nicht schnell genug war. Alles wackelte um ihn herum. Dann sprang er endlich aus dem Fenster in die kalte Nachtluft. Lehm unter seinen Füßen fing den Sprung ab. Er rannte.

Erst als er das Südtor fast erreicht hatte, blieb Kyld völlig außer Atem stehen und sah sich um. Das Blut klopfte ihm wilde Trommelwirbel in die Ohren. Dann hörte er entfernt einen Schrei. Danach einen weiteren. Doch es brannten keine Lichter, kein Feuer, schlicht die Schwärze der Nacht, die das Dorf bedeckt hielt. So unwirklich wie ein Traum. Kyld dachte wieder an das Kind. Neben ihm standen dicht an dicht Häuser und Hütten. Die Leute schliefen nichtsahnend, die Schreie weckten sie nicht. Seine Mutter hatte die Dorfbewohner retten wollen, schwirrte es Kyld durch den Kopf, als ein Knarren hinter ihm ertönte. Sofort sprang er in einen Schatten. Die Türe des Schmieds schwang geräuschvoll auf. Eine schwarze Kutte erschien, die sich vor dem Haus zu voller Größe aufbaute. Kyld stiegen Tränen der Angst in die Augen. Die Kreatur war so groß wie zwei ausgewachsene Männer. Sein Hals war wie verschnürt. Seine Mutter hatte Recht gehabt, es gab sie, die Sqor, sie waren von Norden gekommen und hatten sich nun in unheimlicher Stille bis zum Südtor vorgearbeitet. Der Weißteufel schritt schwarz vermummt zum nächsten Haus. Dort wohnte der Säufer Zredd. Kyld schlich sich ohne ein Geräusch weiter. Seine Beine schienen unter ihm nachgeben zu wollen. Er wusste, dass sie ihn auch in der tiefsten Dunkelheit sehen konnten. Sie waren hellsichtig. Für ihn selbst blieben sie dagegen so gut wie unsichtbar, wenn sie sich mit ihren Kutten verhüllten. Er musste vorsichtig sein. Dann sah er plötzlich Schatten in der Ferne, die durch die Gassen huschten. Er musste es wagen! Entschlossen stieß er sich von der Wand ab und lief über den freien Platz auf das Südtor zu. Es war nicht verschlossen, wie immer in dieser friedlichen Gegend, und die Wachen schliefen. Hinter sich hörte er trabende Schritte. Sie hatten ihn gesehen. Für sie war das Wild auf die Lichtung getreten. In seinem Kopf stieß der Impuls ihn voran, dass er in den Wald laufen müsse. Das Kind! Ein rasselndes Atmen war hinter ihm zu hören. Wenn er das Kind retten wollte, musste er in den Kerker. Dann wäre er verloren! Ein Keuchen, gefährlich nah. Die Dorfmauer tauchte vor ihm aus der Dunkelheit auf. Er sah das schwarze Loch, das zum Kerker hinabführte. Eine Wache saß schlafend davor. Dann war ihm, als senkte sich der kalte Atem des Weißteufels über ihn. Er schrie, als er plötzlich in den Kerker hinunter fiel. Die kalten Steinstufen rammten sich in seinen schutzlosen Körper. Für einen Moment war ihm, als würde das Schwarz der Mauern einem unglaublichen Weiß weichen, bis die Realität zu ihm zurückkehrte. Oben schrie nun die Wache gequält auf.
„Jyly!“, rief er in Panik in die Dunkelheit. „Jyly! Wo bist du?“ Ein Röcheln kam aus einer der unsichtbaren Ecken. Auf der Treppe vernahm er Schritte. Vor seinem geistigen Auge sah Kyld, wie sich das Ungetüm durch den engen Abstieg zwängte. Das war das Ende. Er würde hier unten sterben müssen. Der Ausgang war versperrt und hier in der Dunkelheit hatte er nicht mal die Chance, seine eigene Hand zu sehen. Ein Schnaufen gefolgt von einem grollenden Husten hallte durch die Katakomben.
Vor ihm wieder das Röcheln. „Jyly?“ Hilflos streckte Kyld die Arme aus und tastete nach Halt. Gitterstäbe tauchten vor ihm auf. „Jyly?“
Ein kraftloses Ächzen war zu hören.
„Kiiild!“, ertönte es plötzlich hinter ihm mit der seltsam verzerrten Stimme seiner Mutter.
„Jyly!“, flehte Kyld nun.
Rascheln war aus dem Kerker zu hören.
„Kiiild, giiib deiner Maaama das Kiiind!“
„Jyly! Gib mir dein Kind, bitte!“ Er wusste, dass er gänzlich ungeschützt vor den Gitterstäben stand. Der Sqor würde ihn jeden Moment in der Schwärze sichten.
Wieder ein Rascheln. Dann hauchte ihm eine brüchige Frauenstimme durch das Gatter zu: „Hol - uns hier - raus.“ Ein Neugeborenes begann zu weinen.
“Jyly, gib mir dein Kind!“
Schritte marschierten plötzlich zielstrebig in seine Richtung, der Weißteufel hatte ihn gesichtet.
„Dein Kind! Jyly!“
Die Frau protestierte schwach, aber Kyld griff einfach durch die Gitterstäbe und tastete nach dem Kind. Es schrie. Hinter ihm ein Grunzen, der Sqor hatte ihn erreicht. Kyld griff nach dem Kind und zog es durch das Gatter an sich. Jyly röchelte, griff nach ihm, war aber zu schwach ihn zu halten. Kyld warf sich mit dem Kind im Arm zur Seite, als mit ohrenbetäubendem Getöse die Metallstangen zerschlagen wurden. Das Neugeborene kreischte. Kyld drückte es fest an seine Brust. Auf der Treppe waren weitere Geräusche zu hören. Die Sqor kamen in den Kerker hinunter, um sich das Kind zu holen. Etwas schoss ohne Vorwarnung aus dem Dunkeln, traf Kylds Beine und schleuderte ihn zur nächsten Wand. Vor Schmerz brüllte er los. Ein Bein lag unnatürlich verknickt unter ihm. Ein Lachen ertönte.
„Meiiin Sohn!“
Kyld versuchte das Kind so gut wie es ging unter seinem Hemd zu verstecken. Doch es war zwecklos, sie sahen alles. Er fühlte seinen Unterleib nicht mehr. Es war sinnlos noch zu kämpfen. Er hatte verloren – versagt. Eine winzige Hand strich ihm über den nackten Brustkorb. Das Kind hatte aufgehört zu weinen. Wütend dachte Kyld daran, was sie diesem unschuldigen Wesen antun würden. Noch einmal brach sein Überlebenswille durch und er zog seine Klinge. Wenigstens wollte er einen von ihnen treffen. Entschlossen hielt er den Dolch an der Spitze zwischen den Fingern.
„Kiiild!“ Ein spöttisches Lachen mischte sich in die Stimmimitation seiner Mutter. Kyld richtete sich in die Richtung, aus der das Gelächter kam. Er warf mit aller Kraft, die er noch aufbringen konnte. Ein erschrecktes Husten ertönte, dann schlug ein schwerer Körper auf. Plötzlich war der gesamte Kerker von scharrenden Füßen erfüllt. Sie hatten sich zu Unmengen heruntergeschlichen und heimlich in der Dunkelheit zugesehen. Er musste getroffen haben, durchfuhr es Kyld.
„Daaas Kiiind!“, schrie eine donnernde Stimme.
Und dann wurde Kyld ganz heiß an der Brust. Etwas strömte in ihn hinein. Vor seinen Augen flimmerte es bläulich. Schritte kamen auf ihn zu gelaufen. Kyld wollte sich schützen, doch sein Körper reagierte nicht mehr. Etwas riss seinen Arm in die Höhe, dass sein Schulterblatt knackte. Dann war es, als liefe brennendes Öl über seine Haut. Blaues Licht erhellte den Kerker. Kyld war geblendet, doch er nahm einige der weißen Fratzen wahr, die ihn umringten. Sie wollten ihn töten, sie mussten. In ihren schwarzen Augen stand Furcht. Sein Arm wurde nach unten geschleudert und ein greller Blitz flog in die Leiche des erdolchten Weißteufels. Die Dunkelheit schloss sich wieder um sie. Geschrei war zu hören. Kyld versuchte sich fortzubewegen, es gelang ihm nicht. Ein kräftiger Schlag brach ihm die rechte Schulter. Das Baby rutschte an seinem Bauch hinab. Metall krachte aufeinander. Es wurde gekämpft. Wieder Schreie. Körper gingen zu Boden.
„Wo iiist daaas Kiiind?“, dröhnte eine Stimme über das Getöse hinweg. Kyld legte sich schützend über das Neugeborene. Aber niemand schien auf sie zu achten. Etwas anderes war nun im Kerker und forderte Aufmerksamkeit. Es blitzte wieder blau. Kyld sah, dass Sqor, die tot am Boden lagen, von der blauen Energie aufgerichtet wurden. Schwärze. Wieder Aufblitzen. Kyld sah die Sqor gegen sich selbst kämpfen. Und sie kämpften gut.

Eine Bewegung weckte Kyld auf. Etwas rührte sich an seiner Brust. Erschrocken richtete er sich auf und versuchte zu sehen. Doch es war Schwärze um ihn. Hastig tastete er nach dem Lebewesen an seinem Körper, und als er den Kopf des Kindes spürte, wusste er wieder, was geschehen war.
Noch immer saß er in diesem Kerker. Doch jetzt fühlte er sich, als hätte er die ganze Nacht in seinem Bett verbracht. Kraft strömte durch seine Adern und er wollte sich aus diesem Dunkel zu befreien. Vorsichtig erhob er sich. Er hatte keine Schmerzen mehr. Seine Schulter und seine Beine waren geheilt. Leichen behinderten sein Fortkommen. Der metallische Geruch von Blut konzentrierte sich in der Luft. Doch er suchte unbeirrt seinen Weg nach oben.

Es war noch immer Nacht. Kyld fragte sich, wieviel Zeit vergangen sein mochte. Dann war seine Frage plötzlich beantwortet: In einiger Entfernung hörte er einen gellenden Schrei, und kurz danach sah er eine große Gestalt aus einem Haus treten, das unweit vom Südtor stand. Die Sqor waren noch am Werk. Die Macht des Kindes hatte nicht gereicht, diesen Alptraum zu beenden.

Dicht an die Mauer gepresst schlich er zum großen Portal. Vor ihm lag der Wald, die Rettung. Gmar lag düster hinter ihm, als Kyld noch ein letztes Mal zurück blickte. Kein Sqor schien ihn bemerkt zu haben. Doch sicher konnte er sich da nicht sein.
Kraftvoll lief er schließlich auf den Wald zu. Der Lemboden des Zufahrtsweges schluckte die Geräusche seines Laufs. Trotzdem drängte es ihn, sich abermals umzudrehen, zu kontrollieren, dass ihm auch kein Weißteufel nachlief. Er wollte Gewissheit. Als seine Füße aber schließlich Gras unter sich spürten, wusste er, dass man ihn verfolgte.

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthält 19744 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.