Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Juli 2003
Piraten
von Volker Ilse


Es klopfte stürmisch an der Kajütentür, dann stürmte auch schon der Mann herein, den ein angenähter gelber Streifen am Ärmel als Vollmatrosen auswies. Etwas erschreckt und mit einer Mischung aus Angst und Respekt im Gesicht blieb er vor der Koje stehen, in der sich gerade ein Wust von Haupt- und Barthaaren aus den Laken schälte.
Geschwollene Fingergelenke tauchten neben dem Schopf auf und strichen hindurch, so daß dünner Mund und stechende Augen dazwischen hervor tauchten. »Wie habe ich dieses Eindringen zu verstehen?«
»Bitte vielmals um Entschuldigung, Sir ... will sagen, Meister!«, sagte der Matrose und drehte die Wollmütze, die er gerade abgenommen hatte, zwischen den Händen, wie ein nervöser Bräutigam es beim ersten Treffen mit dem potentiellen Schwiegervater tun würde, »Der Käpt'n meint, Eure Künste könnten uns vielleicht den Arsch retten ... ich meine, von Nutzen sein. Wenn ihr Euch darauf versteht, Eisnadeln oder Feuerbälle oder so etwas auf Feinde regnen zu lassen, kommt dafür der Zeitpunkt schneller heran, als uns allen lieb sein kann. Sagt der Käpt'n.«
»Das nun gerade ist nicht mein Metier, der Käpt'n sollte das wissen. Dafür hätte er sich einen Elementaristen an Bord holen müssen, oder gleich einen spezialisierten Kriegsmagier.
Ich werde mir aber die Lage einmal ansehen und gucken, ob und wie ich helfen kann. Sag dem Kapitän, ich werde gleich bei ihm an Deck sein.«
Der Matrose salutierte und stürmte fast noch eiliger hinaus, als er gekommen war.

Der Kapitän nahm sein Fernrohr nicht vom Auge, als er die schweren Schritte das Achterdeck entern hörte. Er kannte den Anblick, der sich hinter ihm bot; ein Mann, dessen Alter schwerer zu schätzen war als das jedes wettergegerbten Seebären in langem Gewand von blauer und weißer Farbe, das auch im schwersten Wetter nie naß zu werden schien. Mit langen, farblosen Haaren und ebensolchem Bart, der auch in der Flaute wirkte, als spiele ständig eine steife Brise darin.
»Probleme kommen auf uns zu.«, sagte der Seemann, als er hörte, daß der andere nah genug heran war. Dann drehte er sich um und bot dem Magier sein Fernrohr an.
»Danke, ich sehe ohne besser.«, erwiderte der. Seine Augen waren am Kapitän vorbei in die endlose blaue Ferne gerichtet und schienen irgendwie zu brechen. Ein Blinzeln später sahen sie wie tot aus.
»Piraten?«, fragte er den Kapitän, als sein Blick wieder klar wurde.
»Ihr könnt sie tatsächlich sehen?«
»Ja, aber mir fehlt Erfahrung mit den Flaggen. Würdet Ihr kein Unheil ankündigen, es wäre für mich nur irgendein Schiff, vielleicht voller Reisender, vielleicht ein Kauffahrer wie unseres, ich kann es nicht unterscheiden.«
»Dieses Schiff ist von einem harmlosen Kauffahrer so unterschiedlich wie es nur sein kann. Die Flagge mit der weißen Rose auf silbernem Grund gehört zu einem Seeräuber, auf dessen Kopf der Lordadmiral eine ganze Kiste Gold ausgesetzt hat.«
»Na dann, meiner Kasse täte das sehr gut. Vom Dienst auf See habe ich ohnehin genug, wenn ich nicht auf die Heuer angewiesen wäre, hätte ich längst ein Häuschen in der Stadt und könnte einige Studien anstellen, zu denen ich nie Zeit hatte.«
»Wenn Ihr die Mittel habt, Euch mit einer Horde Piraten anzulegen, will ich Euch bestimmt nicht im Wege stehen. Allerdings bin ich nicht so sicher, daß ich direkt daneben stehen möchte.
Bisher ist nur wenigen Leuten gelungen, diesem Schiff davon zu segeln. Diese haben der Admiralität von der Bedrohung berichtet und von der Flagge, die dazu gehört. Niemand aber, der es zum Kampf kommen ließ, hat je wieder festes Land unter den Füßen gespürt.«
»Also könnte genau so gut sein, daß niemals Kämpfe stattfanden und deshalb niemand davon berichtet.«
»Glaubt darüber, was Ihr wollt, noch vor Sonnenuntergang werden wir es genau wissen. Mein Kahn ist nämlich nicht zum Wettsegeln gebaut, selbst wenn wir so viel Vorsprung haben. Auch unter vollen Segeln bei gutem Wind machen wir kaum 8 Meilen die Stunde. Fast alles in diesen Gewässern ist schneller, einschließlich vieler Fische.
Daß wir dafür mehr Ladung aufnehmen können als die meisten Segler und nur sechs Mann Besatzung brauchen, wird in dieser Situation nicht sehr nützlich sein. Die Piraten werden es zu schätzen wissen.«
Der Magier strich durch seinen Bart. »Also wagt Ihr keinen Versuch, Euch das Gold zu verdienen?«
»Abgesehen davon, daß ich keine Wahl haben werde, freiwillig würde ich mich nie auf diesen Kampf einlassen. Einschließlich Euch und mir sind wir zu Acht. Ein Seeräuberschiff dagegen wird, selbst wenn es schwach ausgestattet ist, mindestens 20 Mann an Bord haben, alle bewaffnet und kampferfahren. Aber Ihr werdet es erleben, warum also erzähle ich es Euch überhaupt?«
»Damit ich das Aufeinandertreffen verhindere, würde ich vorschlagen. Ihr habt mich überzeugt. Ich habe 30 Mann an Deck der Piraten gezählt.«, antwortete der Magier ruhig. Der Seemann brummte nur, ohne recht zu wissen, ob er damit Zustimmung, Unglauben oder Mißmut ausdrücken wollte.
Doch der Mann mit der wirren Mähne sah ihn nicht mehr an und schien auch nichts hören zu können. Er hatte die Augen geschlossen und die Arme nach oben ausgebreitet, als wolle er die Sonne umarmen. Dann rief er rhythmische Worte einer fremden Sprache in die salzige Luft hinaus.
Der Kapitän beobachtete ihn interessiert und sah dann fasziniert über die Ebene des Ozeans, als er in weiter Ferne ein Prasseln vernahm. Mit einer entschiedenen Bewegung zog er das Fernrohr ans Auge, um zu überprüfen, was er da sah.
Kein Zweifel, hinter ihnen war der Wind in einen Sturm umgeschlagen, obwohl die Segel ihres Frachters nach wie vor von einer sanften Brise gefüllt wurden. Dem erfahrenen Seemann verreiten die Kabbelwellen, die den Sichtkreis seines Fernrohrs füllten, wohin am Horizont er es auch richtete, daß dort der kräftige Wind gegen die Meeresströmung anwehte, also von seinem Schiff weg.
Ob die Segel der Piraten nun lose flatterten, konnte er auf diese Entfernung nicht genau ausmachen, aber es konnte gar nicht anders sein. Erleichterung flutete die Seele des Kapitäns.
Er drehte den Kopf , seinem Retter zu danken, doch der stand in der Stellung erstarrt, die er vorhin eingenommen hatte. Hinter seinen geschlossenen Lidern mußte Konzentration toben, die der Seemann nicht zu stören wagte. Daher verlies er das Achterdeck, lief zu de einzelnen Mannschaftsmitgliedern und drückte jedem einmal das Fernrohr in die Hand, damit alle die gute Nachricht selbst sähen und mit frischem Mut in der Takelage ihr Bestes gäben, möglichst viel Wasser vor den Piraten zu gewinnen.
Reges Treiben all überall, Segel wurden gesetzt oder gerefft und an ihren Stangen in den Wind gedreht, Taue eingeholt, gestrafft und belegt. Die Matrosen enterten auf und ab, als würden sie selbst an Leinen gezogen. Und trotzdem konnte der Kapitän das feindliche Schiff immer noch mit dem Fernrohr finden, als er aufs Achterdeck zurückkehrte.
Es schien eher näher gekommen zu sein, obgleich es die Segel komplett gelöscht hatte. Auch der Magier hatte wohl die überraschende Fruchtlosigkeit seines Treibens bemerkt, denn er löste seine Starre und seine Trance. Während er die angestrengten Arme ausschüttelte, sprach der Kapitän ihn an: »Haben die Teufel dort drüben auch einen Zauber zu ihrer Unterstützung? Es macht den Eindruck, als würde ihr Schiff nun von den Dämonen der See geschoben. Zumindest weiß ich keine andere Erklärung, warum sie auch ohne Segel immer mehr aufkommen.«
Der Zauberer schüttelte den Kopf samt dessen Bewuchs; ein eindrucksvolles Schauspiel.
»Dafür haben sie keine mystische Hilfe nötig.«, erwiderte er, »Dort drüben wurden Ruder ausgebracht.«
»Ah!«, rief der Kapitän aus, »Ich hätte schon an der Besegelung merken sollen, daß, es eine Galeere ist. Nun pullen dort irgendwelche armen Schweine ihr allermeistes. Dagegen werdet ihr wohl nichts unternehmen können, Meister?«
»Nicht so einfach wie gegen ihre prallen Segel jedenfalls. Bevor ich etwas genaues sagen kann, muß ich erst gründlich die Lage überdenken. Mit so einer Situation war ich noch nicht konfrontiert.
Aber ist es überhaupt notwendig, daß ich eingreife? Können sie das gegen unsere Besegelung gewinnen?«
»Kommt ganz darauf an, wer oder was sich dort in die Riemen legt.«, Besorgnis fiel wieder über das Gesicht des Kapitäns, »Gerade in diesen Breiten bekommt man es nicht nur mit Menschen zu tun.«
Dann kam ihm noch eine Idee: »Könntet Ihr nicht mit Euren ... äh, Fähigkeiten einen Blick auf die Ruderbänke werfen?«
»Das übersteigt meine Möglichkeiten. Solange sich der Bauch des Schiffes zwischen meinen Augen und dem, was dort rudert, befindet, sehe ich nicht mehr davon als Ihr auch. Lediglich Dinge, die Ihr in der Ferne nur erahnt, kann ich für mich deutlich machen.«
Damit wandte er sich ab und stapfte in seine Kabine zurück, ließ sich für Stunden nicht mehr sehen.
Der Kapitän derweil, dem es so unangenehm wie ungewohnt war, daß sich die Situation seinem Einfluß entzog, wechselte unruhig vom Achter- zum Oberdeck und zurück, hier seine Mannschaft antreibend, die ohnehin von der Angst zu höchster Leistung getrieben war, dort den leeren Masten entgegen starrend, die die Piratenruderer ihm immer näher heran schoben, bis auch ohne Magie und sogar ohne Fernrohr die langen Riemen zu erkennen waren, wie sie brutal ins Wasser stachen. Dann führte seine Runde ihn an der Kajüte des Magiers vorbei, vor der er jedesmal stehenblieb und lauschte. Anschließend ging er auf und ab davor, während er sehnsüchtige Blicke darauf warf. Schließlich enterte er wieder das Oberdeck und begann seinen Gang von vorn.

Als die Tür irgendwann aufging und diesen Rhythmus zerstörte, badete die Sonne tief im Westen schon im Meer und man konnte schon fast mit bloßem Auge die Haare im Bart des Seeräuberkapitäns zählen.
Der Kapitän des Handelsschiffes aber starrte auf den wohlbekannten Kopf, der sich gerade aus der Kabinentür schob, als wolle er die beschriebene an diesem ausführen. Der Magier guckte mit entschlossenem Glitzern in den Augen zurück und fragte: »Wir haben sie nicht abgehängt? Sonst würdet Ihr nicht vor meiner Tür lungern wie ein ausgesperrter Schoßhund, richtig?«
Der Kapitän bekam kaum die Zähne auseinander und erst recht keine passende Erwiderung auf diese Bemerkung hin. Er ignorierte sie also, wenn schon nicht im Gebaren, so zumindest in seinen Worten: »Ist Euch eine Lösung eingefallen? Wenn dem so ist, wird es höchste Zeit, sie in die Tat umzusetzen.«
Er starrte weiter und fügte noch hinzu:« Die Ruderer können keine Menschen sein. Menschen, die so lange mit solcher Geschwindigkeit pullen können, müßten großartige Athleten sein, so großartig, daß sie sicher von Königen geehrt würden, denen sie mit ihren Leistungen bei den Festspielen die Gunst der Götter verschaffen. Keineswegs kann man sich solche Leute vorstellen, wie sie ein Piratenschiff vorantreiben.«
»Was stellen wir uns denn an den Rudern vor?«, doch als der Kapitän ihm nur verständnislos entgegen sah, winkte er ab, »Egal, wir werden es erleben. Mir ist es nämlich nicht möglich, ein gerudertes Schiff von dem unseren fern zu halten, wie lange ich auch darüber brüte.«
Im Gesicht des Kapitäns zogen sich die Brauen zusammen und die Lippen wurden schmal, doch bevor er mit seiner Verzweiflung heraus platzen konnte, sprach der Zauberer weiter: »Sehr gut, bewahrt Euch diesen Zorn für die Piraten, wir werden ihn brauchen können. Nun kommt mit, wir wollen uns eine Kiste Gold verdienen!« Damit ging er an dem Seemann vorbei, der ihm die Zuversicht nicht ganz abnahm. Irgendwo unter dem Bart schimmerten auch beim Zauberer Zweifel auf. Beide Männer nahmen hintereinander den Aufgang zum Oberdeck, von dem sie auf das Achterdeck enterten.
Dort rief der Kapitän zu seinem Begleiter: »Seht es Euch nur an, Meister!«, die Anrede spuckte er heraus, sie hatte den Klang einer Ehrenbezeugung verloren, »Da steht eine Horde blutrünstiger Seeräuber, die nur darauf warten, unsere Eingeweide an die Fische zu verfüttern, bevor sie die Ladung plündern. Jedem von ihnen ragt das Heft eines Säbels oder Rapiers aus dem Gürtel, einige haben zusätzlich Gurte mit Wurfdolchen über der Brust gekreuzt. Und wenn Ihr genau hinseht, werdet Ihr am Aufgang des Achterdecks auch den Armbrustständer erkennen, an dem sich die Kerls gewiß bedienen, sobald sie noch einige Fuß heran gerudert sind.
Welche Ungeheuer unter Deck lauern und noch die Ruder schwingen, können wir nicht einmal ahnen. Wenn Ihr also nicht in der Lage seit, sie allesamt mit einem Blitz zu erschlagen, sollten wir lieber über Bord springen und versuchen, die 300 Meilen an Land zu schwimmen. Unsere Chancen ständen besser.«
»Ich kann nicht so weit schwimmen, Ihr etwa?«
»Bestimmt so gut wie mich mit den wilden Gestalten dort drüben herumschlagen und dabei überleben!«
»Niemand hat je behauptet, man bekäme Goldkisten einfach nachgeworfen. Es wird nicht leicht werden, das ist auch mir klar. Aber ich beginne gleich damit, den Gegnern Unannehmlichkeiten zu bereiten. Falls das nicht sogar ihren Kampfgeist schwächt, sollte es uns zumindest vor gezielten Armbrustschüssen bewahren.«
Damit stellte er sich auf, wie er es auch einige Stunden zuvor getan hatte und versank auch genau so in Trance. Der Kapitän konnte nur erraten, daß die fremdartigen Worte, die der Mann vor sich hin murmelte, andere waren als zuvor. Er verstand weder diese noch jene, aber die Wirkung war eindeutig unterschiedlich.
Jetzt erhob sich kein Wind über dem feindlichen Schiff, dafür aber braute eine einzelne dunkle Wolke sich zusammen. Bald fing daraus Regen an zu fallen, zunächst in dünnen Spritzern, auch auf die kurze Entfernung fast unsichtbar, bis sie das trockene Deck der Piraten mit dunklen Sprenkeln versahen. Dann gingen dichte Wasserfäden nieder und schließlich wurden die Feinde von einem undurchdringlichen Vorhang aus dicken Tropfen verborgen, während die Mannschaft des Frachters nach wie vor trockenem Hauptes zusah.
Der Kapitän tat das genauso überrascht, wie er glaubte, daß die Piraten es von der anderen Seite der Wasserwand täten. Er allerdings blieb trocken dabei.
Nachdem die erste Überraschung überwunden war, drehte der Seemann sich zum Magier um und starrte den an. Er beschloß, ihn trotz seiner Trance anzusprechen: »Ihr glaubt doch wohl nicht, daß ihr hartgesottene Piraten so dauerhaft aufhaltet!«
Die Augen des Magiers klappten auf, dann sein Mund: »Ich weiß sogar, das dem nicht so ist. Schon jetzt mußte ich zweimal die Stellung meiner Wolke korrigieren, weil der Bug schon aus dem Regen tauchte. Aber bestimmt kann ich ihren Kampfeseifer etwas herunter kühlen.«
»Als ob das etwas ausmachte!«, grummelte der Kapitän.
»Wartet es ab!«, der Zauberer sank erneut in seine Konzentration zurück und der Regen, der zu einem besseren Nieseln abgeflaut war, frischte auf, bis er wieder die volle Intensität erreicht hatte. Wieder verschwand das gegnerische Schiff darin, so sehr die Mannschaft, mittlerweile auf dem Achterdeck versammelt, auch ihre Blicke in die Tropfen bohrte. Allerdings war bald zu sehen, daß die dunkle Wolke selbst gegenüber dem Frachter Raum gewann.
Darauf stürzten die Matrosen erneut in die Wanten und machten sich an der Takelung zu schaffen, um noch das letzte bißchen Wind in den Segeln zu fangen. Doch es half nichts, die Bedrohung kam samt der umgebenden Regenzone unaufhaltsam auf. Daher gab der Kapitän Befehl, Segel nun zu kürzen, damit das Schiff im bevorstehenden Kampf manövrierfähiger würde.
Das riß den Wetterhexer aus seiner Konzentration. Irgendwie mußte er doch auch auf das gehört haben, was um ihn vorging. Nun redete er auf den Kapitän ein: »Nein, laßt die Segel stehen, vertraut mir!«
Der Schiffskommandant seufzte über diese neue Tollheit.
»Wenn Ihr mir sagen könntet, was uns das einbringen soll«, sprach er mutlos, »laß ich mit mir reden, aber bisher stellt es sich so dar, daß wir uns damit zu sehr auf einen Kurs festlegen und dem Gegner nur noch einen zusätzlichen Vorteil schenken.«
»Vertraut mir doch einfach, es wird zu unserem Vorteil sein.«
Der Zauberer setzte genug Mühe in diese Diskussion, daß die wilden Gestalten der Feinde durch den Regenschleier wieder zu sehen waren, völlig durchnäßt zwar, dafür aber um so wütender.
»Macht weiter mit Eurem Zauber, bei allen Göttern!«, brüllte nun der Kapitän, nicht, weil er sich viel davon versprach, sondern nur, um den Feinden nicht länger in die mordlüsternen Augen blicken zu müssen, »Ich tue ja, was Ihr verlangt. Auch das kann uns wohl nicht mehr schaden.«
Bevor er erneut die ganze Kraft in den Regen legte, sagte der Magier noch: »Euch fehlt es an Hoffnung. Mir ist ein Rätsel, wie Ihr es ohne die in Eure Stellung schaffen konntet.«
»Realismus ist wichtig für diese wie für die meisten verantwortungsvollen Positionen Träumereien helfen nicht, ein Schiff zu führen.«
Doch der Zauberer reagierte schon nicht mehr, er war in der Haltung eingefroren, die er auch vor dem Gespräch eingenommen hatte und die Wasserwand schloß sich um die Piraten. Sie blieb wieder unveränderlich - bis auf die Tatsache, daß sie als Ganzes immer näher kam -, bis die ersten Tropfen von dort schon zum Frachter hinüber wehten. Als die dem Magier ins Gesicht klatschten und von seinem Bart aufgesogen wurden, schrie er statt des Murmelns, das er stundenlang von sich gegeben hatte, über alle Decks: »Geht in Deckung, gleich beginnt der Kampf!«
Dabei ließ gleichzeitig seinen Körper und seinen Zauber fallen, so daß er flach auf dem Achterdeck ausgestreckt lag und der Regen ins nichts verschwand. Die dunkle Wolke, die das Wasser geliefert hatte, löste sich in Rauch auf, der langsam nach unten sackte und über die Wellen trieb, bis die Gischt ihn auffraß.
Es dauerte einige ängstliche Herzschläge pochten noch auf dem Frachter, dann erst glaubten die Seeräuber an ihr freies Schußfeld und griffen nach den Armbrüsten. Als dann die Flut von Bolzen über das Handelsschiff hereinbrach, hatte die Besatzung schon hinter irgendwelchen Aufbauten Deckung genommen oder sich zumindest flach aufs Deck geworfen.
Bis auf einen. Der Matrose stand erstarrt auf der Großmastrah und hatte, im Schreck gefangen, die Augen auf die Galeere und den tödlichen Hagel, der von dort abgeschossen worden war, gerichtet. Kein Schrei kam über seine Lippen, als er abstürzte. Drei Bolzen hatten ihn zuvor getötet.
Die Piraten gingen längsseits und jeden auf dem Frachter, der vorwitzig genug war, auch nur die Nasenspitze sehen zu lassen, warteten weitere Bolzen. Zwar traf keiner davon sein Ziel direkt, aber die Angst, die sie transportierten, bohrte sich tief in die Herzen der Matrosen.
Nun flogen auch Enterhaken durch die Luft. Der Kapitän nahm seinen ganzen Mut zusammen und versuchte kriechend, die Seile zu kappen mit dem einzigen Erfolg, daß ein Haken seine linke Hand zerquetschte, bevor er über das Deck schabte und an der Reling festen Halt fand. Bald waren beide Schiffe fest miteinander verbunden.

Der Magier ging nun von sitzender Haltung zur knieenden über und streckte ganz vorsichtig den Kopf über die Reling. Es war jetzt weniger gefährlich, da die Angreifer sich ihrer Armbrüste entledigt hatten und schon ganz aufs Entern eingestellt waren. So konnte man beobachten, ohne von der Gegenseite viel beachtet zu werden. Dem Zauberer flogen nur einige fröhlich-herzhafte Flüche entgegen, aber kein tödlicher Stahl.
Sein Aussichtspunkt an der Backbordreling des Achterdecks erlaubte ihm einen guten Blick die Bordwand entlang, machte ihn dagegen nicht zu einem vordringlichen Angriffsziel, zumal er keine aggressive Haltung zur Schau stellte. Er machte eher den Eindruck eines unbeteiligten Beobachters, was jedem, der ihn sah, merkwürdig anmuten, doch in der aktuellen Situation kaum zu forcierten Angriffen diese Richtung reizen mußte.
Daher wurde die Ruhe, die der Magier ausstrahlte, nicht gestört, während er zusah, wie drei Enterbrücken ausgebracht wurden und wie einige ungeduldige Piraten sich schon vorher bemühten, an Seilen über zu entern, deren Enden mit den fest sitzenden Enterhaken verknotet waren. Sie hatten den Frachter noch nicht ganz erreicht, als ihre Schiffskameraden auf die Brücken drängten.
Nach wie vor sah niemand in dem Bärtigen Gesicht auf dem Achterdeck eine Bedrohung. Daher bemerkte kein Seeräuber, wie dessen Blicke brachen und die Augen einen toten Ausdruck annahmen. Der Zauberer hatte sich in Trance versetzt.
Tatsächlich war auch dies keine Bedrohung der Art, die die gleichen Merkmale bei einem Hexenmeister aus dem mittleren Bergland oder gar aus der finsteren Stadt Vaskakrit angezeigt hätten. Es war kein Kampfzauber, den der Schiffsmagier webte, denn solche waren nicht sein Metier. Nicht tödlich war, was er zusammen braute, aber nichtsdestotrotz effektiv.
Eine plötzliche Böe peitschte die Wellen und verfing sich in den Segeln des Frachters, nicht stark genug, ihn zum Kentern zu bringen, aber doch mit der Macht, um ihn schwer nach Steuerbord kränken zu lassen. An Segeln und Takelwerk der Galeere dagegen hatte der Magier seinen Windstoß kunstvoll vorbei geleitet.
Als die Steuerbordwand fast bis zur Wasserlinie herunter gedrückt wurde, hob sich natürlich die andere Seite des Schiffes weit in die Luft. Die Matrosen des Frachters schlitterten über das Deck, auf dem sieh lagen und schlugen mit Köpfen und Knien an Reling und Aufbauten, doch das Schlimmste, was sie an Verletzungen davon trugen, waren leichte Prellungen und Beulen.
Ein geringer Preis dafür, daß an der anderen Seite die Enterbrücken zerbrachen, die Seile zerrissen unter der plötzlichen Belastung und alles seine Lasten ins offene Meer einige Meter tiefer entließ. Gut die Hälfte der Piraten zappelte nun in den Wogen und würde in diesen Kampf nicht mehr eingreifen können.
Der Magier ließ seinen Zauber fahren und als das protestierende Ächzen der Takelage sowie das Platschen, mit dem das Schiff seine ursprüngliche Position wieder einnahm, verklungen war, herrschte einen Moment lang fast völlige Stille. Unterbrochen war sie nur vom monotonen Gemurmel einer einzigen Stimme, die vom Piratenschiff herüber kroch und beim Zauberer eine ganze Flut von Assoziationen auslöste.
Ein aktiver Zauberer beim Feind. Und jener betrieb keine Wetterhexerei, die Formeln klangen nicht so vertraut und der Himmel reagierte nicht auf sie. Offensichtlich wurden auch keine Kampfzauber gesprochen, denn deren Wirkung hätte kaum übersehen werden können - niemand wurde jedoch von flammenden Kugeln verzehrt, niemandem platzten Wunden auf der Haut, die aus dem Nichts geschlagen waren und niemand griff sich in Schmerzen an den Kopf, während sein Blut aus den Ohren verrann. Es mußte etwas ganz anderes im Gange sein.
Dem Wetterhexer war, als würde er selbst gleich sein Blut aus den eigenen Ohren auf das Achterdeck pressen, so angestrengt versuchte er, die Silben, die zu ihm herüber wehten, zu analysieren. Während er das tat, setzte von drüber hektisches Reden und von unten wütendes Schreien ein, als der Schreck die Angreifer aus den Klauen des Schrecks befreiten.

Als der Kapitän sich erhob und von der plötzlichen Rutschpartie erholte, wagte er einen Blick über die Reling und schaute nun mehr nur noch einem guten Dutzend Seeräuber in die verblüfften Augen. Von den Restlichen drangen nur die Stimmen von unten zu ihm, wo sie ihre Flüche mit hektischem Plätschern vermischten, solange sie noch nicht ihren Schwimmrhythmus gefunden hatten.
Die oben verbliebenen Piraten lösten ihre erschrockene Erstarrung etwa genauso schnell wie der Kapitän die seine und suchten die Armbrüste und deren Geschosse zusammen, da offensichtlich der direkte Weg zum Gegner nicht mehr offen stand.
Der Kommandant des Frachters tauchte gerade hinter dessen Reling unter, als diese wieder unter schweres Feuer geriet.

Obwohl der Magier weniger Überraschungsmomenten ausgesetzt war, kehrte auch er nicht früher in seine Deckung zurück. Sein Herz schlingerte wie ein Fischkutter im Orkan und fand erst nach etlichen wilden Schlägen die Regelmäßigkeit wieder, ohne die Zauberer ihrem Geschäft nicht nachgehen können.
Er bildete sich ein, daß er den ersten Bolzen schon vor seinem Gesicht habe größer werden sehen, als er den Kopf endlich zurück zog. Aber auch das, was er hatte heraus finden wollen, hatte er gesehen. Nun blieb nur, die Antwort darauf zu überdenken.

Der Kapitän hatte sich nun auch genug beruhigt, seine Mannschaft um sich zu sammeln. Seine Rufe schallten mit den Piratenflüchen konkurrierend über Deck, obgleich sie nicht sofort Wirkung zeigten. Sehr lange dauerte es allerdings nicht, bis der gewohnte Drill den Matrosen in die Knochen fuhr und die lähmende Furcht daraus vertrieb. Alle versammelten sich kriechend an Backbord. Sie faßten ihre leichten Waffen fest und harrten des Kampfes, wenn schon nicht mit Freude, so doch ergeben. Ihr Anführer hatte neuen Mut gefaßt und gab ihn weiter.
Nach wie vor sah er keine Möglichkeit auf einen eigenen Sieg, die Feinde waren noch hoch überlegen, aber jetzt war er der Meinung, ihnen ihren Sieg mit bitteren Verlusten ziemlich unschmackhaft machen zu können.
Auf dem anderen Schiff mußte der Piratenkapitän von ähnlichen Überlegungen geplagt sein, seit seine halbe Mannschaft im Meer planschte. Trotzdem schaffte er es, seine Leute zur Ordnung zu rufen, ganz ähnlich wie sein Gegenüber auf dem Frachter, nur daß er dafür einer deutlich derberen Sprache bedurfte. Bald aber flogen neuen Enterhaken, mit denen die Piraten ihre Prise erneut heran zogen., statt immer mehr Armbrustbolzen über deren leeres Deck zu jagen.
Noch blieb beiden Seiten unklar, wie es weiter gehen sollte, wenn erst einmal beide Schiffe wieder ordentlich vertäut aneinander lagen. Die Piraten mochten sich nicht vorstellen, es könne ihnen wie ihren Kameraden ergehen, die gerade vor den sich näherden Schiffsleibern hatten fliehen müssen, um nicht zwischen ihnen zerquetscht zu werden.
Die Seeleute der anderen Seite wollten, obwohl sie schon auf den aussichtslosen Kampf eingestellt waren, nicht nachdenken, wie die Lage sich entwickeln mochte, sollte dieses Mal die magische Hilfe ausbleiben.

Der Magier indes stand aufrecht und unbehelligt auf dem Achterdeck; die Piraten hatten ihn noch nicht als Quelle ihrer Probleme ausgemacht und ignorierten ihn daher. Für Sie war der Mann nicht mehr als einer der vielen Bärtigen, mit denen Schiffe nun einmal bevölkert zu sein pflegen.
Die Matrosen der eigenen Seite schauten zwar hoffnungsvoll zu ihm hoch, enthielten sich aber schlauer Weise anfeuernder Rufe, die auf See sonst neben Gesängen alle Tätigkeiten begleiten.
Dem Zauberer fiel es von seiner erhöhten Position nicht schwer, sein Gegenüber auf der anderen Seite hinter den Kämpfern auszumachen, wie es am Aufgang zu den Ruderbänken stand und seine Beschwörungen dort hinunter sandte Die magere Gestalt war von einem blutroten Gewand umweht.
Mit bloßer Wetterhexerei war es unmöglich, ihm in dieser Situation und auf die Entfernung ernsthaften Schaden zuzufügen. Lediglich einen gezielten Windstoß konnte der Schiffszauberer auf den anderen loslassen, der ihn von den Beinen hätte reißen können.
Der Piratenzauberer aber schien seine Standfestigkeit schon an schlimmeren Seestürmen erprobt zu haben, nicht einmal seine Konzentration störte die Böe. Die Lippen bewegten sich weiter mit völligem Regelmaß.
Die Worte allerdings flogen mit dem Wind davon und trieben ziellos hinaus auf See.
Etwas regte sich unter dem Deck der Galeere, gab ebenso unidentifizierbare wie unüberhörbare Geräusche von sich. Entsetzen schlich in das Gesicht des Piratenmagiers, eine Kleinigkeit früher als es die anderen Angreifer erreichte. Noch versuchte der Mann, seine Stimme wieder den Aufgang hinunter zu schicken, doch vergeblich, der Wind sammelte seine Worte ein und ließ sie erst weit draußen über dem Meer frei.
Der Wetterhexer war der einzige, der bemerkte, wie bald darauf die Lippenbewegungen ihre Form veränderten, während beide Männer sich in die Augen sahen. Der Seeräuber schien laut zu schreien, seine Kameraden aufmerksam machen zu wollen, woher kam, was ihn zur Lautlosigkeit verdammte.
Die anderen Piraten aber sahen starr dorthin, wohin sie vor dem Schock geblickt hatten - auf die ersehnte Beute. Zu hören war nichts außer den Tönen von unten.

Der Besatzung des Frachters entging überhaupt, daß sich die Lage verändert hatte. Zwar hörten auch sie die merkwürdigen Geräusche, aber sie konnten nicht glauben, dies bedeute etwas Positives für sie. Vielmehr dachten sie, jene Ungeheuer, die das Piratenschiff heran gerudert hatten, würden nun gegen sie aktiviert.

In Wahrheit aber bekam diese Monstren vorläufig nur der zu spüren, dem die Kontrolle über sie oblegen hatte; der Magier der Seeräuber verschwand unter Deck, mit weit aufgerissenen Augen und offensichtlich nicht auf eigenen Beinen. Bald war er nicht mehr zu sehen und die Geräuschkulisse änderte sich, wenn auch nicht zum Besseren.
Erst danach schob ein dunkelbrauner Kopf sich durch die Luke. Die Schultern, die folgten, paßten kaum hindurch. Beides war von einem unregelmäßigen Mix aus kleinen Hörnern und großen Warzen überwuchert, einige Stellen zeigten auch Algenbewuchs.
Augen schien das Wesen nicht zu besitzen und tatsächlich erschnüffelte es vor jeder Bewegung laut seine Umgebung. Daher rückte es langsam, doch trotzdem zielstrebig vor. Es zog sich aus der Luke und näherte sich mit hochgereckter Nase direkt den Piraten, die noch keinen Blick nach hinten gewagt hatten, obwohl sie hören mußten, daß etwas näher kam.
Schon schälte sich das zweite Monstrum durch die Luke, in ähnlicher Weise, doch in noch höherem Maße häßlich und gräßlich anzusehen wie das Erste.

Der Frachterkapitän riskierte nach der langdauernden relativen Ruhe jetzt auch ein Auge auf das gegnerische Schiff. Zugleich mit dem Schreck darüber, was dort vor sich ging, erreichte ihn der Ruf seines Magiers: »Wir müssen schleunigst verschwinden!«
Der Kapitän nahm das nur zu gern auf, auch wenn er nicht verstand, was vor überhaupt passierte. Es konnte nichts Gutes sein, hielt ihnen aber offensichtlich die Piraten vom Hals.
»Auf, Männer, bringt die Segel in den Wind!«
Die Matrosen folgten seiner Aufforderung nicht sofort, da sie zunächst der Faszination des Grauens erlagen, sobald sie ihre Augen über Relinghöhe erhoben hatte. Dann allerdings siegte erneut Drill über Schrecken und sie gingen mit um so mehr Eifer ans Werk.

Bevor der erste Dämon seine Opfer erreichte, drehte der Frachter schon in den Wind und nahm Fahrt auf. Niemand hier drehte sich mehr um, zu erfahren, welches Schicksal die Piraten ereilte. Niemand einschließlich des Magiers dachte auch nur daran, zurückzukehren und einen Beweis für deren Vernichtung zu erhaschen zu suchen. Keiner der Seefahrer schätzte eine Kiste Gold schwer genug, das eigene Leben und seine Seele damit aufzuwiegen.
Tatsächlich hätten die Meisten diesen Preis nicht einmal für Wert befunden, dem als Zuschauer beizuwohnen, was die Dämonen wohl ihren ehemaligen Herren antaten. Aber immerhin hatten sie eine gute Geschichte gewonnen, die sie an lauen Abenden in den Hafenspelunken verbreiten konnten. Das ist so manchem Seemann mehr wert als der Glanz des Goldes.

Letzte Aktualisierung: 26.06.2006 - 23.14 Uhr
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