Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
Bis vor einem Monat dachte Rita, sie habe ihr Leben im Griff. Doch die Welt sah anders aus, als sie ihren Job verlor.
Schneizlreuth. Ein Name, der KĂŒhe, Lederhosen, Bier, WeiĂwĂŒrste vor das innere Auge rief und Ritas Blutdruck in die Höhe trieb. Sie verstand es nicht. Hier hatte sie ihre Kindheit erlebt. Warum lehnte sie sich nicht zurĂŒck und lieĂ die Abschnitte ihrer Karriere an sich vorĂŒber ziehen? Weil sie erst zweiundvierzig Jahre alt war, Hergottnochmal! Vor einem Monat noch GeschĂ€ftsfĂŒhrerin der Filiale eines Bekleidungskonzerns in Bad Reichenhall. Und jetzt? Sie saĂ in der KĂŒche des Bauernhofes ihrer Eltern. Bestecke klapperten. Rita blickte ĂŒber Roy hinweg aus dem Fenster, wo die letzten Strahlen der Sonne Ziehbrunnen und Misthaufen in rötliches Licht tauchten. In dem Mist stecke ich, dachte sie. Mist, auf dem Ignoranz und Langeweile wachsen.
âDu siehst gut aus, doch wie lange hĂ€lt das vor? Heirate endlich.â
Die gebetsmĂŒhlenartige Litanei ihrer Mutter trieb Rita das Blut ins Gesicht. Der Blick ihres Stiefvaters glitt ĂŒber sie hinweg, und Rita dachte: âUnd du bist verheiratet, liebe Mutter, doch wie lange hĂ€lt d a s vor?â
Roy war ein stattlicher Mann, robust und durchtrainiert. Graumeliertes Haar, sonnengebrĂ€unt und einen unschuldigen Ausdruck im Gesicht. Als er sich finanziell verhob, hatte er sich auf dem Hof eingenistet. Ihre Mutter hat ihn geheiratet. Einfach so. Roy. Rita kam nicht ĂŒber die Barriere, die zwischen ihr und der Mutter war.
Rita hatte gefragt: âWieso hast du Roy geheiratet? So kurz nach Vaters Tod?â
âDu bist weggelaufen und hast mich allein gelassen. Wolltest unbedingt was Besseres werden. Wir sehen, was daraus geworden ist: Eine Frau in den Vierzigern, die mir auf der Tasche liegt.â Ritas Wut kochte auf kleiner Flamme.
Ihre Mutter, noch immer eine attraktive Frau. Ihr moderner Kurzhaarschnitt, ihr glattes Gesicht. Augen, klar wie der See. Attribute, die das Alter verleugneten. Ritas Mund verzog sich. Kein Wunder, bei der Tochter. Ihre Gedanken gerieten auf Abwege. Das Zwielicht der DĂ€mmerung lieĂ in ihr das GefĂŒhl aufkommen, sie sei in einer Fernsehfolge der Twilight Zone, in der sich der Abend stĂ€ndig wiederholte. Wo Roy mit dem FuĂ zwischen ihre Beine fuhr, sie vom Stuhl aufsprang und ihre Mutter in resignierendem Tonfall sagte: âRita, was ist los? Du hast doch noch gar nicht aufgegessen.â Wo jeden Abend die Zukunft von ihr abhing. Ăberschaubar, wenn sie sich wie jeden Abend auf ihr Zimmer zurĂŒckzog. Unbestimmt, wĂŒrde sie sich von Roy vögeln lassen. Dann fiel ihr eine weitere Alternative ein.
Roy legte den Arm um seine Frau, lieĂ seinen Blick wieder ĂŒber Ritas Körper wandern und das Blut schoss ihr in den Kopf. Nun kommt der FuĂ, dachte sie. Er schob sich zwischen ihre Beine und Rita sprang auf.
âMamma,â Rita sah an Roy vorbei, âich fahre zu Lisa. Wir haben uns fĂŒrs Kino verabredet.â
âWollt ihr euch nen Pornofilm ansehen? Sieht aus, als wolltest du da mitspielen.â
Rita antwortete nicht, als sie die Treppe hinunter ging. Ihr war klar, dass das Minikleid den Blick auf ihre Schenkel freigab. Dann stand sie vor Roy und drĂŒckte seinen Kopf in ihren Ausschnitt.
âKomm heute nacht auf mein Zimmer, wenn ich zurĂŒck bin, aber lass das Licht aus.â
Eine halbe Stunde spÀter saà Rita in Lisas Wagen.
âWie hĂ€ltst du es hier nur aus?â
âNur mit dir, Lisa. Nur mit dir.â Rita stieĂ einen Seufzer aus und blickte ihre Freundin an, die angestrengt nach vorn blickte. Dressed to kill, dachte sie und sah, wie das Kleid Lisas Schenkel hochrutschte.
âUnd wie geht es Roy?â
âWie immer.â
âWas? Hat er wieder seinen FuĂ beauftragt, mit dir Kontakt aufzunehmen? Wieso fĂ€llt ihm nichts anderes ein?â Lisa lachte. âUnd deine Mutter?â
âIch komme immer noch nicht darĂŒber hinweg. Warum hat sie einen Mann genommen, der so viel jĂŒnger ist als sie?â
âDas spricht doch fĂŒr deine Mutterâ. Lisa bog von der StraĂe ab. âDu bist ihre jĂŒngere Ausgabe.â
âEr hofft, er bekommt uns im Doppelpack.â
âNa, so wie du gebaut bist, muss ihm das Blut in jedes Körperteil schieĂen.â Lisa lachte wieder. âHat er dich jemals vorher in dem Kleid gesehen, das du jetzt anhast? Ich hĂ€tte nichts dagegen, mich von ihm flachlegen zu lassen.â
âDu kannst ihn haben. Heute Nacht.â
âMeinst du das im ernst? Du bist eine echte Freundin.â Lisa fuhr auf den Parkplatz des Plötzener Landhauses. Gelbe Plakate leuchteten unter den Scheinwerfern des Wagens auf.
âWas heiĂt âCalifornia Dream Menâ?â
âWirst du noch sehen.â Lisa zog Rita mit sich.
âHat sich nicht viel geĂ€ndert.â Die mit dunklem Holz getĂ€felten WĂ€nde, die Bar auf der einen Seite, dunkle Tische und StĂŒhle auf der anderen. In der Mitte die TanzflĂ€che. Rechts davon eine BĂŒhne. DarĂŒber hing das gelbe Banner mit âCalifornia Dream Menâ.
Rita und Lisa setzten sich an die Bar. Von dort hatten sie ein gute Sicht auf TanzflĂ€che und BĂŒhne. Frauen tanzten oder saĂen an den Tischen. MĂ€nner. Wo waren sie?
âMĂ€nner Strip. Das ist es also. Ich dachte, wir wollten zum Tanzen?â
âKönnen wir doch.â Lisa sprang vom Hocker und zog Rita auf die TanzflĂ€che.
HĂŒften schwangen, Beine stampften. Sie tanzten inmitten ausgelassener Frauen. Mit ihrer Freundin fĂŒhlte sich Rita um zwanzig Jahre jĂŒnger. Arme von sich gestreckt, schĂŒttelten sie ihre BrĂŒste, sahen sich an und lachten. Rita spĂŒrte, wie Lisa sie keinen Moment aus den Augen lieĂ, nĂ€her an sie heran kam, hautnah mit ihr tanzte, und Rita spĂŒrte Ameisen auf ihrer Haut. Lisa schlenkerte den Kopf im Takt, ihre schwarzen langen Haare flogen ĂŒber Ritas Gesicht. Die Musik wurde lauter.
âUnd nun, meine Damen, kommen die MĂ€nner, die Ihr Blut zum Kochen bringen. Einen Applaus fĂŒr Luca, Marko, Wilhelm, Hans und Wilfried, unsere California Dream Men.â
âDas ist Lucaâ, hauchte Lisa, griff nach Ritas Hand und pilgerte mit den anderen Frauen zur BĂŒhne.
Trotz des StraĂenanzuges, den er trug, sah Rita: der Mann war athletisch gebaut. Schwarze, schulterlange Haare, Indiogesicht, brennender Blick, flieĂende, einstudierte Bewegungen. Nach einer Minute war er im Slip, kniete sich vor sie hin, lieĂ das Becken nach vorn schnellen. Frauen kreischten, klammerten sich an ihre Geldscheine, HĂ€nde strichen ĂŒber Lucas Körper, ehe das Geld in seinem Slip verschwand. Rita öffnete ihr Portemonnaie. Sie hatte einige FĂŒnf-Euro-Noten und etwas Kleingeld.
Marko war der nĂ€chste und Rita mochte ihn nicht. Er schien nicht bei der Sache zu sein. Blickte ĂŒber das Publikum hinweg. Seine Bewegungen waren die eines Automaten und Rita öffnete ihre Geldbörse. Ehe sie dazu kam, Marko ein paar MĂŒnzen in den Slip zu schĂŒtten, sah sie einen anderen Mann, der ihnen den RĂŒcken zu drehte und sich mit geĂŒbten Bewegungen Jacke, Hose und Hemd vom Körper zog.
âKnackarsch.â Rita sah kurz zu den Tischen und zur Bar hinĂŒber. Leer. Es gab keine Frau, die nicht vor der BĂŒhne stand.
âWilhelm das Dreibeinâ, rief Lisa und angelte nach ihren Geldscheinen. Wilhelm drehte sich um und ging in die Hocke. Seufzen, Stöhnen ĂŒberlagerten die Musik. Schreie brachen sich an den WĂ€nden. Wie hypnotisiert blickte Rita auf die Phyton, die aus dem Slip ragte und vor ihren Augen tanzte.
FrauenhĂ€nde streckten sich. Rita tastete nach ihrem Geld, sah die FĂŒnf-Euro Scheine. Zu klein. Sie griff in Lisas Handtasche, und zog einen Hunderter aus dem Portmonnaie. Dann holte sie ein Feuerzeug hervor und hielt den Schein ĂŒber die Flamme.
âWa-was machst du da?â, schrie Lisa als Rita mit beiden HĂ€nden den Schein auf Wilhelms Penis spieĂte.
âDu Schlampe!â Staunen lag in Lisas Stimme. Rita spĂŒrte eine Hand im Nacken, die sie nach vorn drĂŒckte. Das einĂ€ugige Monster kam nĂ€her. Rita öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen, dann konnte sie es nicht mehr. Jemand schrie, Frauen stöhnten, der LĂ€rm verflĂŒchtigte sich, und Rita hörte nur noch das Pochen ihres Blutes.
âO Gott, was mach ich da!â , dann wurde ihr schwarz vor Augen.
Wasser. Rita spĂŒrte Wasser im Gesicht und öffnete die Augen. Lisa stand ĂŒber ihr. Rita blickte sich um. Sie lag in einem Toilettenverschlag.
âWach geworden?â Lisa zog sie zu sich hoch und umklammerte sie mit beiden Armen.
Lisas BrĂŒste pressten sich an ihren Körper und ihre Lippen nĂ€herten sich. âDas war so scharf, wie du den Hunderter ĂŒber seinen Schwanz gezogen hast. Und der Mann, der da dran hing. Du hĂ€ttest sein Gesicht sehen sollen.â Lisas Zunge tanzte in Ritas Mund. Benommen lieĂ diese es mit sich geschehen, erwiderte den Kuss, dann löste sie sich von ihrer Freundin.
âWas hab ich da gemacht! Ich gehe nicht mehr in den Saal zurĂŒck.â Rita stolperte zum geöffneten Toilettenfenster und zwĂ€ngte sich hindurch. Lisa folgte kichernd. Dann saĂen sie in ihrem Auto.
âUnd was ist mit Roy?â Lisa lenkte den Wagen mit einer Hand, wĂ€hrend sie mit der anderen ĂŒber Ritas Beine fuhr.
âWas?â
âDu sagtest doch, heute Nacht könnte ich.â
âBei meiner Schlafzimmerlampe habe ich die Birne rausgedreht. Und rede nicht mit ihm. Er soll denken, ich sei es.â
âDu hast es geplant, du Luder. Du hast was vor. Hat er dich schon mal stöhnen gehört?â
âNatĂŒrlich nicht.â
Sie lieĂen Lisas Wagen hundert Meter vor dem Haus stehen und gingen zu FuĂ weiter, huschten die Treppe empor, in Ritas Schlafzimmer hinein. Rita hörte das Rascheln der Kleider. Lisa drapierte das Bett mit ihrem Körper und Rita setzte sich neben sie.
âIch beneide den Kerlâ, flĂŒsterte sie und strich ĂŒber Lisas BrĂŒste.
âGeh nicht weg. Lisa hielt ihre Hand fest. âWie wĂ€re es, wenn wir beideâŠâ.
âIch muss.â Rita stand auf. âDiesen Triumpf gönne ich ihm nicht.â
Dann verlieĂ sie leise den Raum und schlich die Treppe hinab, hielt einen Augenblick inne. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie Lisa benutzte, und sie wunderte sich, dass diese mitmachte. Rita stapfte laut die Stufen hoch und schlich sich in die Besenkammer. Dort hatte sie eine Taschenlampe deponiert. Es war bizarr. Sie, Rita, eine gestandene Frau von zweiundvierzig Jahren, auf Horchposten im Abstellraum.
Rita hörte, wie sich eine TĂŒr öffnete, dann gedĂ€mpfte Schritte. Eine andere TĂŒr schloss sich leise. Rita wartete einige Minuten, griff nach der Taschenlampe, ging in das Schlafzimmer der Mutter und schĂŒttelte ihre Schulter. Die Frau hatte einen tiefen Schlaf und brauchte einige Minuten, um zu begreifen, was Rita ihr erzĂ€hlte.
Rita zog ihre Mutter aus dem Bett und fĂŒhrte sie ĂŒber den Flur. Stöhnen, Grunzen, Quietschen von Bettfedern. GerĂ€uschlos öffnete sie die TĂŒr zu ihrem Zimmer und schaltete die Taschenlampe ein.
Dunkle Wolken hingen ĂŒber Schneizlreuth und Regen prasselte gegen die Fenster. Als Rita am nĂ€chsten Morgen ihre Koffer packte, entprach das Wetter ihrer Stimmung. Sie hatte einen Fehler begangen. Ihr Plan, die Beziehung zu ihrer Mutter zu festigen, indem sie das Hindernis Roy aus dem Weg rĂ€umte, war nicht aufgegangen. Ihre Mutter hat sie aus dem Haus geworfen. Alle beide.
Sie stand weinend hinter dem schlierenverhangenen Fenster, als Rita den Wagen aus der Garage fuhr. Rita stieg aus, lud ihr GepĂ€ck ein und blickte zu Roy hinĂŒber, der mit seinen Koffern vor dem Eingang auf ein Taxi wartete. Dann sah sie Lisas Auto. Die kurbelte die Scheibe herunter und warf Rita eine Kusshand zu.
âFahr hinter mir her. Du wohnst ab jetzt bei mir.â
Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 10.46 Uhr Dieser Text enthält 11601 Zeichen.