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August 2003
Der Neuanfang
von Karl-Heinz Ganser


“Rita, du musst dir bald ne` neue Stelle suchen. Du bist doch keine Frau, die auf so einem einsamen Hof länger leben kann”, meinte eines Abends der Vater und stopfte sich eine neue Pfeife. Sie saßen zusammen in der guten Stube, und Rita blätterte in einem Modemagazin. Jetzt fing er schon wieder davon an. Sie knallte die Zeitschrift auf den Tisch und sagte aufgebracht: “Du weißt ganz genau, dass ich dabei bin, mir was zu suchen. Aber es braucht eben seine Zeit. Und was ich bisher gemacht habe, dass mache ich nicht mehr, denn das hat mir gereicht mit diesen ...”
“Du meinst mit diesen Mannsbilder?” unterbrach sie ihr Vater.
“Ja, und ich hab es dir oft genug erzählt, dass die meisten Bosse erst mit einem ins Bett gehen wollen, ehe sie einem einen guten Posten geben”, sagte sie wütend.
Der alte Bauer nickte und klopfte seine Pfeife aus.
Nachdenklich sagte er dann: “Das hat es wohl schon immer gegeben. Denk nur an damals, als der Franz vom Gutsteinerhof ...”
“Vater, hör bitte sofort damit auf!” unterbrach sie ihn gereizt. “Schließlich ist der Kerl schuld daran, dass ich was gegen Männer habe.”
“Entschuldige bitte, aber ich wollte wirklich nicht die alte Geschichte wieder herauskramen.” Er seufzte. “Es kam mir nur gerade so in den Sinn. Hat halt nicht sein sollen, dass der Hof irgendwann ...” Er wischte sich ein paar Tränen ab, stand plötzlich auf und murmelte: “Jetzt bin ich müde und gehe schlafen.” Ehe er aus der Stube schlurfte, drehte er sich um, blickte seine Tochter traurig an und murmelte: “Gute Nacht, mein Mädchen.”
Rita musste unwillkürlich schlucken. Obwohl sie bereits eine Frau von zweiundvierzig Jahren war, nannte er sie ab und zu noch so. Trotzdem spürte sie, dass Ärger in ihr aufstieg, als sie daran dachte, dass er ihr nie verziehen hatte, dass sie den wohlhabenden Sohn vom Nachbarhof nicht heiraten wollte. Lange Zeit war das Verhältnis mit ihren Eltern getrübt und zum richtigen Bruch kam es, als sie ihrem verdutzten Vater eines Tages erklärte, dass sie eine Lehre bei einem Modedesigner beginnen würde.
Ihre Mutter hatte sie am Anfang heimlich unterstützt bis sie, soviel Geld verdiente, um in Bad Reichenhall leben zu können.
Als sie dann nach einigen Jahren die Filiale eines internationalen Damenmodekonzerns als Geschäftsführerin übernehmen konnte, war der Vater plötzlich wie umgewandelt und erzählte stolz im ganzen Dorf, was für eine tüchtige Tochter er habe.


“Ach, was war das schön, damals”, murmelte Rita vor sich hin. Dann stand sie auf und, obwohl sie sah, dass es bereits Mitternacht war, schaltete sie den Recorder mit leichter Nachtmusik ein. Danach legte sie sich auf das Sofa und sie hoffte, dass die vertrauten Melodien, ihr Ruhe und Entspannung bringen würden.
Doch die Gedanken kreisten weiter um das, was vor einem Monat geschehen war.
In den Vorstand des Konzerns in Wien, war ein Wirtschaftsprüfer berufen worden, der unter anderem auch für die Filialen zuständig war.
Deshalb wurden der Reihe nach die Geschäftsführer der einzelnen Filialen zur Berichterstattung nach Wien bestellt.

Obwohl Ritas Filiale immer sehr gute Umsatz- und Rentabilitätszahlen aufwies, hatte sie doch ein mulmiges Gefühl, als sie dem neuen Vorstand ihre Zahlen erläuterte.
Ein gutaussehender Mann, das musste sie sich eingestehen, hatte sie charmant angelächelt und zu ihrer Überraschung gesagt, dass sie viel zu tüchtig sei, für die Filiale in Bad Reichenhall. Er wünsche, dass sie eine Filiale in London übernehmen sollte.
Rita räkelte sich, und sie spürte jetzt noch das Hochgefühl, das sie damals bekommen hatte. Während sie schon im Geiste ihre Filiale in der Londoner City vor sich sah, ließ sie der Satz, den sie dann hörte, aufhorchen.
“Sie gefallen mir und wenn sie Lust haben, dann lade ich sie heute Abend zu einem feinen Essen ein und danach könnten wir ...”
Ja, genau, das hatte er gesagt und dabei so vielsagend geschmunzelt.
In diesem Augenblick wusste Rita, dass sie die Stelle nur bekommen wĂĽrde, wenn sie bereit war, nach dem Essen mit diesem Mann zu schlafen.

“Und weil ich das nicht gemacht habe, sitze ich jetzt hier auf diesem gottverlassenen Hof und habe keine Arbeit mehr!” schrie sie, sprang auf und trommelte mit den Fäusten auf den Tisch.
“Ich hasse diese Männer!” zischte sie und sie merkte, dass es ihr gut tat, die Wut heraus zuschreien. Mit einem erleichterten Stoßseufzer ließ sie sich dann wieder auf die Couch fallen und murmelte: “Ich schaff es auch alleine.”

In der Nacht träumte sie von einem wütenden Stier, der sie auf der Hauswiese in der Nähe des elterlichen Hofes verfolgte, als sie dort Blumen pflücken wollte. Später sah sie sich plötzlich in einer Modeboutique stehen. Ihre Mutter war da und probierte ein schwarzes Kleid an.
SchweiĂźgebadet wachte sie am Morgen auf.
Den ganzen Tag ĂĽber musste sie immer wieder an das schwarze Kleid und an ihre Mutter denken.
Als dann der Vater sich beim Abendessen umständlich und sichtlich nervös für den gestrigen Abend entschuldigen wollte, überfiel sie ihn gleich mit ihrer Idee.
“Vater, ich mach mich selbstständig”, sagte sie strahlend.
“Was?” Der alte Bauer sah sie völlig überrascht an. “Du ... du ... du willst dich auf eigene Füße stellen?”
“Ja, Ich mache eine Boutique für Frauen auf, die über sechzig sind.” Rita sah ihren Vater erwartungsvoll an.
“Meinst du, davon könntest du leben?” meinte der Vater zweifelnd.
“Das ist eine Marktlücke”, sprudelte es jetzt nur so aus ihr heraus. “In Bad Reichenhall zum Beispiel gibt es so etwas überhaupt nicht. In der Zeitung hat es auch gestanden, dass die Wirtschaft und insbesondere die Werbung noch nicht erkannt haben, dass viele Rentner über ein gutes Einkommen verfügen. Und viele ältere Frauen würden sich gerne was Schickes kaufen, wenn es dafür genügend Spezialgeschäfte gäbe.
Sie stand auf und ging in der Stube, jetzt doch ein wenig nervös, auf und ab.
“Morgen fahre ich erst mal zum Arbeitsamt. Es gibt ja neuerdings Zuschüsse, wenn man eine Ich-AG gründet. Und...” Sie blieb vor ihrem Vater stehen. “Ein bisschen gespart habe ich ja auch, wie du weißt.”
“Ja, und ich hab für dich auch noch ein paar Tausend...” Er lachte. “Ich hätte bald Mark gesagt.”
“Danke! Vater!” Rita gab spontan ihrem Vater ein schmatzenden Kuss auf die stoppelige Wange.
“Da fällt mir noch ein ...” Rita überlegte, “morgen rufe ich auch die Lilo in Bad Reichenhall an, die dort das große Modehaus hat. Wir würden uns keine Konkurrenz machen, sondern sehr gut ergänzen. Ich glaube, die sieht das bestimmt auch positiv.”

Gleich am nächsten Morgen fuhr Rita nach dem Frühstück, gutgelaunt mit ihrem Golf-Cabrio zu ihrer Freundin Lilo.
Begeistert erzählte sie ihr von ihrem Vorhaben. Lilo fand die Idee gut, meinte aber: “Du musst dir einen seriösen Namen suchen, denn die Damen um die Sechzig gehen nicht in >Ritas Modeboutique<.”
Nach einer Weile des Nachdenkens sagte sie: “Ich kenne da einen Mann in München, der hat sich vor ein paar Monaten auch mit einer Ich-AG für den modebewussten Mann ab sechzig selbständig gemacht. Es wäre bestimmt für dich interessant und hilfreich, wenn der dir einmal erzählen würde, wie er die Sache angepackt hat.”
“Hm”, machte Rita, “eigentlich wollte ich ja ohne Männer auskommen...”
“Aber wenn so ein Mann für dich von Nutzen sein könnte, dann solltest du es dir doch überlegen”, unterbrach sie die Freundin und grimelte.
“Im Grunde genommen hast du ja recht”, sagte Rita leise, während Lilo zum Telefon griff und für nächste Woche einen Termin vereinbarte.
Als sie sich verabschiedete, flüsterte sie ihrer Freundin zu: “Vielleicht sind Männer auch mal für was zu gebrauchen.”

Lange brauchte Rita, um in Münchens Innstadt das Geschäft von dem Ich-AG-Mann zu finden.
“Streilitzer! Max Streilitzer ist mein Name”, begrüßte ein Mann sie freundlich lächelnd, als sie ein kleines, aber sehr geschmackvoll eingerichtetes Geschäft betrat.
Mit seinen graumelierten Schläfen und seinem legeren Jeansanzug, macht der bestimmt einen guten Eindruck auf seine Kundschaft, dachte Rita, als er ihr einen duftenden Capuccino anbot.
“Sie wollen also das für die Damen machen, was ich für die Männer mache.” Er lächelte und als er von den ersten kleinen Erfolgen erzählte, da wirkten seine graugrünen Augen richtig schelmisch, wie Rita überrascht feststellte.
“Ich könnte, wenn Sie wollen, Ihnen noch viele Tipps geben, aber jetzt ... Sie entschuldigen mich.” Er stand auf, denn ein älteres Ehepaar kam herein und schaute sich ein wenig hilflos um.
Toll, dachte Rita als sie zusah, mit welchem FingerspitzengefĂĽhl der Streilitzer es verstand, dem alten Mann eine Cordhose, einen Sommerpullover und noch ein Hemd mit Krawatte zu verkaufen.
Von dem kann ich, fĂĽr das, was ich vorhabe, bestimmt noch viel lernen, sagte sie sich.
Und als dann schließlich der Mann ihr den Vorschlag machte, nach Geschäftsschluss in der gegenüberliegenden Pizzeria das Gespräch noch fortzusetzen, da sagte sie einfach ja.

Zwei Stunden später saßen sie beim Italiener bei Pizza und Rotwein an einem Tisch in der Ecknische. Er erzählte von den kleinen und großen Schwierigkeiten, die er mit der Gründung seiner Ich-AG hatte.
“Sie brauchen viel Geduld und einen eisernen Willen, das durchzustehen”, sagte er zum Schluss und legte lächelnd seine Hand behutsam auf ihren Arm. Rita zuckte unwillkürlich zusammen. In diesem Moment, war sie so irritiert, da sie sich nicht mehr erinnern konnte, wann zum letzten Mal ein Mann sie berührt hatte. Etwas verlegen sagte sie: “Sie haben mir das alles so gut erklärt, dass ich es schon schaffen werde.” Dann sah sie ihn an und flüsterte: Danke.”
Spontan ergriff Max Streilitzer ihre rechte Hand und drückte sie zärtlich. “Sie sind eine bezaubernde Frau und ich weiß, dass Sie es schaffen werden.”
In diesem Augenblick klingelte in ihrer Handtasche das Handy.
“Der Bauer ist ...”, schluchzte eine Stimme und Rita erkannte sofort, dass es die Haushälterin vom Hof war. Sie zuckte zusammen. Es musste etwas ganz besonders passiert sein, dass die Marie anrief, denn das kam ganz selten vor.
“Was ist mit Vater!” rief sie aufgeregt in das Handy. “Nun sag schon!”
“Er ist ... er ist ... ganz schlecht dran”, stotterte die weinerliche Stimme von Marie.
Rita sprang auf. “Ich komme sofort! Und ruf den Doktor!”
“Entschuldigung”, murmelte sie zu Streilitzer, der jetzt auch aufgestanden war.
“Meinem Vater geht es schlecht, ich glaube sein Herz ...” Sie nestelte ein Taschentuch hervor, denn ihre Augen waren feucht geworden.
“Ich muss jetzt nach Hause und vielen Dank noch mal.” Sie reichte dem Mann ihre Hand.
“Ich melde mich später wieder”, sagte sie mit nervöser Stimme und verschwand.

Als sie mit ihrem Wagen in die Hofeinfahrt einbog, sah sie, dass alles hell erleuchtet war. Vor der HaustĂĽr stand ein Rettungswagen mit eingeschaltetem Blaulicht.
“Mein Gott, Vater”, stöhnte sie laut, und als sie schwankend ins Haus stolperte, da spürte sie, dass sie zu spät gekommen war.
Deshalb war es für sie auch keine Überraschung mehr, als der Arzt ihr sagte, dass ein Herzinfarkt zum plötzlichen Tod des Vaters geführt habe.

Die Tage und Wochen danach hatte sie mit Formalitäten, der Beerdigung und damit, dass der Hof weiter geführt wurde, soviel zu tun, dass der Schmerz über den Verlust des Vaters, sie nur nachts überfiel.
Rita hatte nicht erwartet, dass fast das ganze Dorf Schneizlreuth ihr half, wann und wo sie Hilfe, insbesondere auf dem Hof, brauchte.
Besonders ihre Freundin Lilo kümmerte sich liebevoll um sie. Rita bat sie dann eines Tages auch, sie zum Notar zur Testamentseröffnung zu begleiten.
Der alte Notar rĂĽckte seine dicke Hornbrille zurecht und sagte mit amtlicher Stimme zu ihr:
“Ihr Vater hat verfügt, dass Sie, Rita Hainbauer als Alleinerbin, den Hof mit Inventar verkaufen sollen. Von dem Erlös erhält das katholische Altenheim in Bad Reichenhall fünfzigtausend Euro. Von dem was übrigbleibt, sollen Sie ein Geschäft einrichten, wo sich Frauen über sechzig einkleiden können.”
“Mein lieber, guter Vater”, flüsterte sie halblaut, “so werde ich es machen.” Dann tupfte sie sich ein paar Tränen ab.

©Karl-Heinz Ganser
August 2003


Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 10.54 Uhr
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