Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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August 2003
Rita chérie
von Fran Henz


Rita stand in der Küche und häufte Blutwurstscheiben, kalten Schweinebraten und hartgekochte Eier auf den Teller. Alles aus eigener Produktion.
Der Bauernhof ihrer Eltern in Schneizlreuth war eine Goldgrube. Etwas, womit Rita vor 23 Jahren, als sie diesem nach Kuhscheiße stinkenden Kaff den Rücken kehrte, niemals gerechnet hätte. Mit wenig Barem, aber großen Träumen hatte sie sich damals an die Autobahn gestellt und den Daumen ausgestreckt.
Paris, das war ihr Ziel, die Metropole der Metropolen, Werkstatt duftiger Illusionen aus Samt und Seide. Und sie hatte Glück gehabt. In der Woche, in der sie in der Stadt ankam, fanden die Prêt-à-Porter Schauen statt, und eines der Modehäuser suchte jemanden, der den Models beim Umkleiden zur Hand ging.
Dort, hinter den Kulissen, traf sie ihn zum ersten Mal. Den Mann, dessen Schicksal fortan untrennbar mit dem ihren verbunden war. Auch er kam aus Deutschland, aus dem Norden, wie seine strahlend blauen Augen und das dichte, strohblonde Haar bewiesen.
Er sprach nicht gerne über seine Herkunft, auch seinen Namen hatte er den Gegebenheiten angepasst: Charles Henri. In seinem Pass stand Karl-Heinz Wanneberg, aber das entdeckte sie erst viel später.
Es war seine erste Saison als Chefdesigner bei Topas und es sollte noch eine Weile dauern, bis man ihm den schlichten Beinamen „Le Mieux“ gab. Gefälligerweise reimte sich das auf „Dieu“, was den Kolumnenschreibern einiges an kreativer Arbeit abnahm. Wie erbärmlich trivial klang doch dagegen Karl-Heinz Wanneberg, der Beste, der Göttliche – Deutsch war eben eine barbarische Sprache.
Charles Henris Stern stieg unaufhaltsam am Modehimmel auf. Und sie, Rita Hainbauer aus Schneizlreuth, war seine Assistentin. Zuerst eine von vielen, dann die Erste und später die Einzige.
„Rita, chérie, wo sind die Entwürfe für das Kleid von Madame Chenier?“
Natürlich wusste sie es.
„Rita, chérie, sag den Termin mit Yves ab, ich fühle mich heute nicht so.“
Natürlich tat sie es.
„Rita, chérie, hast du bei diesem Dingsda in Hongkong angerufen, wegen der gecrinkelten Purpurseide?“
Natürlich hatte sie.
Sie organisierte seine Termine, bereitete seine Antworten bei Interviews vor und entfernte in Ungnade gefallene Lover dezent aus dem breiten Wasserbett. Er war schwul, und er machte kein Geheimnis daraus. Schließlich waren sie das alle, die tapferen Schneiderlein an der Seine, und wer es nicht war, gab zumindest vor, es zu sein.
Der Punkt hatte sie auch nie gestört. Nicht einmal dann, wenn sie sich einen der wenigen Laufstegboys, die bei einer Frau eine brauchbare Erektion bekamen, ins Bett holte und sich dieser nach vollzogenem Akt unverfroren erkundigte, ob sie ihm nicht eine Einladung für Le Mieux’ Privatpartys besorgen könne. Männer waren nun einmal so, und darum würde sie keinen in ihr Leben lassen.
Sie war auch nicht in Charles Henri verliebt. Niemals. Sie schätzte seine Arbeitsweise, die Genialität seiner Kreationen, seinen Instinkt, was kommende Trends betraf. Sie waren ein Team, gemeinsam eroberten sie die Welt jede Saison aufs Neue. Gott und sein Erzengel.
Vielleicht hätte sie misstrauisch werden sollen, als er ihr vorschlug, eine Filiale von Topas in Bad Reichenhall aufzumachen. Mit ihr selbst als Manager. Ein modisches Entwicklungsgebiet, hatte er gemeint. Zuwachsraten von mehreren hundert Prozent wären möglich. Und welche Herausforderung in dieser Aufgabe lag ...
Sie brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass zwischen Bad Reichenhall und Paris mehr als nur 900 km lagen. Aber es war trotzdem zu spät. Ein neuer Erzengel flatterte an der Seite ihres Gottes und sie konnte nichts anderes tun, als zu versuchen, dem Alpenvolk begreiflich zu machen, was das Wort „chic“ wirklich bedeutete und dass es seinen Preis hatte.
Ihr Scheitern war vorprogrammiert. Ein Blatt mit fünf kargen Zeilen beendete eine 23jährige Zusammenarbeit, das Zeugnis sollte nachgeschickt werden, die gesetzliche Abfindung werde man auf ihr Konto überweisen. Die Filiale wurde geschlossen.
So war sie im Alter von zweiundvierzig Jahren wieder in ihrem Elternhaus gelandet, um ihre Wunden zu lecken und über ihr weiteres Leben nachzudenken. In all ihrem Elend konnte sie jedoch nicht aufhören, in den Hochglanzillustrierten, die der Briefträger in ihr selbstgewähltes Exil brachte, Charles Henris Weg weiter zu verfolgen. Er schwebte von Erfolg zu Erfolg, was immer er anfasste, verwandelte sich in Ruhm und Geld.
Begierig saugte sie alle Meldungen auf, schnitt Fotos und Berichte aus und klebte sie in einen Ordner. So wie sie es 23 Jahre lang getan hatte. Manchmal dachte sie darüber nach, ihre Memoiren zu schreiben. Oder einen Roman.
Ihr Bruder Franz schüttelte nur den Kopf. Hirngespinste. Sie sollte sich lieber mit seinen Plänen beschäftigen. Der Bauernhof, der durch die Biowelle nach oben geschwemmt worden war, sollte ab nächsten Sommer eine Reihe von Gästezimmern bekommen. Im Keller des Hauses wurde eine Sauna samt schalldichtem Ruheraum eingerichtet, auch eine Fitnesskammer sollte demnächst dazukommen. Und ein Swimming Pool im Freien.
Rita fand die Idee gar nicht so schlecht. Sie half ihrem Bruder bei den Planungen und klebte nur mehr abends Bildchen in ihren Ordner. Wieder war Fashion Week in Paris, und die Fotos zeigten einen verjüngten, dreißig Kilo leichteren Charles Henri an der Seite eines kaum den Windeln entwachsenen Jünglings. Vehement stritt er in den Interviews alle chirurgischen Eingriffe ab, und machte ein spezielles Einweißpräparat für seine wiedergewonnene Jugend verantwortlich. Eine Seite weiter konnte man „Charles Henris Elixier für Schlankheit und Lebensfreude“ per Post bestellen.
Rita schüttelte den Kopf. Sie hörte auf zu schütteln, als sie bei ihrem nächsten Besuch in Bad Reichenhall ein neues Geschäft in der alten Boutique entdeckte. Es verkaufte nichts anderes als „Charles Henris Elixier für Schlankheit und Lebensfreude“ und die Leute standen Schlange.
Im Schaufenster befanden sich „Vorher“ und „Nachher“ Fotos von Le Mieux, mit Aufschriften wie „Machen Sie es dem berühmten Modeschöpfer nach“, „Schlank wie ein junger Gott“, „Sehen Sie aus wie Charles Henri – er ist das beste Modell für sein unübertreffliches Elixier.“
Etwas in Rita zerbrach. Sie sah schwabbelnde Bäuche, üppige Brüste und mit Orangenhaut überzogene Schenkel. Charles Henri hätte diese Weiber keines zweiten Blickes gewürdigt, sie waren in seinem Universum stigmatisierte Außenseiter, ekelige Kreaturen, denen man den Zutritt verwehrte, die man bestenfalls verlachte. Dennoch schreckte er nicht davor zurück, ihnen mit irgendeinem Pulver vorzuspiegeln, dass sie so sein könnten wie er, wenn sie nur genügend Scheine über das Pult wandern ließen.
Hatte er es bei ihr nicht genauso gemacht? Ihr Gemeinsamkeit vorgegaukelt, so lange es ihm beliebte, und sie dann aus seiner Welt gestoßen? Übelkeit überkam sie bei dieser Erkenntnis und zum ersten Mal der Gedanke an Vergeltung. Ihr Blick blieb an einem der reißerischen Plakate hängen. „Treffen Sie den Gott persönlich. Frage- und Autogrammstunde hier im Lokal, am 15. November.“
Rita räumte die angeschnittenen Würste wieder in den Kühlschrank und wischte sich die fettigen Finger mit einem Stück Küchenrolle ab.
Die Planung der Gästezimmer machte großen Spaß und Franz hatte ihr erleichtert sämtliche Kompetenzen für die Inneneinrichtung übertragen. Geschmack und Farbgefühl waren ihm im Gegensatz zu seiner Schwester nicht in die Wiege gelegt worden. Darum ließ er sie bei allem schalten und walten, wie sie wollte. Auch um den geplanten Fitnessbereich kümmerte er sich nicht mehr, Rita hatte ihm dafür eine besonders gelungene Ausgestaltung versprochen, und er besaß Geduld genug, zu warten, bis alles fertig war.
Jetzt im Winter ruhten die Bauarbeiten natürlich und kein Arbeiter hielt sich mehr hier am Hof auf. Sie würden frühestens im März zurückkommen. Franz war mit seinen Kumpels mittags nach München gefahren, um zünftig Sylvester zu feiern. Er hatte sie gefragt, ob sie mitkommen wolle, aber dazu konnte sie sich nicht aufraffen. Erinnerungen an Sylvesterpartys in Paris, Mailand, London und New York hätten ihr nichts als traurige Erinnerungen beschert.
Sie nahm den Teller und stieg die Treppe zum Keller hinunter. Acht Kilo in sechs Wochen. Ein schöner Erfolg, aber noch lange nicht das Ende des Weges. Sie drehte den Schlüssel im Schloss zum Ruheraum. Noch bevor sie die Tür öffnete, hörte sie eine hilflose, verzweifelte Stimme. „Rita, chérie ...“

© Fran Henz



Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 10.12 Uhr
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