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August 2003
Bauernhofmorde
von Josef Th. Thanner


»Was wissen wir über sie?«, fragt Burger.
Ich schüttle den Kopf. »Das Übliche.« Hainbauer ist in den letzten Stunden in den Mittelpunkt unserer Überlegungen gerückt. Nun ist es an mir, Fakten über sie auszugraben, bevor wir weitere Schritte einleiten.
»Nun machen Sie schon«, drängt Burger.
Ein kurzer Blick in die Akte, die mein Kumpel Otto vom Einwohnermeldeamt, mit dem ich schon einige Male zusammen gearbeitet hatte, mir zusammen gestellt hat, bringt einiges ans Licht.
»Rita Luise Hainbauer ist«, verkünde ich großspurig, »42 Jahre alt und war bis vor einem Monat in Bad Reichenhall als Geschäftsführerin tätig. Ciozzi-Filiale, internationaler Damenmodekonzern. Seit sie arbeitslos ist, wohnt sie auf dem elterlichen Hof in Schneizlreuth.«
»Schneizlreuth?«
»Sieben Kilometer bis zur österreichischen Grenze.«
»Ganz nahe an der geplanten Wintersporttrasse. Mit dem Auto ist sie in sieben Minuten über die Grenze. Brandgefährlich, Thanner. Und auch der Zeitpunkt passt: Gerade als sie arbeitslos wird, beginnen die Morde.«
»Sie meinen, Morde aus Langeweile, Chef?«
Burger schüttelt den Kopf. »Da steckt natürlich mehr dahinter. Jedenfalls hat sie jetzt, als Arbeitslose, genügend Zeit.«
»Aber das Täterprofil?«, gebe ich zu bedenken.
»Sie wollen die Sache immer absolut wasserdicht haben, was, Thanner«, sagt Burger.
»Nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt, Chef.«
»Ich sage Ihnen: Gar nichts ist absolut wasserdicht! Wir hatten hier erst einmal in meiner Laufbahn einen ähnlich gelagerten Fall, ein Teenager, der alte Omis ausraubte und umbrachte, und immer schloss er die Wohnungstüren ab. Was die Profiler daraus lasen, war hanebüchen.«
»Sie haben ihn erwischt, Chef?«
»Natürlich.«
Wie habe ich nur fragen können? KHK Burger bekam sie alle.
Ich nehme den abgegriffenen roten Schnellhefter, dessen Inhalt wir in den letzten Wochen wohl tausend Mal studiert und immer wieder ergänzt haben, nochmals zur Hand. »Dem Täter wird ein hohes Maß an krimineller Energie bescheinigt.«
»Oder der Täterin.«
»Oder der Täterin.«
»Eine Frau mordet mit einer Pistole genauso leicht wie ein Mann, Thanner.«
»Ja, aber Serienmorde werden nur zu Null Komma Null Zwei Prozent von Frauen verübt.«
»Das will aber nicht heißen, dass es diesmal nicht so sein kann.«
»Nein, natürlich nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit ist...«
»Wahrscheinlichkeit, Wahrscheinlichkeit! Hören Sie mir auf mit Wahrscheinlichkeiten, Thanner. Wahrscheinlich geht die Welt bald unter. Aber nur wahrscheinlich.«
»Die verwendete Waffe war nicht gerade eine typische Frauenpistole. Kaliber 6.3 liegt ziemlich schwer in der Hand.«
»Hainbauer war im Schützenverein Bad Reichenhall.«
»Ach?«
»Was heißt hier ›Ach?‹?«
»Mich wundert nur, woher Sie das wissen, Chef.«
»Ach«, äfft er mich nach. »Garnirgendwoher. Aber ich wette, wenn Sie heute Nachmittag zum Schützenverein rausfahren, werden Sie darauf stoßen, dass sie Mitglied war. Und dass sie just ausgetreten ist, als sie nach Schneizelreut auf den Hof ihrer Eltern zog.«
»Ich werde das prüfen. Und wenn sie das nicht ist?«
»Ein paar Unebenheiten, na und?« Burger geht zur Kaffeemaschine hinüber und schenkt sich nach. »Diese Profiler sind auch nur Menschen, keine Hellseher. Ich sage: Sie war es.«
Ich wiege schwer meinen Kopf.
»Hören Sie, Thanner, die Sache ist ganz einfach. Alle Toten hatten mit der Planung und dem Bau der neuen Wintersporttrasse zu tun. Und diese führt ganz genau an dem Bauernhof Hainbauer vorbei. Der Vater jammert... alles für die Katz... Hof aufgeben... gebuckelt für nichts... Was sagen die Nachbarn... die Mutter bekommt einen Herzschlag. Just in diesem Moment wird die Tochter arbeitslos. Sie hat jetzt die Zeit, sich um die Sache zu kümmern.«
»Halten Sie sie für so jähzornig?«
»Jähzornig, jähzornig. Ich halte sie für kaltblütig. Sehen Sie sich die vielen falschen Spuren an, die sie gelegt hat.«
Jetzt gehe ich zur Kaffeemaschine rüber. Burger hat die Kanne leergeschenkt, ohne neuen aufzusetzen. Das tut er immer. Ich greife nach dem Kaffeepulver und fülle auf.
»Nun gut, wir sollten nochmals die Zeiten checken, an denen die Morde geschahen, und was Hainbauer jeweils tat.«
»Das kann sie uns persönlich sagen. Wir holen sie uns gleich.«
»Ohne Haftbefehl und hinreichenden Verdacht?«
»Mann, wir haben einen Verdacht! Und sieben Minuten bis zur Grenze, vergessen Sie das nicht! Fluchtgefahr. Das bekommen wir schon hin.«
Natürlich würden wir sie auch in Österreich bekommen, aber mit viel mehr Aufwand.
Ich stelle die Kaffeebüchse zurück und gehe an den Magnetboard. Alle fünf Morde sind hier auf zwei Meter fünfzig aufgemalt, jeder hat etwa fünfzig Zentimeter Platz eingeräumt bekommen, mit Fotos der Leichen unter den jeweiligen Namen. Ich hatte alle Zusammenhänge aufgeschrieben und mit roten und schwarzen Pfeilen kenntlich gemacht.
Peter Forcher, der erste Tote. Forcher ist der Geldgeber des Projekts. Das neue Wintersportgebiet soll mehrere Abfahrts- und Langlaufstrecken beinhalten sowie eine Eislaufbahn. Die Eislaufbahn ist nicht das Problem. Die Strecken sind es. Sie bereiten den Anwohnern Kummer. Mit Forchers Geldern finanziert und vom Staat subventioniert. ›Aufwertung der Region als Kur- und Wintersportort‹, nennt sich das. ›Der Totengräber der Bauernschaft‹ wird Forcher von den Einheimischen genannt. Er war am 19. September in seinem Wohnzimmer erschossen aufgefunden worden.
Beate Heuer, die zweite Tote. Erschossen, als sie am 29. September abends vom Tanken nach Hause kam. Sie war die Stadträtin, die den Verlauf der Trasse zementiert hatte. Sie könnte als direkte Verursacherin der Hainbauerschen Probleme bezeichnet werden. Ein alternativer Streckenverlauf war auf Betreiben von Heuer verworfen worden.
Gruber und Haller – die Nummern drei und vier. Zwei Bauern, die freimütig verkauft hatten, sich durch den Verkauf sanierten und damit in der Öffentlichkeit protzten. Beide erschossen im Oktober.
Jürgen Fischer ist der fünfte auf der Liste. Er war der Architekt, der zwei Pläne für den Verlauf der Strecken eingereicht hatte. Erschossen am 2. November in seinem Büro, als er spätabends noch gearbeitet hatte.
Meine roten Pfeile markieren die Gemeinsamkeit: Alle Projektile das gleiche Kaliber.
Burger klopfte mit dem Kugelschreiber auf den Schreibtisch.
»Alle Planer der Strecken nahmen in Kauf, dass die betroffenen Bauernhöfe ins Gras beißen. Sie kennen doch die Bauern, Thanner. Sture Dickschädel, die lieber sterben, als freiwillig etwas für den Fortschritt der restlichen Welt zu tun. Das hat etwas von Cowboymentalität an sich.«
Er starrt eine ganze Weile vor sich hin, während ich die Kaffeemaschine auffülle.
Wir haben die ganze Nacht hindurch gearbeitet und gar nicht bemerkt, dass es draußen wieder hell geworden ist. Wir ernähren uns seit einiger Zeit nur noch vom Kaffee. Meine Magenverstimmung kommt daher. Die Kollegen, die mit uns die SOKO bilden, haben sich gegen halb vier hingelegt. Wir beide haben als einzige die Stellung gehalten.
Burger gibt sich einen Ruck und steht auf. »Na gut, gehen wir sie holen.«
Ich nehme den Autoschlüssel, trete dann an nochmals den Schreibtisch zurück.
»Lassen Sie sie schlafen«, sagt Burger, als ich den Telefonhörer abnehme. »Wir schaffen das allein. Sie ist nur eine Frau.«
»Aber wenn sie diese fünf Leute umgebracht hat, würde ich sie nicht als ungefährlich bezeichnen, Chef.«
»Ich sagte, wir schaffen das allein.«
Ich lege den Hörer auf und nehme den Mantel vom Haken. Burger ist schon aus dem Büro gestürmt.
Wir hasten durchs Treppenhaus. Burger ist wie elektrisiert. Die Glaswände werfen seine lauten Worte zurück. Unsere Schritte hallen, als wir nach unten trampeln.
»Wir haben noch nicht alles geprüft, Chef«, schreie ich hinter ihm her.
»Fluchtgefahr, mehr brauche ich doch nicht zu sagen, was?«
»Glauben Sie, sie ahnt, dass wir hinter ihr her sind?«
»Weiß ich’s?«
»Vielleicht hat der Konzern, bei dem sie arbeitete, etwas mit der Sache zu tun? Wir sollten das auf jeden Fall noch abklopfen, Chef.«
»Das können Sie ja machen, Thanner. Später. Zuerst holen wir uns die Gute aufs Revier. Und während ich mich mit ihr unterhalte, können Sie noch ein wenig hier, ein wenig dort herumstochern.«
Ich renne hinter ihm her über den Hof zum Auto. Wie immer fahre ich. Als der Motor startet, wird mir bewusst, wie schlecht das Wetter ist. Ich betätige den Scheibenwischer. Der Morgen ist neblig, und man sieht keine zweihundert Meter weit.
Wir fahren kaum eine halbe Stunde, und ich kämpfe gegen den Schlaf. Ist keine gute Idee, eine Verdächtige abzuholen und sie dann vor lauter Müdigkeit nicht verhören zu können. Aber Burger will sie unbedingt im Kasten haben, bevor die Kollegen der SOKO wieder auf der Matte stehen.
Ich stelle den Passat unter einen Baum, von dessen nassen Ästen Tropfen herunterregnen. Der Hainbauerhof liegt vor uns im feuchten Frühnebel. In der dicken Suppe hat vielleicht niemand den Motorenlärm gehört. Wir haben gute Chancen, Hainbauer zu überraschen.
Bevor wir aussteigen, legt Burger seine Hand auf meinen Arm.
»Ich möchte ein Geständnis von ihr, haben Sie verstanden?«
»Ja«, nicke ich. »Kein Problem. Wir reden ihr zu, und sie wird alles gestehen...«
»Quatsch. Machen Sie nur keine Fehler, Thanner!«
»Nein. Schon gut.«
Wir steigen aus und gehen durch das nasse Gras. Der Hof macht einen heruntergekommenen Eindruck, ist aber sehr aufgeräumt, so als ob dort niemand mehr arbeitete. Hat der alte Hainbauer sein Milchvieh verkauft? Oder ist es auf der Weide, und er und seine Tochter sind beim Melken? Oder haben sie die Tiere in den Stall getrieben?
Ich ertappe mich einen Moment lang bei dem Gedanken, dass ich mir wünschte, Rita Hainbauer sei nicht zuhause. Vielleicht nur, um Burger den Spaß zu verderben.
Er ist vor mir an der Tür und drückt einfach die Klinke. Die Tür springt auf. Bauern schließen Türen selten ab. Damit öffnen sie Polizisten im Überraschungszugriff Tür und Tor. Und Mördern.
Die Tote hat einen Einschuss in der Brust, der leicht von einer 6.3 Kaliber Pistole herrühren kann. Es liegt keine Pistole herum.
»Kein Selbstmord«, sage ich.
Burger kniet vor die Tote und betrachtet ihr Gesicht genau. Es ist eigentlich ein hübsches Gesicht, ein bisschen energisch vielleicht, aber das muss man wohl als Geschäftsführerin einer Damenmodenfiliale sein. Einige Pusteln auf der Wange. Sie riecht nach Zigarettenrauch. Nein, an ihr ist kein Stallgeruch.
»Wir waren auf der falschen Fährte, Thanner«, sagt mein Chef.
»Ich rufe die Spurensicherung an«, sage ich und gehe zum Wagen zurück.



© J. Th. Thanner

Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 10.50 Uhr
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