Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Birgit Erwin IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
August 2003
Die Schöne und das Biest
von Birgit Erwin


Das unbehagliche Schweigen hatte sich lange genug hingezogen, fand sie. Sie streckte die Hand über den Tisch und sagte: „Rita Hainbauer. Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Uwe.“ Als er sich nicht rührte, setzte sie mit einem kleinen Lächeln hinzu. „Genieren Sie sich bitte nicht. Ich weiß, dass sie mich ziemlich hässlich finden.“
Der Mann ihr gegenüber brachte immer noch keinen Ton heraus. Attraktive Frau Anfang vierzig hatte sie in der Kontaktanzeige geschrieben, sportlich, fit, aus Schneitzelreuth. Was um Gottes Willen fand man in Schneitzelreuth attraktiv? Frankensteins Monster?
Er beschloss, sich auf ihre Worte zu konzentrieren, denn sie redete einfach weiter:
„… Wechsel in der Chefetage. Ich bin wegen einer jüngeren Frau entlassen worden.“ Sie lachte leise. „Gott, jetzt klinge ich beinah wie eine verlassene Ehefrau. Aber es ist schon so, ich war irgendwie mit meinem Job verheiratet. Und ich war gut. Keine Ahnung, warum die mich gefeuert haben.“
„Weil du zwei fette schwarze Warzen auf der Nase hast, und eine auf dem Kinn“, wollte er schreien. „Weil deine Ohrstecker das Geschmackloseste sind, was ich je gesehen habe. Weil deine Frisur der absolute Horror ist!“
Aber er schwieg und machte nur ein Grunzgeräusch, das sie als Zustimmung auslegen konnte, wenn sie wollte.
„Ich lebe jetzt auf dem Hof meiner Eltern“, plapperte sie weiter. „Ist auch mal ganz nett. Nein, wirklich, ich kann mich nicht beklagen, meine Eltern sind ganz reizende Menschen. Richtig rührend, wie die sich gefreut haben, dass die verlorene Tochter endlich heimkam Auch wenn ich nie gedacht hätte, dass ich mal Kühe melken würde.“
„Arme Viecher“, dachte er schwach. „Denen wird ja die Milch sauer.“
Laut sagte er: „Äh, Frau Hainbauer…“
„Rita.“
„Rita, ja… es hat mich wirklich gefreut, Sie kennenzulernen, aber ich muss gehen. Ich hab ganz vergessen… ein Termin.“ Er geriet ins Stottern, aber das war ihm egal. Es war seine erste Kontaktanzeige. Es würde seine letzte bleiben. Er war kuriert.
Die Frau schüttelte ihre grell gefärbten Haare und lächelte wieder.
„Uwe?“
Widerwillig blieb er sitzen.
„J-ja?“
„Glauben Sie mir bitte, ich weiß, wie ich aussehe. Ich habe einen Spiegel. Aber ich weiß auch etwas, was Sie nicht wissen. Es ist ein geheimes Talent von mir. Ich kann mich verwandeln. In ein paar Stunden werden Sie mich schön finden. Versprochen. Nun, was sagen Sie?“
Er sagte gar nichts. Er starrte sie nur an. Rita nickte mit einem auffordernden Lächeln. „Was haben Sie zu verlieren?“, schnurrte sie. „Zwei Stunden? Vielleicht weniger. Das kommt auch ein bisschen auf Sie an.“
Er fand es erbärmlich, wie sie darum bettelte, dass er sie nicht allein ließ. Richtig abstoßend. Gleichzeitig konnte er nicht leugnen, dass ihre Worte ihn neugierig machten.Wie sollte dieser weibliche Schrecken auf zwei Beinen sich in eine attraktive Frau verwandeln? Er sah aus dem Fenster in den Oktoberregen. Daheim wartete nicht viel auf ihn. Der Fernseher und eine Heizdecke, sonst nichts. Mit einem plötzlichen Entschluss nickte er.
„Okay, ich werde mitkommen!“
„Wunderbar“, jubelte sie und klatschte in die Hände wie ein kleines Mädchen. Ihre roten Locken wippten wie durchgedrehte Korkenzieher. Er bereute seinen Entschluss schon jetzt, aber nun war es zu spät.

Sie sprachen nicht viel, während Rita Hainbauer, Bäurin des Grauens, ihn durch die kalten Straßen der kleinen Stadt führte. Es war nicht gerade Schneitzelreuth, aber viel besser war Bad Reichenhall auch nicht. Vor einem kleinen Hotel blieb sie stehen.
„Hier?“, fragte er. Sie nickte wieder.
Offensichtlich war sie bekannt. Kein Wunder, dachte er, niemand konnte dieses Gesicht vergessen. Sie bekamen einen Schlüssel ausgehändigt und fanden sich bald darauf in einem kleinen, aber sauber und wohnlich eingerichteten Hotelzimmer wieder.
„Setz dich schon mal auf das Bett und mach es dir gemütlich. Ich komme gleich, Uwe“, scholl Ritas Stimme aus dem Bad.
Er setzte sich. Die Bettfedern quietschen. Vielleicht sollte er einfach gehen. Sie konnte nicht überrascht sein, es war ihr sicher schon oft passiert. Aber eine perverse Neugier hielt ihn zurück.
„Ich komme jetzt“, flötete Rita. Ohne das dazugehörige Gesicht war es eine richtig attraktive Stimme. Er wandte seinen misstrauischen Blick der Türe zu, die in diesem Augenblick dramatisch aufschwang. Sein Unterkiefer klappte herunter.
Da stand sie. Horror-Rita. Sie trug schwarze Spitzenunterwäsche und Strapse. Strapse an langen, langen Beinen in langen, langen Strümpfen.
Fit und sportlich, dachte er. Beim Himmel, das stimmt. Wenn er nicht in ihr Gesicht blickte sondern nur ihren Körper… aber da hatte er schon keine Zeit mehr nachzudenken. Rita stieß ihn auf das Bett und kniete sich über ihn.
„Nicht sprechen, Süßer“, flüsterte. Weiche gebräunte Haut streifte seine Hände, während sie erst seinen Gürtel löste und ihm dann die Hose über die Hüften streifte.
„Wenn wir fertig sind, wirst du mich in einem ganz anderen Licht sehen“, flüsterte sie noch, dann war ihr Mund anderweitig beschäftigt.

Zwei Stunden später sah Uwe die Frau in Schwarz tatsächlich in anderem Licht. Dachte er. Bis er den Kopf drehte. Ein glänzender Schweißtropfen kullerte langsam zwischen den Warzen auf ihrer Nase hindurch und versickerte in dem drahtigen Haar. Plötzlich fiel es ihm schwer, daran zu glauben, dass die letzten zwei Stunden tatsächlich passiert waren.
„Und, Liebling?“, fragte sie kokett. Ihre schreiend roten Locken wippten in ihrer fürchterlichen Achziger-Jahre-Dauerwelle.
„Äh… ja… äh…“
„Oh, du musst nichts sagen. Wirst du mich anrufen?“
„Äh… klar, gib mir doch deine… äh… Telefonnummer. Aber jetzt muss ich wirklich gehen.“
Sie winkte nur fröhlich, als er die Türe hinter sich schloss. Von außen.
Draußen lehnte er sich mit den Rücken gegen die Wand und atmete tief. Was für eine Frau. Aber sie wiedersehen? Sie seinen Freunden vorstellen? Unmöglich. Er schüttelte den Kopf und seufzte: Was für eine elende Verschwendung.

Rita ließ sich rücklings auf das Bett fallen und räkelte sich eine Weile genüsslich. Mit einem wohligen Seufzen zog die Perücke hinunter. Das kurze schwarze Haar darunter war verschwitzt. Lustschweiß… sie grinste in der Erinnerung. Er war gut gewesen, richtig gut. Sie gaben immer ihr bestes, wenn sie glaubten, sie würden damit das Biest in eine Schönheit verwandeln. Sie glaubten alle, der Prinz zu sein, diese neugierigen kleinen Jungs. Rita kicherte und pflückte die Warzen von ihrer Haut.
Natürlich würde er nicht anrufen. Das taten sie nie.
Single sein war nicht schwer. Single bleiben auch nicht.
Aber Single zu bleiben und wirklich guten Sex zu kriegen, das war eine Kunst. Und Rita war eine Künstlerin.


Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 10.02 Uhr
Dieser Text enthält 6832 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.