Der Tod aus der Teekiste
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August 2003
Schneizlreuth und der Duft der großen weiten Welt
von Heidi Hoppe


Schneizlreuth – ja, Schneizlreuth. Nichts Aufregendes. Ringsherum Natur pur, Ruhe, Stille, um die 1.500 Seelen. Genau in dieses Örtchen wurde Rita, die Hainbauer Rita, hineingeboren anno 1961. Es war im späten Frühjahr, als Mutter Alma die hölzernen Balkonkästen mit roten Hängegeranien bestückte und die dörfliche Stille durch gellende Schreie durchbrochen wurde:
“Max, Mutter, das Kind kommt!“ Der Vater, die Großmutter des sich ankündigenden Kindes kamen angelaufen und kurz darauf war Rita auf der Welt.
Bruder Gerd, fünf Jahre alt, wusste noch nicht was auf ihn zukam. Schon nach kurzer Zeit wurde ihm das Schwesterchen anvertraut. Oft sah man den Korbkinderwagen von weitem als beigefarbenen Fleck zwischen Arnika, gemeiner Hauhechel, Akelei und Scabiose auf der Wiese stehen. Gerd war wütend auf seine Schwester, schubste den Wagen einfach vor sich her, ließ ihn auf der Wiese stehen und spielte mit seinem Freund nahebei im angrenzenden Mischwald.

Resi nahm oft ihre Enkeltochter an die Hand, ging mit ihr in den Wald, um Pilze, Kräuter und Beeren zu sammeln. Rita sah ihr dabei zu, wie sie ihre Ernte zu leckeren Köstlichkeiten verarbeitete.

Rita wusste, was sie wollte. Ihre Eltern hatten es nicht immer leicht mit ihr. Oft hüllte sie sich in fransige Tücher ihrer Großmutter und verkleidete sich. Die Kindheit verflog wie im Rausch und schon im zarten Jugendalter flammte ihr Herz für den Huber Schorsch, doch dieser war im Alter ihres Bruders und würdigte dieser Göre keines Blickes. Oft hockte sie an den Wochenenden mit ihrer besten Freundin an der einzigen Kreuzung des Ortes auf der Suche nach der großen Liebe. Die Mädels machten Pläne für ihr weiteres Leben. Sie träumten davon auf einem Schiff anzuheuern um die große weite Welt kennen zu lernen oder als Stewardess die Erdkugel von oben zu betrachten. Dieses öde Kaff wurde ihnen zu eng, zu spießig. Die große Liebe suchte Rita vergebens – vorerst, die große weite Welt ließ auch noch eine Weile auf sich warten.

Nach der Realschule führte ihr Weg nach Bad Reichenhall – immerhin 8 km entfernt von Schneizlreuth. Hier erlernte sie den Beruf der Schneiderin in einer kleinen aber feinen Damenschneiderei im Kurzentrum. Auf einer Modenschau in einem mondänen Kurhotel durfte Rita ihre ersten Modelle vorführen und es kam wie es kommen musste – ihr Talent wurde entdeckt. Schon befand sie sich im Flieger und jettete hin und her zwischen New York, Paris, Berlin, Buxtehude und Rom. Man mochte Rita. Sie war eine Powerfrau von 1,60 m Größe und bestach durch ihre Unverfälschtheit. Sie blieb mit beiden Beinen auf der Erde und verriet in Englisch, Französisch, Deutsch oder Italienisch ihre Herkunft durch das rollende r.

Zu ihrem vierzigsten fuhr sie zurück nach Schneizlreuth. Der Gedanke an diesen runden Geburtstag ließ sie innehalten in ihrem jet-set-Leben Sie nahm sich eine Woche Urlaub und kehrte zurück zum weißgetünchten Bauernhof. Rita wurde herzlich empfangen. Ihr zu Ehren wurden die Kühe mit bunten Kronen geschmückt wie beim Almauftrieb.

„Kommen sie rein, Madam!“ die Stimme des Vaters klang zerbrechlich, leicht zittrig. Er nahm sie fest in die Arme und strich ihr übers Haar.
Ritas Mutter wischte sich die Tränen aus den Augen
„Mädel, nun komm mal rein.“
Auch Gerd, unverheiratet, freute sich über diesen seltenen Besuch.
„Du siehst, Schwester, die Blumen sind noch da, der Wald ist noch da, die Kühe sind noch da, alles wie es war, wie es schon immer gewesen ist.“
„Und das ist auch gut so, Brüderchen, aber das stimmt ja nicht ganz. Das Haus ist gut in Schuss, der Hofladen ist neu und ein Pferdestall ist auch dazugekommen.“
Gerd hatte vor wenigen Jahren den Hof übernommen und suchte nach neuen Einnahmequellen. Rita erholte sich in dieser kurzen Zeit, kramte in alten Aufzeichnungen der Großmutter und probierte das ein oder andere Rezept aus.
An ihrem letzten Abend kochte sie für die ganze Familie. Sie saßen bis spät in die Nacht zusammen. Die Stimmung war gedrückt.
„Vater, Mutter, ich werde bald zurückkommen. Meine Arbeit macht mir Spaß, aber ich lebe nun schon mehr als zehn Jahre aus dem Koffer. Ich mache mir schon länger Gedanken wie´s bei mir weitergehen soll.“
Zwei Jahre später starb ihr Vater. Die Nachricht erreichte sie in Berlin. Sein Tod machte ihr sehr zu schaffen. Bei ihrem letzten Besuch bemerkte sie, dass ihr Vater schon recht gebrechlich war. Nun machte sie sich Vorwürfe, ihr Vorhaben ihr Leben zu ändern, nicht schon früher in die Tat umgesetzt zu haben.
Am Abend nach der Beerdigung saßen Rita und Gerd bis spät in die Nacht auf der hölzernen Küchenbank.
„Sag mal Gerd, ich möchte gern zurückkommen. Ich hab auch schon seit längerem ein Konzept ausgearbeitet. Wärst du grundsätzlich bereit…“
„Nun lass mal sehen, Schwesterherz.“

Seit nunmehr vier Wochen lebt Rita wieder auf dem Hainbauer-Hof. Sie war mit dem Rad unterwegs zur Sparkasse, ihren ausgearbeiteten Finanzplan wohl verstaut in der Handtasche.
Aus ihren Ersparnissen sollte eine angrenzende Scheune zu Ferienappartments umgebaut und einige Spielgeräte sollten angeschafft werden. Außerdem wollte Rita das Angebot des Hofladens erweitern um lukullische Köstlichkeiten aus der Region.

Als sie sich auf der Kreuzung befand, kam ihr ein Mann entgegen.
„Grüß Gott, Hainbauer Rita!“ lachte er ihr zu.
Rita war verblüfft.
„Grüß Gott!“ antwortete sie.
„Wieder daheim?“
„Ja, aber kennen wir uns denn?“
“Na, ich bin der Huber Schorsch. Hast du mich denn vergessen?“
Rita lachte.
„Nein Schorsch, aber verändert hast du dich.“
Klopfenden Herzens fuhr sie weiter zur Sparkasse.

©Heidi Hoppe 08/2003











Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 10.03 Uhr
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