Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
'Nicht mal in Ruhe die Nudeln abgießen kann man hier', denke ich genervt, als das kreischende "Maaaaaaaaaaaaaaaamaaaaaaaaaaaaaa" gefolgt von einem durchdringenden Plärren aus dem Kinderzimmer mein Trommelfell erschüttert. Ich lasse die restlichen Nudeln in den Seiher platschen und renne hinauf.
"Was ist das hier schon wieder für ein Geschrei, könnt ihr nicht einmal für fünf Minuten Ruhe geben ..."
"Marc hat mich an den Haaren gezogen", kreischt es mir entgegen.
"Lisa hat mir mein Bilderbuch weggenommen."
"Marc hat schon wieder Aa in die Hose gemacht."
"Gar nicht", geht er wutentbrannt auf Lisa los.
"Marc", werde ich laut, "lass Lisa in Ruhe."
"Sie lügt, und sie hat mein Bilderbuch." Und er holt mit dem Wasserfarbkasten aus.
"Maaaamaaa, Marc haut mich."
Ich kriege ihn gerade noch an der Schulter zu fassen, bevor er den Kasten seiner Schwester auf den Kopf hauen kann.
"MARC!" herrsche ich ihn an, "jetzt reicht's. Gib endlich Ruhe!"
Ich rümpfe die Nase und weiß schon Bescheid: "Hast du schon wieder in die Windeln gemacht, in deinem Alter, du solltest dich was schämen. Nimm dir mal ein Beispiel an deiner Schwester, die geht schon von ganz alleine zum Klo."
"Du bist doof!" schreit er seine Schwester an.
"Whäääääääääääääh....", plärrt Lisa los
und ich habe genug, gebe Marc ein paar hinten drauf - 'JA zum Teufel, ich weiß, dass das pädagogisch unklug ist'' - packe ihn mir und schleife ihn zum Wickeltisch.
"Bäääääh, wie das stinkt", halte ich ihm die volle Windel vor die Nase, "wann lernst du das endlich mal?"
'Warum schreie ich eigentlich so? Es sind Kinder! Meine Kinder!' wische ich ihm die stinkenden Reste vom Po, werfe die Pampers in den Windeleimer und wickle ihm eine Neue um den Hintern.
"Und jetzt gebt Ruhe, vertragt euch. Papa kommt gleich von der Arbeit und dann wird gegessen."
"Ich hab' kein' Hunger."
"Ich auch nicht." äfft sie ihn nach.
'Wie ich das hasse, warum können sie nicht einfach mal essen, was auf den Tisch kommt? Diese dauernden Sonderwünsche und nur weil Josef ihnen alles durchgehen lässt.'
"Ihr werdet was essen, dafür sorg' ich schon."
"Dann sag ich's Papa."
"Gebt endlich Ruhe. Es reicht mir."
Halb acht, bald ist DAS überstanden.
Die Nudeln sind natürlich jetzt kletschig. Klar. Dann hat Josef wieder was zu meckern, wenn er endlich vom Bau kommt, hoffentlich nicht wieder mit einer Bierfahne. Diese elende Fahrerei zur Montage und wieder zurück. Wissen die Herren Politiker eigentlich, was sie den Familien antun, wenn ihre Politik die Bauern dazu zwingt, zum Überleben einen Nebenerwerb anzunehmen? Die sitzen doch im Trocknen und haben nicht drei Stunden Zeit, sich auf der Fahrt von der Arbeit den Kopf zuzuziehen.
"So ein Mist", fluche ich laut, denn inzwischen ist die Nudelsoße angebrannt, "klar, das hat ja auch noch gefehlt!"
WARUM?
Ich könnt's hinwerfen, ja verdammt, alles hinwerfen. Die Kühe im Stall, wenn ich sie schon immer höre, der Mistgestank im Hof, der immer nur meckernde unzufriedene Alte, die plärrenden Kinder, und jeden Tag wieder derselbe Scheiß
...
ein Dunst aus Biergeruch und abgestandenem Zigarettenqualm kommt mit ihm in die Küche.
"Frau, ist dir das Essen angebrannt?"
'Dass er das in dem Dunst überhaupt noch merkt ...'
"Ja, denk nur. Ist es. Kannst ja in die Kneipe gehen, wenn's dir nicht passt."
"Lisa, Marc!!!" schreie ich mach oben "EEEEEEssen!"
"Rita, schrei doch die Kinder nicht so an!"
"Dann sag du es denen doch, auf dich hören die eh immer."
"Marc, Lisa, ich bin von der Arbeit zurück."
"Papa Papa", und ich seh nur noch, wie sie ihm um den Hals fliegt, wie er sie mit seinen Armen auffängt und sie fliegen lässt
"Papa Papa!"
"Wie siehts aus? Gehste jetzt endlich aufs Klo?"
"Kinder, setzt euch, es gibt angebranntes Essen."
Ich hasse ihn für diesen Blick.
"Ich will aber kein angebranntes Essen, ich will keine Cornflakes!" hallt es in meinen Ohren wider.
Von unten aus dem Dorf schallt die Glocke der Kirchturmuhr herauf, 8 Schläge ...
... schweißgebadet wacht sie auf, versucht sich zu orientieren – all die Horrorszenarien noch im Kopf wagt sie kaum, die Augen zu öffnen. Doch dann kneift sie sich ins Ohrläppchen, fühlt den Schmerz und weiß, es war alles nur ein Traum. Im Halbdunkel der ersten Morgendämmerung erkennt sie die vertrauten Umrisse ihres Kleiderschrankes und der Kommode mit dem großen Spiegel darauf. Und stellt im selben Moment erleichtert fest, sie ist nach wie vor 42-jährige Singlefrau und arbeitslos, war bis vor kurzem als Geschäftsführerin der Filiale eines internationalen Damenmodekonzerns angestellt gewesen. Aus der Küche hört sie das Gebrüll ihres Neffen, der mal wieder nicht seine Cornflakes essen will.
'Was in aller Welt hat mich nur dazu bewogen, das Angebot meiner Schwägerin anzunehmen, und erstmal in den elterlichen Hof einzuziehen?' fragt sie sich.
Aber in diesem Moment wird ihr erstmal so richtig bewusst, wie gut sie es eigentlich hat. Keinen mürrischen Mann, keine plärrenden Kinder, keine Kühe zu versorgen ...
... und ganz gemütlich dreht sie sich nochmal um und kuschelt sich ins weiche Kissen.
2003 Franz Malecki
Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 10.09 Uhr Dieser Text enthält 5094 Zeichen.