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September 2003
mitternachtsschwarz
von Fran Henz


„Lass bloß die Finger vom Autostoppen, Junge“, pflegte meine Mutter zu sagen. „Du weißt nie, an welche Psychopathen du da gerätst.“

Aber meine Mutter sagte viel, wenn der Tag lang und der Fernseher eingeschaltet war. Sie hatte keine Ahnung vom wirklichen Leben, sie glaubte, das Leben wäre eine endlose Talkshow und es reichte ihr, dabei in der ersten Reihe zu sitzen.

Sie hatte auch vor dem Fernseher gesessen, als ich das Haushaltsgeld aus dem Einmachglas in der Küche nahm und meinen endgültigen Abgang machte. Eine halbe Stunde später stand ich an der Landstraße und hielt den Daumen hoch.

Wenig Gepäck und ein gepflegtes Äußeres garantieren einen raschen Transport, das war eine der ersten Lektionen, die ich lernte. Darum achtete ich immer auf einen guten Haarschnitt und saubere Klamotten.

Ich dachte mir kleine Geschichten für die Fahrer aus, die stoppten und fragten, wo ich hinwolle. Gestohlenes Bahnticket, Heimreise zur Beerdigung der Mutter, Rückkehr an die Uni – es gab unzählige Möglichkeiten, die Beifahrertür aufspringen zu lassen.

Gelegentlich gönnte ich mir eine Nacht in einem billigen Hotel, aber ich blieb nirgends lange. Ich war frei, heute hier, morgen da und niemand sagte mir, was ich zu tun hatte.

Die Schultertasche rutschte von meinem Arm und ich nahm sie in die andere Hand. Ich wanderte schon eine Ewigkeit am Pannenstreifen entlang, die Sonne war im Begriff, hinter dem Horizont zu verschwinden und zu allem Ãœberfluss fielen auch noch die ersten Regentropfen.

Ein Fahrzeug nach dem anderen schoss an mir vorbei. Der Regen wurde stärker und ich fluchte. Niemand nahm einen tropfnassen Anhalter mit, der womöglich die Sitze versauen konnte. Ich öffnete meine Tasche, um den dünnen Regenmantel herauszuholen, den ich für solche Fälle erstanden hatte.

Im selben Moment hielt ein Wagen ein paar Meter vor mir. Ich rannte auf ihn zu und blieb neben dem Beifahrerfenster stehen. Die Scheibe des Toyotas wurde einen Spalt weit geöffnet und ich spähte ins Innere.

Eine Frau saß hinter dem Steuer. Kurzes blondes Haar, heller Sweater, etwa in meinem Alter. Sie stellte Ricky Martin leiser und beugte sich zu mir. „Bei dem Wetter bist du bestimmt nicht freiwillig draußen, oder?“

Sie machte es mir leicht. „Meine Freundin hat mich aus dem Auto geschmissen, wir hatten einen Streit und ...“, sagte ich so zerknirscht, wie ich hoffentlich aussah.

Die Zentralverriegelung klickte. „Dann steig ein, lost boy.“

„Danke.“ Ich ließ mich auf den Beifahrersitz fallen.

„Wo soll’s denn hingehen?“

Der Toyota trug ein Saarbrückener Kennzeichen. „Kaiserslautern, wenn du soweit fährst.“

„Kein Problem, ich fahr die ganze Nacht durch. Mein Bruder heiratet morgen und ich bin Brautjungfer. Die Idioten in meiner Firma wollten mir nicht frei geben.“ Sie sah mich an. „Mein Name ist Sarah.“

„Patrick“, murmelte ich und sie lenkte den Wagen zurück auf die Fahrbahn. In der nächsten halben Stunde entdeckte ich auch, warum sie mich mitgenommen hatte: sie brauchte jemanden zum Reden, besser gesagt, jemanden, der zuhörte, wenn sie redete. Mein Part der Konversation beschränkte sich auf „Ja, nein, echt, unglaublich“.

Sie plapperte über ihren Job, ihre Freundinnen, Probleme, die sie nicht hatte und Dinge, die ich nicht wissen wollte. Ich schloss die Augen und lehnte mich an die Kopfstütze, aber sie redete trotzdem weiter. Sie war genau der Typ, der mich früher auf dem Schulhof oder in der Disco ignoriert hatte, weil es für Verlierer in ihrer coolen Welt keinen Platz gab. Und ein Verlierer war jeder, auf dessen Unterhose nicht „Calvin Klein“ stand.

Wir erreichten schließlich das Ende der Ausbaustrecke und fuhren auf der Landstraße weiter. „Ich brauch unbedingt einen Espresso und eine Kleinigkeit zu essen“, sagte sie und drückte stöhnend ihren Rücken durch.

Ich nickte, was blieb mir auch übrig, und überschlug in Gedanken meine Barschaft. Für die Absteige, bei der sie den Wagen dann anhielt, sollte es reichen, falls mir nichts Besseres einfiel.

Ich stieg aus und streckte mich gähnend. Der Regen war in ein schwaches Nieseln übergegangen. Gewohnheitsmäßig sondierte ich das Gelände.

„Bei Bruno“ stand als Drohung auf einem Schild, dessen Neonröhre in den letzten Zuckungen lag. Es gab zwei Zapfsäulen, dem Zustand nach floss dort schon länger kein Benzin. Der Parkplatz war leer, mit Ausnahme einiger Motorräder und eines schwarzen Porsches, neben dem Sarahs Toyota wie ein plumpes Steinzeitgefährt aussah. In der fahlen Parkplatzbeleuchtung schimmerte der Lack wie Onyx. Ich konnte nicht widerstehen und streckte die Hand aus, strich über das Dach, auf dem Tropfen glitzerten wie Sterne an einem mitternachtsschwarzen Himmel.

Was musste es für ein Gefühl sein, die Kraft dieses Wagens zu spüren, sich von der Wucht der Beschleunigung in den Sitz pressen zu lassen. Langsam nahm ich die Hand weg.

Sarah hatte mich beobachtet und grinste dämlich. „Für so ein Auto könnte man glatt töten, was?“

Ich zuckte die Achseln und folgte ihr zum Eingang. Erfreut bemerkte sie, dass ich ihr die Tür aufhielt und tänzelte an mir vorbei.

In der Spelunke begrüßte uns kalter Tabakqualm vermischt mit dem Duft ranzigen Frittieröls. Aus der Jukebox röhrte Peter Maffay. Am Tresen lungerte das Rudel Motorradfahrer und unterhielt sich lautstark. Sarah setzte sich mit dem Rücken zu ihnen an einen der Plastiktische und ich hockte mich ihr gegenüber.

„Wir schließen in einer Viertelstunde“, schrie der Barkeeper, vermutlich Bruno, zu uns herüber. „Schlag Mitternacht ist die Bude dicht.“

„Klasse“, murmelte Sarah.

Ich stand auf. „Lass mich mal machen, vielleicht gibt’s doch noch was.“

Sie lächelte mich an. „Du bist echt süß. Bring mir einfach einen großen Espresso, ich hab im Wagen noch eine Packung Kekse, die können wir uns teilen.“

Ich ging durch das Lokal und bestellte am Tresen zwei Espressi, ehe ich dem Pfeil „für kleine Jungs und harte Männer“ folgte. Die Tür schwang vor mir auf, ich stoppte sie automatisch mit der Schuhspitze und sah den Mann an, der mir gegenüber stand.

Er trug einen schmal geschnittenen hellen Mantel, der bis zu den Stulpen seiner Stiefel reichte; in seinem schulterlangen Haar hingen ein paar dünne Zöpfchen, an deren Enden bunte Federn und Glasperlen befestigt waren.

Winnetou auf Reisen. Ich unterdrückte ein Grinsen und erledigte, was zu erledigen war. Auf dem Rückweg nahm ich die beiden Tassen und setzte mich wieder zu Sarah.

Sie fing an, sich in Details über ihr Brautjungfernoutfit zu ergehen und ich tat so, als hörte ich ihr zu. Mein Blick blieb wieder an dem Mann hängen, der jetzt am Tresen lehnte. Trotz seines lächerlichen Äußeren reagierte mein Warnsystem. Der Typ bedeutete Gefahr.

Er sah mich über den Rand seines Glases hinweg an und ein Schauer lief über meinen Rücken. Etwas war an ihm ... aber ich konnte es nicht klar identifizieren ...

„Du hast schöne Hände“, Sarah griff nach meinen Fingern und riss mich aus meinen Gedanken. „So feingliedrig, wie ein Künstler.“

Ich versuchte, mich auf sie zu konzentrieren, aber während ich ihr Honig um den Mund schmierte, merkte ich, dass mich Winnetou noch immer beobachtete.

Die Motorradgang verließ grölend das Lokal, und eine Minute später brüllte Bruno: „Sperrstunde.“

Ich griff in meine Lederjacke. „So was Blödes, ich hab meine Brieftasche im Wagen liegen lassen.“

Sie reichte mir einen Schein und ich ging damit zum Tresen. Während ich auf das Wechselgeld wartete, trank der Mann neben mir sein Glas leer.

„Schnuckliges Häschen, deine Kleine.“

Ich entspannte mich und grinste. „Kann man wohl sagen.“

„Dann drück' ich dir die Daumen für heute Nacht.“

Sein Blick hielt meinen fest und die Alarmsirene in meinem Kopf heulte erneut auf. Er warf ein paar Münzen auf die Theke, nickte mir zu und schlenderte zum Ausgang.

Ich gab Sarah das Restgeld zurück und sie schnatterte sofort wieder munter drauf los. Der Wirt folgte uns zur Tür und sperrte hinter uns ab. Sarah redete. Das zuckende Neonschild verlosch und nur mehr die spärliche Parkplatzbeleuchtung erhellte die Nacht. Sarah redete. Wir gingen an der Längsseite des Hauses entlang, um vor dem Nieselregen geschützt zu sein. Sarah redete noch immer. Der Toyota tauchte in Sichtweite auf und ich wusste, dass ich keine weitere Stunde, keine weitere Minute mit dieser kleinen Fotze verbringen konnte, ohne den Verstand zu verlieren.

Mit einem schnellen Griff drückte ich sie neben dem Müllcontainer an die Hauswand. Sie sah mich irritiert an und schwieg tatsächlich. Für einen himmlischen Moment.

Dann öffnete sie den Mund, um Luft zu holen, aber bevor sie etwas sagen konnte, hatte ich den Springer in der Hand und stieß zu. Rammte das Messer bis zum Anschlag in ihren weichen Bauch, wieder und wieder. Blut strömte warm über meine Finger. Ich fixierte weiterhin ihr Gesicht, bereit jeden Laut aus ihrem Mund zu ersticken, aber es kam kein Ton mehr über ihre Lippen. Ihre Augen wurden glasig und ich merkte, wie sich mein Schwanz regte.

Auch beim letzten Mal war mir das passiert und ich fragte mich, wie es wohl wäre, wenn im Augenblick ihres Todes nicht nur mein Springer in ihr steckte.

Ihr Körper wurde schlaff und sie sank zu Boden. Ich beugte mich über sie und wischte das Messer und meine Hände an ihrem Sweater ab. Dann nahm ich ihre Handtasche und fischte die Geldbörse und die Autopapiere samt Schlüssel heraus.

Deshalb hatte ich es das erste Mal getan, aber dann spürte ich die Macht. Die Macht, sterben zu lassen und diese Macht berauschte mich mehr als eine Flasche Jack Daniels. Das Geld war nur ein hübscher Nebeneffekt.

Ich fühlte mich erfrischt, wie neugeboren, und drehte mich zufrieden um.

Er stand genau vor mir, die Hände in den Taschen seines Mantels vergraben, die Federn an seinen Zöpfchen flatterten leicht im Wind.

Scheiße, ich hatte gewusst, dass es mit dem Kerl Ärger geben würde. Automatisch zog ich den Springer und ließ die Klinge herausschnappen.

„Nicht schlecht“, sagte er und ging um mich herum, um einen Blick auf die Leiche zu werfen. „Der Regen wird die meisten Spuren wegwaschen und bis man die Kleine morgen findet, bist du über alle Berge. Blöd ist nur die Sache mit dem Augenzeugen.“

Meine Hand mit dem Messer stieß vor und hätte ihn eigentlich auch treffen müssen, aber er war so schnell ausgewichen, dass ich seine Bewegung nicht wahrgenommen hatte.

„Aber bei deinem Potential sollten sich solche lächerlichen Fehler rasch ausmerzen lassen“, sagte er hinter mir und ich wirbelte herum.

Wieder versuchte ich, ihn mit dem Messer zu treffen und dieses Mal wich er nicht aus. Stattdessen lag seine Hand plötzlich an meiner Kehle und drückte zu. Gleichzeitig hob er mich soweit hoch, dass meine Füße in der Luft zappelten.

Sternchen begannen vor meinen Augen zu tanzen und ich packte seinen Arm, im vergeblichen Versuch, mich zu befreien.

„Es gibt immer jemanden, der schneller ist als du. Oder stärker. Oder einfach nur länger auf der Welt“, sagte er ruhig und nahm mir das Messer aus der Hand, um es in seiner Manteltasche verschwinden zu lassen. „Das brauchst du nicht mehr.“

In meiner Brust brannte ein schmerzhaftes Feuer und mein Kopf drohte unter dem angestauten Druck zu explodieren. Ich kämpfte verzweifelt darum, nicht das Bewusstsein zu verlieren.

Er zog mich näher zu sich und sein Griff lockerte sich minimal. Einen Moment später spürte ich einen scharfen Schmerz in der Halsbeuge. Er ließ mich los, aber meine Beine knickten weg und ich fiel auf die Knie. Alles um mich herum drehte sich und ich packte seinen Oberschenkel, um nicht auf dem nassen, schmierigen Asphalt zu landen.

Zitternd klammerte ich mich an ihm fest und holte rasselnd Atem. Mein Blick fiel auf die Pfütze neben seiner Stiefelspitze und ich merkte, wie sich jedes einzelne Haar an meinem Körper aufrichtete. Ich sah mich selbst in der von schillernden Ölspuren durchzogenen Oberfläche, aber nichts anderes. Niemand anderen.

Panisch versuchte ich aufzustehen, wegzulaufen, aber meine Beine gehorchten mir nicht. Ein raues Schluchzen kam aus meiner Kehle, als Begreifen mein Bewusstsein überflutete.

Seine Hand strich begütigend durch mein Haar und ich schluchzte lauter, flennte wie ein kleines Mädchen, aber es war mir egal. So wie es mir egal war, dass feuchte Wärme an meinem Schenkel entlang sickerte.

Die Hand glitt von meinem Kopf in meinen Nacken und packte mich am Kragen der Lederjacke. Wieder wurde ich hochgehoben. Meine Füße schleiften über den Boden, als er zum Porsche ging und die Beifahrertür öffnete. Er drückte mich sanft in den tiefen Ledersitz, legte fürsorglich den Sicherheitsgurt an und strich mir das Haar aus dem Gesicht. Dann warf er die Tür zu, umrundete das Fahrzeug und setzte sich hinters Steuer.

„Brauchst dir keine Sorgen zu machen, Kleiner“, sagte er tröstend und die unverhüllte Zärtlichkeit in seiner Stimme beunruhigte mich mehr als die beiden, für einen Sekundenbruchteil in der Armaturenbeleuchtung aufblitzenden Reißzähne. "Von jetzt an nehm’ ich dich mit.“

© Fran Henz

Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 16.22 Uhr
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