Honigfalter
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September 2003
Man sieht nur mit dem Herzen gut
von Jana Förster


Der Himmel war schwarz wie geronnenes Blut, nur wenige Sterne erleuchteten die schmale Gasse, die sich zwischen den Berliner Altstadthäusern entlang schlängelte. Unter dem Fenster eines verlassenen Hauses lag er, eingehüllt in einen zerfetzten und dreckverschmierten Mantel, umringt von stinkenden Mülltonnen und alten Pappkartons, in denen sich Ratten ihr neues Zuhause eingerichtet hatten. Sein Name war Nathan.
Er stöhnte, als er sich langsam aufrichtete und obwohl sein Kopf zu explodieren schien, kämpfte er sich auf die Beine. Blinzelnd schaute er sich in der dunklen Gasse um, in der Ferne erkannte er gedämpfte Lichter, Kerzenflammen – wie das Feuer eines Leuchtturms in stürmischer Nacht. Nur verschwommen nahm er das Flackern wahr, doch es schmerzte in seinen Augen, als ob kleine, spitze Nadeln hinein stechen würden. Nathan wankte auf das Cafe zu - Menschen, Wärme. Immer wieder musste er anhalten, alles drehte sich, wie in einem Karussell. Aber er hatte Glück, denn das Nachtcafe war das einzige Licht in der Gasse, so dass es für ihn nicht schwer war, es wieder zu finden, wenn es sich aus seinem Blickfeld drehte. Er torkelte im Zickzack darauf zu, gerade laufen zu wollen, hatte er schnell aufgegeben.
Auf den schmalen Treppen des Cafes ließ er sich fallen, die scharfen Kanten der Stufen quetschten schmerzhaft seine Organe und rieben an den Rippen.

„Schau dir das an!“, flüsterte eine alte Dame im Pelzmantel ihrem Begleiter zu, während sie das schmutzige Bündel Elend mit den wirren Haaren misstrauisch beäugte. Sie rümpfte die Nase, ihr Begleiter tat es ihr gleich und entrüstet schüttelten beide die Köpfe. Die vertrocknete Stimme der Dame erhob sich: „Man sollte den Geschäftsführer holen, damit er sich um solches Gesindel kümmert.“ Nach Beachtung heischend blickte sie sich im Cafe um. Ein junges Pärchen, kaum älter als Nathan, saß nur zwei Tische entfernt, sie senkten die Köpfe und beschäftigten sich mit ihren Gläsern.

Nathan öffnete seine Augen einen Spalt breit und blickte zu den runden Tischen mit ihren cremefarbenen Tischdecken, kleine Engelskinder waren auf den Stoff gestickt, sie spielten Instrumente, jedes ein anderes. Sein Blick verschwamm und er konnte nur noch die flackernden Lichter der Kerzen auf den Tischen wahrnehmen, sie wurden größer, dann wieder kleiner, pulsierten wie ein Herz. Er liebte Formen und genoss das Spiel, aber bald wurde ihm schlecht und er musste die Augen schließen. Der Schmerz brannte wie Feuer in seinem Körper, er konnte sich nicht aufrichten, nur seine zitternden Hände glitten über den Boden. Marmorplatten. Sie fühlten sich glatt an, und kühl, wie polierte Eiswürfel. Langsam strich er die Fuge einer Fliese nach, rechteckig, etwa so groß wie ein Taschenbuch. Er liebte Formen. Ein kleines Lächeln verzog seine dunklen Gesichtszüge – eine schmerzverzerrte Fratze. Seine Handfläche glitt immer wieder über den kühlen Marmor, nur ab und zu blieb er an einer kleinen Einbuchtung hängen, vielleicht von fallen gelassenen Tellern oder Eisbechern, vielleicht der spitze Zinken einer Gabel. Er kam sich wie ein Blinder vor, der über eine löchrige Papierseite tastete und darin Buchstaben, Wörter und Sätze erahnte.
Ein Windhauch streifte über seinen zerrissenen Mantel und wehte den Geruch von heißem Kaffee in seine Nase.

Der Geschäftsmann stand unentschlossen vor der Treppe und blickte auf Nathan nieder. Seine Schuhe glänzten im Kerzenlicht, ein Aktenkoffer zog an seinem rechten Arm, der schwarze Anzug war faltenfrei und roch nach Waschmittel. Sekundenlang scannte er Nathan, wie er zitternd auf der Treppe lag, umhüllt von einem schmutzigen Mantel und ihn mit trüben Augen anflehte. Dann schüttelte er den Kopf, so dass eine gegelte Strähne seines fein nach hinten gestriegelten Haares ins Gesicht rutschte. „Penner. Von mir bekommst du sicher kein Geld, damit du dich weiter besaufen kannst.“ Er stieg über Nathan hinweg und setzte sich weit hinten an einen leeren Tisch.
Die Pelzmanteldame und ihr Begleiter beobachteten jede Bewegung des gut gekleideten Herrn und saugten mit gespitzten Ohren seine Worte auf. Mit gierigem Grinsen schnappten sie sich sein „Penner“ und eröffneten ein kleines Wortspiel – Versager, Taugenichts, Alkoholiker, Bettler...

Nathan würgte und hustete, dann lag er still - so war es besser. Ein Speichelfaden löste sich aus seinem Mundwinkel und zog sich bis auf den Boden.

Plötzlich leckte eine raue Zunge über seine Hand, sie war warm und feucht. Nathan blickte in glitzernde grüne Augen mit schmalen Pupillen. Eine kleine getigerte Katze hatte sich ihm genähert und miaute leise in sein Ohr, dann rieb sie ihren weichen Kopf an seiner Hand. Nathan genoss die zärtliche Berührung, sie nahm ihm etwas von seinen Schmerzen. Er schloss die Augen, helle runde Flecken tanzten auf seinen geschlossenen Lidern. Er liebte Formen.

Als Nathan die Augen wieder öffnete, erhob sich ein mächtiger Berg vor ihm. „He, du!“ Die Stimme drang in seinen Kopf, vibrierte, dröhnte wie ein Automotor bei zweihundert Sachen. Nathan stöhnte auf. Er wollte etwas sagen, aber seine Lungen hatten genug mit Atmen zu tun. Der Berg beugte sich hinunter, stupste mit der Faust gegen den zusammengesackten Körper. Als Nathan wieder stöhnte, packte er ihn, zog ihn nach oben wie eine Kinderpuppe und katapultierte ihn aus dem Cafe. „Verschwinde du besoffenes Arschloch, vergraulst mir noch die Kunden.“ Nathan stolperte nach vorne, landete auf Knien und Händen und schrie vor Schmerz, sein Körper schien zu explodieren, wie bunte Raketen am Sylvesterabend. Er liebte Formen und Farben. „Verpiss dich endlich.“ Nathan kämpfte sich gegen die drehende Erde hoch und als er endlich stand, schaffte er es tatsächlich noch ein paar Schritte zu gehen, weg von dem Cafe, weg von der Dame mit ihrem Pelz und ihrem Begleiter, weg von dem Berg. Er spürte dünne Rinnsale seinen Körper hinunter laufen. Weit kam er nicht, sackte wieder zusammen. Der Berg hatte ihn nicht aus den Augen gelassen, er könnte ja wiederkommen: Bei der Suche nach einem warmen Plätzchen für die Nacht kennen die nichts.

Eine Frau tauchte aus dem Dunklen auf, stutzte, wandte sich dann dem Mann zu, der vor ihr auf dem Boden lag. Sie hatte Angst ihn zu berühren. „Was ist mit Ihnen? Kann ich etwas für Sie tun?“ Ihre Stimme war sanft, bebte jedoch ein wenig. Nathan konnte nicht sprechen, seine Lungen füllten sich kaum noch mit Luft, nur ein gequältes Stöhnen drang aus seinem leicht geöffneten Mund. Mit letzter Kraft ließ er sich auf den Rücken fallen, der Mantel rutschte von seiner Brust. Die Frau schrie, ging auf die Knie und beugte sich über ihn. „Oh mein Gott. Sie brauchen Hilfe.“ Vorsichtig legte sie ihre schmale Hand auf seine Brust, lauschte seinem Atem. Dann blickte sie mit schreckgeweiteten Augen zum Cafe und rief: „Hilfe. Holen Sie doch einen Krankenwagen.“ Als sie zögerliche Bewegungen der Gäste wahrnahm, blickte sie wieder auf Nathan und das Messer in seiner Brust.

Der Polizist steckte den Notizblock in seine Jackentasche. „Gut das war´s. Falls Ihnen doch noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte auf der Wache.“ Er blickte das junge Paar und die alte Dame aufmerksam an, der Schock stand allen ins Gesicht geschrieben. Keiner hatte etwas von dem Überfall mitbekommen, nur einige Meter vom Cafe entfernt – der Polizist schüttelte ungläubig den Kopf.
„Wird er es denn überleben?“, leise wandte sich der Geschäftsmann an den Polizisten, der nur mit den Schultern zucken konnte. „Die Ärzte tun ihr Bestes. Aber er hat sehr viel Blut verloren. Wenn ihn früher jemand gefunden hätte...“ Der Mann blickte auf seine geputzten Schuhspitzen, während die feine Dame entrüstet den Kopf schüttelte, sodass ihr eine graue Strähne ins Gesicht rutschte. „Menschen gibt es; rauben wehrlose Leute mitten auf der Straße aus!“ Ihr Kopf flog von einer Seite zur anderen, während ihr Begleiter sie im Takt unterstützte.

Letzte Aktualisierung: 27.06.2006 - 16.05 Uhr
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