Honigfalter
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Oktober 2003
Siebentausend
von Josef Th. Thanner


Wie käme ich denn dazu, dir meinen Kontostand zu offenbaren? Nur weil er dich interessiert, und wir unter uns sind, werde ich doch nicht ... Aha, du versprichst mir, mit niemandem darüber zu reden. Aber ich bin nicht blöd! Wetten, du erzählst es doch dem Nächstbesten, der dir über den Weg läuft!
Oh! Ich höre, du bittest mich so nett. Was soll ich also noch lange reden, hast mich weich gekriegt. Gute Freunde, die einem zuhören, trifft man selten. Also gut, es sind genau -7.652,49 Euro, und: Nein, das ist kein Grund, Hansi Böcklin um die Ecke zu bringen. Ich weiß doch, dass dem Kerl Zehntausend gestohlen wurden, und es stimmt auch, dass ich die gut hätte gebrauchen können – aber ihn deshalb umbringen?
Hältst du mich etwa für einen skrupellosen Menschen? Das wäre aber nicht nett von dir! Hör mal, Böcklin war ein Drogendealer, der hat viele junge Menschen ins Unglück gestürzt, aber das wusste ich nicht. Zumindest anfangs. Ich hab’ mit solchen Dingen nichts zu tun. Wer wann wo was macht, interessiert mich nicht, solange die Leute keine Wohnung von mir mieten wollen.
Ich habe Hansi Böcklin die Wohnung in der Taubengasse 7 vermietet, aber das ist kein Beweis dafür, dass ich ihn auch umgebracht habe. Nein! Hör’ mir doch zu: Ich war es nicht!
Wo hätte ich denn das Geld verstecken sollen? Ach, dafür gäbe es viele Verstecke? Die Polizei war hier und hat alles durchsucht, meine Wohnung, das Haus, alles hat die durchsucht, da kann man beruhigt sein, denen entgeht nichts. Und sie hat auch gar nichts gefunden. Außer den 10 Euro 81, die ich im Portmonee hatte, und das waren meine! Inzwischen habe ich die natürlich auch ausgegeben, für ein Päckchen Hagebuttentee, Zucker, H-Milch, Brötchen, so’n Zeug eben.
Nein, die Bank gibt mir keinen Kredit mehr. Was ich jetzt machen soll? Na! Du kannst aber auch bohrende Fragen stellen. Es wird sich schon ein Weg finden. Nun ja, ich hatte da so eine Idee.
Das mit dem Böcklin war nämlich folgendermaßen:
Mittwochnacht war der Mistkerl von einer seiner Touren zurückgekommen. Im Löwen-Pub, in der Aufzieh-Bar und im Black Orange war er, hatte kleine Tablettchen und anderes Zeug an junge Leute verkauft. Was ich damit sagen will - ich hab’ ja von solchen Sachen keine Ahnung - aber er kam wieder mal mit dickem Geldbeutel heim. Ich wusste seit ein paar Wochen über seine Nebeneinkünfte Bescheid. Meine Nichte hatte mich darauf gestoßen, sie fragte mich, ob ich nicht die Ringe unter seinen Augen sähe, ich sagte ja, und sie fragte mich, warum ich ihm die Wohnung vermietete. Meine Güte, Mieter für Altbauwohnungen findet man heute nicht mehr so leicht. Was hätte ich tun sollen, sie nochmals fünf Monate leer stehen lassen? Nein, ich brauchte das Geld, also hab’ ich sie ihm gegeben, obwohl er mir nicht sonderlich sympathisch war, aber dass er mit Drogen und so’n Zeug zu tun hatte, wusste ich damals noch nicht.
Andrea - so heißt meine Nichte - hat mich aufgeklärt. Sie kannte ihn von der Realschule her, und auch später, als sie die Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin machte, hatte sie noch hin und wieder Kontakt mit ihm in der Clique, die Donnerstags und an Wochenenden in den Kneipen herumhing, solche mit Billardtischen und Dartautomaten. Andrea versicherte mir, niemals etwas von Böcklins Zeug genommen zu haben, und ich glaube ihr; sie würde mich nicht anlügen. Der Böcklin ist nicht aufdringlich, hat Andrea mir versichert, der verkauft nur an Leute, die ihn fragen.
Also, ich wusste Bescheid. Wenn der Kerl illegal verkauft, dachte ich, kommt er auch mit dem dicken Geldbeutel heim. Und so war es auch. Mittwoch-, Freitag, und Samstagnacht - das waren seine Zeiten.
Ich wollte es mal genauer wissen und blieb auf, bis er heim kam. Es war kurz vor drei Uhr, und am nächsten Tag schlief er bis in die Puppen. Er hatte die Wohnung im ersten Stock, und am besten beschreibe ich jetzt mal, wie er dorthin kommt. Das ist in meinem alten Haus nämlich nicht so einfach.
Die Haustür ist eine schwere alte Quercus-robur-Eichentür mit einem schwarzlackierten metallenen Ziergitter, das schon den Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert mitgemacht hatte. Die Farbe an der Außenseite blättert an vielen Stellen ab, und ich habe keine Geld, den Anstrich erneuern zu lassen. Dann geht es durch den Flur: Ein langer, breiter Gang mit rostroten Fliesen ausgelegt, in 1 Meter 60 Höhe eine gleichfarbige Borte an der Wand. Die Funzel an der Decke gibt kaum Licht, ich hab nur eine 25-Watt-Birne eingeschraubt, die muss reichen. Aber Böcklin kommt eh ohne Licht ins Haus, der will nicht, dass die Leute bemerken, wenn er kommt und geht.
Er geht den Gang acht Meter weit, links und rechts an zwei Wohnungstüren vorbei - beide übrigens auch viel zu billig vermietet –, dann folgt rechter Hand die knarrende Holztreppe mit dem abgegriffenen Eschegeländer nach oben. Oben angelangt stößt er die Tür auf, eine Tür, die die Wärme oben hält und die Kälte unten. Wenn man diese Tür fest aufschwingt und sie an die Rückwand knallt, klirrt das Glas jämmerlich, aber zerbrochen ist noch nie eine Scheibe - zum Glück, denn die müsste ja doch wieder ich bezahlen. Womit, frage ich Sie, womit!
Böcklin geht weiter, macht ein paar Schritte auf dem knarzenden Boden, den ich vor Jahren mit einem dünnen Linoleumbelag abgedeckt habe. Auch dort macht er kein Licht. Dann steht er vor seiner Wohnungstür, zückt den Schlüssel, tastet nach dem Loch, es klackt metallen, und er ist verschwunden, hinter ihm die Tür ins Schloss gefallen.
Lange habe ich überlegt, welcher Ort der geeignetste für den Überfall wäre. Der Flur führt nämlich zur Treppe, die noch einen Stock höher führt, und da habe ich auf den Stufen gesessen und gelauscht, wie er von unten herauf stapft und in seine Wohnung verschwindet. Viermal habe ich ihn belauscht, den Blick auf dem Leuchtzifferblatt meiner Armbanduhr, er hat mich nicht bemerkt. Ein dicker Geldbeutel, aber nur Erbsen im Kopf. Wenn ich einer dieser gewalttätigen Rabauken gewesen wäre, hätte er schon längst eins über die Rübe gekriegt, aber ich wollte es mit Raffinesse durchziehen.
Das habe ich jetzt davon!
Die Nacht, in der alles passierte: Ich war wie üblich wach geblieben, eine Gallone Kaffee intus, mit zitternden Händen, egal. Am Rabaukentum führte kein Weg vorbei: Ich hatte mir einen Knüppel aus Buchenholz besorgt, am Ende ein Loch durchgebohrt und ein Lederband durchgezogen, eine Schlaufe geknotet, sodass es mir genau übers Handgelenk passte. Was mich das Überwindung gekostet hat! Unsäglich! Ich war geknickt, dass mir nichts Raffinierteres eingefallen war, aber alle anderen Ideen erwiesen sich als undurchführbar.
Ich erwartete ihn in der sicheren Dunkelheit des Flurs im ersten Stock. Wenn er die Tür aufstieß, würde er eine mit dem Knüppel fangen, ich würde ihm das Geld abnehmen, und nach oben in mein Zimmer verschwinden. Zuvor würde ich unten die Tür aufreißen und offen stehen lassen, sodass der Eindruck entstände, der Täter wäre dort hinaus geflüchtet.
Ich wartete. Ein paar Cognacs hatte ich auch noch intus. Ich musste vor mir selbst die Blamage überdecken, zur blanken Gewalt Zuflucht genommen zu haben. Außerdem musste ich mir Mut antrinken.
Meine Uhr hatte ich wohlweislich auf dem Nachttisch gelassen, ihr Leuchtzifferblatt hätte mich verraten können; ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. Dann war es soweit. Ich hörte, wie unten die Tür geöffnet wurde, jemand kam herein, sie fiel leise ins Schloss. Ich verharrte, hielt den Atem an, und doch pochte mein Blut in meinen Ohren einen lauten Rhythmus.
Kein Licht wurde angemacht. Schritte im Gang, über den Fliesenboden. Dann das Knarren der Treppe. Ein sanftes, leises Knarren, als wenn eine Katze heraufschliche. Ich fasste den Knüppel fester. Wenn er oben war, musste ich es tun, es gab gar keine andere Lösung mehr, denn wenn er mich hier bemerkte, mit dem Stock in der Hand, zählte er eins und eins zusammen, dann könnte es sein, dass er auf mich losging. Ich hatte keine andere Wahl, ich musste die Sache jetzt hinter mich bringen.
Ich spielte einen bangen Moment lang mit dem Gedanken, einfach nach oben zu gehen, egal, wie viel Geräusche ich dabei produzierte: einfach hinaufgehen, ins Bett legen und schlafen. Böcklin würde nie erfahren, wie nahe ich ihm gewesen war. Aber dann dachte ich wieder an die Siebentausend auf meinem Konto. Und an seinen dicken Geldbeutel.
O nein, jetzt war ich schon so weit gegangen, jetzt würde ich auch den Rest erledigen! Das Knarren der Treppe hatte aufgehört. Er stand am oberen Treppenabsatz, jeden Moment musste die Tür aufschwingen. Ich zitterte vor Erregung, den Knüppel hatte ich mit beiden Händen gefasst, hielt ihn zum Schlag erhoben, atmete langsam, gepresst und lautlos.
Aber nichts geschah.
Alle Geräusche waren verstummt. Nichts mehr war zu hören.
Ich glaubte schon, geträumt zu haben. War da jemand hereingekommen oder nicht? Völlig verunsichert verharrte ich reglos. Hatte er mich bemerkt? War ich nicht völlig reglos gestanden, sodass der Boden unter meinen Füßen geknarrte – was er bemerkt hatte? Verdammtes Rauschen in meinen Ohren, die Stille war so laut, dass ich fast nichts mehr hörte.
Dann erscholl das metallische Klacken. Es kam von unten. Von der Haustür her. Jemand kam herein. Mein Herz raste wie verrückt! Niemand außer Böcklin kam in der Dunkelheit die Treppe herauf, wer immer das auch war, er würde jeden Moment das Licht anmachen, und mich verraten! Die Tür fiel ins Schloss. Der Flur blieb dunkel. Schritte schlurften bis zum Treppenabsatz. Immer noch kein Licht.
Ich presste die Zahnreihen aufeinander, in dem Gefühl, jeden Moment einen schrecklichen Moment der Entlarvung zu erleben. Jetzt kamen die Schritte die Treppe hoch, und meine Anspannung stieg noch mehr. Dann folgte der dumpfe Schlag, ein heiserer Aufruf, das laute Poltern eines Leibes, der die Holztreppe hinunter purzelte.
Meine Knie wurden weich, ich sank ohnmächtig mit dem Rücken gegen die Wand. Hastende Schritte auf der Treppe, sie eilten nach unten. Von dort drang ein Röcheln herauf. Geraschel. Ein unterdrückter Fluch. Schritte auf dem Fliesenboden, die Tür öffnete sich und jemand verschwand.
Als ich nach vielen, vielen Minuten mit zitternden Knien hinabstapfte, fand ich unten Böcklin am Boden liegend, die Haustür sperrangelweit offen, genauso, wie ich es selbst inszenieren wollte.
Donnerwetter! Jemand war mir zuvor gekommen!
Ich machte Licht. Er war tot. Ich untersuchte seine Taschen, die dicke Geldkatze hatte lange Beine bekommen und sich aus dem Staub gemacht. Tränen rannen meine Wangen hinunter, als ich in mein Zimmer hinauf schlurfte. Droben rief ich die Polizei.
Sie fanden den Knüppel in meiner Wohnung, stellten unangenehme Fragen, nahmen ihn mit zur Untersuchung. Aber an meinem Knüppel waren keine Spuren von Böcklin zu finden, keine Fasern, keine Hautfetzen, kein Blut, nichts. Außerdem war ich nach wie vor so arm wie eine Kirchemaus. Sie untersuchten mein Zimmer, fanden das Geld nicht, durchsuchten das ganze Haus, fanden das Geld nicht.
Später kam ich darauf, dass sie mich beschatteten. Ich ging wie gewohnt Einkaufen, zum Fleischer, in die Bäckerei, zum Supermarkt, da sah ich die zwei Burschen mir folgen. Sie machten sich lächerlich, weil sie immer dann, wenn ich sie musterte, so taten, als würden sie die Schaufenster studieren oder sich über die Auslagen unterhalten. Mit der Zeit wurde für mich ein richtiges Spiel daraus.
Ja, und gestern Vormittag erhielt ich die Überweisung, siebentausend auf mein Konto, und im Briefkasten lag eine Postkarte aus Südfrankreich, einen Urlaubsgruß von Andrea, die mir schrieb, dass sie gerade eine Reise quer durch Europa macht, die sie knapp dreitausend kostet.


© J. Th. Thanner

Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 09.12 Uhr
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