Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
Die weiße Jacht dümpelte vor sich hin. An diesem warmen Sommertag war das Wasser in der Bucht ruhig, bis auf die kleinen Kreise, die sich um die Pose der Angelschnur bildeten. Mark saß alleine am Heck, die Kappe halb über die Augen gezogen und wartete, dass ein Fisch anbiß. Seine Frau und seine beiden Söhne waren an Land auf Entdeckungstour gegangen, sodass er sich bis zum Abendbrot entspannen konnte.
Plötzlich und unerwartet ruckte es mehrmals an der Rute.
Überrascht, da Mark eigentlich sehr selten etwas fing, griff er zur Angel und kurbelte vorsichtig die Rolle auf. Ganz langsam und vorsichtig verkürzte er die Schnur. Als sich das Ende mit dem Haken über die Wasserfläche hob, hätte er laut schreien können, so außergewöhnlich war sein Fang. Goldfarben, wie ein Sonnenstrahl, leuchtete der Kopf des Fisches. Es war eine Goldbrasse.
Vorsichtig nahm er den Fisch vom Haken und warf ihn in einen Eimer mit Meerwasser, um ihn genau betrachten zu können. Mark holte sich eine Dose Bier und hockte sich davor.
Plötzlich streckte der Fisch den Kopf aus dem Wasser und begann zu reden. Mark kippte vor Schreck nach hinten und näherte sich erst nach Minuten wieder vorsichtig dem Eimer.
„Hallo, Sportsfreund, erschreck dich nicht, aber bevor ich auf eurem Tischgrill lande, hätte ich mir gern etwas von der Seele geredet!“ Mark schluckte und wackelte mit dem Kopf, das aussah wie, nein , das ist unmöglich, und ja, rede ruhig weiter, sonst glaube ich es nicht.
„ Mein Name ist Emil Goldflosse und ich hatte ein gar schreckliches Erlebnis, dass mich am Ende meine liebe Frau Lieselotte kostete. Wir gehören zu einer besonderen Art der Sparus Aurata und leben im regen Brandungswasser an der Felsenküste von Lands End, der südlichsten Spitze von England. Mit Hobbyanglern haben wir bisher nie große Probleme gehabt, da es genug Fische einfacher Herkunft gibt, die sich leicht ködern lassen. Allerdings ist diese Felsenlandschaft ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen und die Einheimischen versuchen auf zu passen, dass die Natur nicht zerstört wird. So gibt es nahe am Wasser nur ein bis zwei kleine Hütten der Dorfbewohner. In diesem Frühsommer hatte ein Ehepaar das kleine Haus an den Klippen gemietet. Der Mann kam täglich ans Wasser zum angeln. Ich hoffte, Mr.Malcom, der Besitzer, hatte sich diese Leute genau angesehen. Scheinbar war ihr erster Eindruck gut ausgefallen, denn er ließ sich nicht mehr blicken. Die Frau blieb dem Wasser fern, na ja, bis auf ein Mal, aber dazu komme ich später. Jedenfalls kam der Mann jeden Morgen und blieb bis zum Mittag. Da saß er auf einem Kissen in der Felsnische unterhalb der Klippen, starrte aufs Wasser, während seine zwei Ruten ihre Angelschnüre in die Brandung hielten. Zu dieser Tageszeit kamen meine Frau Lieselotte und ich mit Freunden hinter unseren Felsbrocken hervor und suchten im flachen Brandungswasser nach Muscheln und anderen Weichtieren. Das Sonnenlicht wärmte unsere Schuppen und blendete unsere Beute. Als wir gesättigt waren, schwammen wir tiefer in Richtung Meer und durchkämmten die Seegraswiesen. Am Nachmittag kehrten wir dann zurück in die Schatten unserer Felsen.
Auf dem Rückweg sah ich den Mann bereits am Haus stehen, wie er mit seiner Frau ins Auto stieg. Er wirkte mißmutig, denn er gestikulierte aufgeregt mit den Händen und fuhr wütend los. Wahrscheinlich wäre er lieber wieder angeln gegangen, als mit ihr durch die Gegend zu fahren. Ja, ja, diese Frauen. Meine Lieselotte wäre auch lieber länger im Seegras geblieben, um mit den anderen Fischweibchen zu tratschen.
Manchmal sprach der Mann in meine Richtung und ich glaubte fast, er sah mich ihn beobachten. Dann erzählte er von seiner verwöhnten Frau und ihren seltsamen Wünschen und wie sie ihm auf die Nerven ging. Ich hörte ihm aufmerksam zu, denn ich hatte auch so eine nervige Frau und verstand ihn. Er erzählte, seine Frau verabscheue das Angeln, trotzdem fordere sie ihn immer wieder auf, ihr diesen oder jenen außergewöhnlichen Fisch zu bringen. Sie schrieb Kochbücher und erfand immer neue Fischrezepte, aß aber selbst keinen. Demnächst sollte sie sogar eine eigene Show im Fernsehen bekommen und er meinte, jetzt wäre sie vollkommen verrückt geworden. Er schüttelte den Kopf, denn er war Sportangler und kein Auftragsfischer. Ich sah auch, dass er die meisten meiner Artgenossen wieder ins Meer entließ, wenn sie sich an einer seiner Ruten verirrten. Seine Haken waren mit einem besonderen Knoten gefestigt, dem Blutknoten. Dieser war zwar besonders fest, aber durch seine gewundene Art, die den ruckartigen Zug dämpften, sehr angenehm und verletzungsarm für uns. Leider konnte ich ihm nicht antworten, aber ich hörte ihm gerne zu und gab im meine Zustimmung, indem ich den Kopf aus dem Wasser hielt und meinen Goldfleck in der Sonne blitzen ließ. Manchmal machte ich auch einen großen Satz und nutzte eine Welle, um wieder sanft ein zu tauchen. Er mußte es wohl gesehen haben, denn er redete mit mir jeden Tag von seinem Felsenplatz aus.
Seine Frau hieß auch Lieselotte und wenn sie ihn nicht mit exotischen Fischen quälte, wollte sie einkaufen gehen. Sie schleppte ihn in jeden Laden, der Gewürze, Gemüse oder Küchengerät führte. Der Mann schwieg eine ganze Weile und ich mußte leider stumm bleiben. Meine Lieselotte war auch so eigen und verabscheute mein Hobby.
Ich ging gerne auf Entdeckungstour in die Felsenhöhlen unter den Klippen. Die alten Fische erzählten nämlich von einem Kristall, den Moränen in einer tiefen Höhle hüteten, der, wenn ein Fisch ihn verschluckte, ihn in die Lage versetze mit den Menschen zu sprechen. Meine Frau hielt mich dann für einen Spinner, weil ich danach suchte. Ihr Interesse galt mehr der Pflege unserer Behausung und dem Tratsch. Wie gut konnte ich den Mann verstehen.
Am nächsten Tag war er wie immer an seinem Platz, doch irgend etwas schien sich verändert zu haben. Wutschnaubend warf er die Angeln aus, nachdem sich die Schnüre auch noch mehrfach verheddert hatten. Es waren noch Knoten darin und er starrte mißmutig in die Brandung. Die Sonne kam pfeilartig hinter den Wolken hervor und traf meinen Fleck. Das Leuchten holte ihn aus seiner Erstarrung und er schleuderte seinen Unmut in die Wellen.
„Verdammt noch eins, ich halte es nicht mehr aus! Da erzähle ich ihr vom Angeln und seltenen Fischen und sie denkt nur an ihre Rezepte. Jetzt will sie auch noch partout eine Goldbrasse haben, weil die so edel aussehe. Ich versuchte ihr zu erklären, dass man Fische nicht aus Spaß fängt und tötet. Außerdem verblaßt der Goldfleck, sobald die Goldbrasse stirbt. Aber nein, für ihren Fernsehauftritt muß es eine Goldbrasse sein. Nun ruft sie mich jede halbe Stunde auf Handy an und fragt nach! Sie glaubt mir nicht, behauptet ich würde ihr den Erfolg nicht gönnen, Fischkopf hat sie mich genannt! Ich würde doch nur rumhocken, ins Meer starren und mit den Fischen reden! Wenn ich bis übermorgen keine Goldbrasse fange, will sie selbst kommen und zu sehen, als ob ich nicht richtig angeln könnte!“
Blitzartig kam mir eine Idee. Ich mußte noch heute diesen Kristall finden, um mit dem Mann zu reden. Ich sprang über eine Welle und tauchte sofort zu den Felsenhöhlen hinunter.
Hier war es sehr dunkel, aber mein Goldfleck hatte noch die Energie der Sonne und meine Augen stellten sich im Nu auf die Tiefe ein. Es war unheimlich hier. Meine Lieselotte aber hatte sich nur gefreut, endlich allein mit den anderen tratschen zu können. Wenn ich den Kristall fände, würde ich ihr ein luxuriöses Menschenleben vorschwärmen und sie wäre leicht zu überzeugen, den Stein zu schlucken. Ich durchstreifte Höhle für Höhle, zuckte zusammen, als ich an den Schlafplätzen einiger Moränen vorbeikam, die zum Glück ihren Verdauungsschlaf hielten, und kam schließlich in eine große Höhle. Viele Gänge führten daraus in weitere Kammern und von den Wänden leuchtete es rötlich. In der Mitte lag ein mit Muscheln bewachsener Stein, der aussah wie der Dreizack des Meeresgottes Neptun. Die Muscheln klapperten drohend, als ich näher kam. Vorsichtig blieb ich auf Distanz und fragte höflich nach dem Kristall. „Wozu brauchst du ihn?“
„Ich habe Freundschaft mit einem Angler geschlossen und er erzählt mir viel über den Sport. Nun möchte ich ihm antworten, damit er weiterhin so pfleglich mit uns Fischen umgeht und noch mehr Menschen überzeugt.“
„Nun, gut, du weißt bestimmt auch, wie gefährlich es sein kann, den Kristall zu schlucken?“
„Egal, was es ist, ich glaube an mein Tun und bevor noch mehr Fische sinnlos sterben müssen, wage ich es.“
„Sobald du den Kristall verschluckt hast, wirst du leuchten wie ein Stern und die Menschen werden dich jagen. Es kann sein, dass sie dich nicht hören wollen und du einsam in dunklen Höhlen leben mußt, weil deine Artgenossen dich meiden. Schließlich verendest du im hintersten Winkel einer solchen Höhle. So erging es bisher allen, die es versucht haben!“
„Ich werde Erfolg haben! Sagt mir nun, wo der Kristall ist.“
„Folge der dritten kleinen Höhle von rechts und halte dich links. Am Ende wirst du ihn finden, viel Glück!“
Ich folgte ihren Weisungen und fand ihn ohne Probleme. Aber es sah schon gruselig aus.
Er lag inmitten eines Fischskelettes und während ich ihn heraus schubste, brach es scheppernd zusammen. Aber ich dachte an meinen Plan und wie ich den Kristall wieder los würde. Also bugsierte ich diesen Glitzerstein in meine Kiementasche und machte mich auf den Rückweg.
Meiner Lieselotte würde es gefallen, zu strahlen wie ein Stern. Sie würde meinen Plan dem Mann mitteilen, bevor sie als Fernsehstar eines Fischrezeptes enden würde. So genau sagte ich es ihr natürlich nicht. Leichtgläubig und eitel würde sie nur den Ruhm sehen, mit dem sie angeben könnte, also gab ich nur die halbe Wahrheit preis. Niemand, so versicherte ich ihr, würde den Tausch der Frauen bemerken. Beide hießen Lieselotte und waren sich sehr ähnlich. So schluckte sie den Kristall und wir schwammen zum Felsenplatz des Mannes.
Auch heute saß er mit brummigem Gesicht dort, an seinem Platz. Dauernd blickte er zu den Klippen hoch. Also blieb nicht mehr viel Zeit. Ich gab meiner Frau genaue Instruktionen,
„Sage ihm, sein Freund läßt ihn grüßen und du möchtest Fernsehstar werden. Ich gäbe ihm damit die Gelegenheit die Frauen zu tauschen und seine Lieselotte könnte die Fische verstehen lernen. Schließlich tun wir doch alles, um unsere Ehefrauen glücklich zu machen.“
Begeistert gab mir meine Frau einen Abschiedskuß und sprang in die Höhe. Ihr Leuchten erregte sofort seine Aufmerksamkeit und als sie anfing zu sprechen, guckte er genauso verdattert wie sie, mein Freund. Aber er begriff schnell. In den letzten Tagen hatte er sich auch seine Gedanken gemacht und er winkte mir zu. „ Das ist ja eine besondere Goldbrasse, meine Frau wird begeistert sein und mich endlich verstehen können. Ein Frauentausch klingt perfekt, mein Freund. Ich werde meinen Teil gerne erfüllen.“ Zwei geplagte Ehemänner verstanden sich auf Anhieb. Lieselotte winkte mir ein letzes Mal mit ihrer Schwanzflosse zu und ging an den Haken. Als er sie hochzog, staunte er wieder über ihren goldenen Glanz und hätte sie beinahe noch fallen lassen. Doch dann nahm er sie vom Haken, griff nach seinem Fischmesser und legte die goldene Lieselotte sorgsam auf den Felsen. Ihr Glanz blieb über den Tod hinaus bestehen. Sie hatte keine Zeit mehr sich darüber zu freuen. Er griff zu seinem Handy und übermittelte seiner Frau den großartigen Fang: „Aber sicher, mein Schatz, du kannst sie dir sofort an sehen. Ich sitze etwa fünf Meter unterhalb der Klippe auf einer Felsenbank. Ein kleiner Pfad führt hier herunter. Sei bitte vorsichtig, es ist glitschig und es gibt einige lockere Steine!“ Kaum eine halbe Stunde später sahen wir sie kommen. In Sandalen, eine leichte Stickjacke über die Küchenschürze geworfen, hastete sie den Pfad herunter und winkte ihm.
Sein Name war übrigens auch Emil, Emil Kasulke, aus Norddeutschland. Während des Wartens hatte er sich mir vorgestellt. Es war schon erstaunlich, wie sehr wir uns ähnelten!
Also, Emil hielt seiner Lieselotte stolz meine goldene Lieselotte entgegen. Aufgeregt stolperte sie den steinigen Pfad entlang und dann passierte es!
Sie trat mit einem Fuß in die vorbereitete Schlinge aus Angelschnur und rutschte mit dem anderen auf einem algenbewachsenen Stein aus, der genau platziert war. Ohne einen Laut stürzte sie die Klippen herab auf mich zu. Das aus Bleikügelchen geknüpfte Gewicht zog die Schlinge zu und ließ sie nicht mehr auftauchen. Die Wellen und meine Zähne zogen sie ins Seegras hinunter und verhedderten sie darin. Schon bald stiegen keine Luftblasen mehr aus ihrem Mund. Ich betrachtete sie genauer. Ihre weit aufgerissenen Augen hatten denselben goldenen Glanz wie bei meiner Frau. Doch würde diese Lieselotte mir nicht die Kiemen voll jammern, ihr Atem war unter Wasser verflogen. Mühsam befreite ich die Bleikugeln wieder aus dem Seegras und zog die Leiche hinter unseren Felsen. Morgen, wenn sich die Aufregung über ihren Unfall gelegt haben würde, würde ich sie dann in die rotglühende Höhle zu den Moränen bringen und sie wäre für immer im Reich der Fische.
Am nächsten Tag kam Emil Kasulke zu seinem Angelplatz, diesmal ohne seine Ausrüstung und warf ein paar Blumen ins Meer. Dann erzählte er mir, wie die Rettungsboote versucht hatten, den Körper seiner Frau zu finden und aufgaben als es dunkel wurde. Die Polizei bestätigte einen bedauerlichen Unfall und sprach ihm ihr Beileid aus. Sie mußten ihm auch sagen, dass es wohl sehr unwahrscheinlich sei, dass ihre Leiche jemals auftauchen würde, bei der Strömung und den Felsen. Als Abschiedsgruß und in Erinnerung an sie, hatte Emil dem Fernsehen ihr letztes Fischrezept samt meiner Lieselotte zu kommen lassen. Nun hatten wir unsere Ruhe und konnten neue Wege gehen. Er winkte noch einmal in meine Richtung.
Dann stand er auf , drehte sich um und verschwand.“
Mark hatte inzwischen die letzte Dose Bier geleert und starrte auf den Fisch in seinem Fangeimer. Ihm war als hätte er einen Traum gehabt, vor lauter Freude über seinen Fang.
Ein lautes HALLO weckte ihn schließlich. Seine Frau und seine Söhne kamen mit gefüllten Tragetaschen von ihrem Ausflug zurück. Als sie ihn vor dem Eimer hocken sahen, ließen sie die Taschen schnell stehen und staunten : „ Wow, da war dein Angelglück dir aber heute hold. Was ist denn das für ein außergewöhnliches Exemplar, Schatz?“
„Eine Goldbrasse!“
„Super, dann kann ich ja mal das Rezept ausprobieren, dass ich letzte Woche in der neuen Kochshow gesehen habe! Es geht ganz einfach und ein Tischgrill ist auch da! ---
Aber Schatz, was hast du denn?“
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Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 09.17 Uhr Dieser Text enthält 14893 Zeichen.