Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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Oktober 2003
Das Glück der Pferde…
von Elke Schwab


Der Reitplatz lag am Waldrand. Der Wind rauschte leise in den Baumkronen, Schatten zogen sich über den roten Sand und spendeten angenehme Abkühlung bei den heißen Temperaturen. Die Stille wurde nur durch das Lachen der beiden Reiterinnen Janina und Sandra durchbrochen, die damit beschäftigt waren, aus einigen bunten Stangen und Ständern Hindernisse zu bauen, über die sie anschließend mit ihren Pferden springen wollten. Janina legte die letzte Stange auf und ein regenbogenfarbener Oxer, ein Hindernis in Form eines Quadrats, stand vor ihr.
„Wenn unsere Pferde darüber springen, kann sie nichts mehr erschüttern“, lachte sie. Die Farben leuchteten grell, was Pferde oft abschreckte.
Sandra hatte gerade eine Tripelbarre, ein Hindernis in Treppenform, in den Farben Schwarz-Rot-Gold aufgebaut. Mit einer Andeutung auf ihr Werk fügte sie vergnügt an: „Für dieses Hindernis brauchen unsere Pferde auch gute Nerven.“
Sie bauten noch weitere Hindernisse auf, bis sie mit ihrer Hindernisfolge zufrieden waren. Sie trainierten für das Springturnier am kommenden Wochenende. Deshalb bemühten sie sich, immer wieder etwas Neues auf dem Reitplatz aufzubauen, damit sie auf dem Turnier jede Situation meistern konnten.
Gerade wollten sie den Platz verlassen, als Gert Fendel mit seinem großen Rappen so dicht an Janina vorbeiritt, dass sie zur Seite springen musste, um nicht unter die Hufe zu geraten.
„Idiot, der Platz misst vierzig mal siebzig Meter! Da ist sogar für dich Platz genug“, schimpfte Janina.
Gert Fendel reagierte nicht auf ihre Worte; hochnäsig ritt er weiter. Janina wollte noch etwas anfügen, als Sandra sie wegzog: „Lass ihn! Gert ist ein schlechter Reiter und darüber ärgert er sich!“
Dem konnte Janina nicht widersprechen.
Als Gert Fendel sah, was die Reiterinnen aufgebaut hatten, schrie er: „Wie könnt ihr es wagen, meine Hindernisse einfach wegzuräumen und etwas völlig anderes aufzubauen?“
Die jungen Frauen schauten ihn verächtlich an. Sein Gesicht war hochrot, seine Augen funkelten böse und mit beiden Armen gestikulierte er, als er anfügte: „Jetzt stellt ihr alles gefälligst wieder so hin, wie es gestanden hat!“
Sein Pferd tänzelte nervös, die Augen weit aufgerissen, die Nüstern gebläht.
„Warum denn?“ fragte Janina. „Dein Pferd springt sowieso nicht!“
„Du musst nicht unverschämt werden, nur weil du das Glück hast, dass dein Pferd immer springt, egal wie beschissen du reitest!“ Sein Gesicht verzog sich zu einer gehässigen Grimasse.
„Das siehst du falsch: Nicht ich habe Glück sondern mein Pferd, weil es an eine vernünftige Reiterin geraten ist!“
Ohne auf seine Reaktion zu warten, gingen sie zu ihren Pferden, die schon fertig gesattelt waren, stiegen auf und ritten gemeinsam zum Reitplatz zurück.
„Das hat ein Nachspiel!“ rief er ihnen wütend zu.
Wieder war es Janina, die sich mit ihm abgab: „Du machst uns richtig Angst!“
„Sei vorsichtig!“ drohte Gert Fendel nun so unheilvoll, dass Janina erschrak. „Es kann schnell etwas passieren!“
Aggressiv stieß er seinem Rappen die scharfen Sporen in die Flanken und trieb ihn zu einem schnellen Galopp an. In diesem Tempo ritt er auf die Reiterinnen zu. Hastig wichen sie ihm aus.
Er steuerte den grellbunten Oxer an, aber das Pferd blieb davor stehen. Wütend schlug er das Tier mit der Peitsche; gleichzeitig stieß er unsanft die Sporen in die Seiten, bis Blut spritzte. Mehrere Male ritt er den Oxer an, aber das Pferd sprang nicht. Unbeherrscht begann Gert Fendel auf das Pferd einzuschlagen, dass es sich vor Angst um die eigene Achse drehte, mit den Vorder- und Hinterhufen abwechselnd in die Luft schlug bis es zitternd vor Angst über das Hindernis sprang. Dabei riss es sämtliche Stangen zu Boden. An der schwarz-rot-goldenen Triplebarre geschah das gleiche. Noch einige Male trieb Gert Fendel das verängstigte Pferd an, bis es sich geschlagen gab und angstvoll den Rest des Parcours sprang. Zum Abschluss seines Trainings tat er etwas, was die Reiterinnen, die diesem grausamen Schauspiel zugesehen hatten, noch nicht erlebt hatten. Er ritt zu den Hindernissen, die er fehlerfrei gesprungen war, und stieß mit dem Fuß alle Stangen herunter. Anschließend jagte er wie ein Verrückter mit seinem schweißnassen Pferd über das Gelände der Reitanlage zum Wald, wo er noch seine obligatorische Runde drehte. Dieser Weg führte hinunter ins Tal. Dort standen viele Jagdhindernisse, über die Gert Fendel jedes Mal zu springen versuchte. Über einen steilen Hügel führte der Weg zurück zum Stall. Jeder Reiter, der Fendel in den Wald reiten sah, wartete mit seinem Ausritt solange, bis er wieder zurückkam, weil er sein rücksichtsloses Verhalten auch dort fortsetzte.
Endlich konnten Janina und Sandra mit ihrem Springtraining beginnen. Sie stiegen von ihren Pferden ab, um den Parcours wieder aufzubauen. Das Training verlief sehr gut, was ihre Laune wieder verbesserte.
Plötzlich kam der Rappe ohne Reiter zurück.
Janina und Sandra sahen, wie das Pferd durch den Hof trabte. Seine Flanken zitterten immer noch, sein Fell glänzte vom Schweiß. Sandra stieg ab, eilte dem Rappen entgegen und nahm ihn am Zügel. Sanft redete sie auf das verängstigte Pferd ein, damit es Vertrauen zu ihr fasste. Sie sattelte und trenste ihn ab, bevor sie ihn an einen sonnigen Platz band, damit sein Fell schneller trocknen konnte.
Kurze Zeit später ritten die beiden Freunde Andreas und Horst in den Wald. Sie waren für ihre ausgedehnten Ausritte bestens bekannt. Erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit kehrten sie wieder zurück.
Als alle mit ihrer Arbeit fertig waren, stellten sie erstaunt fest, dass der Rappe immer noch angebunden an der gleichen Stelle stand. So konnten sie das arme Tier nicht zurücklassen. Gemeinsam putzten sie über sein schweißverklebtes Fell, säuberten die Hufe und versorgten seine Wunden, bevor sie es in seine Box führten, wo es endlich fressen konnte.
Am nächsten Nachmittag trafen sich Janina und Sandra wieder am Stall. Dort erlebten sie eine Überraschung. Mehrere Polizeiautos standen auf dem Parkplatz. Als sie sich dem Treiben näherten, kam sofort ein älterer Herr in einem maßgeschneiderten Anzug auf sie zu und sagte: „Ich bin Hauptkommissar Werlich.“
„Sind Sie neu hier?“ fragte Janina.
„Das tut jetzt nichts zur Sache“, wich Werlich aus. Stattdessen fragte er. „Gehören Sie auch zu der Reitgemeinschaft dieses Stalls?“
„Ja! Was ist denn passiert?“
„Gert Fendel wurde tot im Wald aufgefunden!“
Die Reiterinnen schauten sich an.
„Kannten Sie Herrn Fendel?“
„Ja!“
„Sein Tod lässt Sie aber ganz schön kalt“, stellte der adrett gekleidete Herr fest.
„Er war ein Dreckskerl!“ bemerkte Sandra emotionslos.
Langsam ging Werlich vor den jungen Frauen auf und ab. „Warum war er so unbeliebt?“ fragte er.
„Er war streitsüchtig und quälte sein Pferd“, erklärte Sandra.
Werlich forderte einen Kollegen auf, die Personalien der Reiterinnen aufzunehmen. Anschließend verließen die Polizeibeamten den Stall.
Als wieder Ruhe eingekehrt war, versammelten sich alle Reiter im Hof. Betroffen schauten sie sich an. In die Stille sagte Janina: „Erst gestern auf dem Reitplatz sagte Gert Fendel: Es kann schnell etwas passieren!“
„Was willst du uns damit sagen?“, fragte Andreas.
„Wie Recht er doch hatte! Es ging wirklich schnell.“
Kurze Zeit war alles ganz still. Aber lange sollte das nicht dauern, schon begann die erste Reiterin zu lachen. Damit steckte sie die anderen an, in Sekundenschnelle war ein schallendes Gelächter ausgebrochen.
„Wenn der Polizeibeamte unsere Reaktion gesehen hätte, würde er sofort Verdacht schöpfen“, meinte Andreas, als er sich wieder beruhigt hatte.
„Gegen wen, gegen uns alle?“

Hauptkommissar Werlich ging rauchend in seinem kleinen Büro auf und ab. Der Obduktionsbericht auf dem Schreibtisch ließ mehr Fragen offen, als er beantwortete. An der Leiche waren Spuren von großer Gewalteinwirkung über den gesamten Körper zu erkennen. Todesursachen waren neben Genickbruch auch Schädelzertrümmerung, Wirbelsäulenfraktur und Organquetschungen. Kein einziges Organ an diesem Körper war verschont geblieben, so als sei eine Walze über ihn hinweggerollt.
Kollege Fiedler von der Spurensicherung betrat sein Büro. Sein Gesicht verriet nichts Gutes.
„In dieser Nacht hat es geregnet, deshalb gibt es keine verwertbaren Spuren“, erklärte er.
Werlich nickte verdrossen.
„Mir ist eingefallen, dass ich schon einmal einen solchen Fall zu untersuchen hatte. Damals gab es auch keine Spuren und der Fall wurde als Unfall mit Todesfolge abgeschlossen!“
„Im gleichen Stall?“ staunte Werlich.
Fiedler nickte und verließ das Büro.
Das war Werlichs erster Fall seit seiner Versetzung. Mit gemischten Gefühlen stellt er fest, dass er eine große Herausforderung für ihn werden sollte. Vom Reitsport verstand er nichts, was ihm bei seinen Ermittlungen sehr hinderlich werden konnte.
Als er am Stall eintraf, bemerkte er sofort die unbekümmerte, fröhliche Stimmung. Er sah die beiden jungen Reiterinnen auf dem Reitplatz. Sie unterhielten sich frohgelaunt, als wäre niemals etwas geschehen.
Horst führte gerade den Rappen von Gert Fendel. Werlich ging auf ihn zu und fragte: „Was tun Sie mit dem Pferd?“
„Ich führe ihn auf die Koppel zu den anderen Pferden! Er soll sich erst einmal von den Strapazen erholen“, antwortete Horst und strich vorsichtig über die Stellen, an denen das Pferd verletzt worden war.
„Der arme Kerl wird Narben zurückbehalten“, fügte Horst traurig an.
„Wem gehört dieses Pferd jetzt?“
„Der Verein hat es gekauft“, erklärte Horst.
Werlich staunte über die schnelle Beilegung des Problems.
„Was können Sie mir über das Opfer sagen?“ fragte er, während er die lebhaften Pferde auf der Koppel beobachtete.
„Gert war nicht nur streitsüchtig, sondern hat auch sein Pferd geschlagen. So etwas können wir nicht akzeptieren“, erklärte Horst vorschnell.
„Was heißt, Sie können so etwas nicht akzeptieren? Was haben Sie dagegen unternommen?“ wurde Werlich hellhörig.
„Nichts“, wehrte Horst hastig ab. „Aber wie man sieht, löst sich manches Problem von allein. Nicht umsonst sagt man: Das Glück der Pferde ist der Reiter auf der Erde!“
Kopfschüttelnd setzte Werlich seinen Weg zur Reiterklause fort. Sie befand sich im ersten Stock des großen Gebäudes. Eine Terrasse bot einen Blick über den Reitplatz. Dort ließ er sich nieder. Als die Wirtin seine Bestellung aufnehmen wollte, fragte er: „Was können Sie mir über Fendel sagen?“
„Er hat uns nur Probleme bereitet. Wir sind ein eingetragener Reitverein, der nicht nur den Reitsport fördern, sondern auch dem Wohl des Pferdes dienen soll. Was Gert gemacht hat, war genau das Gegenteil“, erklärte die Wirtin.
„Warum hat der Verein ihm nicht gekündigt und mit seinem Pferd aus dem Stall geworfen?“
„Wir haben ihn mehrmals aufgefordert, zu verschwinden, aber er blieb hartnäckig. Unser nächster Schritt sollte über einen Rechtsanwalt unternommen werden!“
„Das hört sich wirklich kompliziert an“, erkannte Werlich.
„Tja, das Problem hat sich nun von allein gelöst!“
Erstaunt über die Offenheit der Wirtin hakte Werlich nach: „Sind Sie da so sicher, dass es sich von allein gelöst hat?“
„Reitunfälle passieren eben; es trifft nur nicht immer die Richtigen.“
Er zog den Qualm seiner Zigarette tief ein und erkannte frustriert, dass hier im Grunde genommen alles vorliegen könnte: ein Mord, ein gemeinschaftlicher Mord oder ein Unfall mit Todesfolge.
Als er sich den Obduktionsbefund wieder ins Gedächtnis rief, kam ihm der Gedanke, dass Gert Fendel mit seinem Pferd gestürzt sein könnte, wobei er zuunterst landete. Genauso sahen seine Verletzungen nämlich aus. Und ein solcher Sturz könnte sich theoretisch ereignen, wenn ein Pferd im schnellen Galopp stolperte. Naserümpfend erinnerte er sich wieder daran, dass er an der Stelle, wo die Leiche gefunden wurde, über einen quer liegenden Baumstamm klettern musste, wobei er sich seine gute Hose und seine teuren Schuhe ruinierte. Diese Vermutung genügte Werlich, um sich sofort wieder an den Fundort der Leiche zu begeben.
Dort war noch alles abgesichert; weder Reiter noch Fußgänger konnten diese Stelle passieren. Quer über dem schmalen Weg lagen mehrere Baumstämme. Erst jetzt verstand Werlich, was das zu bedeuten hatte: Diese Baumstämme wurden von den Reitern als Hindernisse genutzt. Jeder Reiter, der diesen Weg einschlug, wusste, dass er darüber springen musste, weil sie nicht zu umreiten waren. Rechts und links wurde dieser Engpass von dichten Hecken gesäumt. Vorsichtig ging er auf die Stelle zu, an der die Leiche aufgefunden wurde. Zu seiner Enttäuschung entdeckte er an diesem Baumstamm so viele Einkerbungen, dass er nicht erkennen konnte, ob ganz frische darunter waren. Er fischte sein Handy aus der Jackentasche, wählte die Nummer der Spurensicherung und bat Fiedler aufgrund seiner neuen Erkenntnis, noch einmal zu diesem Reitweg zu kommen.
Der Kollege begutachtete den Baum genau, entnahm einige Proben, um sie im Labor genauer zu analysieren. Anschließend schaute er sich die hohen Büsche rechts und links des Baumstamms an. Neugierig gingen beide darauf zu, schoben die dichten Äste auseinander und schauten in das Innere der Hecke. Dort sah es aus, als hätte der Sturm „Lothar“ erneut gewütet. Fast alle Äste waren abgebrochen. Die Hecke wurde nur noch vom dichten Laub festgehalten. Das gleiche Bild bot sich auch auf der gegenüberliegenden Seite.
„Was ist hier passiert?“ fragte Werlich.
Fiedler überlegte: „Vielleicht haben einige Pferde das Hindernis verweigert und sind in der Hecke gelandet.“
„Können Sie feststellen, ob an den dickeren Ästen womöglich ein Draht befestigt worden war, von einer Hecke bis zur anderen, um so dem Reiter eine unsichtbare Falle zu stellen?“ fragte Werlich, weil ihm ganz plötzlich dieser Einfall gekommen war. Ein Draht über dem Baumstamm war wohl die sicherste Methode, ein Pferd dazu zu bringen, sich zu überschlagen und auf dem Reiter zu landen. Einen solchen Sturz konnte kein Mensch überleben.
„Nur dann, wenn das Stück des Astes noch unbeschädigt ist, an dem der Draht befestigt worden war.“
„Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum die Hecke so zerstört ist. Man wollte Spuren verwischen!“
Der Kollege schnitt von jeder Hecke eine große Anzahl von Proben ab. Mit dem Material fuhr er zurück ins Labor.
Am nächsten Morgen betrat Fiedler Werlichs Büro. In seinen Händen hielt er das Ergebnis der Untersuchungen. Es gab keine Spuren, die Werlichs Theorie gestützt hätten. Nun wurde es eng für die Ermittlungen. Aber er hatte noch einen älteren Bericht von Werlichs Vorgänger herausgesucht. Aus diesem ging hervor, dass es in den letzten Jahren in dieser Reitanlage zwei Todesfälle gegeben hat. Beide Male wiesen die Leichen die gleichen Merkmale auf wie Gert Fendel. Der Leichenfundort war jedes Mal der schmale Weg mit den quer liegenden Baumstämmen. Werlich erinnerte sich daran, dass dort jedes Hindernis von Hecken gesäumt wurde, die dafür geeignet waren, einen Draht über das Hindernis zu spannen.
Beide Akten waren mit dem Vermerk „Unfall mit Todesfolge“ geschlossen worden. Gert Fendel war die Nummer drei. Was geschah in dieser Reitanlage?
Mit den wenigen Ergebnissen, die er zur Verfügung hatte, fuhr er zum Stall. Wieder bot sich ihm das Bild von Fröhlichkeit und Unbeschwertheit. Die beiden Reiterinnen waren ebenfalls dort. Sie hatten ihre Pferde zusammen an einer Stelle angebunden, wo sie sich ungestört unterhalten konnten. Werlich näherte sich ihnen unbemerkt, in der Hoffnung, etwas Entscheidendes zu hören. Aber die jungen Frauen sprachen nur von dem bevorstehenden Turnier, das sie sehr beschäftigte.
Als sie Werlich bemerkten, hielten sie inne und warteten, bis er etwas sagte. Seine erste Frage lautete: „War Gert Fendel ein guter Springreiter?“
„Nein!“ lautete die einstimmige Antwort.
„Wie äußerte sich das?“
„Ganz einfach: sein Pferd hat ständig das Hindernis verweigert“, erklärte Sandra.
Sollte das die Antwort auf die zerstörten Hecken sein?, überlegte Werlich. Das wollte er einfach nicht glauben, weil er das Gefühl hatte, dass jede Antwort genau überlegt war. Lange schaute er die jungen Reiterinnen an. Er bemerkte, dass er sich an einem Punkt befand, an dem er nicht weiterkam. Es gab keine Spuren, keine Beweise, keine Zeugen. Dieser Fall würde neben den anderen Akten landen mit dem Vermerk: Unfall mit Todesfolge. Werlich ahnte zwar, was an diesem Stall passiert war, konnte es aber nicht beweisen.
In seiner früheren Dienststelle hatte er alle Fälle gelöst, ohne Ausnahme. Aber hier sah sein Start alles andere als erfolgreich aus.
„Warum wollen Sie nicht akzeptieren, dass Gert Fendel einen Unfall hatte?“ fragte Sandra genau das, worauf es am Ende hinauslaufen würde.
Darauf entgegnete er: „Weil die Anzahl der Todesfälle in diesem Stall dagegen spricht!“
Sandra und Janina schauten sich an.
„Wie lange sind Sie schon in dieser Reitanlage?“
„Schon sehr lange.“
„Dann sind Sie ja über alles informiert!“
Janina und Sandra schwiegen.
„Waren die anderen Opfer auch schlechte Springreiter?“ fragte Werlich sarkastisch.
„Sie waren auch Springreiter. Mehr wissen wir nicht“, zuckte Sandra mit den Schultern.
Seine Aufmerksamkeit wurde auf den Hals von Janinas Pferd gezogen. Hässliche Narben waren dort.
„Was sind das für Narben?“
„Diese Narben stammen von Peitschenhieben seines Vorbesitzers“, erklärte Janina.
„Und nun ist es Ihr Pferd?“
„Nein! Es gehört dem Verein!“
Dann wandte er sich Sandras Pferd zu, ein großer Brauner mit Narben in den Flanken und an den Beinen.
Die Erkenntnis traf Werlich wie der Schlag: „Das Glück der Pferde…“

Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 09.08 Uhr
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