Der Tod aus der Teekiste
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November 2003
Time after time
von Ines Haberkorn


Und als Rev, der Tagesstern hinter dem Horizont von Galem versank, stand Elos still, den Atem angehalten und die Augen geschlossen. Von diesem Moment an galt seine ganze Konzentration nur noch dem Hören und dem Fühlen. Beides vermochte er um ein Vielfaches besser, als jeder andere Opsis. Es war eine Gabe, ihm in die Wiege gelegt und in unzähligen Nächten perfektioniert, als letzte Hoffnung einen Weg durch das Tal der Tenrec-Bestien zu finden und den Zeitstrahl auf dem Gipfel des Berges Mos zu aktivieren.
Elos stieß den angehaltenen Atem aus und mit ihm die Angst. Denn Angst durfte er nicht haben. Angst raubte die Kraft, brach den Willen und vernebelte die Sinne. Doch gerade die waren sein einziger Schutz vor den Bestien. Nur wenn er in der Lage war ihre Bewegungen, ihr Kratzen und Schaben, ja sogar den pulsierenden Schlag ihrer Herzen rechtzeitig zu orten, würde es gelingen, ihren todbringenden Angriffen zu entgehen.
Schattenhafte Bilder huschten durch seine Erinnerung wie unheilkündende Boten. Er sah wie Männer rannten, wie sie immer und immer wieder versuchten das Tal zu durchqueren. Er sah wie ihre Füße mit der Kraft der Verzweiflung den ausgedörrten Boden traktierten und Staub aufwirbelten. Und er sah wie inmitten der Staubwolken die schwarzgepanzerten Leiber der Tenrec aus der Tiefe brachen. Und er hörte die Männer schreien, in deren Fleisch sich messerscharfe Klauen bohrten, um es als Beute zu reißen.
Er erinnerte sich aber auch an die Geschichten des Großvaters, an die Legenden, die davon erzählten, wie die ersten Opsis auf ihrer Reise durch Raum und Zeit diesen Ort erreichten und als neue Heimat wählten. Grün wäre Galem gewesen, so hieß es, und fruchtbar und Bestien wie die Tenrec hätte man nicht gekannt. Es musste eine gute Zeit gewesen sein. Und wenn es ihm gelang, das Tal zu durchqueren, den Berg Mos zu erreichen und den Zeitstrahl zu aktivieren, dann würde er in diese Zeit zurückkehren.
Andächtig sank Elos auf die Knie, streckte sich auf dem Boden aus und krallte seine Hände in den Staub. Für einen Augenblick musste er eins werden mit Galem. Nur so konnte er den Tenrec nahe sein, so nahe, dass ihr Herzschlag zu seinem Herzschlag wurde, ihre Instinkte zu seinen Instinkten und ihre Bewegungen zu seinen Bewegungen.
Plötzlich spannten sich seine Muskeln, und er sprang auf die Füße. Halb stehend, halb hockend, den Kopf in den Nacken gelegt, sog Elos die Nachtluft mit einem tiefen Atemzug ein. Jetzt. Er war bereit. Die Jagd konnte beginnen. Kraftvoll stieß er sich ab, seine Beine wirbelten und die nackten Füße trommelten ein wildes Stakkato auf den Boden, morsten eine unmissverständliche Botschaft an die Tenrec und empfingen gleichzeitig die Antwort. Sie spürten ihn. Sie hörten ihn. Sie hatten ihn geortet. Von diesem Moment an war er ihre Beute.
Und Elos rannte. Er sprang über alte Auswurfhügel der Tenrec, wich Haken schlagend aufspritzenden Fontänen aus Dreck und Steinen aus, die seine Haut peitschten wie Geschosse und Wunden rissen. Schmerzen spürte er nicht, denn in seinem Bewusstsein gab es keinen Platz dafür. Dort herrschte einzig der Instinkt zum Überleben und trieb ihn im hämmernden Rhythmus seines Blutes vorwärts.
Doch mit einem Mal, mitten im Lauf stoppte Elos und stand still. Nur die Muskeln unter seiner schweißbedeckten Haut zuckten angespannt, während seine Sinne die Lautlosigkeit durchforschten. Jedes Geräusch war plötzlich verstummt, jede Bewegungen unter seinen Füßen erstorben. Doch in der Ruhe lauerte die Gefahr. Das wusste Elos, und er ahnte, dass die Tenrec ihn eingekreist hatten, dass sie unter der Kruste des Bodens verborgen rasteten, um die Beute in einem blitzschnellen Angriff zu schlagen.
Keine hundert Meter entfernt ragte der Berg Mos in die Dunkelheit. Keine hundert Meter trennten ihn mehr vom Zeitstrahl und von der Möglichkeit in eine Vergangenheit zu fliehen, in der es noch keine Tenrec gab. Dort würde er die Opsis warnen und sie zur Wachsamkeit mahnen. Damit sie die Bedrohung rechtzeitig erkennen und bekämpfen konnten, ehe ihre Zukunft so aussah wie seine Gegenwart. Keine hundert Meter und doch durfte er der Versuchung nicht erliegen und ohne Orientierung laufen.
Ohne Vorwarnung bebte der Boden unter seinen Füßen und zerbarst mit einem krachenden Geräusch. Sand und Steinsplitter spritzen umher und dazwischen bäumte sich der schwarze Panzer eines Tenrec auf. Mit einem Schrei wütender Verzweiflung verlor Elos den Halt und stürzte. Sofort streckte der Tenrec seine Klaue nach ihm. Doch Elos war schneller und rollte sich zur Seite. Der Tenrec brüllte und ließ sich hinter Elos, der auf allen Vieren kriechend zu entkommen versuchte, fallen. Dabei traf Elos eine der messerscharfen Klauen und schnitt sich in seinen Schenkel. Schmerz brannte sich durch seinen Körper wie ein Stromstoß, qualvoll und belebend zugleich, mobilisierte die letzten Reserven und schenkte Elos die Kraft sich auf die Füße zu stellen und zu laufen.
Keuchend erreichte Elos den Berg Mos. Jetzt musste er nur noch den Gipfel erklimmen und den Zeitstrahl in der Höhle aktivieren. Wenn nur das Bein nicht versagte. Es fühlte sich so taub an. Mit letzter Kraft schleppte er sich einen schmalen Pfad nach oben. Gleich hatte er es geschafft und die Tenrec besiegt und damit eine andere Realität für die Opsis geschaffen. Einzig diese Hoffnung trieb ihn an und peitschte ihn vorwärts, bis zum Ziel. Und er aktivierte den Strahl und sprang hinein.
Grün war Galem und fruchtbar. Gras bedeckte den Boden und Bäume wuchsen und ein Bach schlängelte sich durch die Ebene. In der Ferne funkelten die Lichter einer großen Stadt, und der Abendwind wehte Musik bis zum Berg Mos. Und Elos vergaß den Schmerz in seinem Bein und breitete jubelnd die Arme aus.
“Geschafft!”, schrie er. “Ich habe es tatsächlich geschafft, ich, Elos von Galem habe die Tenrec besiegt!”
Dann ließ er die Arme sinken und setzte sich ins Gras. Denn nach all den Strapazen war er müde. Doch er saß nicht lange, als er plötzlich ein Geräusch hinter sich hörte und sich umdrehte. In dem Moment bohrte sich auch schon eine messerscharfe Klaue in seine Brust und Elos sank zu Boden. Und während sein Lebenslicht verlosch, begriff er, dass die Tenrec ihm durch den Zeitstrahl gefolgt waren, und dass er mit seinem vermeintlichen Sieg erst das Unheil über Galem gebracht hatte.

***

Und als Rev, der Tagesstern hinter dem Horizont von Galem versank, stand Elos still ...

Ines Haberkorn, November 2003














Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 10.56 Uhr
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