Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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November 2003
Das Geisterhaus
von Jana Förster


Marcel hörte die Schritte in seinem Rücken und beschleunigte noch mehr, als er in den Buchenweg einbog. Sören und Nico rannten ein paar Meter vor ihm. „Los schnell. In das Haus rein.“ Nico zeigte auf ein verlassenes, zweistöckiges Haus.
Durch die verdreckten Fenster fiel kaum ein Sonnenstrahl und der Fußboden war staubig, so dass die Jungs Spuren wie in einer dicken Schneedecke hinterließen. Langsam als würde er über eine dünne Eisschicht laufen, durchquerte Marcel den Flur und das anschließende Wohnzimmer, im Dämmerlicht konnte er große, massive Möbel erkennen, die durch weiße Tücher bedeckt waren.
„Los hoch da.“ Nico zeigte auf eine wackelige Holztreppe ohne Geländer und nahm zwei Stufen auf einmal. Marcel und Sören stürmten hinterher. Oben angekommen, suchte sich jeder ein Versteck. Marcel legte sich hinter ein riesiges, antikes Sofa. Er zitterte und versuchte verzweifelt seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. Der Staub wirbelte um in herum und brachte ihn zum Niesen.
„Pst verdammt, sein ruhig,“ erklang eine wütende Stimme aus dem angrenzenden Raum.
Marcel spannte seine Muskeln an und hielt sich die Nase zu.
Er wusste nicht wie lange er so dalag und lauschte. Sein Blick war starr auf die Türschwelle gerichtet, so dass seine Augen bald tränten, dennoch traute er sich nicht zu blinzeln. Plötzlich stand eine dunkle Gestalt in der Tür, Marcel sah die schwarzen Schuhe. Dann ein Flüstern: „Marcel?“ Er atmete erleichtert auf. „Ja. Ich bin hier.“ Er erhob sich und streckte seine schmerzenden Glieder. „Ich denke die Bullen sind wir los. Hast du die Kohle?“
Marcel streckte Nico einen dreckigen Stoffbeutel entgegen, als Sören den Raum betrat.
„Ha, wir habens geschafft. Zeig mal, wie viel is es denn?“
Gerade als Nico den Beutel öffnen wollte, erklang die Polizeisirene. Panisch warf er den Geldbeutel zu Marcel. „Los, versteck es. Wenn sie die Kohle nicht bei uns finden, können sie uns nichts anhängen.“ Dann rannten Sören und Nico aus dem Zimmer. Marcel zögerte nicht lange und flitzte seinen Freunden hinterher. Der Boden unter ihren Füßen knarrte laut und Staubflocken wirbelten durch die Luft. Marcel registrierte das Knarren kaum, Hauptsache weg hier. Aber dann knackte das Holz unnatürlich laut und plötzlich spürte Marcel keinen Wiederstand mehr unter seinen Füßen. Er schrie auf, ließ den Geldbeutel los und versuchte sich noch an einem Holzbrett festzuhalten. Aber es war zu spät, Marcel stürzte in das Erdgeschoss.
Ein stechender Schmerz zog sich von seinen Beinen durch den ganzen Körper, er stöhnte auf. Als sein Kopf wieder klarer wurde, versuchte Marcel sich aufzurichten, aber er schaffte es nicht. „Hilfe. Hilfe.“ Er biss die Zähne zusammen, der Schmerz in seinen Beinen wurde unerträglich. „Marcel was ist passiert?“ Sören erschien. Als er ihn am Boden liegend sah, verwandelte sich sein Gesicht in blankes Entsetzen, als habe er einen Geist gesehen. „Oh Gott, Marcel, deine Beine...“
Nico betrat das Zimmer. „Helft mir,“ stöhnte Marcel und streckte ihnen seine Hand entgegen. Aber Nico betrachtete seinen Freund nur kurz, dann schnappte er sich den Geldbeutel, der neben Marcel gelandet war und machte sich daran den Raum zu verlassen.
„Aber... Was ist mit Marcel?“
„Wir müssen raus hier. Die Bullen...“ Damit war er weg, nur noch schnelle Schritten hallten durchs Haus, wie ein leises Echo. Marcel blickte geschockt hinter Nico her, dann fiel sein Blick auf Sören. „Sören, bitte hilf mir.“ Sören konnte ihm nicht in die Augen schauen.
„Wir kommen wieder. Wenn die Luft rein ist. Versprochen.“ Dann war er weg.
„Nein, ihr Schweine. Lasst mich hier nicht zurück.“ Marcels gequälte Stimme schwebte wie ein düsterer Nebel noch lange durch das einsame Haus.
***
Die Farbe bröckelte in großen Stücken von den Holzwänden des Hauses und die Fenster waren staubbedeckt. Thomas näherte sich zögerlich. Er hatte das Schild gelesen: „Betreten verboten! Eltern haften für ihre Kinder.“ und er kannte die Gerüchte. Trotzdem ging er auf das Haus zu, die Stufen knarrten gefährlich unter seinen Füßen, er blieb stehen und blickte sich zu seinen Freunden um. Grinsend standen Henri und Mark dort, wo eigentlich ein Eisentor den Weg versperren sollte, jetzt aber durchgerostet und verbogen auf dem Rasen neben der Einfahrt lag.
„Na los, Thomi. Oder haste Schiss?“
Thomas straffte die Schultern und betrat das verfallene Haus, das schon seit Jahrzehnten leer stand. Im Inneren war es dämmrig, wie am Boden eines dichten Waldes, da durch die staubbedeckten Fenster kaum Licht schien. Nur einmal in den oberen Stock und wieder zurück, dann hätte er die Mutprobe bestanden. Es gab keine Geister. Nein, er war schließlich schon dreizehn Jahre. Kein Dreizehnjähriger glaubt mehr an Geistergeschichten. Keiner!
Der Staub unter seinen Füßen war zentimeterdick, er schien auf Watte zu laufen. Nach ein paar Minuten hatten sich seine Augen an das dämmrige Licht gewöhnt und er konnte nun die Umrisse der Möbel erkennen. Wo war nur die verdammte Treppe. Nur schnell ins Obergeschoss, aus dem Fenster winken und schnell wieder raus.
Thomas durchquerte den Flur und das Wohnzimmer. Es war still, fast glaubte er plötzlich taub geworden zu sein, nur die gedämpften Schritte und sein stockender Atem bewiesen ihm das Gegenteil. Niemand sonst schien im Haus zu sein. Geister gab es nicht.
Endlich stand Thomas vor der ersten Treppenstufe, mit der linken Fußspitze testete er die Stabilität der morschen Treppe, sie brach nicht durch, so dass Thomas allen seinen Mut zusammen nahm und zögernd hinauf stieg. Das Holz knarrte protestierend unter seinem Gewicht, aber es trug ihn.
Das obere Stockwerk sah noch düsterer und schmutziger aus, als das Erdgeschoss. Der Staub lagerte sich in seiner Lunge ab, so dass Thomas laut husten musste. Plötzlich spürte er Blicke in seinen Rücken, erschrocken schaute er sich um, aber konnte nichts sehen. Nicht einmal das winzige Flackern an der Tür des hintersten Zimmers.
Thomas versuchte sich zu erinnern, wo sich das Fenster befand, an dem er rausschauen sollte. Er fand es schnell und spähte erwartungsvoll hinaus, bereit seinen beeindruckten Freunden zu winken. Aber als er das Polizeiauto sah, zog er sich schnell zurück. Von seinen Freunden war keine Spur mehr zu sehen. Wie eine Statur stand er neben dem Fenster, hoffentlich hatten die Polizisten ihn nicht gesehen. Wenn sie seinen Eltern davon erzählten, gäbe es mächtig Ärger. Plötzlich hörte er ein Wispern, ein leises Säuseln. Thomas konnte nicht sagen was es war, konnte es nicht lokalisieren. Irgendetwas... etwas Lebendiges war hier. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Er wollte umkehren, nur raus hier, die Mutprobe war ihm egal. Er stürmte die Treppe hinunter, so dass das Holz sich gefährlich bog. Unten wandte er sich nach rechts, der falsche Weg. Er fand sich plötzlich im hinteren Teil des Hauses wieder. Gerade als er seinen Irrtum bemerkte, fiel sein Blick auf einen Bretterhaufen. Etwas Weißes blitzte unter dem Holz hervor, aber Thomas konnte nicht genau erkennen was es war. Wie magisch zog es ihn an. Immer mehr weiß kam zum Vorschein. Schlagartig wurde ihm klar, was die Bretter verdeckten, erschrocken hielt er die Luft an. Zwei leere Augenhöhlen starrten ihn an und ein finsteres Grinsen jagte ihm einen Schauer über den Rücken.
Thomas drehte sich um und rannte was das Zeug hielt. Plötzlich brach eine Bodendiele und er schrie erschrocken auf. Sein Fuß war eingebrochen und klemmt zwischen zwei Brettern fest, wie in einem Schraubstock. Verzweifelt zog Thomas an seinem Bein und schrie aus vollem Halse. Die Polizei war ihm egal, Hauptsache weg von hier, weg von der Leiche.
Unerwartet kamen seine Freunde auf ihn zugestürmt. „Thomas was ist denn passiert?“ Als sie seinen eingebrochen Fuß sahen, versuchten sie ihn sofort zu befreien. Mit einem kräftigen Ruck holten sie ihn aus dem Loch und zu zweit brachten sie Thomas aus dem Haus. Keiner der drei Jungen nahm die schattige Gestalt am Ende des Ganges war. Er war kaum wahrzunehmen, ein Wesen aus einer anderen Welt. Trotzdem konnte er die drei Jungs beobachteten, wie sie das Haus verließen. Ein überraschtes Lächeln lag auf seinem gequälten Gesicht. Und er wartete mit neu aufkeimender Hoffnung weiter.

Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 10.38 Uhr
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