Liebesgeschichten ohne Kitsch? Geht das? Ja - und wie. Lesen Sie unsere Geschichten- Sammlung "Honigfalter", das meistverkaufte Buch im Schreiblust-Verlag.
Marcel hörte die Schritte in seinem RĂŒcken und beschleunigte noch mehr, als er in den Buchenweg einbog. Sören und Nico rannten ein paar Meter vor ihm. âLos schnell. In das Haus rein.â Nico zeigte auf ein verlassenes, zweistöckiges Haus.
Durch die verdreckten Fenster fiel kaum ein Sonnenstrahl und der FuĂboden war staubig, so dass die Jungs Spuren wie in einer dicken Schneedecke hinterlieĂen. Langsam als wĂŒrde er ĂŒber eine dĂŒnne Eisschicht laufen, durchquerte Marcel den Flur und das anschlieĂende Wohnzimmer, im DĂ€mmerlicht konnte er groĂe, massive Möbel erkennen, die durch weiĂe TĂŒcher bedeckt waren.
âLos hoch da.â Nico zeigte auf eine wackelige Holztreppe ohne GelĂ€nder und nahm zwei Stufen auf einmal. Marcel und Sören stĂŒrmten hinterher. Oben angekommen, suchte sich jeder ein Versteck. Marcel legte sich hinter ein riesiges, antikes Sofa. Er zitterte und versuchte verzweifelt seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. Der Staub wirbelte um in herum und brachte ihn zum Niesen.
âPst verdammt, sein ruhig,â erklang eine wĂŒtende Stimme aus dem angrenzenden Raum.
Marcel spannte seine Muskeln an und hielt sich die Nase zu.
Er wusste nicht wie lange er so dalag und lauschte. Sein Blick war starr auf die TĂŒrschwelle gerichtet, so dass seine Augen bald trĂ€nten, dennoch traute er sich nicht zu blinzeln. Plötzlich stand eine dunkle Gestalt in der TĂŒr, Marcel sah die schwarzen Schuhe. Dann ein FlĂŒstern: âMarcel?â Er atmete erleichtert auf. âJa. Ich bin hier.â Er erhob sich und streckte seine schmerzenden Glieder. âIch denke die Bullen sind wir los. Hast du die Kohle?â
Marcel streckte Nico einen dreckigen Stoffbeutel entgegen, als Sören den Raum betrat.
âHa, wir habens geschafft. Zeig mal, wie viel is es denn?â
Gerade als Nico den Beutel öffnen wollte, erklang die Polizeisirene. Panisch warf er den Geldbeutel zu Marcel. âLos, versteck es. Wenn sie die Kohle nicht bei uns finden, können sie uns nichts anhĂ€ngen.â Dann rannten Sören und Nico aus dem Zimmer. Marcel zögerte nicht lange und flitzte seinen Freunden hinterher. Der Boden unter ihren FĂŒĂen knarrte laut und Staubflocken wirbelten durch die Luft. Marcel registrierte das Knarren kaum, Hauptsache weg hier. Aber dann knackte das Holz unnatĂŒrlich laut und plötzlich spĂŒrte Marcel keinen Wiederstand mehr unter seinen FĂŒĂen. Er schrie auf, lieĂ den Geldbeutel los und versuchte sich noch an einem Holzbrett festzuhalten. Aber es war zu spĂ€t, Marcel stĂŒrzte in das Erdgeschoss.
Ein stechender Schmerz zog sich von seinen Beinen durch den ganzen Körper, er stöhnte auf. Als sein Kopf wieder klarer wurde, versuchte Marcel sich aufzurichten, aber er schaffte es nicht. âHilfe. Hilfe.â Er biss die ZĂ€hne zusammen, der Schmerz in seinen Beinen wurde unertrĂ€glich. âMarcel was ist passiert?â Sören erschien. Als er ihn am Boden liegend sah, verwandelte sich sein Gesicht in blankes Entsetzen, als habe er einen Geist gesehen. âOh Gott, Marcel, deine Beine...â
Nico betrat das Zimmer. âHelft mir,â stöhnte Marcel und streckte ihnen seine Hand entgegen. Aber Nico betrachtete seinen Freund nur kurz, dann schnappte er sich den Geldbeutel, der neben Marcel gelandet war und machte sich daran den Raum zu verlassen.
âAber... Was ist mit Marcel?â
âWir mĂŒssen raus hier. Die Bullen...â Damit war er weg, nur noch schnelle Schritten hallten durchs Haus, wie ein leises Echo. Marcel blickte geschockt hinter Nico her, dann fiel sein Blick auf Sören. âSören, bitte hilf mir.â Sören konnte ihm nicht in die Augen schauen.
âWir kommen wieder. Wenn die Luft rein ist. Versprochen.â Dann war er weg.
âNein, ihr Schweine. Lasst mich hier nicht zurĂŒck.â Marcels gequĂ€lte Stimme schwebte wie ein dĂŒsterer Nebel noch lange durch das einsame Haus.
***
Die Farbe bröckelte in groĂen StĂŒcken von den HolzwĂ€nden des Hauses und die Fenster waren staubbedeckt. Thomas nĂ€herte sich zögerlich. Er hatte das Schild gelesen: âBetreten verboten! Eltern haften fĂŒr ihre Kinder.â und er kannte die GerĂŒchte. Trotzdem ging er auf das Haus zu, die Stufen knarrten gefĂ€hrlich unter seinen FĂŒĂen, er blieb stehen und blickte sich zu seinen Freunden um. Grinsend standen Henri und Mark dort, wo eigentlich ein Eisentor den Weg versperren sollte, jetzt aber durchgerostet und verbogen auf dem Rasen neben der Einfahrt lag.
âNa los, Thomi. Oder haste Schiss?â
Thomas straffte die Schultern und betrat das verfallene Haus, das schon seit Jahrzehnten leer stand. Im Inneren war es dĂ€mmrig, wie am Boden eines dichten Waldes, da durch die staubbedeckten Fenster kaum Licht schien. Nur einmal in den oberen Stock und wieder zurĂŒck, dann hĂ€tte er die Mutprobe bestanden. Es gab keine Geister. Nein, er war schlieĂlich schon dreizehn Jahre. Kein DreizehnjĂ€hriger glaubt mehr an Geistergeschichten. Keiner!
Der Staub unter seinen FĂŒĂen war zentimeterdick, er schien auf Watte zu laufen. Nach ein paar Minuten hatten sich seine Augen an das dĂ€mmrige Licht gewöhnt und er konnte nun die Umrisse der Möbel erkennen. Wo war nur die verdammte Treppe. Nur schnell ins Obergeschoss, aus dem Fenster winken und schnell wieder raus.
Thomas durchquerte den Flur und das Wohnzimmer. Es war still, fast glaubte er plötzlich taub geworden zu sein, nur die gedÀmpften Schritte und sein stockender Atem bewiesen ihm das Gegenteil. Niemand sonst schien im Haus zu sein. Geister gab es nicht.
Endlich stand Thomas vor der ersten Treppenstufe, mit der linken FuĂspitze testete er die StabilitĂ€t der morschen Treppe, sie brach nicht durch, so dass Thomas allen seinen Mut zusammen nahm und zögernd hinauf stieg. Das Holz knarrte protestierend unter seinem Gewicht, aber es trug ihn.
Das obere Stockwerk sah noch dĂŒsterer und schmutziger aus, als das Erdgeschoss. Der Staub lagerte sich in seiner Lunge ab, so dass Thomas laut husten musste. Plötzlich spĂŒrte er Blicke in seinen RĂŒcken, erschrocken schaute er sich um, aber konnte nichts sehen. Nicht einmal das winzige Flackern an der TĂŒr des hintersten Zimmers.
Thomas versuchte sich zu erinnern, wo sich das Fenster befand, an dem er rausschauen sollte. Er fand es schnell und spĂ€hte erwartungsvoll hinaus, bereit seinen beeindruckten Freunden zu winken. Aber als er das Polizeiauto sah, zog er sich schnell zurĂŒck. Von seinen Freunden war keine Spur mehr zu sehen. Wie eine Statur stand er neben dem Fenster, hoffentlich hatten die Polizisten ihn nicht gesehen. Wenn sie seinen Eltern davon erzĂ€hlten, gĂ€be es mĂ€chtig Ărger. Plötzlich hörte er ein Wispern, ein leises SĂ€useln. Thomas konnte nicht sagen was es war, konnte es nicht lokalisieren. Irgendetwas... etwas Lebendiges war hier. SchweiĂperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Er wollte umkehren, nur raus hier, die Mutprobe war ihm egal. Er stĂŒrmte die Treppe hinunter, so dass das Holz sich gefĂ€hrlich bog. Unten wandte er sich nach rechts, der falsche Weg. Er fand sich plötzlich im hinteren Teil des Hauses wieder. Gerade als er seinen Irrtum bemerkte, fiel sein Blick auf einen Bretterhaufen. Etwas WeiĂes blitzte unter dem Holz hervor, aber Thomas konnte nicht genau erkennen was es war. Wie magisch zog es ihn an. Immer mehr weiĂ kam zum Vorschein. Schlagartig wurde ihm klar, was die Bretter verdeckten, erschrocken hielt er die Luft an. Zwei leere Augenhöhlen starrten ihn an und ein finsteres Grinsen jagte ihm einen Schauer ĂŒber den RĂŒcken.
Thomas drehte sich um und rannte was das Zeug hielt. Plötzlich brach eine Bodendiele und er schrie erschrocken auf. Sein Fuà war eingebrochen und klemmt zwischen zwei Brettern fest, wie in einem Schraubstock. Verzweifelt zog Thomas an seinem Bein und schrie aus vollem Halse. Die Polizei war ihm egal, Hauptsache weg von hier, weg von der Leiche.
Unerwartet kamen seine Freunde auf ihn zugestĂŒrmt. âThomas was ist denn passiert?â Als sie seinen eingebrochen FuĂ sahen, versuchten sie ihn sofort zu befreien. Mit einem krĂ€ftigen Ruck holten sie ihn aus dem Loch und zu zweit brachten sie Thomas aus dem Haus. Keiner der drei Jungen nahm die schattige Gestalt am Ende des Ganges war. Er war kaum wahrzunehmen, ein Wesen aus einer anderen Welt. Trotzdem konnte er die drei Jungs beobachteten, wie sie das Haus verlieĂen. Ein ĂŒberraschtes LĂ€cheln lag auf seinem gequĂ€lten Gesicht. Und er wartete mit neu aufkeimender Hoffnung weiter.
Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 10.38 Uhr Dieser Text enthält 8372 Zeichen.