Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten- Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
Ein letztes Mal schlendere ich durch das nächtliche Hafenviertel. Von allen Seiten drängt der Merengue auf mich ein. Dieser Rhythmus, die Aneinanderreihung kurzer Töne, der die Leichtigkeit des karibischen Lebens ausdrücken soll. Dazu passend, überall die fröhlichen Gesichter der Musiker und Tänzerinnen. Wie ich das hasse! Meist stehen nur ein paar Stühle vor einer Holzplanke, die als Theke dient. Darum herum stehen einige Pfähle, die ein Geflecht aus Palmwedeln und Brettern tragen. Auf den Stühlen sitzen die Musiker und spielen, vor ihnen winden sich die Tänzerinnen.
Wahrscheinlich kann kein Europäer erkennen, wann ein Lied zu Ende ist und ein Neues beginnt. Wie in einer Endlosschleife, tönt es aus den Instrumenten heraus. Wenn ein Musiker eine Pause machen möchte, hört er einfach auf, trinkt seinen Rum oder erledigt sein Geschäft, irgendwo in den Sträuchern hinter der Bar. Anschließend nimmt er sein Instrument und reiht sich nahtlos in das Trommelfeuer der Töne ein.
Seit knapp zwei Jahren lebe ich jetzt hier. Am Anfang war alles wirklich paradiesisch, aber schon nach wenigen Wochen fingen die Probleme an. Ich war ständig am Schweiß abwischen oder kämpfte erfolglos gegen eine Heerschar von Mücken und anderen Viechern. Die Einheimischen aber machten Musik, tanzten und sangen zu ihrer Merengue, als wenn es nicht dieses elende, erbärmliche Leben gebe würde. An das Essen konnte ich mich bis heute nicht gewöhnen. Wehe man wurde mal krank oder musste zu den Behörden. Ohne Geld warst du als Ausländer hier gar nichts, das hatte ich schnell gelernt.
Gut, am Anfang war ich auch noch fröhlich und gut drauf. Jeden Tag Sonnenschein, hübsche Senoritas, willige Urlauberinnen, alles lief bestens. Das hatte sich jedoch grundlegend geändert. Tropenstürme, die einem das Dach wegfegten. Alle Habseligkeiten wurden zur Tür hinaus geschwemmt. Keine Versicherung bezahlte etwas, nur weil man noch nicht dazu gekommen war, den Vertrag abzuschließen. Ärzte behandelten einen nur gegen Vorkasse, man war ja ein reicher Ausländer. Dollars, Dollars, Dollars, dass riefen schon die kleinsten, wenn sie neben einem Wagen herrannten. Zuletzt verbrachte ich meine Tage nur noch in diesen schäbigen Kaschemmen und freute mich über jeden Brugal, zu dem man mich einlud. Diese Leute brauchten nicht viel, hieß es. Sie tanzten Barfuß, nur mit einer Blume im Haar als einzigen Schmuck. Ich gab ja zu, sie sahen verdammt verführerisch aus. Diese braune Haut, das schwarze, im Wind wehend Haar. Immer am lächeln. Dabei wussten die genau, wie schnell es mit ihrer Schönheit zu Ende war, und dann. Keine Arbeit mehr, kein Geld, nichts, außer diesem ewigen Merengue.