Sanft zerzaust der Wind mein Haar und ich streiche mir eine Strähne aus dem Gesicht. Während ich mich langsam über das Geländer lehne und die Gedanken schweifen lasse, rasen auf der Autobahn unter mir Autos hinweg. Die Gedanken an dich machen mich taub für den Lärm, der um mich herum herrscht.
Der Tag an dem du mir gesagt hast, dass du mich nicht mehr liebst, liegt etwa drei Wochen zurück. Du hast mir tief in die Augen geschaut und ernst gesagt: „Bea, ich muss mit dir reden, es ist ziemlich wichtig.“
Da habe ich mich noch gefreut, weil ich dachte du machst mir endlich einen Antrag. Auf den habe ich doch schon seit langem gewartet. Doch was dann kam, gab mir das Gefühl ohne Fallschirm aus einem Flugzeug gesprungen zu sein. Die Geschwindigkeit war atemberaubend, obwohl sich nichts um mich zu verändern schien.
Ich beuge mich etwas weiter über das Geländer und fühle die Höhe, bei der sich mir eigentlich der Magen umdrehen müsste. Aber bald bin ich frei. Frei von meinen Ängsten - und allem Schmerz.
„Bea, ich weiß nicht wie ich es dir sagen soll...“
Der Ton deiner Stimme machte mich nervös und ich war mir des Antrages nicht mehr so sicher, denn ich hab mir das eigentlich immer viel romantischer vorgestellt, weniger bedrückend.
„Bea, ... ich ... wie soll ich nur anfangen?! ... Ich ...ich liebe dich nicht mehr.“
In meinen Ohren rauschte es.
„Aber ... Wie? ... Und warum? ...Das kann doch nicht sein...“, meine Stimme brach und die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich.
Du willst fort von mir.
Wenn ich an diesen Tag denke, muss ich immer noch meine Tränen zurückhalten. Die Zeit des ohnmächtigen Weinens ist mittlerweile vorbei, und wahrscheinlich mache ich auf Euch eine gefassten Eindruck – alles Fassade.
Ich fühle mich, als würde ich nicht mehr zu Euch gehören. Eine leere Hülle, die in sich zusammenfallen will. Doch ich kann nicht, weil mein Herz noch schlägt. Langsam lehne ich mich wieder zurück, und hebe ein Bein über das Geländer. Bald bin ich frei.
Du gingst, noch während ich schluchzte, stumm und betreten aus der Tür, die leise zuschlug. War ich dir nicht einmal einen Abschied wert? Warum konntest du dich mir, meinen Fragen und meiner Liebe nicht stellen?
Ich zog mich aus meiner Umwelt zurück. Selbst die Versuche meiner Freunde, mich zu trösten, fruchteten nicht. Sie kümmerten sich rührend um mich und versuchten dich mir zu ersetzten. Doch ich ließ all das nicht an mich heran. Wussten sie denn nicht, dass für mich die Welt unterging, in dem Augenblick, als du für immer aus unserer Wohnung gingst?
Ich ziehe jetzt das andere Bein nach, so dass ich ganz vor dem Geländer auf einem kleinen Vorsprung stehe. Ich schaue mir an, wie die Autos unter mir hinweg rasen. Manche hupen auch und betätigen ihre Scheinwerfer, um mich zu warnen, oder um mich zum zurückklettern zu bringen. Aber ich will endlich frei sein. Frei von dir.
Alle in meiner Umgebung wussten bescheid über uns. Manche sprachen mich überhaupt nicht darauf an. Wahrscheinlich weil sie sich nicht wirklich mit mir auseinandersetzen konnten und wollten. Andere wiederum versuchten mich mit Sätzen wie: „Mensch Bea, der hat dich doch gar nicht verdient!“, oder: „Der war einfach nicht der Richtige für dich!“ zu beruhigen, als ich in der ersten Zeit nach unserer Trennung noch häufig in Tränen ausbrach. Konnte mich denn keiner verstehen? Hatte denn keiner meiner Freunde jemals jemanden so geliebt wie ich dich? Ich fühlte mich einsam. In der Menge der Menschen, die mich mehr oder minder umgab und mich umsorgte fühlte ich mich verloren. Ich lebte an eurer Welt vorbei.
Ich lasse diese ganzen Gedanken noch einmal durch meinen Kopf ziehen, während ich mich langsam auf den kleinen Vorsprung sinken lasse, um mich an den Rand zu setzen und die Beine baumeln zu lassen.
Der Wind weht nun kräftiger und zerrt an meinen Sachen. Meine Hände fühlen den kalten Beton und ich atme ganz bewusst tief ein.
Es herrscht Stille, und die Bilder vor meinen Augen scheinen erstarrt zu sein. Nichts ist mehr wichtig. Während ich mich langsam nach vorne beuge, öffnen sich meine Hände. Nichts ist mehr wichtig, denn gleich bin ich frei.
Ich lasse los.
Bilder aus der Vergangenheit ziehen an mir vorbei, und ich spüre dich. Alles wird gut, weil ich weiß, dass ich dir ganz nah sein werde.
Ich liebe dich, Matthias, ist mein letzter ...
Skeeter Davis – End of the World
Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 11.39 Uhr Dieser Text enthält 4418 Zeichen.