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Dezember 2003
Captain Blackbeards Rache
von Andreas Schröter


Port Royal, Jamaica, eines Nachts im Jahre 1720

Die Gasse in unmittelbarer Nähe des Hafens schien mit Abstand zu eng für den schwankenden Mann. Immer wieder stieß er gegen die Mauern der dicht gedrängt stehenden Häuser. Es war kurz nach drei Uhr in der Nacht, und selbst in dieser Stadt, die mit einiger Sicherheit zu den verrufendsten Teilen der Welt gehörte, war es um diese Zeit schwierig, eine geöffnete Kneipe zu finden.
Der Mann, der einen schwarzen, weiten Mantel trug, rüttelte immer wieder an die Türen der Häuser – auch wenn diese gar nicht nach Gaststätte aussahen - und stieß dabei Flüche aus, die sich anhörten wie: „Verfluchtes ... Euch die Eier einzeln ... nicht sofort ... Rum.“ Genau zu verstehen waren seine Reden nicht. Einem Beobachter, den es freilich nicht gab, wäre aufgefallen, dass sich der Mantel des Nachtschwärmers an einigen Stellen unnatürlich ausbeulte.
Der Mann schwankte weiter durch die Gasse, durch die sich nicht nur ein unangenehm kühler, nächtlicher Nebel zog, sondern auch beißender Fischgestank. Durch die nur wenige Zoll breiten Lücken zwischen den Häusern waren leicht im Wind schwankende Schiffsmasten zu erkennen, die sich vom mondhellen Himmel abhoben. Hätte der Mann nicht permanent geflucht, wäre sicherlich auch das Wasser zu hören gewesen, das mit einem rhythmischen Klatschen gegen die Hafenmauer schwappte.
Einige Meter und eine Rechtsbiegung weiter war es nicht mehr nur der Mond, der die Szenerie beleuchtete. Aus einem Fenster in einem Gebäude zur Linken des nächtlichen Wanderers fiel Licht auf das Pflaster. „Wild Monkey“ war auf dem Schild zu lesen, das über dem Eingang schaukelte. Ein grinsender Affe, der sich die Ohren zuhielt, zierte es.
„Verdammt ... Zeit“, ließ sich der Betrunkene vernehmen, als sich die Tür der Kneipe öffnete und daraus ein dicker Mann – offenbar nicht ganz freiwillig – mehr geflogen als gelaufen kam. Er fiel dem Ankömmling direkt vor die Füße. „Widerliches Pack“, knurrte der und trat dem am Boden Liegenden brutal in die Seite. Dann stieg er über ihn hinweg und betrat den „Wilden Affen“.
Nahezu undurchdringlicher Tabakqualm, höllischer Lärm und ein Gestank nach Schweiß, Erbrochenem, Urin und Alkohol schlugen ihm entgegen. Von irgendwo in der Nähe des Tresens kam eine dürftig bekleidete Brünette: „Na Süßer, das ist aber ein schöner Mantel, den du da trägst. Soll ich dir vielleicht behilflich sein, ihn ...“
Der Mann stieß sie wortlos, aber rüde zur Seite und drängte sich zur Bar vor. „Rum“ rief er mit drohender Stimme.
Doch niemand beachtete ihn. Der Barkeeper war damit beschäftigt, einen Streit am anderen Ende des Tresens zu schlichten, wobei er wenig zimperlich vorging.
„Ist das ... verfluchter Drecksladen, dass ich keinen Rum ...“, dröhnte der Neuankömmling, wobei er mit einer imponierenden Faust auf den Tresen schlug. Der Wirt schien jetzt zwar bemerkt zu haben, das er einen neuen Gast hatte, machte aber weiterhin keine Anstalten, ihn zu bedienen.
Stattdessen beugte sich ein kleiner Mann mit weißem Vollbart vor: „Ja ja, seit Sir Henry Morgan nicht mehr ist, ist die Stadt nicht mehr ...“
„Hör doch auf mit Deinem ewigen Sir Henry Morgan“, unterbrach ihn ein anderer, „der ist seit 32 Jahren tot. Wann begreifst du das endlich? Das Erdbeben war es, das der Stadt den Rest gegeben hat.“
„Auch das ist schon 28 Jahre her“, ließ sich ein dritter vernehmen.
Der Mann im schwarzen Mantel schien das alles nicht gehört zu haben. Er langte in die verborgenen Tiefen seine Kleidung und förderte etwas silbern Glänzendes zutage. Mit einem Scheppern knallte er es auf den Tresen und sagte wieder „Rum“.
Der Wirt schien nun genug von dem neuen Störenfried zu haben, pfefferte einen schmuddelig wirkenden Lappen in die Ecke und kam mit zwei großen Schritten heran. Als er jedoch sah, was sich auf seinem Tresen befand, erstarrte er mitten in der Bewegung und bekam große Augen. Auch die Männer, die eben über den Niedergang der Stadt philosophiert hatten, stierten das Ding an. Es wurde sekündlich ruhiger im „Wilden Affen“, bis niemand mehr ein Wort sprach.
„Rum“ sagte der Mann im Mantel erneut. „Sofort!“
Der Wirt griff hinter sich, um ein Glas aus dem Regal zu nehmen, als ihn die Stimme des Mannes unterbrach: „Habe ... eigenen Becher ... gebracht ... Rum!“ Er griff nach dem Ding auf dem Tresen und hielt es dem Wirt hin, der davor zurückzuckte. Immer noch war es totenstill im Raum.
„Wenn es das ist, wonach es aussieht – ähm ich habe davon gehört -“, sagte der Weißbärtige, „dann sollten Sie es schnellstens wegwerfen.“
Statt einer Antwort griff der Mann erneut unter seinen Mantel und hatte unmittelbar darauf einen Vorderlader-Revolver in der Hand, den er nun abwechselnd auf Weißbart und den Wirt richtete. „Es ist genau das, wonach es aussieht“, sagte er überraschend klar. „Es ist“ und damit ergriff er das Ding und hielt es den nächtlichen Kneipen-Besuchern entgegen, „Captain Blackbeards Schädeldecke, in Silber ausgegossen. Und ich will jetzt verdammt noch mal meinen Rum daraus trinken.“ Fordernd hielt er dem Wirt das Gefäß entgegen, während er mit der anderen Hand den Revolver auf ihn richtete.
Zögernd und mit zitternden Händen kam der Wirt dem Wunsch nach.
Kurz bevor der grausige Becher die Lippen des Mantelträgers berührte, sagte der Weißbärtige leise: „Tun Sie es nicht. Der silberne Schädel von Captain Blackbeard ist verflucht. Wer aus ihm trinkt, stirbt einen grausamen Tod und mit ihm all seine männlichen Nachkommen - bis in alle Ewigkeit.“
Vorsichtig setzte der Neuankömmling sein Trinkgefäß ab, zielte mit dem Revolver genau zwischen die Augen des Warners und drückte ab. Danach trank er den Rum in einem einzigen Zug aus.


Roanoke Island, Outer Banks, North Carolina, im Sommer 2003

“Menno, Jimmy, jetzt hör doch endlich auf mit deinem Captain Blackbeard. Ich bin nicht wegen der alten Piratengeschichten mit dir um die halbe Welt geflogen.“
„Ich aber.“ Es sollte scherzhaft klingen, aber Melissa wusste, dass es kein Scherz war. Jimmy Meadocks hatte sich total verrannt in diese Sache. Sicher, er hatte schon immer einen Fimmel in dieser Hinsicht gehabt, aber seit sie hier waren, war mit ihm überhaupt kein vernünftiges Wort mehr zu reden. Und ja, langsam dämmerte ihr, dass er keineswegs wegen der Schönheit dieser Insel hierher gekommen war, sondern weil es genau der Platz war, an dem der gefürchtetste Pirat aller Zeiten, Edward Teach alias Captain Blackbeard, im Jahre 1718 zu Tode gekommen war.
„Wusstest du eigentlich“, begann Jimmy schon wieder, während er aufs Meer starrte, „dass Blackbeards Schädel nach seinem Tod mit Silber ausgegossen und als Trinkgefäß benutzt wurde?“
Melissa wandte sich von ihm ab, stemmte die Fäuste in die Hüften und blickte ebenfalls trotzig aufs Meer. „Ich möchte, dass wir nach Hause fahren. Ich finde alles hier öde und furchtbar. Ich finde dich öde und furchtbar.“
Jimmy machte einen halbherzigen Versuch, sie zu umarmen, doch Melissa riss sich sofort von ihm los und nahm einige Schritte Abstand. „Ist dir eigentlich bewusst, dass du von nichts anderem mehr redest, als davon. Du bemerkst gar nicht mehr, dass ich ein menschliches Wesen bin. Warum bist du nicht mit deinem Wellensittich in Urlaub gefahren, dann hättest du dem den ganzen Scheiß erzählen können.“
Jimmy schien ihr nicht zugehört zu haben. Während er weiter auf ein kleines Wäldchen am westlichsten Ende der Insel zustapfte, sagte er: „Port Royal auf Jamaica galt damals als Piraten-Hauptquartier. Ein Ahnenforscher aus meiner Familie will sogar herausgefunden haben, dass unsere Familie einen Vorfahren dort hatte. Kannst du dir das vorstellen?“ Mit diesen Worten drehte er sich zu seiner Freundin um und fasste sie an den Schultern.
Melissa, die damit nicht gerechnet hatte, schrak zusammen. Zum ersten Mal fand sie, dass in seinen Augen etwas Abnormales zu finden war. War ihr Freund dabei durchzudrehen? Brauchte er Hilfe? War ihre abweisende Reaktion auf das alles hier grundfalsch? „Ein Verwandter von Dir lebte in Port Royal?“, fragte sie deshalb zaghaft.
Jimmy fasste das als Aufforderung auf weiterzuerzählen. „Ja, aber Captain Blackbeard war ja nur anfangs dort. Später war er ...“ - er stockte, drehte sich dann um und machte eine ausladende Handbewegung „genau hier, auf den Wassern um die Outer Banks“. Das Flackern in seinen Augen nahm zu.
Melissa fragte sich nun ernsthaft, ob es ratsam wäre, sich professionelle Hilfe zu holen. „Lass uns ins Hotel zurück“, sagte sie, „mir wird kalt.“
„Gleich – ich will Dir nur noch etwas zeigen. Ich habe es gestern gefunden, als du geschlafen hast. Da war ich schon mal hier. Komm!“
Er war den weiten Weg vom Hotel bis hierher gestern schon mal gegangen? Melissa konnte es kaum glauben. Sie hatte doch höchstens eineinhalb Stunden geschlafen.
Nach zehn Minuten – sie befanden sich jetzt in dem kleinen Wäldchen - hatten sie offenbar ihr Ziel erreicht, denn Jimmy deutete ganz aufgeregt auf ein Stück Holz. „Sieh Dir das an. Wie kommt so etwas hierher?“
„Was meinst du damit? Für mich ist es nicht weiter verwunderlich, dass es im Wald ein Stück Holz gibt.“
„Aber nicht solches Holz. Das hier ist ein Fichtenwald. Der Stiel dort, oder was es ist, ist aber kein Fichtenholz“.
Melissa schaute genauer hin. Stimmt, das war erstaunlich. Aber nicht so erstaunlich, dass sie gewillt war, darüber weiter nachzudenken. „Irgendjemand wird es dort halt hingeworfen haben.“
„Dann heb es doch einfach auf.“
Obwohl ihr Anfall von Mitleid wieder in Wut umschlug, ergriff sie den Holzstiel und versuchte ihn hochzunehmen. Doch er steckte tief in der Erde und ließ sich nicht bewegen.
„Ich will dir sagen, was es ist“, sagte Jimmy, „es ist die obsterste Mastspitze der „Queen Anne’s Revenge“, Blackbeards Schiff, das somit genau an dieser Stelle vergraben liegt.“
Gegen ihren Willen musste Melissa lachen. „Du bist verrückt.“ Fast biss sie sich auf die Zunge, denn das war es wohl, was ihr Freund wirklich war: verrückt. „Du hast mir gestern noch erzählt“, sagte sie, um das Gespräch in anderes Fahrwasser zu lenken, „dass die Queen Anne’s Revenge im North Carolina Maritime Museum liegt.“
„Teile davon, nicht aber das ganze Schiff. Das ganze Schiff befindet sich genau hier. Wir stehen sozusagen auf ihm. Und die oberste Mastspitze davon ragt aus dem Boden. Du hast sie gerade in der Hand.“
Melissa ließ das Stück Holz abrupt los. „Lass uns gehen!“
„Gleich – ich will nur noch schnell ein Erinnerungsfoto machen. Hiermit ...“ Er fummelte plötzlich unter seinem Pullover herum und zog etwas hervor, von dem Melissa nicht wusste, das er es bei sich hatte, geschweige denn, dass es überhaupt existierte: eine mindestens eineinhalb mal einen Meter große Piratenflagge, den sogenannten Jolly Roger, den er nun auf dem Waldboden ausbreitete. Danach befestigte er das Stoffstück mit Wäscheklammern, die er ebenfalls dabei hatte, an dem aus dem Boden ragenden Holzstiel. Der Wind war stark genug, die Fahne wehen zu lassen.
Fast ehrfürchtig betrachtete Jimmy das Ensemble. „Komm, mach ein Foto mit mir.“ Er nestelte an der Kamera herum, die an einem Tragegurt vor seinem Bauch baumelte.
„Nein, ich will nach Hause – sofort. Das alles ist furchtbar albern.“ Melissa wandte sich ab, doch Jimmy hielt sie am Arm fest. „Ich will, dass du jetzt ein Foto von mir, dieser Fahne und der Mastspitze von Captain Blackbeards Schiff machst.“ Erschrocken blickte Melissa ihren Freund an. Er hatte in einem scharfen Ton gesprochen – viel schärfer, als er es jemals in ihrer Gegenwart getan hatte. Nun war sie sich sicher, dass er verrückt war. Eine leichte Angst begann, ihr den Rücken hinauf zu kriechen. Um keinen Preis wollte sie noch länger in seiner Gegenwart bleiben. Stärker, als sie es vorgehabt hatte, versetzte sie ihm einen Stoß gegen die Brust, so dass er – der diese Gegenwehr offenbar nicht erwartet hatte – rückwärts taumelte. Geradewegs auf Captain Blackbeards Fahne und das Holzstück zu, an dem sie wehte ...

Die Notfallambulanz, die erst Stunden später am Unfallort eintraf, gab einer Baumwurzel die Schuld: Jimmy Meadocks musste darüber gestolpert und so unglücklich gefallen sein, dass ihn das Holzstück mit der Piratenfahne daran geradezu aufgespießt hatte. Immerhin musste er sofort tot gewesen sein, hatte nicht mehr lange gelitten.

Die Seismographen in North Carolina registrierten an diesem Nachmittag ein leichtes Erdbeben, dessen Epizentrum im westlichen Zipfel der Insel Roanoke in den Outer Banks lag.

Niemand kümmerte sich um die Piratenflagge an dem Holzstiel, der so unvermittelt aus dem Boden ragte. Auch forschte nie jemand danach, was darunter in der Erde lag...

© Andreas Schröter im Dezember 2003



Einige Fakten:
Port Royal auf Jamaica galt im 17. Jahrhundert als Hauptquartier der Piraterie. Erst der Tod eines der berühmtesten Piraten, Sir Henry Morgan, 1688 läutete den Niedergang Port Royals als Freibeuterhafen ein. Am 7. Juni 1692 wurde die Stadt von einem gewaltigen Erdbeben heimgesucht, weite Teile verschlang das Meer, darunter auch der Friedhof, auf dem Morgans Grabstein stand.

Doch Morgan mag der bekannteste Pirat seiner Zeit gewesen sein, der gefürchtetste war jemand anders: Edward Teach alias Captain Blackbeard (1680-1718). Teach befestigte vor dem Kampf brennende Zündschnüre unter seinem Hut, um sich ein besonders dämonisches Aussehen zu geben. Er war gleichzeitig mit 14 Frauen verheiratet, die er gelegentlich an seine Kumpane auslieh. Einmal überfiel er eine Stadt nur, weil er von dort eine Medizin gegen Syphilis haben wollte. Erst 1718 wurde er von der englischen Marine in den Outer Banks an der Küste vor North Carolina zur Strecke gebracht. Er war so berüchtigt, dass man nach seinem Tod seinen Schädel versilberte und als Trinkgefäß benutzte.

Blackbeards Schiff hieß „Queen Anne’s Revenge“. Teile des Wracks befinden sich heute im North Carolina Maritime Museum.

Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 16.07 Uhr
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