Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Dezember 2003
Peiráomai
von Anne Zeisig


Ich bin mit meiner Arbeit sehr zufrieden, halte das schwarze Samt-Top hoch und mustere den Seidenbesatz. Morgen würde ich noch per Hand das Innen-Etikett annähen. Gelernt ist gelernt. Und jetzt diese elektronische Nähmaschine mit dem Etiketten-Stickprogramm! Herrlich!. Das gute Stück ergänzt sich hervorragend mit meinem PC, wo ich mir die Labels für die Etiketten herunterlade. Falls das Fräulein Tochter den Computer nicht belagert. Pubertät! Da ist sie mitten drin.
Wenn man vom Teufel spricht ... Die Tür wird laut aufgerissen und mit Jenny, meiner Sechzehnjährigen, rauscht ein kalter Windzug hinein: Die Handtasche hängt sie meiner Ankleidepuppe um den Hals, ihre Jacke wirft sie über meinen Nähtisch, die Stiefel landen in einem hohen Bogen vor meinen Füßen, sie wischt in einem Rutsch die Schnittbogen vom Hocker und setzt sich demonstrativ vor mich. Verschränkt beide Arme vor ihrem, meiner Meinung nach viel zu tiefem Dekolleteè: „Soll das etwa schon wieder so ein uncooles Top für mich sein? Wenn Du meinst, ich würde mich an Weihnachten darüber freuen, dann hast Du Dich aber geirrt!“
Ich atme tief, sehr tief durch und stelle den Nähkasten ins Regal.
„Wann endlich erhöhst Du mein Taschengeld, damit ich mir auch Originale zulegen kann! Alle! Alle in meiner Klasse haben das megahippe Shirt von `Eskadi´! Pannesamt aus Frankreich mit Seidenbesatz aus Japan!“
Ich halt das Top hoch. Und meinen Kopf auch: „Wo bitte ist der Unterschied zwischen meinem Shirt zu dieser Edelmarke? Einzig im Preis ist der Unterschied! Warum soll ich mit meinem sauer verdienten Geld die Designer dieser Frau `Eskadi´ finanzieren? Im Leben nicht sehe ich das nicht ein!“
„Im Leben nicht sehe ich das nicht ein“, äfft Fräulein Tochter mich nach, „wenn ich diesen Satz schon höre! Eine zweifache Verneinung ist da drin! Die Budde würde mir `ne glatte Fünf dafür geben im Aufsatz, wenn ich so einen Satz schreiben würde!“
Aha! Daher weht also der eisige Wind. Ich erhebe mich, falte das Top zusammen und lege es auf den Nähkasten: „Mit anderen Worten. Wieder eine Fünf in Deutsch. Na ja, Du machst dieser `PISA-Studie´ alle Ehre, meine Große!“
Sie schlägt ein Bein über das andere und wippt mit dem Fuß auf und ab: „`Eskadi´ ist so hochpreisig, weil die Qualität Deine Kopien bei weitem übersteigt!“
Ich drehe mich herum. Sie steht auf. Auge in Auge. Ich sauge ihre Kälte ein: „Wenn Du dieses Scheiß-Etikett meinst, was da bei `Eskadi´ rein genäht ist und wofür man das zigfache bezahlen muss, wenn Du das als bessere Qualität bezeichnest, junge Dame, dann empfehle ich Dir in Zukunft einen Schüler-Job zur Finanzierung Deines Markenbewusstseins! Dann wirst Du am eigenen Leibe erfahren, was es heißt, für sein Geld arbeiten zu müssen, um es dann in Markenläden zu verschleudern!“ Mit Stecknadeln fixiere ich das Etikett am Halsausschnitt. „Für das Geld eines einzigen Edelfummels ernähre ich hier eine komplette Familie im Monat!“
Sie dreht sich blitzschnell herum und eilt aus dem Zimmer. Zurück bleibt der Hauch ihres widerlich stinkenden Parfüms von…, ach!
Ich öffne den Nähkasten und lege das Shirt hinein.


„Wir sind die Internet – hep-hip-rep – Piraten und klauen uns die geilen Daten – hep-hip-rep – kost uns nix, ist geil, weil – hep-hip-rep – nur ein Depp bezahlt für Scheiße – hep-hip-rep – auf diese Weise – hep-hip-rep – Geiz is geil, weil die Bosse da oben – hep-hip-rep – nur sich selber loben - ...“

Und diese Töne, Musik genannt, malträtieren das Mauerwerk unseres ohnehin alten Hauses! Meine Ohren! Ich schüttele den Kopf. Diskussionen bringen hier gar nichts. Stattdessen sammele ich Jennys Hinterlassenschaften ein, reiße die Tür zu ihrem Zimmer auf und schmeiße die Sachen voller Elan auf das Bettsofa.
Sie wirft ihren Kajalstift gegen den Wandspiegel, schnauft wie ein Stier und schreit gegen die Lautstärke der Musik an: „Was soll das?“
„Das frage ich mich auch! Das ist wieder mal kein Zimmer sondern ein Saustall!“
Dabei hatte ich noch vor einer Woche, als sie auf Klassenfahrt war, hier alles, aber auch alles gereinigt! Warum mache ich das überhaupt? Warum riskiere ich es nicht, dass sich mein Fräulein Tochter eine Stauballergie einfängt? Ich gehe zur Teppichbrücke, weil diese wie ein erhabener Berg aus der Unordnung herausragt, und hebe sie an. Und was sehe ich darunter? Klamotten! Kleidung, welche einst sauber und gebügelt war, liegt zusammengerollt und gequetscht auf dem Boden! So geht sie also um mit den Früchten meiner Arbeit!
Mit mir nicht! Oh nein! Da muss das Fräulein aber eher aufstehen, wenn sie meint, mich dermaßen provozieren zu können! Ha! Auf so eine Tour springe ich doch nicht an! Ich nicht! Da mache ich doch kurzen Prozess! Da tue ich doch das Unerwartete! Nicht Reden sondern Handeln!

„Wir sind die Internet – hep-hip-rep – Piraten und warten auf den jüngsten Tag – hep-hip-rep – der uns sagt, was Sache ist – hep-hip-rep – wo jeder Dreck als gedeckter Scheck – hep-hip-rep - ... sonst blasen wir euch die Birne weg! – Hep – hip-rep!“

Und was sind das überhaupt für abgedrehte Musiktexte?! Ich ziehe das Rollo hoch, öffne das Fenster, raffe den Berg Klamotten an mich und werfe ihn „ Ex und hopp“ mit Genugtuung aus der ersten Etage auf den Bürgersteig. Das tut gut! Der Winterwind kühlt meine Ohren. Jenny steht mit dem Rücken an den CD-Turm gelehnt, ich schiebe sie kraftvoll zur Seite: „Und alle diese Scheiben hier beinhalten denselben Dreck, den ich gerade um mein Trommelfell geknallt bekomme!“, rufe ich entsetzt, fingere mir einige CDs heraus und halte sie vor Jennys blasse Nase: „Alles Raubkopien aus dem Internet! Stimmt ´s? Dachte ich es mir doch, dass Du Deine Zeit vor dem PC nicht mit Lernen verbringst oder Dir wertvolle Informationen herunter lädst! Nein! So einen Scheißdreck verewigst Du und benutzt dafür auch noch meinen unschuldigen Brenner! Bestimmt besserst Du Dein Taschengeld mit dem Verkauf dieser Raub-Kopien auf! Und warum? Damit Du Dir solch widerliches Parfum kaufen kannst einschließlich dieser Malstifte, die Dein hübsches Gesicht in eine Maske verwandeln! Raubkopien aus dem Internet! Das ist strafbar! Das ist Stehlen geistigen Eigentums und unsachgemäße Verbreitung! Oh nein! Aber Dich würde es ja bestimmt freuen, wenn hier noch heute Abend die Kripo vor der Tür stünde!“ Ich nehme so viele CDs an mich wie möglich und werfe diese einzeln aus dem Fenster, so wie man es mit Frisbee-Scheiben tut. Jenny zerrt zwar von hinten an meinen Schultern und will mich zurückhalten, aber eigentlich müsste sie wissen, dass ihr das nicht gelingt! Wenn ich mich wie eine Mutter fühle, dann werde ich zur kraftstrotzenden Hyäne. Und das tut gut!

„Wir sind die Internet – hip-hep-rep- Piraten – und warten auf den jüngsten Tag – hip-hep-rep- da kriegt jeder sein Fett weg - ... rep – die Bosse kassieren und beherrschen den Markt - ... rep – obwohl der Künstler nix zu fressen hat - ... rep!“

Plötzliche Stille!
Jenny hat das Gedudel abgestellt, kniet sich auf den Boden, streift den Teppich glatt, stellt sich vor mir auf und zischt: „Hast Du überhaupt eine Ahnung von Internet-Piraten? Kennst Du da eigentlich die gesamten Hintergründe? Diese Firmen, zum Beispiel die Filmindustrie, da beherrschen nur wenige den Markt, genau so ist es auch in der Musikbranche. Diese wenigen Firmen haben immer gut, sehr gut, an uns verdient mit den sauteuren CDs. Nimm doch mal diese ganzen Piratenfilme zu Deiner Jugendzeit! Ich will nicht wissen, wie viel Taschengeld Du da ins Kino gebracht hast!“
Aha! Wieder so eine galante Ãœberleitung zum Taschengeld.
Sie flüstert: „Ja, ja, diese Film-, Musik- und Software-Schmieden, heute kommen sie an und bezeichnen uns, die Jugend, als Internet-Piraten, bezeichnen das, was wir runterladen als `Geistige Beute´ mit dem Argument `Copyright´. Aber weißt Du was?“ Sie setzt sich aufs Sofa. „Dem Künstler, der, der eigentlich mit seinem Geist was geschaffen hatte, dem wird noch am allerwenigsten gezahlt! Die Bosse da oben kassieren! Und sie haben kassiert von einer Zielgruppe, die sie nun als Piraten bezeichnen! Erst haben sie uns den Mund wässerig gemacht und gut dran verdient – und nun?! Da drängen sie ihre einst so geliebte Zielgruppe in die Kriminalität! So ist das! Für den Kampf gegen die eigene Zielgruppe haben sich die `Copyright Industries´ auf die `Verteufelung der Piraten´ eingeschossen. Und diese Medienstrategie soll funktionieren!“ Sie schüttelt den Kopf.
`Muss ich das verstehen?´ Aber ein Hoffnungsschimmer keimt in mir hoch. `Vielleicht könnte das Kind ja mal BWL studieren?´ Ich zupfe das Sofakissen zurecht und habe den Eindruck, als müsse ich meiner Großen klar machen, was Recht und Ordnung überhaupt bedeuten: „Aber Jenny“, ich lege ihr meine Hand auf die Schulter, „seid ihr etwa Freibeuter, welche von einer Kommission, einer Regierung einen Auftrag dazu erhalten habt? So einen Auftrag nannte man Kaperbrief. Deshalb konnte ein Freibeuter auch nicht als Pirat angeklagt werden. Die großen Seefahrernationen nutzten Freibeuter als billige Alternative zum Bau und zur Unterhaltung eigener Kriegsmarinen, weil...“
Jenny steht abrupt auf und geht zum Fenster: „Ach! Du mal wieder mit Deiner Besserwisserei! Alles weißt Du besser! Alles kannst Du besser! Du bist ja so schlau! Wenn Du mir was zu sagen hast, dann sag es direkt und nicht über den Umweg von wegen Freibeuter und so `n historischen Scheiß, nur, weil Du Deine frühere Eins in Geschichte hier rauslassen musst!“ Sie beugt sich ein wenig zu weit aus dem Fenster hinaus. Es ist im Raum noch kälter geworden: „Jenny, schließ endlich die Läden, wir erfrieren ja.“
Ruckartig schnellt sie herum, kommt meiner Aufforderung nach und legt den Zeigefinger auf den Mund: „Pst! Da unten interessieren sich zwei Polizisten für die Klamotten und die CDs!“
„Ja und? Ich werde sofort runtergehen und den Müll einsammeln.“ Klar, wilde Müllkippen sind nicht erlaubt.
„Bist Du verrückt?“ Sie hält mich am Arm fest. „Es ist ja nicht wegen der CDs. Die habe ich mir ordnungsgemäß so nach und nach von meinem kargen Taschengeld gekauft.“ Ich muss sie wohl sehr erstaunt angesehen haben, denn ohne Luft zu holen fährt sie fort, „ja, da guckst Du, was? Ich und mir was zusammen sparen, das hättest Du wohl nicht gedacht!“
Wo sie Recht hat, hat sie Recht.
„Aber Du! Willst Du im Knast landen?“
„Ich und Knast? Dass ich nicht lache! Werde den Unrat da unten ja sofort weg... „
„Du und lachen? Dann erzähle mir doch mal so ganz im Vertrauen, wo Du stets diese Marken-Labels her hast, welche Du als Vorlage für Deine Etikettenstickerei benutzt, wo doch gar nicht `Eskadi´ drin ist, obwohl es auf dem Etikett drauf steht!“
„Aus dem Internet! Kann man da so einfach runterladen und auf dem Grafik-Programm abspeichern, bearbeiten und dann ... „
„Meine Mutter ist eine Internet-Piratin!“, ruft Jenny und schmeißt sich bäuchlings lachend auf das Schlaf-Sofa, „Markenpiraterie ist das, was Du da machst!“
`Was?´ - „Na hör mal!“ Es wird Zeit, dass meine Autorität wieder zum Zuge kommt, „ohne diesen Etiketten-Mist in den Kleidungsstücken hättest Du ja noch mehr Theater gemacht, weil Deine Freundinnen sonst gemerkt hätten, dass ich ... „
„Genau!“ Sie setzt sich wieder auf, „und ich musste auch noch lügen, weil die stets gefragt hatten, wo ich die Fummel denn gekauft habe!“
Die Türglocke!
Ich bewege meinen Hintern Richtung Flur. Jenny will mich zurückhalten, aber das gelingt ihr nicht, wie gesagt, wenn ich mich wie eine Mutter fühle, dann ... kraftvoll öffne ich die Tür. Die Herren in Grün begrüßen mich höflich und fragen, ob uns da unten die ... Ja, ich gebe es zu und erkläre ihnen per Kurzversion den Zwist mit meiner Pubertierenden: Saustall-Zimmer und so weiter ... Und verspreche, alles wieder einzusammeln. Die Beamten schütteln mir mitfühlend die Hände, sie hätten auch Kids in dem Alter ...

Ich knalle die Tür zu. Jenny steht an der Garderobe und kontrolliert ihre Frisur im Spiegel.
„DU wirst das da unten einsammeln!“, befehle ich ihr.
Sie stammelt was von „unwissende, ungeschulte Bullen“ und will überhaupt nicht einsehen, warum sie etwas einsammeln soll, was sie ja gar nicht rausgeworfen habe.
Ich gehe in die Küche. Sie hinter mir her.
„Die sind nicht unwissend und ungeschult.“ Ich kratze die aufgeweichten Reste Pasta aus einem Topf.
„Sei doch froh, dass die so blöd sind, sonst hättest Du jetzt einen schönen Schlamassel am Hals wegen Marken-Piraterie!“
„Und Du bewegst Dich nun nach unten und sammelst Deine `Eskradi-Fummel´ ein!“
„Eskadi!“, verbessert mich meine Liebste.
„Eskradi!“, wiederhole ich und scheuere den Topf.
Nicht nur Jennys Frisur verwandelt sich zu einem Fragezeichen. Ich tippe auf ihre Stirn: „Tja, mein Kind, ich sagte doch heute Abend bereits, dass Deine Fünf in Deutsch konform geht mit diesen Ergebnissen aus der `PISA-Studie´, denn auf meinen abgekupferten Etiketten steht `Eskradi´ und nicht `Eskadi´. Bin halt ganz einfach davon ausgegangen, dass Deine Freundinnen ebenso oberflächlich lesen wie Du. Ihr orientiert Euch doch nur an Farben und Bildern! Und wegen Modefummel werde ich mich nicht selbst kriminalisieren! Im Leben nicht mache ich so was nicht! Außerdem kann man mir keinen Handel damit vorwerfen sondern nur `ne Mini-Produktion für den Eigenverbrauch!“ Jenny wirft ihre Mähne in den Nacken und rauscht ins Treppenhaus mit den Worten: „Nicht mal eine mutige Piratin bist Du! In meinem griechischen Wörterbuch steht: peirates, Seeräuber; von peiráomai: sich dranmachen, sich bemühen, streben, unternehmen, wagen, etwas versuchen oder erproben, prüfen, untersuchen oder ... „ Den Rest kann ich nicht mehr verstehen, höre nur noch, wie sie unten die Haustür zuknallt.
Meine Jenny und ein griechisches Wörterbuch? Kein Wunder, dass sie in Deutsch so schlecht ist! Angeekelt lasse ich Wasser über einen Teller laufen, wo die Essensreste bereits beginnen, ein Eigenleben zu führen. `Igitt´.
Leise wird die Wohnungstür aufgeschlossen. Das kann nur Jenny sein.

. . .

Wenig später in der Küche:
„Mama, weißt Du, eigentlich wäre es doch ganz toll, wenn ich die Segel mal gänzlich herumreißen würde.“
„Hm“, ich bemühe mich darum, das Schiff wieder startklar zu machen, will sagen, dass ich mit dem Abwasch beschäftigt bin.
„Wenn Du mir Zuschneiden und Nähen beibringen würdest, dann könnte ich mir meine Fummel selbst nähen, meine eigene Mode entwerfen.“
Ich stelle das Geschirr in den Schrank, die Arbeit in der Kombüse ist getan, Jennys Redefluss ist nicht zu bremsen: „Mit eigenen Etiketten! Mein eigenes Markenzeichen!“ Sie schaut mit glänzenden Augen zur Deckenleuchte, „ich will mein eigenes Glück versuchen und den Kampf mit dem Dasein aufnehmen! Nur aus eigenen Erfahrungen werde ich lernen!“
Ich lege die Muskete, äh, das Fleischmesser in die Lade und säusele: „Stammen Deine Erkenntnisse auch aus dem griechischen Wörterbuch? Abgeleitet von `peiràomai´?“
Jenny steht gähnend auf und gibt mir einen Kuss auf die Wange. „Mama, Du brauchst Abwechslung. Wenn Papa am Freitag wieder hier ist, dann solltet Ihr unbedingt mal ins Kino gehen, da läuft so ein Piratenfilm. Ein historischer Schinken. Immer nur Haushalt, da muss man ja blöd von werden, da tut die Konzentration auf einen Film ganz gut und bringt Dich auf andere Gedanken.“
„Und wenn Du Dich auf das Entwerfen Deiner eigenen Markenmode konzentriert hast, dann solltest Du aufpassen, dass sie Dir niemand abkupfert“, rufe ich ihr hinter her, aber sie hat schon ihre Zimmertüre geschlossen.

„Internet-Piraterie – hu-ha – so was machen wir doch nie – hu-ha – drehen unser eignes Ding... hu-ha... „

„Jenny! Leiser! Es ist schon nach zehn! Soll hier etwa wieder die Polizei klingeln?“ Sie wird doch wohl nicht einen dieser Piratensender eingeschaltet haben? Ist so was überhaupt strafbar?
Das Telefon reißt mich aus diesen Gedanken: „`n Abend, ist Jenny noch wach? Es ist ja nur, also, ich wollte fragen, ob sie morgen endlich dieses Shirt von `Eskadi´ mit zur Schule bringt? Jenny hat doch da diesen heißen Draht zum Großhandel und hatte es mir versprochen. Aber ich war ein paar Tage krank und deshalb wollte ich fragen, was das geile Teil denn kostet?“
Ich knalle den Hörer auf: „Jenny!!!!!“
Meine Große senkt schuldbewusst die Augen und zwirbelt an ihrem Pony herum: „Reg Dich doch nicht so künstlich auf! Für 99,17 Euro habe ich halt das eine oder andere Teil verkauft, was ich nicht anziehen wollte. Hast mir doch erzählt, dass Dich das Material höchstens bis zu 30 Euro kosten würde. Da war das stets ein gutes Geschäft, oder?!“ Sie räuspert sich kurz und flüstert, „ist immerhin `ne tolle Gewinnspanne von ... Prozent. Und das ist für `Eskadi´ fast geschenkt. Wo CDs ja sehr teuer sind, weil ...“
„Eskradi!“, schreie ich, „war nur für den Eigenbedarf gedacht, weil... „
Ich schaue auf die Küchenlade, wo ich die Muskete, äh, das Fleischmesser hineingelegt hatte.
`Stimmt! Ich muss hier mal wieder raus! Aber ob mein Mann Lust auf einen Piratenfilm hat, wenn er am Freitag im Hafen einläuft und eine Woche lang endlich seine Kombüse samt Kreuzfahrtschiff nicht mehr gesehen hat?´



Anne Zeisig, Dezember 2003


















Letzte Aktualisierung: 28.06.2006 - 16.12 Uhr
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