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Januar 2004
Böser Mann
von Jana Förster

„Telefonische Beratungsstelle Hamburg. Hallo?“ Rick Wenzel sprach sanft und freundlich, denn die meisten Anrufer dieser Nummer hatten Angst und oft legten sie ohne etwas zu sagen wieder auf.
Nur ein leises Atmen rauschte durch die Leitung. Diese Situation kannte er gut, sehr gut sogar. Und er wusste, was zu tun war - so ergriff Rick die Initiative: „Hallo, mein Name ist Rick. Möchten Sie mir Ihren Namen sagen?“ Nur das Knacken in der Leitung antwortete ihm.
Er wollte neu ansetzen, als eine leise Kinderstimme erklang: „Mein Vater hat gesagt, ich darf Fremden meinen Namen nicht nennen.“ Ein Kind! Ein Kloß schnürte Rick die Kehle zu. Das Mädchen hörte sich sehr jung an. Er hatte nur selten so junge Anrufer und jedes Mal war es schrecklich – die Eltern schlugen es, Missbrauch ... In solchen Fällen stieß Rick an seine Grenzen.
„Dein Vater gab dir einen guten Rat. Aber vielleicht kannst du dir einen Namen ausdenken, dann kann ich dich besser ansprechen.“ Rick spürte, wie die Kleine darüber nachdachte. „Vielleicht Cinderella?“, schlug das Mädchen vor
„Cinderella – ein sehr schöner Name. Worüber möchtest du reden?“ Ricks Hoffnung, es wäre aus reiner Neugier, schwand wie ein Lichtschimmer in den Tiefen einer dunklen Höhle, als sie antwortete: „Ich hab die Nummer im Fernsehen gesehen: Beratungsstelle für alle Probleme – groß oder klein. Und da dachte ich, du kannst mir bei meinem helfen.“
„Was für ein Problem hast du denn, Cinderella?“ Stille.
Dann endlich ein Flüstern - er hatte Mühe das Mädchen zu verstehen. „Eigentlich darf ich nicht darüber reden, meine Mutti hat es mir verboten. Sie wird immer böse, wenn ich davon anfange.“
Rick sprach ebenfalls leise, so als hätten sie ein Geheimnis: „Aber mir kannst du es sagen, ich werde bestimmt nicht böse.“
„Es ist wegen diesem Mann. Dem bösen Mann. Kennst du ihn?“
Rick konnte kaum sprechen und räusperte sich: „Nein, ich glaube nicht. Möchtest du mir etwas über ihn erzählen?“ Er musste ihr helfen. Rick sah seine eigene siebenjährige Tochter vor sich.
Es dauerte eine Weile bis sie antwortete: „Er kommt manchmal nachts. Erst hab ich ja nach meiner Mutti geschrieen. Sie glaubt mir aber nicht. Ab jetzt will ich mich unter meinem Bett verstecken. So findet er mich nicht. Meinst du das hilft?“ In Gedanken sah er die runden, hoffnungsvollen Augen vor sich.
Plötzlich hörte er eine laute, männliche Stimme am anderen Ende – sie klang wütend: „Angela, was machst du da? Du darfst nicht alleine telefonieren.“ Ein erschrockenes Luftholen, dann das Knacken beim Auflegen.
Rick strich sich über die Augen und legte sein Head-Set ab. Eine eiserne Faust legte sich um sein Herz. Er sah wieder und wieder das gleiche Bild vor sich – ein kleines, ängstliches Mädchen zusammengekauert im Bett, ein Mann ... Er fühlte sich so machtlos.
Den ganzen Tag dachte er an nichts anderes. Angela - so hatte der Mann sie genannt. Ob das ihr Vater war? Freilich nützte ihm das nichts; er müsste wissen, wo sie wohnte, um ihr helfen zu können. Bei jeden Anruf hoffte er die helle Stimme der Kleinen zu hören. Aber seine Hoffnung schwand, als seine Schicht zu Ende ging.
Rick wollte mit Gerd reden, dem Psychologen der Telefonseelsorge. Der wusste meistens eine Lösung. Da blinkte das Lämpchen erneut – ein Anruf.
„Telefonische Beratungsstelle Hamburg. Hallo?“ Rick versuchte, sich auf den Anruf zu konzentrieren. Eine leise Kinderstimme meldete sich: „Hallo.“
Rick atmete auf: „Cinderella!“ Die eiserne Faust lockerte den Griff um sein Herz.
„Mein Vati erlaubt mir nicht zu telefonieren. Aber jetzt ist er weg.“
„Gut, möchtest du mir mehr über den bösen Mann erzählen?“
„Was willst du wissen? Eigentlich hab ich ihn noch nie richtig gesehen. Es ist doch nachts so dunkel.“
Rick war überrascht und verwirrt, normalerweise kennen die Kinder ihren Peiniger – der Onkel, der Vater...
Angelas Stimme wurde noch leiser. „Ich ... ich weiß, wo er wohnt.“
„Wo denn?“ Endlich einen Anhaltspunkt, Rick nahm Papier und Stift zur Hand.
„Die Eltern von Annelie haben ihr von dem bösen Mann erzählt und sie hat mich gewarnt: Er lebt im Schrank. Jede Nacht in einem anderen, da kommt er dann raus, wenn die Kinder schlafen und sticht ihnen die Augen aus, weil sie am Tag unartig waren.“
Rick ließ den Stift fallen, er war sprachlos.
Die verängstigte Stimme der Kleinen hallte noch in seinen Ohren: Er musste ihr Problem ernst nehmen. „Ach der, wir haben ständig Anrufe wegen diesem Kerl.“
“Wirklich?“
„Ja, weißt du, es gibt einen ganz einfachen Weg ihn loszuwerden. Möchtest du wissen, wie es geht?“
„Ja, ja, bitte, bitte.“, flehte sie.
„Pass auf, du nimmst ein altes Kleidungsstück - zum Beispiel ein Hemd deines Vaters, welches er nicht mehr trägt - das legst du einfach in den Schrank. Er kann den Geruch von Erwachsenen nämlich nicht ausstehen und kommt so gar nicht erst in deinen Schrank hinein. Möchtest du das ausprobieren?“
Das Kind rief begeistert: „Ja.“
„Danach rufst du mich noch mal an und erzählst mir ob es geklappt hat. Okay?“
„Mach ich bestimmt.“

Jana Förster; Januar 2004

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