Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Josef Th. Thanner IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Februar 2004
In der Kolonie
von Josef Th. Thanner

12. September 2146
Johan hat mir D’Ondreen mitgebracht. Ich habe sie in die gelbe Tonvase gesteckt und am Fenster platziert. Von dort fällt der Sonnenschein auf ihre samtigen Blätter. Manchmal stehe ich dort, schiebe den Vorhang beiseite und betrachte die Blütenblätter mit ihren feinen Härchen, die im Sonnenlicht glitzern und in den verschiedensten Farben schillern. In all den Jahren, die ich auf der Erde verbracht hatte, habe ich solch eine Pflanze nicht gesehen. Ich bin froh, dass wir hier auf Taurus sind. Hier ist alles so anders, so schön. Ich lasse die roten Strahlen der Sonne mein Gesicht wärmen. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich leuchtende rote Sternchen. Und ich sehe Johan, sein lachendes, bärtiges Gesicht. Wie ich ihn liebe!

14. September
Die D’Ondreen, die Johan mir vor ein paar Tagen gebracht hat, blühen immer noch, aber Johan hat mir heute neue Blumen mitgebracht. Uns den Kolonisten anzuschließen, die Taurus II besiedeln sollten, war die beste Entscheidung, die wir getroffen haben. Seit wir hier sind, ist Johan viel zufriedener. Er hat sich verändert, ist liebevoller und aufmerksamer geworden. Einen Mann wie Johan kann sich jede Frau nur wünschen.

15. September
Heute Abend habe ich Johan gefragt, warum er immer pfeift und fröhlich ist. Er sagte mir, er leide nicht mehr unter seinem Übergewicht. Taurus hat eine geringere Anziehungskraft als die Erde, und wir leben hier leichter und beschwingter. Hihi, ich könnte lachen! Wir haben zu zweit eine ganze Flasche Weißwein geleert und den Sonnenuntergang beobachtet. Danach sind wir ins Bett gegangen. Ich sage nicht, was wir gemacht haben, aber es war traumhaft.

22. September
Holly war um sieben Uhr gekommen und hat mir geholfen, Maiskolben zu ernten. Ich bin müde, schreibe nur noch ein paar Zeilen, dann gehe ich ins Bett. Ich bin so glücklich. Johan kommt erst übermorgen wieder, er ist auf einer Inspektionsrunde durch die Außenbezirke und kontrolliert Energieverbrauch und Effizienz der Farmen. Ich sollte vielleicht einsam sein, so ganz ohne ihn, aber wenn ich den Berg Maiskolben im Hof ansehe, bin ich nur noch zufrieden und glücklich. Morgen werden sie vom Transportdienst abgeholt, das bedeutet nochmals Arbeit.

29. September
Ich sah gegen Mittag eine fremde Frau in meinem Gemüsegarten. Ich bin hinaus gegangen und habe sie gefragt, was sie da macht. Sie hat mich nur angesehen, einen Augenblick lang, dann rannte sie davon. Seltsam. Muss aufpassen, dass mir niemand etwas von meinen Ernteerträgen stiehlt. Wir werden hier alle sehr streng nach dem bewertet, was wir erzeugen, und ich habe keine Lust, heruntergestuft zu werden. Habe Johan von der Frau erzählt, er war aber müde und hat nicht richtig zugehört.

30. September
Heute war wieder diese Fremde in meinem Feld. Stand mitten drin, mit diesem hässlichen roten Kleid mit weißen Blümchen, wie eine Vogelscheuche. Sie ist nicht unbedingt hässlich, aber Johan würde sie nicht gefallen, dazu ist sie viel zu knochig. Bin raus gegangen, wollte sie zur Rede stellen, da ist sie davongelaufen. Weiß nicht, was die dumme Gans da sucht. Freu’ mich schon auf den Wein, den ich gleich nachher mit Johan trinken werde. Wir haben es uns zur Gewohnheit gemacht, abends eine Flasche zu leeren. Ob das so gut ist? Wir werden es uns abgewöhnen müssen. Aber noch wollen wir es beide, also lassen wir es noch eine Weile dabei.

02. Oktober
Die Knochige hat mir heute bei der Arbeit zugesehen. Vom Hügel aus hat sie mich beobachtet. Dann ist sie hergekommen und hat nach Johan gefragt. Eigentlich hatte sie gefragt, ob ich allein wäre. Ich habe ihr nicht geantwortet. Aber ich hab’ kapiert, dass sie etwas von Johan will. Ich muss ihn bei Gelegenheit mal darauf ansprechen, ob er sie kennt.

03. Oktober
Johan ist wieder auf eine Dienstreise in die Außenbezirke. Auch die Knochige ist nicht aufgetaucht. Ob ich einsam bin? Wohl eher nicht, denn ich hab’ viel Arbeit zu erledigen. Da kann ich keine fremden Weiber brauchen. Holly hat versprochen, mir zu helfen, aber sie ist nicht gekommen; sie musste zu irgend einem Termin.

06. Oktober
Holly hat was auf den Augen. Ich hab ihr die Knochige gezeigt, aber die sagte, sie sähe sie nicht. Ich zeigte auf den Hügel: Dort, dort, siehst du sie denn nicht? Sie hat nur den Kopf geschüttelt und mich komisch angeschaut. Habe am Abend mit Johan darüber gesprochen. Finde es seltsam, dass diese Frau nur dann kommt, wenn er auch da ist. Wenn er auf Dienstreise ist, ist sie verschwunden. Irgend etwas geht da vor, ich muss herausfinden, was es ist. Johan tut meine Beobachtungen als Hirngespinste ab. Ich glaube aber, er weiß etwas.

10. Oktober
Dieses Weib versetzt mich langsam in Wut! Jetzt ist völlig klar, dass sie hinter Johan her ist! Er ist heute zum Außenbezirk III gefahren, und schon tauch sie nicht mehr auf. Woher weiß sie denn, dass er weg ist? Es selbst muss es ihr gesagt haben!

11. Oktober
Habe schon die zweite Flasche allein getrunken. (Die erste gestern!) Mir reicht’s! Ich kann auch ohne Johan glücklich sein. Ich hätte es wissen müssen, der und seine Weibegeschichten. Als wir noch auf der Erde waren, war er immer treu, aber jetzt ...!

12. Oktober
Ich warte nur noch darauf, dass Johan von seiner Dienstreise zurück kommt. Und dass die Knochige wieder erscheint. Na wartet, ihr könnt was erleben!

13. Oktober
12.00 Uhr. Heute Abend ist Ende von Johans Dienstreise. Erwartungsgemäß wird seine Tussy heute auch wieder auftauchen. Ich habe ein Küchenmesser zurechtgelegt. Sie brauchen nicht glauben, dass ich - - - - - War gerade Kaffee machen, als ich zurück kam, sah ich die Knochige vor dem Fenster. Nehme jetzt das Messer und werde die Sache beenden!

15. Oktober
Logbuch des diensthabenden Arztes Roland Junkers, Kolonie Taurus II
Abschlussbericht zum Fall Johan und Maura Miller. Johan Miller fand seine bis dahin nicht strafrechtlich in Erscheinung getretene Frau Maura am frühen Abend des 13. Oktober, nach Rückkehr von einer Dienstreise, auf ihrem Feld vor, wo sie auf eine Vogelscheuche einstach, die sie zuvor selbst aufgestellt hatte. Die Vogelscheuche trug eins der Kleider von Maura Miller. Als Johan Miller seine Frau ansprach, ging sie mit den Worten „Du und dein Flittchen!“ auf ihren Mann los. Er schaffte es, sie zu überwältigen, musste jedoch mit mehreren Stich- und Schnittverletzungen in die Station eingeliefert werden. Die Ursache für Maura Millers Ausbruch liegt m. E. in schubweise auftretenden Halluzinationen und gesteigerten Wahnvorstellungen, für die die landwirtschaftlichen Erzeugnisse von Taurus II verantwortlich zeichnen. Gerade die Erzeuger von Früchten, Obst und Gemüse sind davon betroffen, da sie ihre Produkte als erste kosten. Es muss angenommen werden, dass diese Produkte einen Stoff aus dem Boden absorbieren, der auf den menschlichen Organismus toxisch wirkt.

Dies ist der neunzehnte Fall dieser Art, und alles in allem muss bezweifelt werden, dass Taurus II ein geeigneter Planet für eine Besiedlung ist.

Roland Junkers
Facharzt, Taurus III



© J. Th. Thanner




Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthält 7042 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.