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Februar 2004
Auf den Psychiater gekommen
von Sabine Hinterberger

Ich sage euch, es erfordert ein ausgesprochen hohes Maß an Hingabe und echter ‚Leiden-Schaft’, psychische Krankheiten zu pflegen. Von den präzisen Vorbereitungen und dem enormen Zeitaufwand mal ganz abgesehen! Diese Mühsal, die von Außenstehenden oft aus lauter Unwissenheit völlig unterschätzt wird, erfährt bei jedem neuen Besuch des Psychiaters ihre Krönung und ehrliche Belohnung!
Hier die typischen Abläufe im Überblick:
1. Du hast dich mit deiner Psyche soweit geeinigt, dass sie ihre Krise immer so um den feststehenden Termin bekommt. Da ist leidensfähige Anpassung gefragt. Da die Termine ca. alle zwei Monate sind, erfordert das schon ein hohes Maß an Koordinations- und Einsichtsfähigkeit in die Begrenztheit der Psychiatrie im Besonderen und des Gesundheitswesen im Besonderen.

2. Du musst, wenn der Tag des Termins, endlich im Kalender unter ‚heute' auftaucht, immer erst vorher zum Telefonhörer greifen. In der Regel machst du das noch zweimal und längstens ‚in drei Stunden später' bist du einen Schritt weiter: Im Wartezimmer der Praxis. Hier sitzen all die anderen deprimierten Leidensgenossen, die in der Regel folgende Devise befolgen: "Na ja, das ist halt so, und er ist ja einfach gut!"

3. Wenn du dann über die nächste Hürde, auf den nächsten Stuhl vor das Sprechzimmer gelangst und in das Allerheiligste eingelassen wirst, solltest du dir vor Augen halten, dass der Mensch vor dir, seit heute Morgen einen nach dem anderen ‚be-sprochen’ hat, dich ‚be-spricht’ und die Übrigen noch ‚be-sprechen’ wird. Das nur, solltest du in seiner einheitlichen Gesprächsführung gar ein gewisses Gefühl der Monotonie verspüren.

4. Jetzt kommt der schwierigste Teil. Du musst ignorieren, dass er noch nicht einmal merkt, dass du ihm gar keine Antwort auf die Frage: "Wie geht es Ihnen?" gibst. Doch das ist reine Gewohnheits- und Ăśbungssache. Du achtest einfach genauso wenig auf ihn wie er auf dich. Und, er erwartet einfach keine Antwort.
Du siehst, dass seine Kaffeetasse mit abgestandenem kalten Kaffee, die schwül warm platt diagnostizierte Luft und das abgehetzte alles nichts sagende Gesicht deines Gegenübers - es ist Freitagnachmittag und für ihn ist längst noch kein Ende in Sicht - nicht gerade die besten Rahmenbedingungen für ein wirkliches Gespräch bilden. Das ist auch nicht vorgesehen.
Doch du bist hervorragend vorbereitet und hast deine Symptome - fange nie mit etwas anderem an, reine Zeitverschwendung - auf eine Minimalbeschreibung reduziert. Das ermutigt dein Gegenüber wieder zu einer präzise formulierten Diagnose der letzten beiden Termine, die für ihn natürlich originell neuartig auswendig herunter geleiert und lediglich für dich längst abgehakt und erledigt ist. Wenn er dann mitten in deinem Satz das Fenster öffnet, kannst du kurz darüber nachdenken, ob du Mundgeruch hast. Doch beachte, du sitzt zu weit weg, als das ein solcher oder überhaupt irgendetwas ihn erreichen könnte…
Du kannst seine Medikamentenaufzählung, mit der er dich ab(be-)handeln möchte, gerne als verständnisvolle Belohung deiner ganzen vorangegangenen Mühen sehen und mit einem Rezept, einem neuen Termin und der Gewissheit, dass es eine Krankheit für deine Symptome gibt, seine Praxis wieder verlassen. Erwarte nur nicht, dass er sich beim nächsten Mal daran erinnert!

5. Wenn du das lange genug mitmachst, ist der Erfolg einer chronischen psychischen Erkrankung garantiert! Dir geht es, derartigen Zuwendungen ausgesetzt, immer schlechter und es fällt dir immer weniger auf, was da für ein abgezocktes Psycho - Spiel läuft.

6. Solltest du neuartige Symptome entwickeln, die du dir in den Arm ritzt oder des Nachts über der Kloschüssel hängend, auskotzt, baue sie in deine Anfangsschilderung (vgl. Punkt 4, Absatz 3) ein. Erwarte keine Besserung! Sie gehören zur Manifestierung deines Symptoms und sind im Laufe der Jahre ausbaufähig…

7. Diese Stabilisierung eines Symptoms, das neurologisch fundiert zur Krankheit ausgebaut wird, kannst du, wenn du wirklich auf Nummer sicher gehen willst, noch durch eine ambulante Psychotherapie unterstützen…

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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