Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Februar 2004
Angie und Al
von Renate Hupfeld

Alina hatte das Eigenheim in dörflicher Idylle eingetauscht gegen ein Appartement in der Stadt. Dafür hatte sie den Stress, abends und an Wochenenden ihr Unterhaltungsprogramm zu gestalten. Wenn ihr die Decke auf den Kopf fiel, und das war fast jeden Abend gegen zehn Uhr der Fall, ging sie ein paar Meter die Straße entlang und kehrte in der Kneipe an der Ecke ein. Da standen sie dann schon und wendeten für einen Augenblick die traurigen Gesichter ab von der hübschen Wirtin, die Bier zapfte, Flaschen und Zitronenscheiben aus dem Kühlschrank holte und die vollen Gläser auf die Theke stellte. Für Willi, der sich an seinen Krücken fest hielt und Wolfgang, der vor seiner Frau flüchtete, war die Kneipe wie ein zweites Zuhause.
Es gab Momente, da beneidete Alina ihren Mann, weil er immer noch in dem Haus wohnte, inzwischen mit einer neuen Frau. Er konnte gemütlich auf dem Sofa sitzen und fernsehen. Er stand nicht heimatlos vor seinem Bier, musste sich nicht anglotzen lassen. Kaum einer dort, der sie nicht schon in eindeutiger Absicht angequatscht hatte. Aber dennoch, sie wollte nicht wieder zurück in das Dorf.

An jenem Abend im Februar stand einer an der Theke, den sie dort noch nie gesehen hatte. Auch er hatte sehnsüchtige Augen, aber anders. Er hatte weiche Gesichtszüge und trug ein rotes Seidenhemd, darüber ein buntes Tuch. Ein bisschen Paradiesvogel. Alina musste immerzu hinschauen.
„Was ist normal?“, fragte er und eine Welle von Sympathie flog zu ihr herüber. Als sie nicht gleich antwortete, redete er weiter. „Ich frage mich oft, wie es kommt, dass einige Leute glauben, nur sie seien normal und andere seien unnormal.“
„Spießer“, sagte Alina.
„Die meinen, alle müssten so leben wie sie.“
„Bis vor kurzem wohnte ich in einem Dorf. Dort könnten sie mit diesem roten Hemd nicht durch die Gasse laufen. Jeder würde Sie für verrückt halten, nicht normal.“
„Stadtluft macht frei...“
„...sagten sie schon im Mittelalter.“
Alina hatte inzwischen zwei Bier bestellt.
Sie stießen miteinander an.
„Alina.“
„Angelo.“
Seine blauen Augen strahlten. War das jetzt Einbildung oder fühlte sie ein leichtes Kribbeln im Bauch?
„Wahrscheinlich fänden die Dorfleute es auch nicht normal, dass eine Frau spätabends alleine in der Kneipe steht und einem fremden Mann ein Bier bestellt.“
„Stimmt“, überlegte Alina, „nur an Fastnacht ist das anders, da sind die dann auch nicht mehr normal. Oder vielleicht doch?“
„Was ist denn an Fastnacht in deinem Dorf?“
„Du müsstest mal erleben, wenn da Maskenball ist.“
„Gerne möchte ich das erleben. Maskenball, sagst du? Heißt das, man kommt maskiert?“
„Früher war das mal so“, erzählte sie weiter, „aber inzwischen kommen nur noch wenige maskiert.“
„Und dieses Jahr war er schon, der Maskenball?“
„Nein, er ist am kommenden Samstag in der Turnhalle.“
„Und ich wette, du gehst da hin.“
Es war ihr nicht unangenehm, dass er beim Sprechen immer näher zu ihr hingerückt war.

Alina und Angelo redeten an diesem Abend noch lange miteinander. Sie erzählte über ihre Arbeit in der Grundschule, er über die Sportredaktion bei der Lokalzeitung. Sein Lieblingsthema aber waren Boutiquen für seidene Unterwäsche und edle Kleidung. Da kannte er sich wirklich gut aus. Und Alina stellte fest, dass sie das irgendwie prickelnd fand.

Auf einem spärlich beleuchteten Parkplatz stellte sie das Auto ab. Alina wollte auf keinen Fall erkannt werden. Im Spiegel rückte sie die rote Krawatte auf dem schwarzen Hemd noch einmal zurecht. Der Nadelstreifenanzug saß gut. Ihre langen Haare hatte sie zusammengesteckt und unter dem Hut verschwinden lassen. Sie zog ihn bis über die Augen.
Ihr Herz hämmerte, als sie dem Eingang näher kam. Da saß Otto vom Turnverein und verkaufte ihr die Eintrittskarte. Er erkannte sie nicht, beachtete sie nicht einmal. Das war schon mal beruhigend. Gemächlich begab sie sich in das närrische Treiben. Sie sah bekannte Gesichter. Am Tisch des Landfrauenvereins war eine bunt gemischte Gruppe von Cleopatras, Spinnenfrauen und Cocktail Bunnies. Die Leute vom Gesangverein waren wieder als Hexen und Mönche erschienen. Erstaunlich, wie entspannt man als Mann so eine Veranstaltung besuchen kann, fand Alina. Sie schaute sich in aller Ruhe um.
Ein mit Pailletten verziertes Dekolletee fiel ihr in die Augen. Silberfransen an fließendem Seidenstoff umspielten die wohlgeformten Beine einer schwarzen Lady. Unter der Lockenpracht funkelten goldene Ohrhänger. Die Lady kam ihr bekannt vor. Alina stellte sich neben sie an die Theke. Sie konnte nicht aufhören, diese schwarze Schönheit anzusehen, die plötzlich zwei Gläser Sekt herbeizauberte. Sie stießen miteinander an.
„Nenn mich Angie“, sagte die dunkle Stimme.
„Ich bin Al“, prustete Alina heraus.
Angie drückte Al einen knallroten Schmatz auf den Mund. Blaue Augen lächelten. Alina spürte wieder dieses Kribbeln im Bauch.
„Komm mit Angie“, sagte Al und zog die Black Lady auf die Tanzfläche.
„Tanzt du den Männerschritt oder ich?“
„Du, wer sonst?“, sagte Angie.
Links rechts ta-dam oder rechts links ta-dam, überlegte Al, aber da kam Angie ihm schon zuvor.
„Der Herr beginnt mit links.“
Gekonnt hielt Al seine Dame in der Tanzhaltung und schob sie über die Fläche. Angie beugte den Oberkörper weit zurück und legte den Kopf in den Nacken. Die Rechtsdrehung, die Linksdrehung, auseinander und wieder zusammen. Sie tanzten, als hätten sie das einstudiert. Selbst der Tango gelang ihnen. Al zählte leise mit: eins...zwei...drei vier fünf...sechs sieben acht und eins... Er brauchte nur leicht die Finger bewegen, schon wusste Angie, was sie zu tun hatte. Beim Walzer wirbelten sie in großen Kreisen an den Tischen vorbei. Alles normal, ihr Spießer, dachte Al, und registrierte gelassen die vielen Augenpaare, die auf sie gerichtet waren.

Als bei Angie das MakeUp zu zerfließen begann und der Bartschatten leicht sichtbar wurde, verloren sie nicht viele Worte. Hand in Hand gingen sie zu Als Auto.

Später fuhren sie mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock. So ein Appartement in der Stadt hat doch was, dachte Alina.

©Renate Hupfeld 02/2004











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