Meistens musste sie warten, bis er eingeschlafen war. Dann zog sie sachte die Decke von seinen Schultern und begann, seinen Rücken zu streicheln. Auf die sicherste Art. Dabei durfte ihre Hand nie wirklich seine Haut berühren, aber sie hielt sie so nahe, dass sie seine Wärme spüren konnte. Immer zitterten dabei ihre Finger. Auf dieselbe Art strich sie über seinen Kopf; ohne die Kopfhaut zu berühren. Einzelne Haare kitzelten ihre Handfläche. Danach wandte sie ihm auch den Rücken zu und lag mit offenen Augen da, die sich an die roten Digitalzahlen des Weckers klammerten, bis es im Zimmer heller wurde. Sie machte sich ein Spiel daraus, den genauen Moment einzuschätzen, wann die Minutenanzeige wechseln würde.
"Ich möchte nicht mehr berührt werden", hatte er eines Nachts gesagt.
Sie hatte sich noch fester an ihn gedrückt und geschwiegen.
"Weil ich das Gefühl habe, du nimmst mir dabei etwas weg," hatte er gesagt.
In dieser Nacht hatte er sie nicht von sich gestossen. Noch nicht. Ein einziges Mal durfte sie noch.
Sie schliefen Rücken an Rücken. Seit Monaten. Wenn er morgens aufstand, schloss sie die Augen und stellte sich ihren Mann zu diesen ersten Geräuschen des Tages vor; wie er unter der Dusche stand, seinen Kopf nach hinten warf, wie der Wasserstrahl durch sein dunkles Haar wanderte. Später das Geräusch einer Rasierklinge auf stoppeliger Haut. Danach seine Schritte, die näher kamen, nackte Füsse auf Teppichboden, ein bisschen wie das leise Knistern von Seife, wenn sie Wasser berührt. Dann öffnete er den Kleiderschrank und für eine Weile war das Zimmer ohne Laut. Sie wusste, das war der Moment, in dem sie die Augen leicht öffnen durfte. Er stand vor dem Schrank, nackt, und überlegte. Manchmal seufzte er leise. In Gedanken strich sie über seinen Rücken, seinen Hintern, streichelte seine Beine und Füsse. Niemand auf dieser Welt hatte so schöne Füsse. Absolut haarlos und weiss.
Später in der Küche das schneidende Geräusch eines Messers auf einem Teller; er schnitt eine Grapefruit entzwei. Er setzte sich hin und sie stellte sich vor, wie er die Grapefruit auslöffelte, mit grosser Sorgfalt und beinahe zärtlich. Er liebte Grapefruits. Mehr als alles andere. Bei jedem Biss schloss er die Augen.
Wenn sie die Haustür hörte, war es auf dem Wecker immer 07:44 oder 07:45 Uhr.
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