Das alte Buch Mamsell
Das alte Buch Mamsell
Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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Februar 2004
Wehe, wenn sie losgelassen
von Elsa Rieger

Wer mit den Wölfen heult,
wird über kurz oder lang von ihnen zerrissen.



„Du weißt, dass ich diese Zwangsfeierlichkeiten nicht aushalte“, sagte Esther.
„Was sollte ich tun, Liebes? Wir sind als Paar eingeladen. Immerhin ist es diesmal eine Art Verbrüderungstreffen zwischen rot und schwarz, um die Koalition zu feiern. Es ist anders als sonst, wo es nur um parteiinterne Aktivitäten ging. Meine Position ist ohnehin gefährdet, die Jungen rücken nach, ich stehe auf gläsernem Boden, der jederzeit einbrechen kann. Bitte ...“
Esther seufzte, erhob sich aus dem Lehnsessel und ging zum Fenster. Draußen herrschten Schneegestöber und Halbdunkel wie schon seit vielen Tagen. Februar - Karnevalszeit. Wie sie diesen Mummenschanz verabscheute! Feuchtfröhlichkeit, nur dazu da, graues Alltagsdasein für kurze Zeit zu vergessen – Helau und Alaaf.
„Sieh doch, Esther, es ist nur ein kurzes Wochenende auf dem Land, es wird schnell vorübergehen.“ Pierres Stimme bettelte.
Mit einer Handbewegung deutete Esther das Victory-Zeichen an, um ihm seinen Sieg zu signalisieren – sie wollte ihm nicht weh tun.
„Ich bin dir dankbar, sehr ...“, sagte er.

Esther und Pierre waren seit zwanzig Jahren verheiratet. Während er als Roter das Amt des Stellvertreters des schwarzen Bezirksvorstehers bekleidete, arbeitete Esther im Bereich Persönlichkeitsstärkung für Manager. Schon während Pierres Studium der Politikwissenschaft zeichnete sich sein Berufsweg ab, da sein Vater und davor der Großvater in der roten Fraktion tätig gewesen waren. Auch Esther verfügte über ein ‚rotes’ Herz, doch lehnte sie es ab, wie die einstige Vision des sozialistischen Gedankens zu Vetternwirtschaft und Privilegienstadel verkam. Ihr Mann glaubte immer noch an sozialistische Ideale und kämpfte für sie. Er stand auf verlorenem Posten, betonte Esther immer wieder aufs Neue.

„Ein Ritteressen in Kostümen – was für eine Idee!“, sagte Esther und beobachtete vom Fenster aus eine Gruppe Maskierter, die johlend die Straße überquerte. Einer schlug mit der Faust in den Rücken seines Nebenmanns. Der knickte ein und fiel auf die Knie. Alle wollten sich schier ausschütten vor Lachen. „Wie dünn die Schicht der sogenannten Zivilisation ist ... nur Tünche ... darunter brodeln Missgunst, Gewalt und Schadenfreude ...“, murmelte Esther.

In einer Woche sollte das Fest steigen. Esther beschäftigte sich mit der Kostümbeschaffung. Es gab einen Verleih in der Stadt und sie hoffte, dort halbwegs Brauchbares zu ergattern, denn in den einschlägigen Läden hatte sie kein passendes Gewand mehr gefunden.

Pierre, ein großer, dünner Mann in den Fünfzigern, betrachtete sich im Spiegel, während Esther ihr Schmunzeln unterdrückte. Der Ritterhelm kollidierte mit der Brille – Pierre war stark kurzsichtig und ohne Brille fast blind; er würde sie beim Einzugsdefilee weglassen müssen. Das Kettenhemd, aus silbergrauem Faden genetzt, hing armselig an seinem schmalen Körper herab. Esther kramte eine rote Vorhangkordel aus ihrem Fundus und band sie ihm um die Taille. In den schwarzen Strumpfhosen, die zum Kostüm gehörten, wirkten seine Beine wie Stelzen, und die Schnabelschuhe aus Filz erinnerten an Vogelfüße. Esther musste unwillkürlich lachen, und Pierre schämte sich. „Lach mich nicht aus, du! Ich habe doch keine Wahl, wenn dieses Ding das Einzige ist, was sich in der Fasching-Hochblüte gefunden hat.“ Esther meinte nur: „Nun, wir könnten daheim bleiben.“ „Nein, wir können nicht.“, sagte Pierre und schlurfte zum Sofa. Er setzte sich, um Esther bei der Anprobe zuzusehen. Sie hatte für sich ein Magdgewand gewählt. Es bestand aus einem weitschwingenden, bodenlangen Rock, der in der Taille dicht gekräuselt war, dazu gehörte ein geschnürtes Mieder, beides in mattem Braun gehalten. Eine sandfarbene Leinenbluse, die tief dekolletiert war und die Schultern entblößte, hellte das Kostüm auf. Als Esther ihre halblangen, aschblonden Haare mit Kämmen hochsteckte, sah sie aus, als wäre sie geradewegs vom Königshof in Camelot gekommen. „Ungerecht ist das -“, brummte Pierre, doch seine Augen leuchteten bei diesem Anblick auf. „ Dass Frauen immer um so vieles schöner sind ...“
Esther lächelte und fand plötzlich Spaß an der Verkleidung, fast kam etwas wie Freude auf bei dem Gedanken an den Ausflug. „Vielleicht wird es ja doch ein nettes Wochenende ...“, sagte sie.

Früh am nächsten Morgen traf man sich in Zivilkleidung vor der Bezirksstelle der Partei. Der Bus stand schon bereit, der die zwanzig Funktionäre, Bezirksräte und ihre Frauen an den ‚Ort des Grauens’ – wie Esther es scherzhaft nannte – bringen würde.
Kalter Wind trieb Eisregen wie Nadelstiche in die Gesichter, dennoch herrschte erwartungsvolle Freude, deutlich gemacht durch dröhnendes Hallo bei jedem Neuankömmling, besonders lautes Lachen und schlüpfrige Bemerkungen oder das beliebte Erzählen von zweideutigen Witzen.
Esther hoffte auf ein nettes, stilles Zimmer in der Burg, wohin sie sich nach Wahrung ihrer Anstandspflicht zurück ziehen konnte.
Sie bemerkte, dass nur wenige der Genossen Frauen dabei hatten; wahrscheinlich waren sie ihnen auf dem steilen Weg zur politischen Karriere abhanden gekommen.
Sie registrierte den fortschreitenden körperlichen Verfall, den ihre Lebensweise mit sich brachte. Auch regelmäßige Besuche von Sauna und Fitnessstudios hatten den körperlichen Verfall nicht aufhalten können. Nach oben buckeln und abwärts treten hinterlässt Spuren, dachte sie und rutschte tiefer in ihren Sitz.
Trotz des frühen Morgens kreisten die Whiskyflaschen, und die Luft war dick vom Rauch der Zigarren und Zigaretten. Esther schloss die Augen und versperrte die Ohren, so dass die Zotenreißerei zu gedämpften Murmeln verebbte.
Zwei Stunden später erreichten sie ihr Ziel. Halbtrunken und sichtlich angeschlagen wankten ihre Reisegenossen auf das Burgtor zu.

In der Rezeptionshalle gab es freundliches, wenn auch ein wenig reserviertes Schulterklopfen und Händeschütteln zwischen rot und schwarz.
Das Essen war für den späten Nachmittag anberaumt, so blieb reichlich Zeit, auszunüchtern, zu schlafen oder sich in der historischen Burg umzusehen.
Esther und Pierre entschieden sich für einen Nachmittagsschlaf.
Fast gleichzeitig fuhr das Paar hoch, als es laut an der Zimmertür klopfte: „Hopp, hopp, raus aus dem Gemach, ihr Schlafmützen!“
Esther erkannte die Stimme und antwortete: „Ja, wir kommen sofort, Hermann. Wir ziehen uns nur um.“
Hermann war derjenige, der sich einmal im Jahr diese Zusammenkünfte ausdachte, um den Genossen und Genossinnen auch privaten Kontakt zu ermöglichen. Mit Feuereifer entdeckte er, der Intimus und Privatsekretär des Bezirksvorstehers, immer wieder etwas Neues, Ausgefalleneres. Letztes Jahr war es das Spielkasino gewesen, davor ein Wochenende auf einer abgeschiedenen Schutzhütte, die drei Stunden Steilhangwandern erforderte, und noch ein Jahr früher hatte er den genialen Einfall gehabt, die Genossen zu einem Komasaufen auf dem Ballermann zu verdonnern.

Die kostümierten Politiker beider Fraktionen waren bereits versammelt und bereiteten sich in Reihen auf das Defilee vor, als Esther und Pierre in der Eingangshalle ankamen. Allen voran als König sollte der Bezirksvorsteher in den Speisesaal Einzug halten, an seiner Seite die Gemahlin, danach bunt gemischt die roten und schwarzen Ritter und die nur spärlich vorhandenen Gefährtinnen.
Nur Hermann reihte sich nicht ein, schließlich wollte er mit seiner Verkleidung als Hofnarr seine Sonderstellung als Hans Dampf der Partei demonstrieren. Er hüpfte, ganz in seiner Rolle aufgehend, mit der Digitalkamera in der Hand um die Versammelten herum und fotografierte. Renaissancemusik aus der Konserve ertönte und der Einmarsch begann. Das Eichentor wurde geöffnet und gab den Blick auf den Saal frei. Grobe Holztische und dreibeinige Schemel sollten an die alte Zeit erinnern. Wie eine Filmkulisse kam Esther das Interieur vor. An den rohen Steinmauern des hohen Raums waren Wimpel und Fahnen angebracht. Über den Tischen hingen an dicken Ketten elektrifizierte Petroleumlampen, die für schummriges Licht sorgten.
An den Wänden waren unter den Fahnen Laternen angebracht, die lange Schatten warfen und so die Düsternis verstärkten. Ein Pranger stand auf einem Bühnenpodest, daneben ein Korb mit matschigen Früchten.
„Wahnsinnig gemütlich ...“, sagte Esther zu Pierre, während die Gruppe einmal den ganzen Saal umrundete, damit Hermann Fotos schießen konnte. „Aber typisch Mittelalter“, entgegnete ihr Mann mit ironischem Unterton.
Anschließend bat der Hofnarr zu Tisch. Pierre suchte einen Platz nahe beim Ausgang aus. Als sie saßen, nahm Pierre den Helm ab und setze seine Brille wieder auf. „Prost, Mahlzeit.“, meinte er. Esther lachte auf: „Aber wirklich ...“
Als Pagen verkleidete Servierkörper trugen riesige Platten herein und stellten sie auf dem runden Haupttisch in der Mitte des Saals ab. Fleischberge. Knusprige Haxen, dicke Würste, gebratene Hühner. Dazwischen riesige Schalen mit überdimensionalen Kartoffelknödeln. Holzschüsseln zum Essenfassen wurde auf den Tischen verteilt – es gab kein Besteck, schließlich handelte es sich um ein historische Mahl, archaisch und primitiv. Blutrünstig, wie Esther fand. Wie Tiere stürzten sich die Damen und Herren auf die dampfenden Fleischstücke, beluden ihre Schüsseln und setzten sich wieder auf ihre unbequemen Schemel. Sie hoben ihre Bierhumpen, prosteten einander zu und rissen dann mit Händen und Zähnen die fetttriefende Beute in Stücke, zermalmten sie.
„Ich glaube nicht, dass ich das essen kann.“, sagte Esther angeekelt. „Ich suche dir etwas Feines aus, ja?“, erbot sich Pierre und ging zum Mitteltisch. Hermann war auch gerade dabei, seine Schüssel zu füllen und stieß Pierre grob den Ellenbogen in die Rippen: „Na du! Von welcher Müllhalde hast du denn dieses jämmerliche Outfit geholt?“ Er grinste hämisch.
Er war einer von denjenigen, die eifrig bemüht waren, den gläsernen Boden, auf dem Pierre stand, zu zerbrechen. Pierre war nicht korrumpierbar, ein schwerer Fehler in den Augen der Politzocker.
„Ja, klar, auf der Müllhalde habe ich mir das zusammengesucht.“, sagte Pierre lakonisch und zog ein Brathuhn aus den Fleischmassen auf der Platte. Wieder rammte der Hofnarr seinen Ellenbogen in Pierres Rippen. „Dein schnuckeliger Käfer sieht ja zum Anbeißen aus in der Tracht, wenn sie nur nicht so spröde wäre ...“ Hermann wartete und hoffte täglich auf Pierres Rücktritt - er würde dann endlich dessen Position bekleiden können, auf die er seit langen Jahren lauerte.
Pierre blickte ihm fest in die Augen und sagte: „Hermann, wenn du mich noch einmal stößt oder dumm über meine Frau sprichst, dann ...“
„Drohst du mir? Du Hampelmann“, entgegnete Hermann und warf sich in die Brust. „Na, was ist dann, hä? Was ist dann? Feigling!“, rief er Pierre nach, der sich mit den gefüllten Schüsseln abwandte und zu seinem Tisch zurückging.
„Was ist passiert?“, fragte Esther, besorgt über die wächserne Gesichtsfarbe ihres Mannes. „Nichts.“ Er riss dem Brathuhn einen Flügel aus und begann zu essen. Esther bedrängte ihn nicht weiter und aß ebenfalls – das Fleisch war schmackhaft.

Die Pagen räumten die Reste ab und brachten Wasserschalen mit Zitronenscheiben an jeden Tisch. Esther und Pierre wuschen sich die Hände, manche der Gäste tranken das Zitronenwasser, was die beiden amüsiert beobachteten.
Fast gleichzeitig zerfiel das Lächeln auf ihren Gesichtern, als Hermann auf sie zuwankte. Der Hofnarr stützte sich schwer auf der Tischplatte ab und sagte mit lallendem Zungenschlag: „Esther-Maus, du bist ja richtig sexy heute“, und fiel mit dem Kopf fast in ihren Blusenausschnitt. Pierre wollte aufstehen, doch Esther schüttelte den Kopf. „Hermann, du bist besoffen, du solltest dich eine Stunde schlafen legen, was meinst du?“ Sagte sie und rückte mit dem Schemel ein Stück aus seiner Nähe. Er schnaubte und sagte mit einem dreckigen Lachen: „I wo, mein Täubchen, jetzt wird’s doch erst richtig knuffig, ich bin doch nicht blöd und versäume unsere Ritterspiele. Wir werden zu Rittern geschlagen oder müssen an den Pranger, je nachdem, wie wir die Aufgaben lösen."
Als wären diese Worte der Auftakt gewesen, verstummte die Renaissancemusik aus den Boxen, und herein kamen Musikanten. Trommel, Fiedel, Bratsche, Tamburin ließen vermuten, es würde weitergehen mit der alten Hofmusik. Dazu war das Quartett schmuck anzusehen in grünen Hosen und braunen Wildlederwesten.

Hermann klatschte in die Hände, verlor den Halt, taumelte und landete auf dem Boden. Da lag er wie ein Käfer auf dem Rücken und brüllte vor Lachen. Nachdem Pierre und Esther nichts taten, und er den Versuch, alleine hochzukommen, aufgeben musste, kroch er auf allen Vieren davon. Irgend jemand half ihm schließlich auf die Beine.
Die Musikanten begannen zu spielen, und einige der Genossen packten ihre Frauen an den Hüften und tanzten.
„Siehst du, Liebes, so übel ist es doch gar nicht, wie wir dachten.“, meinte Pierre. Esther nickte und forderte ihn zum Tanz auf. Sie mischten sich unter die Paare. Plötzlich wurde die Musik unterbrochen. Der Hofnarr stand auf dem Musikerpodest und schrie ins Mikrofon: „ Grüß Gott in alter Freundschaft! Es ist mir eine Freude, euch ... äh ... euch begrüßen zu können zur ... zur heurigen ... äh ... Veranstaltung unserer ... unserer Bezirksfraktion der so ... so ... sozialistischen und der dremo ...demokraschischen . Parteien zur ... quasi Besiegelung unseres ... ähh ... Paktes ... ja ... keine Chance der re... raktioniären Front ... nieder mit der na... nationalischischen Rassistenbrut ... ja ... also herzlich Will.... kommen ... ja!“
Er klatschte in die Hände und intonierte die Internationale: „Brüder, hört die Signale, auf zum großen Gefecht ... alle mitsingen ... “
Mit fettglänzenden Gesichtern und glasigen Augen ließen sich die roten Genossen ebenso wie die Christdemokraten mitreißen. Man prostete sich zu, versicherte sich gegenseitig konstruktives Miteinander. Die Stimmung heizte sich auf.
Hermann animierte zu weiterer Sangeslust und brüllte ins Mikrofon: „Ob’s stürmt oder schneit, ob die Sonne uns lacht ...“, danach ging er über zu: ‚Die Fahnen hoch, die Reihen dicht geschlossen, marschieren wir im festen Schritt und Tritt, Kameraden ...’ und alle, alle sangen fröhlich mit ...
Die Verbrüderten bildeten eine Polonaise und stampften singend durch den Saal. Wenn ein Lied zu Ende war, brüllte der Hofnarr schon die Anfangszeilen des Nächsten. Lili Marlen. Oh du schöhöhöner Wehehesterwald. Es zittern die morschen Knochen ...
Rot und schwarz gab es nicht mehr, alle waren Eins. Ein monströser Klumpen, aufgepeitscht und ohne Verstand.
Esther wurde blass, sie flüsterte ihrem Mann ins Ohr: „Ich muss jetzt gehen, das ertrage ich nicht!“ Ohne seine Antwort abzuwarten, verließ sie den Saal und ging auf ihr Zimmer.

Esther legte sich auf das Bett, ihr war übel. Ein Teil ihrer Vorfahren hatte im Konzentrationslager Mauthausen den Tod gefunden, und heute Abend grölten Mitglieder der Koalitionsregierung volltrunken die Kampflieder der Nazis!

Als sie erwachte, war es dunkel, das Bett neben ihr leer. Sie machte Licht und sah auf die Uhr. Vier Uhr morgens. Esther stand auf, zog ihren Mantel über, sie fror. Etwas war passiert, sie spürte das.
Sie verließ das Zimmer und ging die Stiege hinab in den Festsaal.
„Pierre?“, rief sie und tastete an der Wand nach einem Lichtschalter. Es wurde hell.
Ihr Mann hing festgezurrt am Pranger, Kopf und Hände im Holz eingeklemmt und bewegungsunfähig. Esther schoss Hitze durch den Leib, ihre Wut war grenzenlos.
„Pierre!“, schrie sie und rannte auf ihn zu. Sie befreite ihren Mann aus seiner qualvollen Lage und half ihm, sich hinzusetzen.
Er musste seit Stunden da gestanden haben, seine Hände waren blutleer, sein Nacken steif und ein einziger Bluterguss. In seinen Haaren befanden sich Obstreste, also waren sie soweit gegangen, ihn mit dem angefaulten Zeug aus dem Korb zu bewerfen.
Doch das Schlimmste war der Ausdruck in seinen Augen. Gedemütigt, zerbrochen. Seine Vision war in dieser Nacht endgültig zerstört worden.
„Wer war das?“, fragte Esther mit vor unterdrücktem Hass bebender Stimme.
Pierre hustete: „Du darfst raten ...“
„Hermann. Aber wohl kaum allein, so betrunken, wie er war?“
„Esther ... ach ... alle waren dabei.“ Pierre massierte seine Handgelenke.
„Keiner stand dir bei?“ Esthers Frage war wie ein Schluchzen.
„Im Gegenteil, es war ihnen eine große Freude. Wehe, wenn sie losgelassen ...“, sagte er bitter.

Der Morgen graute, als sie in ihr Burgzimmer zurückkehrten. Stumm lagen sie nebeneinander und warteten auf den neuen Tag.

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