Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Marc Bornée IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Februar 2004
Ein Tod
von Marc Bornée

Ich habe heute erfahren, dass mein Vater noch lebt.
Telefonisch. Meine Mutter behauptete es.

Warum sie mich jetzt deshalb anruft, ist mir schleierhaft.
Ihr Stimme klingt so, als hätte ich es längst wissen müssen.

Ich muss mich zusammenreißen, um sie nicht anzufahren, dass es jetzt wirklich unpassend sei, mich mit solchen Dingen zu konfrontieren – und überhaupt – er ist doch seit über 25 Jahren tot.

Ich schweige demonstrativ.

Ihre Stimme wird flehend. Ich müsse ihr glauben. Sie habe einen Brief erhalten. Einen Brief von einem Freund. Von damals.

Damals, was meint sie?

Es geschieht, und es ärgert mich: Abstrakte Bilder, wie unscharfe Kurzfilme, schimmernde Nebellichter -und mit ihnen Gerüche: Düfte von sandigen Pinienwäldern, nahe am Strand. Wir lebten dort. Ich war glücklich, die Sonne im jungen Haar. Ich war fünf oder sechs. Kurze Beine.

Wer behauptet das?

Vicente habe geschrieben. Er sei gesehen worden. Auf dem Festland, nicht auf der Insel. Er muss es gewesen sein.

Sie sagt „Er“. Die gewohnte Distanz. Nicht „Mein Mann“, nicht „Dein Vater“. Und schon gar nicht seinen Namen.

Mit acht Jahren sah ich ihn zum letzten Mal. Ich hatte Durst und beobachtete, wie sich meine Eltern die Hände gaben. Mir war kalt.

Ich werde ärgerlich und verlange ihren Pfleger.

Bitte, Mutter, mach die ganze Geschichte nicht noch schlimmer! Gib mir jetzt bitte Helmut!

Das war ein Fehler. Nach einem tiefen Seufzer und einem noch längeren Hustenanfall höre ich die altbekannten Vorwürfe, die sich nach acht Minuten wie folgt zusammenfassen lassen: Undankbarkeit, Ignoranz, Egoismus und Rechthaberei. Punkt.

Ich muss die Fassung bewahren. Das habe ich gelernt.

Helmut sagt, sie sei außer sich, seit gestern. Er wisse auch nicht, warum. Es gäbe aber immer wieder Situationen, die sie aus der Bahn werfen würden.

Aha, antworte ich, das sei mir auch nicht ganz neu. Vielleicht bringe das auch das Alter mit sich.
Mit einem energischen Wink schicke ich meine verstörte Sekretärin vor die Tür, drehe mich in meinem Ledersessel zur Fensterfront und genieße das Lichterspiel der Septembersonne über der Frankfurter Skyline.

Nein. Das sei es nicht, sagt Helmut. Sie habe wirklich einen Brief bekommen. Gestern. Seitdem sei sie wie ausgewechselt. Sie habe sich heute morgen selbst angezogen und sei eine halbe Stunde vor den anderen zum Frühstückstisch erschienen.

Nun gut, sage ich, das mangelnde Zeitgefühl, senile Bettflucht, was auch immer, das ist halt typisch in diesem Alter. Das muss man hinnehmen.

Das Telefon klingelt auf der zweiten Leitung, auf dem Monitor flackern die letzten Kurse.
Ich beende das Gespräch mit dem gut gemeinten Rat, ihr mehr Flüssigkeit zukommen zu lassen.

Ein kurzer Griff an die Nasenwurzel. Das sammelt Konzentration. Leitung 2. Direktwahl.

„Lexter Corporation, Finanzmanagement, Direktor Melzer, Guten Tag....“

„Joachim, mein Junge, hier spricht dein Vater...bist du es wirklich?! Ich habe heute vom Tod Deiner Muter erfahren, ich wollte Dir sagen, wie Leid....

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthält 3009 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.