'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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März 2004
Vampire küssen nicht
von Uschi Lange

Unruhig wälzt sich Henrietta in ihrem Himmelbett hin und her. Der helle Vollmond leuchtet grell durch die flatternden Gardinen. Es ist Mitternacht und sie hätte nicht mehr so lange fernsehen sollen, vor allem nicht gruselige Filme, wie Nosferatu!
Die Eltern haben genug Kummer mit ihr und dann beschäftigt sie sich mit Untoten und Wiedergängern!
Ob er wohl noch kommt und ihr wieder das Gefühl von Leidenschaft und Geborgenheit geben wird? Vor lauter Aufregung beginnt Henriettas Herz schneller zu schlagen.
Plötzlich schlägt ein Ast an ihr Fenster, erschrocken reißt Henrietta die Augen weit auf. Der Wind peitscht leichten Nieselregen herein als es leise aufgestoßen wird. Da, sie sieht seine Gestalt wie aus dem Nichts auf der Fensterbank hocken. Er ist da!
Groß, schlank, mit pechschwarzem Haar, ebenso blasshäutig wie sie und mit dem klangvollen Namen Orlando.

Am nächsten Morgen holt die Mutter sie zum Frühstück in die lichtgedämpfte Küche und staunt über den rosigen Hauch auf Henriettas Wangen. Ihr Vater wundert sich und fragt: „Was hast du die Nacht bloß gemacht, dass du so glücklich aussiehst?“
Henrietta schweigt. Die ängstlichen Eltern sollen niemals von ihm erfahren, sonst sorgen sie sich noch mehr. Sie haben schon genug mit ihrer Krankheit zu kämpfen. Henrietta leidet an einer seltenen Lichtallergie und Blutarmut, deren Herkunft kein Arzt finden, geschweige denn heilen kann. Tagsüber schläft sie meistens. Im Sonnenlicht würde Henrietta verbrennen. Nachts liest sie meist, sieht fern oder hört klassische Musik. Ganz selten erlauben ihr die Eltern einen Spaziergang im Schutz der Nacht. Da ist es so gefährlich! Wahrscheinlich meinen sie die Leute im Dorf, die so gemein über sie tuscheln. Ihr Dorf liegt fernab der nächsten größeren Stadt, hier ticken die Uhren langsamer als im Rest des Welt. Die Mutter sagt ihr nie etwas davon, aber der Vater wollte es nicht verheimlichen. Wenn die Mutter einkaufen ist, wartet er immer voller Ungeduld auf deren Rückkehr. Da hat er ihr gebeichtet, was die Leute so reden: „ Sieh mal da ist die Mutter der wandelnden Untoten! Pass auf, dass sie dich nicht berührt!“ – „Mama, ist die Tante auch ein Vampir?“ – „Sie lächelt nie, weil sie auch schon so spitze Zähne hat, wie ihre Tochter!“ Mittlerweile sticht es die Eltern nicht mehr so ins Herz, sie haben nur Angst, dass die Leute irgendwann handgreiflich werden könnten. So entschließen sie sich, ihre Vorräte in einem entfernten Großmarkt einzukaufen und den Leuten aus dem Weg zu gehen. Dafür müssen sie ihre Henrietta für einige Zeit alleine lassen. Der Vater beruhigt Henrietta und die Mutter: „ Ich glaube kaum, dass jemand in der Dämmerung wagt hierher zu kommen, lass uns vor dem Abendessen fahren, dann sind wir rechtzeitig wieder zurück!“
Dann passiert das Unglück!
Beim nächsten Einkauf gibt es eine Verzögerung und sie begeben sich eilig auf den Heimweg. Auf der Rückfahrt geschieht dann der tragische Unfall: ein Lastkraftwagen kommt in einer Kurve ins Rutschen, stellt sich quer und alle nachfolgenden Fahrzeuge fahren ungebremst hinein. Mittendrin das Auto mit Henriettas Eltern!
Zu Hause wartet Henrietta nichts ahnend auf die Rückkehr ihrer Eltern, tanzt wie auf Wolken zur Musik und als diese endet, schaut sie erschrocken auf die Uhr. Wo bleiben die Eltern bloß?
Es ist totenstill im Haus. Henrietta wartet und wartet, doch ihre Eltern kehren nicht heim. Angstvoll und unruhig durchstreift sie die Räume, lugt vorsichtig durch die schweren Vorhänge nach draußen und hofft auf ihn, Orlando, der um Mitternacht wieder erscheinen wird, dessen ist sie sicher.
Endlich ist er da und dann folgt der Schock, weinend bricht Henrietta zusammen, als er ihr die Nachricht vom Unfalltod ihrer Eltern überbringt. Sein Trost lässt sie ruhiger werden, er schwört, sie niemals zu verlassen. In der nächsten Nacht will er Henrietta für immer mit sich nehmen.
Der kommende Tag scheint um Stunden länger zu sein als jeder vergangene und vor lauter Verzweiflung und Unsicherheit kann Henrietta nicht schlafen. Was soll sie tun? Außer ihm hat sie niemanden mehr und alleine hat sie Angst. Noch ist niemand aus dem Dorf zu ihr gekommen, nur der Arzt aus der Stadt hat sie angerufen und gemeint, es wäre besser sie in ein Sanatorium abzuholen. Bald werden die Dorfbewohner neugieriger werden und zum Haus kommen. Dann könnte sie für immer eingesperrt oder gar getötet werden. Ihre Angst vor den Leuten steigert sich in Hysterie! Als er dann kommt, fällt sie ihm fast kraftlos in die Arme und fleht: „Nimm mich mit dir, hier hält mich nichts und du bist mein Leben!“ Sanft berührt er ihre Schulter, hebt ihr Gesicht zu sich heran und lächelt: „Dann soll es so sein!“ Ihre Gedanken fließen ineinander und seine Augen fangen an zu glühen wie Kohle im Feuer. Sein Mund berührt sanft ihren Hals und küsst leicht ihre pochende Ader, bevor er kurz und heftig zubeißt. Henrietta zuckt nur einmal, um dann wie auf Wolken zu schweben. Eng umschlungen, umgibt sie eine Aura aus blauem Flammenlicht. Die Verwandlung ist abgeschlossen. Noch weiß Henrietta nicht was auf sie zu kommt, aber eins ist sicher, allein wird sie nie mehr sein.
Als die Leute lautstark an die Türe klopfen, ist sie bereits mit Orlando in der Nacht verschwunden. Niemanden stört es, als das geplünderte Haus schließlich ein Opfer der Flammen wird und das Grundstück in das Eigentum der Gemeinde übergeht.
Nur die Geschichte, die um Henrietta rankt, weil niemand ihre Leiche fand, wird für immer den Kindern einen Schauer über den Rücken jagen. Keiner der Dorfbewohner hatte sich getraut bis in den Keller zu gehen. Ihre Furcht vor dieser ungewöhnlichen Krankheit hat sie zurück gehalten. Manchmal findet jemand einen blutleeren Tierkadaver im Wald und wenn einer der Dorfbewohner nach längerer Abwesenheit nicht wieder kommt, heißt es: Henrietta und Orlando haben ihm den Kuss der Vampire gegeben!

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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