Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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März 2004
Cupio
von Meike Hartwig

Der Spätsommer lag wie eine drückende Last auf den Gemütern. September, schlagartig war es heiß geworden, unerträglich heiß. Damit hatte niemand mehr gerechnet. Jana klebte an der Rückenlehne ihres Sitzes. Der Bus war voll und Jana konnte ihren eigenen Körpergeruch kaum mehr ertragen, ganz zu schweigen von den Ausdünstungen der anderen Fahrgäste – wenigstens saß sie allein und musste niemanden neben sich ertragen. Der Tag im Büro war beschissen gewesen, Jana hatte Streit mit ihrer Chefin gehabt, zwei Kolleginnen waren krank gewesen und die meiste Arbeit war an Jana hängen geblieben – und dann noch Ärger bekommen....Nein, das war nichts für sie, dieses Wetter machte alle verrückt. Jana selbst ja auch. Sie war gereizt und neigte zu Aggressionen, die sie natürlich meistens herunterschluckte. Dann kam sie jedes mal nach Hause und ärgerte sich, dass sie die Wut der anderen über sich ergehen ließ. Dann war sie müde, überspannt, hatte Kopfschmerzen. Ihr Leben bot ihr nichts, aber hatte es das jemals getan? Zwei Tage zuvor hatte sie sich auch noch mit ihrer wahrscheinlich einzig echten Freundin gestritten, wegen einem Geburtstagsgeschenk für einen gemeinsamen Bekannten – es war lächerlich, aber beide waren sie wütend gewesen und bislang unversöhnlich. Jana war traurig darüber, aber auch wütend. Musste sie immer diejenige sein, die allen hinterher rannte? Diesmal nicht, das hatte sie sich vorgenommen.
Durch etwas warmes dicht an ihrer Seite wurde Jana aus ihren Gedanken gerissen. Sie schaute neben sich und entdeckte diesen dicken Fettklos, der sie nicht nur gnadenlos drohte mit seinem Gestank zu ersticken, sondern der sie zusätzlich auch noch langsam zu erdrücken schien.
Sie schluckte – warum muss der sich ausgerechnet neben mich setzen? Warum?
Jana wollte aufstehen – ich muss hier raus – aber sie konnte nicht, das war zu blöd! Sie konnte nicht lügen.
Wenn diesem wandelnden Schwabbelwesen es auffallen würde, dass sie gelogen hatte, nur um von ihm wegzukommen – das war verletzend. Jana schluckte, ihr wurde übel. Wie sollte sie das noch 13 Stationen überstehen?
„Hey! Du bist aber auch blind, was?“ Plötzlich tauchte ein Typ neben dem Dicken auf, der Jana ansah. Aber er konnte nicht sie meinen, sie hatte ihn noch nie gesehen. „Ey Dicki, du quetschst gerade meine Freundin ein – sie ist schon ganz benommen.“ Mit einem hämischen Grinsen sah der Fremde nun zu dem Übergewichtigen. `Meine Freundin?` Hatte er das gerade gesagt? „Was erlauben sie sich?“, erwiderte der Dicke, aber er klang verunsichert. „Du solltest sie schleunigst rauslassen, sonst stech’ ich dich mit meiner Nadel an.“ Die dunklen, beinahe schwarzen Augen des jungen Mannes schimmerten bösartig, sein Grinsen war heimtückisch. Jana wusste nicht warum, aber sie musste grinsen. Dieser Unbekannte sprach gerade das aus, was sie fühlte. Es war gemein, das war es, aber... „Das ist ja unverschämt....“ Schnaufend und kopfschüttelnd erhob sich der Klos. „Ja, so fett zu werden ist wirklich unverschämt!“ Der Dicke verschwand irgendwo im Bus. Der „unverschämte“ junge Mann lächelte Jana an. Plötzlich hielt er ihr seine Hand hin und sagte: „Nun komm schon, Jana. Du wolltest doch da raus, oder?“

Jana schluckte. Die Stimme des eigenartigen Gentlemans war tief und klang geschmeidig, die Farbe seines Haars glich der seine Augen. Sein Körper war schlank und er bewegte sich elegant und anschmiegsam wie eine Katze. Das Funkeln war nicht aus seinen Augen gewichen, es wirkte nach wie vor gefährlich und herausfordernd zugleich. Janas Herz pochte schneller. Woher kannte er ihren Namen? Was ging hier gerade vor? „Ist das versteckte Kamera?“, fragte sie und ihr war es peinlich, dass ihre Stimme vibrierte. „Oh, tut mir leid, dass ich mich nicht vorstellte.“ Elegant ließ er sich neben sie gleiten, dicht neben sie. Er ergriff ihre Hand und umschloss sie fest mit seiner. Eigentlich hätte Jana das nicht zulassen dürfen, aber sie war wie erstarrt. „Nenn mich einfach Cupio – das wird mir gerecht.“ Er hielt ihre Hand noch immer, etwas zu fest, fand Jana. „Ich habe dich beobachtet und mir ist klar geworden, dass du raus willst. Jana, aus deinem Leben. Es reicht dir nicht. Ich werde dich hinausführen – es ist alles offen.“ Er drückte ihre Hand noch fester, es tat beinahe weh. Er musste ein Verrückter sein, vielleicht ein Mörder, schoss es Jana durch den Kopf –aber sie musste wohl noch verrückter sein, da sie keine Angst vor ihm hatte, nein – sie erwiderte seinen Blick ebenso funkelnd wie er es tat. Vielleicht war sie auch eine Möderin, wer wusste das schon?

Sie fuhren zu ihm nach Hause. Die Hitze war noch unerträglicher geworden, aber Jana spürte das kaum noch, sie selbst war viel hitziger. Willenlos ließ sie sich von dem Fremden entkleiden und berühren. Jana verlor sich, sie wollte sich nicht mehr wiederfinden. Als es draußen schließlich zu donnern begann lag sie nackt ausgestreckt und verschwitzt neben Cupio und schlürfte Schlückchenweise aus einem Becher, der mit einer seltsam riechenden, roten Flüssigkeit gefüllt war. Es war ihr egal, was sie da trank, sie wollte einfach nur ihren Durst löschen. Cupio stand auf und holte etwas Stoff aus dem Schrank. „Das ziehst du an!“, meinte er kühl und warf Jana den Stoff-Fummel aufs Bett. Es handelte sich dabei um ein schmales, rotes Kleid – es war Jana beinahe zu eng, bodenlang und der Ausschnitt bedeckte nur einen Teil ihrer Brüste. Sie stand vor dem Spiegel und betrachtete sich einen Moment. Ihre Haare waren zerwühlt, ihre Lippen leuchteten rot und in ihrem Dekollete glänzte es, so sehr schwitzte sie. Das war nicht sie selbst – aber wusste sie, wer sie war? War sie nicht doch die, die sie nun im Spiegel sah?
In diesem Moment spürte sie, wie Cupio hinter sie trat und mit seinen Armen ihren Körper umschlang. Doch im Spiegel stand sie noch immer allein. Seine Lippen glitten über ihren Hals, dann spürte sie seine Zunge an ihrer Kehle. „Nein!“, fuhr sie auf. „Nicht jetzt.“ „Wie du willst. Aber lass uns nun in die Nacht ziehen – das willst du doch, oder?“ „Ja.“ Jana nickte. Sie sah nur nochmal flüchtig zu ihrem Spiegelbild, dann wandte sie sich ab und folgte Cupio hinaus in die Dämmerung.
Es war Vollmond. Jana fühlte sich frei und voller Zerstörungswut. Je mehr sie überschäumte an verrückten Ideen, desto mehr schien Cupio begeistert zu sein. Er trieb sie an ihre Pläne in die Tat umzusetzen. Am meisten Lust hatte Jana, es ihrer Chefin heimzuzahlen. Als die Nacht noch dunkler geworden war, machten sie und Cupio sich auf den Weg zu ihrer Wohnung. Ihr kleiner Fiesta stand im Hof geparkt. Und nun hielt Jana nichts mehr zurück. Mit den größten Steinen, die sie finden konnte, machte sie sich daran, dass Auto ihrer Chefin zu demolieren. Cupio stand daneben und lachte finster. Als die Leute aufwachten und an die Fenster kamen, waren die beiden Vandalen längst verschwunden und stürzten immer tiefer in die Nacht. Janas Sinne verdunkelten sich, nicht einmal der Vollmond hatte die Macht sie wieder aufzuhellen.

Doch irgendwann, es mochten Tage vergangen sein, endete auch diese Nacht. Jana saß im Gras, irgendwo in einem Park. Ihr Kleid war schmutzig, verklebt und ihre Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht. Cupio war an sie geschmiegt und küsste ihren Hals stürmisch. Sie wusste, was nun kommen würde, was kommen müsste. Jana war kein Mensch mehr, sie hatte alles hinter sich gelassen. Am Horizont sah man die erste rötlich schimmernde Morgendämmerung heraufziehen, Jana schloss die Augen. Sie spürte etwas kaltes an ihrem Hals, Cupio machte ein zischendendes Geräusch. Wie durch einen Reflex öffnete Jana die Augen wieder. Am Horizont erschien die Sonne, ganz langsam, der Himmel war erfüllt von einem warmen und wundervollen Leuchten. Jana liefen Tränen über die Wangen. Sie stieß Cupio von sich. „Was ist!!?“, fuhr er sie an. „Siehst du die Sonne nicht? Ist sie nicht wunderschön?“ Cupio schnaubte verächtlich. „Was redest du?!“ Seine Stimme hatte alle sanfte Geschmeidigkeit verloren, sie klang nun rau und ungehobelt. Jana sah ihn an. Sie erschrak. Sein Gesicht war blass und eingefallen, seine Augen blutunterlaufen, er fletschte seine grausam, spitzen Zähne noch immer, Speichel lief ihm am Mundwinkel herunter. „Du bist ein Tier!!“, entgegnete sie ihm grob. „Und du? Was bist du, hä?!“ Jana zitterte, ihr war kalt. Dennoch roch sie ihren Schweiß und den Dreck, der an ihrem Körper klebte. Sie musste sich waschen. Das war ja kaum zu ertragen. „Cupio....bitte...siehst du nicht das Licht, wie wundervoll es ist... wie friedlich....“ Sanft legte sie ihre Hand auf seine kalte Wange und streichelte sie zärtlich. Sein Mund schloss sich und sein spitzen Zähne waren verschwunden. Er sah sie ungläubig an und Jana hatte das Gefühl nun zitterte er. „Für mich gibt es das nicht, hörst du??! Die Sonne, ich hasse sie, ich hasse die Wärme und deine Zärtlichkeiten!!!“ Er schlug ihre Hand weg und stand ruckartig auf. Sein Blick war rasend. „Und du – du hasst auch, verstehst du das nicht?! Du hast zerstört, gefickt, gehasst und Blut gesoffen!!! Und jetzt??! Was soll das werden!!?“ Er schrie so laut, dass es Jana in den Ohren wehtat. „Jetzt sehe ich die Sonne wieder, Cupio, und ich erkenne, dass sie schön ist. Ich mag ihre Wärme.....und ob du es nun glaubst oder nicht, ich habe dich geliebt....“ „Nein!!“ Cupio schüttelte den Kopf heftig. „Das hast du niemals. Da war keine Liebe, in meinem Leben gibt es keine Liebe – du hast einfach Angst, Angst, wie ein verscheuchtes Tier!!“ „Cupio....“ Jana stand auf, sie wollte sich ihm nähern, doch er wich zurück. „Du hast dich gegen mich entschieden, ja?!“ „Ich kann, nein, ich will so nicht leben – nicht nur... ich weiß nicht, es tut mir leid....“
In diesem Moment erschien die Sonne in ihrer vollen Pracht am Himmel. Es wurde taghell. Cupio wandte sich ab, er stürzte davon, so schnell, dass Jana gar keine Möglichkeit mehr hatte zu reagieren. So plötzlich er in ihr Leben getreten war, so plötzlich war Jana nun wieder allein. Von Cupio war nichts mehr zu sehen. Ein kühler Windhauch umspielte Janas glühende Wangen. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und atmete erleichtert auf. Jetzt wollte sie nur noch nach Hause und dieses Kleid in den Müll schmeißen und duschen.
Zum Glück fand sie den Weg sofort, sie brauchte nur ein paar Minuten. Und sie war dankbar dafür, dass sie niemandem begegnete. Nur vor ihrer Haustür erkannte sie plötzlich die Umrisse einer jungen Frau. Erst wollte Jana sich hinter einer Mülltonne verstecken und abwarten, aber dann erkannte sie, dass es sich bei dieser Frau um Sabine handelte, ihre Freundin, mit der sie sich kürzlich noch gestritten hatte. Jana lief auf sie zu. „Jana – was ist denn mit dir passiert....?“, stammelte Sabine irritiert und sah Jana ungläubig an. „Es ist nichts, gar nichts – es ist schön, dass du da bist.“ Jana umarmte Sabine dankbar. Sabine erwiderte ihre Liebkosung herzlich. Da musste Jana lachen und weinen zugleich. Sie war so froh wieder zu sich nach Hause gefunden zu haben.




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