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April 2004
Königin Edelgard und der Rabe
von Monique Lhoir

In einem kleinen Königreich namens Ladonien, in der Nähe des Riesengebirges, lebte König Heinrich mit seiner Gemahlin Edelgard. Die junge Königin war von sanfter Anmut und zierlicher Gestalt. Ihr schwarzes, langes Haar trug sie stets unter einem weißen Spitzenhäubchen verborgen. Heinrich liebte sie über alles und wünschte sich nichts sehnlicher, als bald einen Thronerben zu bekommen.
Nun begab es sich, dass König Heinrichs Land angegriffen wurde und es blieb ihm nichts anderes übrig, als mit seinem Heer in den Krieg zu ziehen. Da er die junge Königin nicht allein in dem großen Schloss zurücklassen wollte, gab er sie in die Obhut seines jüngeren Bruders Wodo, der ein kleines, abgelegenes Fürstentum in den Bergen regierte. Die letzte Nacht verbrachten Heinrich und Edelgard eng umschlungen, und als der Morgen graute, nahmen sie voneinander Abschied.

Es dauerte gar nicht lange, da verliebte sich Wodo unsterblich in die schöne Edelgard. Weil er schon immer neidisch auf den älteren Heinrich gewesen war und ihn hasste, da der statt seiner das Königreich geerbt hatte, beschloss er, Edelgard für sich zu gewinnen. Er fasste sich ein Herz und gestand ihr seine Liebe. Doch Edelgard wies in voller Abscheu zurück, zumal sie in ihrem Leib neues Leben spürte.
Wodo machte sich daraufhin auf, um die Hexe Desmona um Rat zu fragen. Als er nach dreitägigem Ritt durch die Wälder ihre Hütte betrat, beugte sich die Alte über einen dampfenden Kessel und murmelte unverständliche Worte. Ehrfürchtig blieb Wodo an der Tür stehen.
„Komm nur näher, mein Sohn“, kicherte die Desmona. „Ich weiß schon, weshalb du gekommen bist.“
„Woher weißt du das? Ich habe doch mit niemandem gesprochen?“
„Die alte Desmona weiß alles. Du willst die Liebe der Königin, habe ich Recht? Und sie damit dem König stehlen.“
„Ich, ich ...“ Wodo sah zu Boden. „Ich wollte dich bitten, weise Desmona, mir ein Elixier zu mischen, so dass Edelgard in Liebe zu mir entflammt.“
„Warum willst du das? Aus Eigennutz? Du weißt, dass sie den Erben des Königreiches Ladonien unter dem Herzen trägt?“, krächzte die Hexe. „Niemand wird dem Knaben sein rechtmäßiges Erbe streitig machen können.“
„Was rätst du vor?“ Wodo trat näher an die Alte heran.
Sie sah ihn listig an. „Warum willst du nur die Frau, wenn du das ganze Land haben kannst? König Heinrich befindet sich doch im Krieg, da kann viel geschehen.“
„Das ist eine gute Idee!“, rief Wodo. „Was verlangst du als Lohn dafür?“
„Oh, nicht viel. Nur deinen Wald.“
„Meinen Wald?“
„Ja, was ist er dir noch wert, wenn du das ganze Land haben kannst?“


Als Wodo wieder in seinem Fürstentum war, schrieb er falsche Briefe und las sie der Königin vor. Er berichtete ihr, Heinrich sei mit seinem Gefolge im Meer ertrunken.
Edelgard weinte drei Tage um ihren Geliebten und ließ niemanden zu sich. Wodo wartete geduldig, doch am vierten Tage forderte er Einlass.
Die Königin saß am Fenster und blickte traurig hinaus. Wodo kniete sich nieder, nahm ihre Hand und legte einen Ring hinein.
„Meine Holde“, sprach er, „da mein Bruder gestorben ist, bin ich der rechtmäßige Erbe und König von Ladonien. Mir gehört das ganze Reich. Eine Liebe zu mir ist nun ohne jede Sünde. Mein Wunsch ist es, dass du an meiner Seite weiterhin Königin des Landes bleibst.“
Edelgard entzog ihm ihre Hand und warf den Ring in eine Ecke. Wodo stand wütend auf. Er packte sie am Arm, zog sie an sich, um sie zu küssen. Edelgard schlug ihm ins Gesicht. „Du vergisst, dass ich Heinrichs Sohn unter dem Herzen trage. Er ist der rechtmäßige König von Ladonien.“
Wodo blickte sie hasserfüllt an. „Du schlägst mein großzügiges Angebot aus? Ich biete dir meine Liebe, dieses Land und du schlägst mir ins Gesicht?“ Mit zornigen Schritten verließ er das Gemach der Königin. Anschließend ließ er sie in den Turm sperren und nahm ihr die gesamte Dienerschaft weg, um ihren Starrsinn zu brechen. Nur die alte Magd Kathi blieb bei ihr. So verbrachte die Königin sehnsüchtig Tag um Tag, Nacht um Nacht, in der Hoffnung, bald Heinrichs Erben in den Armen zu halten.
Jeden Abend besuchte sie ein schwarzer Rabe. Mal brachte er ihr eine Feder, mal eine Blume oder den Zweig eines Baumes. Als der Tag ihrer Niederkunft kam, gebar Edelgard einen kräftigen Sohn. An genau diesem Abend besuchte sie der Rabe und überbrachte ihr einen Brief.
Erstaunt öffnete Edelgard den Umschlag.
„Kathi!“, jauchzte sie, „König Heinrich lebt!“ Sie konnte es nicht fassen. „Er ist auf dem Wege zu uns, um mich zu holen. Endlich können wir nach Hause.“
Kathi nahm die Königin in die Arme und wiegte sie hin und her. „Ich habe gewusst, dass alles gut wird“, sagte sie und Tränen glänzten in ihren Augen. „Ich kann mich auf meine Freunde verlassen.“ Die Magd nickte dankbar dem Raben zu, der krächzend davonflog.

Auch Wodo erhielt die Nachricht, dass sich sein Bruder auf dem Heimweg befand. Das jagte ihm einen gehörigen Schrecken ein und wütend begab er sich wieder auf den Weg zu Desmona.
Er riss die Tür zur Hütte auf. „Dein Zauber hat nicht gewirkt!“, schrie er. „Edelgard liebt mich immer noch nicht und Heinrich lebt. Mein Bruder wird mich töten.“
„Was machst du dir Sorgen?“, sagte die Alte listig. „Die Königin hat zu einem Zeitpunkt entbunden, wo niemand wissen kann, wer der Vater ist. Und der Thronfolger hat lange auf sich warten lassen. Jeder kann es also gewesen, ein Diener, der Koch oder gar ein Landstreicher. Du musst es dem König nur alles gut erklären. Er wird seine Gemahlin aus Eifersucht töten lassen und selbst vor Gram sterben.“
Wodo überlegte einen Augenblick. „Ein guter Ratschlag ist das“, sagte er.
„Aber vergiss dein Versprechen nicht“, krächzte Desmona. „Nun will ich nicht nur den Wald für meine Dienste, sondern auch dein Fürstentum.“
„Das kannst du gerne haben“, lachte Wodo übermütig. „Wenn ich erst einmal König bin und die Königin besitze, wozu brauche ich dann den Wald und dieses armselige Fürstentum?“ Er machte sich eilig auf den Rückweg.
Desmona schaute ihm nach. Dann breitete sie die Arme aus, die sich in schwarze Schwingen verwandelten. Als ein großer Rabe flog sie in Richtung Schloss.

Wodo ließ eilig alles für einen festlichen Empfang Heinrichs herrichten. Doch König Heinrich hatte keinen Blick für all den Prunkt, als er mit seinem Gefolge eintraf. Er fragte zuerst nach Edelgard, die er so schmerzlich vermisst hatte.
„Bruder, ich habe das treulose Weib im Turm verbannt. Sie hat mit dem Koch gebuhlt und unlängst einem Knaben das Leben geschenkt, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ist.“
Heinrich sank in die Knie, vergrub sein Gesicht in den Händen und weinte bitterlich. Müde stand er nach einiger Zeit auf. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. Er war ein gebrochener Mann.
Sofort war Wodo an seiner Seite. „Bruder, es ziemt sich nicht, diese Buhle länger zum Weibe zu haben.“
„Was soll ich tun, Wodo. Was schlägst du vor?“, fragte Heinrich und ging müden Schrittes zu seinem Pferd.
„Ich werde sie mit dem Kinde in den Wald führen und töten lassen.“
König Heinrich sah seinen Bruder schmerzerfüllt an, doch dann sprach er:„So tue, was du für richtig hältst.“ Er ritt mit seinem Gefolge schweren Herzens davon.

Wodo schaute ihm lange nach, dann rieb er sich siegesgewiss die Hände. Er war seinem Ziel ein ganzes Stück näher gekommen. Anschließend ließ er Edelgard und ihren Sohn aus dem Turm holen, übergab sie seinen Handlangern und befahl, beide zu töten.
Die Knechte führten Edelgard mit ihrem Säugling immer tiefer in den Wald hinein. Erst folgte nur ein Rabe, dann waren es zwei, bald eine ganze Schar. Zu den Raben gesellten sich Elstern und Sperlinge, so dass es den Knechten höchst unheimlich wurde.
„Was hat sie denn getan?“, flüsterte einer der Männer. Ein anderer zuckte mit den Schultern: „Ich weiß es nicht.“ Ein Rabe hackte einem Dritten ins Ohr, ein weiterer pickte ihm in die Hand.
„Kommt, überlassen wir sie den wilden Tieren. Sollen die sie doch zerreißen. Das ist besser, als unsere Hände mit ihrem Blute zu beflecken.“
Sie ließen die Königin allein zurück und machten, dass sie weg kamen. Zum Beweis töteten sie unterwegs ein Lamm und brachten Wodo die Zunge mit.

Edelgard setzte sich weinend auf einen Baumstumpf und wiegte ihren Sohn, der noch nicht einmal zwanzig Tage alt war. Er schrie, da er Hunger hatte und ihre Milch nicht mehr ausreichte. Die Raben, Elstern und Sperlinge ließen sich zu ihren Füßen nieder. Der größte Rabe trat hervor, legte eine Blume zu ihren Füßen. Dann drehte er sich zu der Vogelschar um, begann heftig zu krächzen und schlug mit seinen Flügeln. Plötzlich erhoben sich die Vögel in die Lüfte und staunend sah Edelgard, wie sie emsig hin- und herflogen und ihr Reisig, Nüsse, Kräuter und Wurzeln brachten.
Im selben Augenblick sah Edelgard eine Ricke mit ihrem Kitz auf einer kleinen Lichtung, begleitet von dem großen Raben. Offensichtlich wies er ihr den Weg, denn sie ließ sich neben dem Knaben nieder. Edelgard legte ihren Sohn an die Zitzen der Ricke und er trank, bis er gesättigt war, während das Kitz friedlich graste.
Und so kam es, dass Edelgard sich mit Hilfe der Vögel eine kleine Hütte baute und mit Nüssen, Wurzeln, Beeren und Kräutern versorgt wurde. Die Ricke besuchte sie drei Mal am Tage und ließ den Knaben trinken. Am Abend saß der größte der Raben auf einem der Äste und bewachte den Schlaf der Königin und des Erben von Ladonien.

König Heinrich war in sein Land zurück geritten, aber er starb nicht vor Gram, wie Wodo gehofft hatte, sondern zog sich mürrisch und griesgrämig zurück. Sein Volk litt unter der Traurigkeit. Wo es früher Feste und Jahrmärkte gab, war nur noch Schweigen. Niemand getraute sich ein lautes Wort zu sagen oder gar zu lachen.
Als er eines Tages einsam durch die Wälder streifte, weckte eine stattliche Ricke sein Interesse. So rief er nach sechs Jahren das erste Mal wieder zur Jagd auf. Er suchte die Ricke und als er ihrer gewahr wurde, verfolgten seine Hunde das Tier und eine wilde Hetzjagd begann, immer weiter und weiter in den Wald hinein. Die Jäger kamen längst nicht mehr nach und plötzlich war er allein. Das laute Gebell seiner Rüden beendete jäh den wilden Ritt, sein Pferd bäumte sich auf und blieb vor einer Hütte aus Reisig stehen. Eine Frau, nur spärlich bekleidet, mit Reisigzweigen in der Hand, versuchte die Hunde zu vertreiben. Die Ricke drängte sich dicht an ihre Seite und die Frau strich zärtlich über das Fell, um sie zu beruhigen.
König Heinrich rief seine Hunde zurück.
„Wer bist du?“, fragte er verwundert.
„Eine arme Frau, die hier im Walde lebt“, erwiderte Edelgard erschrocken, senkte den Kopf und versuchte, ihre Blöße zu bedecken.
Heinrich warf ihr seinen Mantel zu.
„Warum hast du kein anständiges Kleid?“, fragte er.
„Es ist mit den Jahren zerschlissen.“ Edelgard wickelte sich in den Mantel und getraute sich nicht, ihr Gesicht zu erheben.
„Wie lange bist du schon hier?“
„Sechs Jahre und drei Monde.“ Ein nackter Knabe krabbelte aus der niedrigen Hütte und klammerte sich an die Mutter.
„Wem gehört der Knabe?“ Heinrich schaute in das sommersprossige Kindergesicht.
„Das ist mein Sohn und sein Vater ist König Heinrich.“ Sie legte beschützend ihren Arm um die Schultern des Jungen.
Heinrich erschrak. „Wie kommst du hierher und wie heißt du?“, wollte er weiter wissen.
„Mein Name ist Edelgard.“
Als Heinrich den Namen hörte, stöhnte er schmerzlich auf. Seine Gefolgsleute kamen langsam näher und ein Jäger konnte gerade noch hinzuspringen und den König auffangen, der ohnmächtig vom Pferd zu fallen drohte.
Sie betteten ihn ins Moos und benetzten seine Lippen mit frischem Quellwasser. Ein Diener hielt fürsorglich seinen Kopf. „Schau, ob sie ein Mal auf der rechten Wange hat“, bat Heinrich schwach, als er wieder zu sich kam.
Der Lakai kam eilig zurück. „Sie hat ein Mal auf der rechten Wange.“
„Dann schau, ob sie einen Ring trägt mit einem roten Herzen aus Rubin.“
Der Diener kam erneut zurück. „Sie trägt einen Ring mit einem roten Herzen.“
Der König stand schwerfällig auf und trat der Frau gegenüber: „Weib, wie bist du hierher gekommen?“
Edelgard verneigte sich demütig. „Herr, Ihr Bruder hat mich aussetzen lassen, weil ich ihm nicht gefügig sein wollte. Dies hier“, und sie schob den Knaben vor, „ist Euer Sohn.“
Der König sank in die Knie und vergrub bitterlich weinend sein Gesicht in den Händen. Sie trat zu ihm, strich ihm sanft über das weiß gewordene Haar und reichte ihm die Hand. Er sah in ihre Augen, in denen er tiefe Liebe erkannte.
„Bringt die Königin von Ladonien und meinen Sohn nach Hause!“, befahl Heinrich seinem Gefolge und schwang sich beschwingt auf sein Pferd.

Am nächsten Tage ließ der König das Schloss schmücken, Musikanten wurden bestellt und in jedem Dorf fand ein Jahrmarkt statt. Die Menschen sangen und lachten und schmückten sich für das Fest. Es wurde gekocht, gebacken und getanzt. Die Kinder liefen kreischend umher. Im Schloss wurde eine festliche, endlose lange Tafel mit den köstlichsten Speisen hergerichtet. Auf dem Thron saßen der König und die Königin und stellten stolz ihren Sohn dem Volke vor.
„Was soll mit dem Übeltäter geschehen, der uns das alles angetan hat?“, fragte Heinrich seine Königin. „Sollen wir ihn vierteilen?“
„Ach nein“, sagte sie milde, „er soll das gleiche Schicksal erleiden, das ich erduldet habe.“
Auf einem goldenen Teller wurde Edelgard ein köstliches Stück Fleisch serviert. Sie schob das Geschirr beiseite. „Nein“, sagte sie, „mein Magen verträgt das nicht mehr. Er ist an Kräuter und Wurzeln gewöhnt. Die Tiere sind zu meinen Freunden geworden, sie dienen mir nicht mehr als meine Nahrung.“
Im Fenster hinter ihrem Platz saß ein großer Rabe. Als sie es weit öffnete, flog er, gefolgt von Elstern und Sperlingen, herein und die Vögel legten Beeren und Nüsse auf ihren Teller. Nur der große Rabe ließ eine Rose fallen. Als er wegflog, kullerte eine kleine Abschiedträne über Edelgards Schulter.
Wodo wurde tief in den Wald gebracht und niemand hatte seither von ihm gehört. Edelgard widmete sich der Kunde von Heilkräutern und bereitete Arznei daraus. Fortan kümmerte sie sich um die Kranken des Landes. Das Fürstentum Wodos wurde ab sofort zu einem Vogelschutzgebiet und von Desmona, dem schwarzen Raben regiert, die es fürsorglich bewachte.
In Ladonien wird wieder gefeiert und gelacht und es soll, wie ich gehört habe, dort noch heute ein recht lustiges Völkchen leben. Geht man durch den Wald, hört man von allen Seiten fröhliches Gezwitscher und für einen Augenblick vergisst man alle seine Sorgen. Und wenn man ganz viel Glück hat, sieht man einen großen, schwarzen Raben, der sein Fürstentum sorgfältig bewacht.

(Monique Lhoir)
















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