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April 2004
Alles, was du besitzt, Harlekin
von Patrick Rauch

Es war einmal ein kleines Königreich mit Namen Klimbim, das wunderschön und friedlich war, und es lag zwischen hohen, weißen Bergen und dichtem, grünem Wald. Die Menschen waren freundlich und glücklich, und seit langer Zeit lebten sie schon zusammen. Bunte Blumenfelder wurden von kleinen Wegen und Flüssen durchzogen, die Sonne schien durch den meist wolkenlosen Himmel, und Vögel streiften durch die stillen Lüfte. Im Dickicht der Wälder tummelten sich unzählige Tierarten, die sich grüßten und ihrem Tagewerk nachgingen. So auch die Menschen, die fleißig und strebsam waren, und die immer hinaufschauten zu der prächtigen Burg am Fuße des höchsten Berges. Abends saßen sie dann zusammen, stießen auf einen erfolgreichen und anstrengenden Tag an und redeten über alle Nichtigkeiten des kleinen Königreichs. Sie kochten und aßen viel, und die Humpen wurden nicht selten zum Ruhme des geliebten Königs erhoben. Die Burg, so sagten sie, in all ihrer Herrlichkeit, sich im Sonnenlicht rekelnd und gottgleich darbietend, sei der Stolz ihrer Vorfahren, und sie müssten wie jedes Jahr erneut dafür sorgen, dass sie nichts von ihrem Glanz einbüßte. Denn bald war es wieder soweit, da würden die Mauern und Türme und Fenster der Burg geputzt und auf Hochglanz gebracht werden. Viele Tage und Wochen würde das dauern, doch die Männer freuten sich darauf, denn dann würden sie auch weiterhin jeden Tag die Schönheit der Gemäuer genießen können. Und die Frauen, so lieblich und rein in ihren Seelen, würden für die Männer sorgen bei dieser harten Arbeit, und schon waren die Stifte und Papiere gezückt, und es wurde darüber geredet, zu welchem Tage zu welcher Tageszeit es welches Tagesmahl geben sollte.
So ging es tagein, tagaus in dem schönen, kleinen Königreich Klimbim. Die Menschen waren freundlich, hatten sich lieb und sorgten ein ums andere Mal füreinander. Doch eines Tages, so sollte es kommen, dass eine in kostbare Seide gehüllte Gestalt einen Weg entlangging. Die Sonne ließ ihre kunterbunte Kleidung glänzen, und die Bommel auf ihrem Kopf klingelte bei jedem Schritt. Ihre spitze Nase ragte weit aus dem Gesicht hervor, und auf den Lippen lag ein immerwährendes Grinsen. Die Schritte der Gestalt waren weit ausholend, und ihre Arme schwangen weit vor und zurück. An ihren großen Füßen waren ebenfalls Bommeln mit Klingeln, und so war sie schon von weitem zu hören, wenn sie voller Tatendrang ihren Weg dahinschritt.
Und so hörten auch zwei Jungens sie schon von weitem, und was das wohl sein könnte, fragten sie sich neugierig. Die Hände über die Augen legend, um sich vor der Sonne zu schützen, sahen sie herum, um zu sehen, woher das Gebimmel kam. Wie eine Melodie kamen ihnen die Glöcklein vor, und lange standen sie erwartungsvoll da, bis die Gestalt dann vor ihnen auftauchte. Ein heiteres Kichern verlangte ihnen die Erscheinung der Gestalt und seine Bewegungen ab, und sie winkten ihr lachend zu, bis sie nahe herangekommen war.
»Harlekin ist mein Name«, sagte die Gestalt und winkte wild mit beiden Armen. »Gott zum Gruß, Apfelmus.«
Die Kinder, lachend und gackernd über des Harlekins Ulke, sahen zu ihm hinauf und fragten, wo er denn herkomme und was er denn hier mache, und sie bewunderten seine teuren Kleider, die so bunt waren wie ein Regenbogen.
»Von weit her komme ich her«, sagte Harlekin und machte eine Bewegung, als wische er sich den Schweiß von der Stirn. »Welch wunderbares Jahr war dies Letzte.« Sein Gesicht wurde träumerisch. »Ernte, reiche Ernte, sage ich euch Kinder, hat das Jahr, das letzte, gebracht. Voller Wonne in der Sonne auf der Tonne schlief ich lange, und mir ward angst und bange, dass mein Bäumchen nicht würde sprießen voller Herrlichkeit, wie es der Anblick eures Burgleins mir zeigt. Wie voller Sorge war ich doch, dass mein Bäumchen würde nicht wachsen und gedeihen.«
»Und wie ist es geworden? Und wie ist es geworden?«, riefen die Kinder voller Spannung.
»Gar wundervoll, herrlich und toll ist es geworden!«, rief Harlekin und schlug einem Purzelbaum, von einem langen Oooh der Jungens begleitet. Dann begann er zu tanzen. »Äpfel, Äpfel im Überfluss, Äpfel zuhauf! Volle Tonnen, Kanister und Kästen, Äpfel überall! Rote Äpfel, grüne Äpfel, rotgrüne Äpfel, große Äpfel, kleine Äpfel, schöne Äpfel, sehr schöne Äpfel, weniger schöne Äpfel. Äpfel, Äpfel überall!« Dann wurde Harlekin Gesicht aber traurig, und er beugte sich zu den Kindern hinunter, die Hände gefaltet und wie betend ans Kinn gelehnt, und sagte leise seufzend: »Nur eines, nur eines, das bereitet mir Sorgen, lässt mich nicht schlafen und nagt an mir. Eines, eines nur ist noch nicht so toll.«
»Was ist es? Was ist es?«, riefen die Kinder im Chor und atmeten nicht einmal.
Harlekins Augen fuhren hin und her, als würden sie sicherstellen, dass niemand in der Nähe war und ihnen zuhören konnte. Sein Gesicht wurde eine Mitleid erregende Grimasse, und zögernd sagte er: »Ich weiß nicht, ich weiß nicht, meine Kinder. Ich weiß nicht, sind sie denn auch gut? Die Äpfel, so viele es sind, und so schön sie sind, ja, sind sie denn auch gut? Ich weiß nicht, ich weiß nicht.«
Die Jungens sahen sich freudig an, und dann riefen sie: »Wir sagen es dir! Wir sagen es dir! Lass und kosten! Lass sie uns probieren!«
Harlekins Grinsen zog sich bis zu den Ohren. »Das würdet ihr wirklich und wahrhaftig für mich tun?«
Die Jungens nickten eifrig.
Harlekin erhob sich, breitete die Arme aus und rief lachend in den Himmel: »Nein, welche Freude! Nein, welch ein Glück! Wie konnte ich nur mit so viel Glück gesegnet sein an diesem Tag! Wie wohl geht es mir doch! Wie schön ist das Leben!« Schnell beugte er sich wieder zu den Kindern hinunter und legte Zeigefinger an Daumen. »Da gibt es nur eine winzigkleine, klitzekleine Sache, meine Kinder. Nur eine winzige. Winzig, winzig, winzig!«
Mit großen Augen sahen die Jungens die bunte Gestalt an, ihre Münder standen offen, und ihre Köpfe nickten eifrig.
Harlekin hob die Hände und hielt den Kindern zwei rote, saftige Äpfel vor die Nasen. »So Leid es mir tut, aber ich muss etwas dafür verlangen. Nur eine Winzigkeit. Doch glaubt mir, meine Kinder, noch nie habt ihr so gute Äpfel gegessen.«
Die Kinder, verführt von Harlekins Sprüchen und Versprechen, sahen sich an, und es lief ihnen das Wasser im Mund zusammen. Was er denn wollte, fragten sie ihn, und er sagte: »Alles, was ihr besitzt. Nur alles, was ihr besitzt. Nicht mehr, nicht weniger.«
Kurz überlegten die Kinder, dann nickten sie eifrig und kramten in den Taschen. Hervor kamen ein Stein, eine Schleuder, zwei Hosenknöpfe und eine verwelkte Rose. Das reichten sie ihm, und er gab ihnen die Äpfel. »Lasst sie euch schmecken!«, rief er ihnen hinterher, als sie kauend und schmatzend ihren Weg zurückgingen und vergessen hatten, dass er ihre Meinung ursprünglich zu dem Obst hatte hören wollen. Und Harlekin, grinsend, Hände reibend, ging mit weit ausholenden Schritten seinen Weg zurück.
Und am nächsten Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen die Berge küssten und der Hahn auf seinem Stroh sein Kikeriki in das kleine Königreich herausrief, dann lagen die beiden Jungens schlafend im Bett, neben ihnen zwei Apfelbutzen, und niemand konnte sie wecken. Es gingen laute Schreie durch Klimbim, und die Menschen weinten und klagten. Wie das nur geschehen konnte, sagten sie. Welch grausiges Schicksal spielte ihnen hier nur übel mit. Alle waren traurig und betrübt, und die Eltern, ihre Augen voller Tränen, wurden von den anderen getröstet, doch nichts konnte ihren Schmerz lindern. Viele Tage lang lag das kleine Königreich in tiefer Trauer. Niemand arbeitete, es wurde kaum gekocht und gegessen, und die Burg ward gänzlich vergessen. Und eines Morgens, da lagen zwei weitere Kinder schlafend im Bett, neben ihnen lagen wieder die Apfelbutzen, und niemand konnte sie erwecken. Und wieder weinten die Menschen und trauerten und fragten sich, warum ihnen das Schicksal so hart mitspielte.
Ein alter Mann jedoch, ein Jäger gar, meldete sich zu Wort. Eine seltsame Gestalt hätte er gesehen, von seinem Hochsitz aus, und der hätte den Kindern die Äpfel gegeben. Und der König, so mitfühlend er mit den Eltern war, und wie sehr er dem Täter die gerechte Strafe wollte zukommen lassen, ließ nach der bunten Gestalt suchen. Ritter, edel und stolz, die besten des Königreichs, ritten aus. Sie horchten nach Gebimmel und hielten Ausschau nach bunten Seidengewändern, doch sie fanden diese Gestalt nicht. Viele Tage wurde nach dem Männlein gesucht, doch zu jedem Abend kamen die Ritter traurig zur Burg zurück und überbrachten schlechte Kunde. Den Kindern währenddessen wurde es untersagt, aus dem Dorf zu gehen, und während die Erwachsenen über den Tod der Kinder klagten, klagten die Kinder über das Verbot.
Nach einiger Zeit setzten sich die Kinder über das Verbot hinweg, und sie gingen hinaus aus den Dörfern, hinauf zu den Wäldern und Blumenfeldern. Sie lachten und spielten und freuten sich über die neue Freiheit. Sie würden nicht lange wegbleiben, so sagten sie, und dann würde niemand ihre Abwesenheit bemerken. Und irgendwo zwischen Moos und Gebüsch, inmitten einer saftigen Wiese, da entdeckten sie einen großen, hohen Baum mit vielen Äpfeln, und an dessen Stamm lehnte eine bunte Figur, die Beine weit auf dem Boden ausgestreckt, und sein Schnarchen hallte über die Lichtung. Erst wussten die Kinder nicht, was zu tun war und was sie machen sollten. Dann dachten sie wieder an die Apfelbutzen, die bei den schlafenden Kindern gelegen hatten, und sie bekamen Angst und rannten so schnell sie konnten nach Hause. Aufgeregt erzählten sie es den Eltern, die sehr böse auf sie waren, doch sie waren auch froh, dass ihre Kinder heil nach Hause gekommen waren. Und der König schickte die Ritter wieder los zu dem Ort, wo die Kinder den Baum und das bunte Männlein gefunden hatten. Doch wie an allen anderen Tagen, da kamen die Ritter mit schlechter Kunde zurück. Sie hätten auf der Lichtung nichts finden können, sagten sie. Da wäre nichts gewesen außer Gras, Moos und Gebüsch. Die Kinder wurden früh ins Bett geschickt, und ihnen wurde gesagt, sie sollten ihre Fantasie zügeln. Die Kleinen widersprachen, doch sie wurden dann nur getadelt, und so sagten sie nichts mehr.
Und am nächsten Tag, es war schon Mittag, da kam Harlekin in das Dorf, und er rief den Menschen zu: »Harlekin ist mein Name, und ich habe eure Kinder vergiftet!« Die Menschen schrieen empört auf und holten Seile, um das Männlein zu fesseln, doch das sagte: »Vergreift euch nicht an mir, denn ich habe einen Helfer, und wenn ich nicht zurückkomme, wird er meine Äpfel pressen und in euer Wasser tun, und ihr alle werdet fortan schlafen, und eure Kinder und ihr werdet nie wieder erwachen. Der Baum ist alles, was ich besitze! Sucht nicht nach ihm, denn ihr werdet ihn nicht finden. Ich habe ihn gut beschützt, denn er ist alles, was ich besitze!«
Die Kinder zogen an den Hosen der Erwachsenen und sagten, dass er alleine auf der Lichtung gewesen sei, und dass er sicherlich keinen Helfer hätte. Doch die Erwachsenen waren verängstigt, und so fragten sie Harlekin, was er denn wolle. Und Harlekin antwortete: »Nicht viel, meine Freunde, nicht viel. Nur eine Winzigkeit.« Was diese Winzigkeit denn sei, fragten sie ihn, und er antwortete ihnen: »Alles, was ihr besitzt. Nur alles, was ihr besitzt!«
Die Menschen schnaubten ob dieser Frechheit, doch sie hatten zu viel Angst und widersprachen nicht. Geschrei und Stöhnen legte sich über das kleine Königreich Klimbim, doch Harlekin lachte nur und sagte: »Morgen zu dieser Zeit, da werde ich wiederkommen, und wenn ihr nicht wollt, dass noch mehr eurer Kinder an meinen Äpfeln zugrunde gehen, dann gebt ihr mir, was ich verlange!« Und dann ging das Männlein mit seinen weit ausholenden Schritten, den schwingenden Armen, gefolgt von dem Gebimmel, seinen Weg zurück in den Wald.
Die Menschen beratschlagten, was sie denn nun machen sollten. Nach vielen Stunden des Streits waren sie jedoch nur zu dem Schluss gekommen, dass sie Harlekin all das geben mussten, was sie besäßen. Sie weinten und klagten, doch sie würden sich beugen müssen. Die Kinder aber wollten sich nicht damit zufrieden geben. Und so heckten sie insgeheim einen Plan aus, ohne ihren Eltern etwas zu erzählen.
Es war der Mittag des nächsten Tages, als alle Menschen zusammengekommen waren und auf Harlekin warteten. Der König war da mit seiner Gefolgschaft und seinen Rittern, und er weinte, weil er seine Krone dem bunten Männlein übergeben musste. Und sie hörten schon bald das Gebimmel des Harlekins, und wenig später kam er mit weiten Schritten und schwenkenden Armen den Hügel hinunter, mit einem breiten Grinsen auf seinem Gesicht. Er stellte sich vor die Menge und sagte: »Nun, seid ihr vernünftig geworden, und gebt ihr mir die Winzigkeit, die ich verlange?«
Der König trat gesenkten Hauptes hervor, nahm die Krone ab und reichte sie dem Männlein. »Wir geben dir, was du verlangst«, sagte er traurig.
Harlekin lachte und setzte sich auf eine Bank. »Brave Menschlein seid ihr, meine Freunde«, sagte er und setzte sich die Krone auf.
Und da kamen die Kinder hervor, reichten ihm einen Kuchen und eine Gabel. Für ihn sei das, sagten sie, als Geschenk seiner Krönung. Und Harlekin lachte überschäumend vor Glück und Heiterkeit, und er stach in den Kuchen und aß davon. »Welch ein Tag!«, rief er. »Welch eine Wonne. Ein Königreich und ein Kuchen, wo ich Süßes doch so mag!« Er lachte bei jedem Bissen und schwenkte glückselig den Kopf hin und her, und das Gebimmel ertönte über dem Königreich, wie Glocken zur Verkündung seines Herrschaft.
Und die Kinder sagten: »Du hast den Baum für die Erwachsenen unsichtbar gemacht, doch für die Kinder hast du es nicht getan, weil du hofftest, wir würden den Baum finden und davon naschen.«
Doch Harlekin hörte nicht auf sie, sondern aß weiter und freute sich seines Lebens und seiner Gemeinheiten.
Und die Kinder sagten weiter: »Nun ist er gefällt, der Baum, und alle Äpfel sind weg.«
Das Männlein lachte jedoch nur und ließ sich den Kuchen auf der Zunge zergehen. Schmatzend leckte er die Gabel ab, grinste in den Himmel und rief: »Welch ein Tag! Welch eine Wonne! Wie wohl ist mir! Wie herrlich hat dieser Kuchen geschmeckt, und wie schön ist mein Königreich!« Dann sah er zu den Kindern herab, als hätte er sie erst jetzt bemerkt, und er sagte: »Vielen Dank für den Kuchen, meine Kinder. Noch nie habe ich solch einen leckeren Kuchen gegessen. Ich danke euch sehr. Doch wollt ihr ihn nun immer für mich machen, oder verratet ihr mir die Zutaten? Was habt ihr denn da rein getan?«
Und die Kinder antworteten: »Alles, was du besitzt, Harlekin!«
Und als der Harlekin gähnte und ein tiefes Knurren ihn in den Schlaf begeleitete, da brach sein Zauber, und die vergifteten Kinder erwachten aus ihrem Schlummer. Der böse Harlekin jedoch erwachte nie wieder.

–ENDE–

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