'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
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April 2004
Wenn ein Wort wiegt schwer wie Gold
von Andreas Seiller

Es war ein kalter Wintermorgen und nur die vereinzelten Blätter der alten Eiche, welche die schweren Herbststürme überstanden hatten, bewegten sich raschelnd im frostigen Wind, der pfeifend um die Gebäude fegte und an den Fensterläden und Scheunentüren klapperte.
Der große Bauernhof am Rande des Waldes, lag noch ruhig und verschlafen unter einer dünnen Decke aus Schnee.
Nur ein einzelnes leises Geräusch, war im Innern der Scheune zu hören;
es waren die langsamen Schritte von Friedrich, dem stolzen und einzigen Hahn des Bauernhofes, der sich durch einen Spalt des hölzernen Tores zwängte, um, durch den Schnee watend, zu dem dampfenden Misthaufen zu kommen.
„Brrrr, ist das eine Kälte“, bibberte Friedrich und zog sich seinen rosafarbenen Schal enger um den dünnen Hals, während er die Spitze des Misthaufens langsam erklomm.
Dort angekommen, hüpfte er zitternd von einem Bein auf das andere und wartete ungeduldig, bis die ersten, noch zögerlichen Sonnenstrahlen, über den Hügel blinzelten.
Als es endlich soweit war, verkündete er mit einem krächzenden, und nicht sehr begeisterten Kikeriki den neuen Tag und weckte damit auch die noch schlafenden Tiere des Bauernhofes.
„Ruhe“, hörte man die Stimmen verschiedener Tiere aus ihren gemütlichen, warmen Nestern, Boxen oder Ställen rufen. Jedoch Friedrich ließ sich durch dieses Gepöbel überhaupt nicht aus der Ruhe bringen.
Er warf sich mit schwungvoll einen Teil seines rosaroten Schales um den Hals, scharrte mit seinen Krallen über den dampfenden Mist und ließ noch ein weiteres Mal sein Kikeriki erklingen. Diesmal klang es schon viel besser.
Auch der Letzte, der noch geschlafen haben sollte, war nun bestimmt wach.
Die Arbeit auf dem Bauernhof konnte beginnen.
„Auf, auf ihr faulen Hennen“, rief Friedrich in den Hühnerstall hinein, „ich will, dass ihr heute den Rekord im Eierlegen brecht!“
Die Hennen schauten etwas genervt von ihrer Stange auf den Hahn hinab, da dieser Satz die allmorgendliche Begrüßung von Friedrich war.
Die Kühe standen bereits im Stall in Reihe und Glied und ließen sich ohne Murren von der Bäuerin melken, während sie mit Genuss das frische Heu frühstückten, das ihnen der Bauer in die Futterrinne füllte.


Auch die Schweine, Katzen, Schafe und Pferde des Bauernhofes, gingen einer Arbeit nach.
Alle Tiere? Nein, nicht alle.
Während die anderen fleißig waren, schnarchte da doch tatsächlich so ein Faulenzer in einem windgeschützten Eckchen seines Häuschens.
Es war Oskar, der Hofhund.
„He, Oskar“, rief Friedrich, von weitem, als er auf die Hundehütte zusteuerte,
„aufwachen, es ist schon lange hell.“
Oskar öffnete kurz ein Auge, blickte von links nach rechts, dann von oben nach unten und schloss es wieder.
„Tatsächlich, du hast wieder einmal recht, Friedrich. Es ist schon hell, aber auch leider sehr kalt draußen! Bei mir hingegen ist es mollig warm.“
Der Hahn stand mit erhobenem Kamm vor der Hundehütte und schielte mit einem Auge hinein, wobei er seinen Hals nach vorne streckte.
„Was machst du eigentlich den lieben, langen Tag?“
Oskar gähnte.
„Ich passe auf euch auf“.
Friedrich lachte laut.
„Du passt auf uns auf? Du würdest doch nicht einmal merken, wenn hier ein Rudel Wölfe ein Weihnachtsfest feiern würde.“
Oskar öffnete beide Augen und schob seinen Kopf durch die Tür nach draußen.
„Was ist ein Weihnachtsfest?“, fragte er interessiert.
Friedrich der Hahn überlegte kurz, verzog dabei ein Auge zu einem schmalen Schlitz
und stotterte los:
„Also, ein Weihnachtsfest ist... äh, eine wirklich tolle Sache“.
„Aha“, sagte der Wachhund, „und weiter?“.
Der Hahn scharrte unruhig mit seinem rechten Fuß über den Sand.
„Wie weiter?“, fragte er scheinheilig.
„Was macht man den mit einem Weihnachtsfest?“
„Pah, du weißt nicht, was man mit einem Weihnachtsfest macht? Das weiß doch jedes Küken.“
Dem Hahn tropfte der kalte Schweiß von der Stirn auf seinen Schnabel.
„Traudel“, rief er zum Hühnerstall hinüber, „erkläre doch Oskar bitte einmal, was ein Weihnachtsfest ist.“
Eine etwas kräftige Henne, kam schwankend die Hühnerleiter herunter und fixierte dabei den Wachhund und den Hahn, der sich seinen rosafarbenen Schal wieder um den Hals warf.
„Ein Weihnachtsfest veranstalten die Menschen immer am selben Tag im Jahr.
Schon lange vorher, schmücken sie die Fenster mit schönen Bildern und bunten, Lichtern. Sie backen Plätzchen, basteln Geschenke und sind ganz besonders lieb zueinander. Sie treffen sich vor einem schön geschmückten Tannenbaum, singen Lieder und geben sich dann gegenseitig die Geschenke.“
Die Henne kam ins Schwärmen, während sich Friedrich und Oskar nur fragend anschauten.
„Danke, Traudel“, sagte der Hahn und räusperte sich, „ich hätte es nicht besser erklären können.“
Die Henne drehte sich um, kicherte und ging wieder zurück in den Hühnerstall, wo nur wenige Augenblicke später eine Lachsalve der anderen Hühner erklang – nicht ohne Folgen, da einige den Halt verloren und kopfüber ins Heu fielen.
Ernsthaft verletzt hatte sich hierbei aber keine der Damen.

„Das mit diesem Weihnachtsfest, das hört sich aber wirklich schön an“, meinte der Wachhund. „Schade, dass dies nur die Menschen machen.“
Friedrich überlegte.
„Pah, was die Menschen können, können wir doch schon lange – oder?“
Oskar stimmte zu.
„Wir werden auch ein Weihnachtsfest veranstalten und du wirst alles organisieren“, sagte Friedrich und zeigte mit seinem rechten Flügel auf Oskar.
„Ich?“
„Ja, du bist der Einzige, der Zeit hat – ich sage dir, was du machen musst!“
Und so vergingen nun einige Minuten, in denen der Hahn dem Wachhund mit vielen Gesten und Worten erklärte, was alles getan werden musste.
Oskar hörte aufmerksam zu.

Der Tag verging und außer einem seltsamen, gedämpften Hämmern in der Nacht war nichts Außergewöhnliches zu hören.
Am nächsten Morgen lief Friedrich der Hahn wieder durch den Schnee zu seinem dampfenden Misthaufen, um sein lautes Kikeriki erklingen zu lassen, als er sprachlos vor einem Schild stand, welches mitten auf seinem Misthaufen aufgestellt worden war. Aber nicht nur hier, sondern an allen möglichen Flecken, standen die gleichen Schilder.
Friedrich las sich den Text durch und ging dann nachdenklich und kopfschüttelnd wieder zurück in den Hühnerstall. Er hatte sogar vergessen sein Kikeriki erklingen zu lassen. Er ahnte, dass würde Ärger geben.
Es dauerte nicht lange und auch die anderen Tiere wurden wach und bemerkten die seltsamen Schilder. Kurze Zeit später standen an allen dieser Schilder Gruppen von Tieren im Schnee und lasen sich den krakelig geschriebenen Text durch, der wie folgt lautete:
Weihnachtsfest auf dem Bauernhof.
Alle Vierbeiner sind dazu eingeladen, am ersten Vollmondabend zu einem grandiosen Weihnachtsfest in der großen Scheune am See zu erscheinen. Jeder sollte etwas zu Essen und zu trinken mitbringen, sowie ein kleines, selbstgebasteltes Geschenk.

Die Tiere waren begeistert. Ein Weihnachtsfest hatten sie bisher noch nie gefeiert.
Jedoch die Begeisterung hielt nicht lange an.
„Warum sind den nur die Vierbeiner zu diesem Fest eingeladen?“, rief eine Ente mit einem roten Hut und einem ebensolchem Schal, die sich den Text sehr aufmerksam durchgelesen hatte, „sind wir Zweibeiner etwa nicht gut genug?“
Tatsächlich, in der ganzen Aufregung hatte Oskar wirklich „Vierbeiner“ in seine Einladung geschrieben. Nun herrschte plötzlich eine sehr gereizte Stimmung auf dem Bauernhof.
Die Vierbeiner liefen mit erhobenen Häuptern daher, während die Zweibeiner nur noch schimpften und gackerten.
„Das hast du toll hingekriegt, mein Lieber“, sagte Friedrich wütend zu Oskar, der überhaupt nicht wusste, worum es ging.
Der Hahn klärte ihn über den begangenen Fehler auf und der Wachhund versprach, noch in der selben Nacht alles wieder in Ordnung zu bringen.
Während also alle anderen schliefen, schlich sich Oskar mit Taschenlampe, Farbeimer und Pinsel bewaffnet durch die Dunkelheit zu den Schildern und änderte seinen Text.

Am nächsten Morgen, sahen auch die Tiere des Bauernhofes die Veränderung:

Weihnachtsfest auf dem Bauernhof.
Alle Vier- und Zweibeiner sind dazu eingeladen, am ersten Vollmondabend zu einem grandiosen Weihnachtsfest in der großen Scheune am See zu erscheinen. Jeder sollte etwas zu Essen und zu trinken mitbringen, sowie ein kleines, selbstgebasteltes Geschenk.

Nun waren auch die Enten, die Hühner- und sonstige Zweibeiner wieder überglücklich und sie vergaßen den Ärger des letzten Tages.
Doch wie am Tage zuvor kam auch jetzt wieder ein sehr aufmerksames Tier und las den Text.
„Die Menschen sind doch auch Zweibeiner – oder irre ich mich da? Und die Aufforderung an den Menschen sein Essen mitzubringen, könnte für den einen- odern anderen von uns nicht gerade erfreulich ausfallen.“
Es kehrte eine entsetzliche Stille ein, die später in ein fürchterliches Geschimpfe und Gezeter ausartete.
„Oskar, jetzt ist es noch viel schlimmer als gestern“, berichtete Friedrich ganz atemlos dem Wachhund, der kaum seine Augen aufbekam und einen fürchterlichen Schnupfen hatte, da er die ganze Nacht die Änderungen an den Schildern vorgenommen hatte.
„Was???“, rief Oskar entsetzt und ließ sich alles erklären, während er immer wieder kräftig niesen musste.
„So ein Weihnachtsfest macht wirklich eine Menge Arbeit“, stöhnte er und legte sich wieder die Taschenlampe, einen Farbeimer und einen Pinsel.
„Ich werde es nochmals ändern“, seufzte er und blickte den Hahn genervt an.
Als alle anderen Tiere schliefen, ging Oskar wieder durch die kalte Nacht, von einem Schild zum anderen und korrigierte und korrigierte bis zum Morgengrauen.
Als er sich müde in sein Bett legte, hörte er gerade noch das Kikeriki von Friedrich, dann schlief er fest ein.


Der erste Weg der Tiere, war auch an diesem Morgen zu einem der Schilder, um zu sehen, ob sich über Nacht vielleicht wieder eine sonderbare Änderung ergeben hatte.
Und in der Tat, nun stand folgender Text auf den Schildern:

Weihnachtsfest auf dem Bauernhof.
Alle vier- und zweibeinigen Tiere sind dazu eingeladen, am ersten Vollmondabend zu einem grandiosen Weihnachtsfest in der großen Scheune am See zu erscheinen. Jeder sollte etwas zu essen und zu trinken mitbringen, sowie ein kleines, selbstgebasteltes Geschenk.

Nun waren endlich alle zufrieden. Es würden also keine Menschen kommen.
Doch leider, leider, hatte Oskar noch immer nicht die richtigen Worte getroffen.
„Wir haben aber sechs Beine“, bemerkten einige Käfer, die aus ihren warmen Verstecken neugierig herübergeflogen waren.
„Ich habe sogar Tausend“, meinte ein Tausendfüßler, der wohl Wochen gebraucht hatte, um seine warmen Stiefel anzuziehen.
Und es stimmten immer mehr und mehr Tiere in dieses Lied ein.
Würmer, Blindschleichen, Spinnen, Raupen und allerlei anderes Getier, fühlten sich ausgeschlossen und taten dieses lauthals kund.
Wieder rannte der Hahn zu dem total erschöpften und verschnupften Wachhund.
„Nein, nicht schon wieder“, heulte dieser los, als er hörte, was ihm der Hahn zu sagen hatte.
„Ich werde dir heute Nacht helfen. Nun werden wir es allen recht machen“, bot sich Friedrich an und warf dabei wieder seinen rosaroten Schal um seinen dünnen Hals
bevor er zurück zum Hühnerstall ging, um seine Hennen beim Eierlegen mit aufmerksamen Blicken zu beobachten.
In der Nacht bewegten sich also zwei dunkle Gestalten mit Pinsel, Farbeimer und Taschenlampe bewaffnet über den verschneiten Bauernhof, korrigierten und korrigierten die Schilder bis in den frühen Morgen, während ihnen der Wind um die Ohren pfiff.
Friedrich krähte müde und kraftlos sein Kikeriki, dann schlief er auf dem dampfenden Misthaufen neben seinem Schild ein.


Kaum hatten die Tiere des Bauernhofes die Stimme des Hahnes vernommen, stürzten sie hinaus auf den Hof und stellten sich vor eines der Schilder. Wieder war über Nacht der Text verändert worden.

Weihnachtsfest auf dem Bauernhof.
Alle Tiere sind dazu eingeladen, am ersten Vollmondabend zu einem grandiosen Weihnachtsfest in der großen Scheune am See zu erscheinen. Jeder sollte etwas zu essen und zu trinken mitbringen, sowie ein kleines, selbstgebasteltes Geschenk.
Nun wird nichts mehr geändert!!!! Oskar.

Alle Tiere lasen nun die Zeilen und niemand, kein Vierfüßler, kein Zweifüßler, kein Sechs- oder Acht- oder Nochmehrfüßler, regte sich mehr auf.
Nun waren wirklich alle angesprochen und die Vorbereitungen zum Weihnachtsfest konnten endlich beginnen.
Es wurde ein tolles Fest, von dem noch lange Zeit gesprochen wurde.
Seit diesem Weihnachtsfest überlegt sich jedes Tier ganz genau, wie es sich ausdrückt, damit nicht wieder ein solcher Streit entsteht.

© by Andreas Seiller

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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