Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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April 2004
Apfelsinenstern
von Elsa Rieger und R. Ritch Funke

Als Babsi fünf Jahre alt war, bekam sie einen grünen Außerirdischen geschenkt. Ihr Vater, der von Beruf Astrodingsbums war, hatte ihn ihr mitgebracht. Weil Babsis Lieblingslied „Fred vom Jupiter“ war, taufte sie den Grünen „Fred“.
Babsi wollte ihm einen Ehrenplatz in ihrem Puppenregal geben. Doch irgendwie passte Fred nicht so recht zu den anderen – neben der hübschen Barbie mit dem goldenen Haar wirkte er hässlich und neben dem Pony „Windgeschwind“ machte er auch keine gute Figur. Babsi stellte ihn mal hier-, mal dorthin, doch egal in welcher Gesellschaft sich Fred auch befand, immer wirkte er fremd. Außerirdisch eben, wie Babsis Vater sagte.
Babsi wollte, dass Fred sich gleich wie zuhause fühlen sollte und setzte ihn mitten auf ihr Kopfkissen, das mit einem großen runden Mond und vielen kleinen gelben Sternen bedruckt war.
Da saß er nun, der Fred. Sein Fell war giftgrün und aus langem, dünnen Haar. Der Körper war wie eine verbogene Birne geformt und leicht verdreht, wo sein Kopf war. Seine Füße waren dick und groß. Die blitzblauen Augen lugten unter dem Pony hervor und Babsi dachte: Braune Augen würden ihm besser stehen zu dem Giftgrün ...
Dennoch mochte sie ihn. Irgendwie kam es ihr vor, als streckte er seine dünnen unbehaarten Hände, die aus dem Birnenkörper neben dem Kopf wuchsen, nach ihr aus, um sie zu umarmen.

„Vati“, fragte Babsi, als sie abends neben Fred im Bett lag, „was macht ein Astronodingsbumms eigentlich so den ganzen Tag?“
Der Vater öffnete das Fenster des Kinderzimmers und winkte Babsi zu sich.
„Guck mal“, sagte er und deutete auf die vielen funkelnden Punkte am Nachthimmel , „diese Pracht anzuschauen, das macht ein Astrodingsbumms, oder Astronom, wie wir Großen das nennen“
„Und am Tag, wenn die Sonne scheint, dann hat ein As-tro-nom gar nichts zu tun, oder?“
„Oh doch!“, erwiderte der Vater, „Am Tag schaut er sich die Fotos an, die er in der Nacht von den Sternen gemacht hat.“
„Warum?“, fragte Babsi.
„Na ja, damit wir erfahren können, wie groß die einzelnen Sterne sind und wie weit das Universum reicht. Das geht unendlich weiter, dieses Weltall und wir müssen das dauernd erforschen, weil wir ständig etwas neues entdecken.“
„Schrecklich, bähhhh“, rief Babsi und bekam eine Gänsehaut.
„Wieso denn?“
„Dass etwas furchtbar weit ist und nie aufhört, ist mir zu gruselig.“
„Also ich finde das ganz schön spannend, Maus. Du brauchst keine Angst zu haben“, beruhigte der Vater und drückte Babsi ganz fest an sich.
Als ihre Gänsehaut wieder verflogen war, wollte das Mädchen wissen, ob Fred wirklich vom Jupiter kam.
„Das ist eine gute Frage, tja, lass uns mal schauen...“, sagte der Vater und zog eine wichtige Miene.
„Siehst du dort den großen Stern, den hellsten von allen?“ Das ist der Polarstern und ganz dicht bei ihm ist ein klitzekleiner Planet, so wie unsere Erde, und von dort kommt Fred.“
„Polarstern? Wohnen dort Eisbären oder Pinguine? Müsste Fred dann nicht auch ein ganz dickes, flauschiges Fell haben? Sonst friert er doch. Er hat so lange dünne Haare, aber man kann die Haut sehen, also muss ihm furchtbar kalt sein dort “, sprudelte es aus Babsi heraus. „Armer Fred“, meinte sie noch und holte ihn vom Kissen in ihre Arme.
„Aber nein, Babsi, die Freds müssen nicht frieren. Der Polarstern heißt nur so, weil er in die Richtung unseres Nordpols hier auf der Erde zeigt und wenn du ihm folgst, dann triffst du vielleicht einen Eisbären. Der Polarstern selbst ist ganz warm wie unsere Sonne und scheint auf Freds Planet.“
„Ach so“, sagte Babsi, „das verstehe ich. Und wenn die Freds jetzt grade aus dem Fenster schauen und unsere Sonne sehen, dann sagen sie zu ihr vielleicht Apfelsinenstern, weil sie in die Richtung zum Obstladen zeigt. Richtig so?“
„Genau, Babsi, das hast du sehr wissenschaftlich erklärt“, lobte der Vater.
„Dann ist wis-sen-schaft-lich, wenn man etwas gut gemacht hat?“
„Durchaus, Liebes. Wissenschaftlich ist etwas, wenn man es ganz genau und gut gemacht hat.“
Nun war Babsis Interesse geweckt. Sie freute sich, mit ihrem Vati ein wichtiges Gespräch zu führen – sozusagen von Wissenschaftler zu Wissenschaftler.
„Wo ist denn der Fred-Planet? Ich kann ihn gar nicht sehen!“
„Den kann keiner sehen, weil Planeten wie unsere Erde kein eigenes Licht aussenden und weil er gaaaanz weit von uns entfernt ist.“
„Ach? Wie weit?“
Der Vater überlegte kurz.
„Wenn Freds Sonne in diesem Augenblick einen Strahl zu uns sendet, dann muss dieser Sonnenstrahl vierhundertdreißig Jahre durch das Weltall reisen, bis er bei uns ankommt und wir ihn sehen können.“
„Ui!“, rief Babsi und schaute sich ihren Fred genauer an, „so alt bist du schon? Jetzt ist auch klar, warum du so lange Haare hast, wenn du vierhundertdreißig Jahre nicht mehr beim Friseur warst ...“ Sie zählte mit den Fingern „eins, zwei, ... also ich bin nächstes Jahr sechs und dann komme ich in die Schule.“ Sie kicherte vergnügt, dann stutzte sie – eine Sache erschien ihr seltsam.
„Vati? Wenn du sagst, dass niemand den Fred-Planeten sehen kann, woher weißt du dann, dass es ihn gibt?“
„Oh“, der Vater überlegte nun noch angestrengter.
„Naaa?“
„Das ist kompliziert ...“
„Ist kom-pli-ziert auch wissenschaftlich?“
Der große Astronom grinste und kratzte sich hinter dem Ohr. „Ja, kompliziert ist sogar ganz doll wissenschaftlich. Also ... jeder Planet hat ein Gewicht – ist ja klar, denn er besteht aus Erde und Steinen und Wasser und so weiter ...“
„Und Apfelsinen.“
„Und Apfelsinen, Äpfeln und Bananen ...“
„Und Hundehäufchen?“
„Ja, warum nicht auch Hundehäufchen.“
Babsi lachte und ihr Vater stimmte lauthals mit ein.
„Ist alles in Ordnung bei euch?“, rief Babsis Mutter aus der Küche.
„Ja, Bea“, rief der Vater glucksend zurück und zwinkerte seiner Tochter zu, „wir sind grade ganz doll wissenschaftlich!“
„Also, was ist nun mit dem Gewicht?“
„Ach ja, das Gewicht ... also, das Gewicht eines Planeten ist riesig groß. Wenn du in unserem Garten hinter dem Haus mal versuchst, einen der Ziersteine zu heben, dann musst du dir vorstellen, dass unsere Erde so schwer ist wie viele Milliarden dieser Steine ...“
„Milliarden?“
„Milliarden, das ist die Zahl, die dabei herauskommt, wenn Du versuchst, mit den Fingern die Sterne zu zählen.“
„Ui! Viel mehr als zehn!“
„Genau, Babsi. So, nun kennen wir schon mal das Gewicht unserer Erde – Freds Planet wiegt vielleicht genauso viel. Alle Planeten umkreisen eine Sonne, die noch viel, viel mehr wiegt als die einzelnen Planeten. Wenn ein Planet ein Zierstein wäre, dann wäre eine Sonne vielleicht so schwer wie ein ganzer Garten voller Ziersteine. Soweit klar?“
„hmmm“
„Gut, denn nun wird es kompliziert. Stell dir vor, du wärst unsere Sonne und ein Zierstein wäre die Erde. Nun hältst du den Stein mit weit abgestreckten Armen fest und drehst dich dabei ganz schnell im Kreis.“
„Dann wird mir schwindelig.“
„Genau. Und dabei kannst du dich dann nicht mehr auf einem Punkt drehen, sondern gerätst ins Trudeln, richtig?“
„Ja.“
„Je größer der Stein, desto mehr trudelst du. Wir großen Astronomen schauen uns unsere Sonne an und sehen dabei, dass sie auch trudelt, weil sie unsere Erde und noch ein paar andere Planeten festhält, die sich um sie herum drehen. Sie alle ziehen an ihren langen Sonnenarmen und so schwingt sie mal hier mal dorthin.“
„Ist das gefährlich?“
„Nein, das ist ganz normal – es war schon immer so und wird auch immer so sein.“
„Und was hat das nun mit Freds Planet zu tun?“
„Ganz einfach: Wir schauen uns Freds Sonne an und sehen dabei, dass sie auch hin und her schwingt. Dann rechnen wir mit großen Zahlen ein wenig vor uns hin und stellen fest ...“
„Ja? Was?“
„... dass um Freds Sonne ein oder zwei, vielleicht auch drei Planeten kreisen. Und weil wir die große Trudelzahl kennen, wissen wir auch ungefähr, wie groß und schwer Freds Planet ist. Auch wenn wir ihn mit unseren Fernrohren leider nicht sehen können.“
„Ui!“, rief Babsi begeistert, „das verstehe ich! Bin ich nun auch ein Wissenschaftler?“
Der Vater nahm sie in den Arm und drückte sie voller Stolz an sich. „Für mich bist du die größte Wissenschaftlerin des ganzen Universums.“
„Und wie konnte Fred zu uns kommen?“
„Ich glaube, dass unser grüner Freund nur ein kleines schlaues Mädchen finden wollte, das sich für die Welt der Sterne interessiert. Dann hat er sich auf einen Sonnenstrahl seines Polarsterns gesetzt und ist mit ihm den ganzen langen weiten Weg bis zu meinem Arbeitsplatz gereist, weil er gehört hatte, dass ich der Vater eines Mädchens bin, dessen Freund er gerne sein möchte. So, Babsi, Zeit zum Schlafengehen.“, sagte der Vater, gab ihr einen dicken Kuss auf die Nase und ging fernsehen, weil es gerade einen interessanten Film über was? Na klar, über Astronomie gab.

Babsi kuschelte sich unter die Decke und setzte Fred neben ihr Gesicht auf das Kissen. Das Nachtlicht tauchte das Zimmer in einen rosa Schein und das giftige Grün von Freds Fell wurde dadurch dunkler und milder. Viele wissenschaftliche Gedanken kreisten in ihrem Kopf – wie Planeten um eine Sonne. Wenn Fred wusste, dass es mich gibt, dachte sie, dann kann er unmöglich vierhundertfreißig Jahre unterwegs gewesen sein, denn so alt bin ich ja noch lange nicht. Sie nahm sich vor, gleich am nächsten Morgen diese Sache mit ihrem Vati zu besprechen.
„Irgendwann, wenn ich groß bin, dann werde ich auch Astronom und bringe dich zurück nach Haus – das verspreche ich dir, lieber Fred. Und du zeigst mir dann all die spannenden Dinge, die wir finden, wenn wir auf deinem Planeten in die Richtung des Apfelsinensterns schauen.“

Als Babsi eingeschlafen war, flüsterte der grüne Fred ihr ganz leise ins Ohr: „Du musst nicht alles glauben, was die großen Astrodingsbums erzählen, aber die Sache mit dem Ritt auf dem Sonnenstrahl ist wahr. Ich werde dir zeigen wie das geht, und dann fliegen wir zusammen zum echten Apfelsinenstern, den ihr Polarstern nennt.“
***


Babsi wurde von einem kräftigen ‚Hatschi’ geweckt. Ein Sonnenstrahl, der schräg durch das Fenster blinzelte, hatte ihre Nase gekitzelt.
Als sie ihre Augen wach gerieben hatte, fiel ihr der grüne Fred wieder ein und sie blickte zu der Stelle auf dem Kissen, wo sie ihn am Abend hingesetzt hatte.
Aber dort war er nicht. Mit einer Kopfüber-Rolle schaute sie unter dem Bett nach.
„Fred? Wo bist du denn?“ Auch hier war er nicht zu finden.
„Kortrp, Babsi!“, brummte es hinter ihr. Sie setzte sich im Bett auf und schaute zum Fenster ... Vor Verwunderung riss sie die Augen ganz weit auf, denn der grüne Fred stand auf dem Sonnenstrahl, der sie wach gekitzelt hatte, wie auf einem Surfbrett.
Mit den seitlich ausgestreckten dünnen Armen das Gleichgewicht haltend, balancierte er auf dem Strahl, grinste und sagte wieder: „Kortrp, Babsi!“
„Wie? Was heißt denn das?“
„Das ist alrukabanisch und bedeutet: Komm, spring auf, Babsi“, sagte Fred und machte eine einladende Handbewegung.
„Bin ich nicht zu groß, um auf dem Sonnenstrahl stehen zu können?“
„Ach wo, kortrp!“
Babsi stand auf und ergriff Freds Hand. Hopp! Schon stand sie neben ihm auf dem Strahl, der fest war und sich wie ein Brett anfühlte unter ihren nackten Füßen.
„Wollen wir? Ich brauche nämlich deine Hilfe ...“
„Aber ich bin doch nur ein Kind, ich kann doch nichts ...“
„Du bist ein kluges Kind und außerdem bin ich extra bei dir gelandet, also bei deinem Vater, weil du die einzige bist, die uns Grünen vom Alrukaba helfen kann!“, erklärte Fred, während das Sonnenlicht sie umfing.
„Ha! Wir sind ja schon unterwegs!“, quietschte Babsi und hielt sich fest an dem Außerirdischen, der jetzt merkwürdigerweise so groß war wie sie und sich warm anfühlte - wie ein Lebewesen aus Fleisch und Blut.
„Was dachtest du denn, wir haben keine Zeit. Mein Volk ist in höchster Not und du, ja nur du kannst uns daraus befreien. Darum surfen wir jetzt zum Polarstern, lortrp!“
„Lortrp? Was heißt das nun wieder?“, fragte das Mädchen und löste vorsichtig ihre Hand von Freds Arm. Sie fiel nicht runter, ganz fest konnte sie auf dem Strahl stehen, der steil nach oben führte und sie beide ins Weltall hochzog.
„Das heißt Hoffnung. Du bist unsere Hoffnung, Babsi“, sagte Fred und strahlte sie an.
„Was muss ich denn tun?“ Sie wurde nun sehr neugierig, während sie den Spaß des Sonnensurfens schon richtig genießen konnte.
„Später, Babsi, quortrp. Ehe du wieder fragst, das heißt: Geduld. Pass auf, gleich kommen
wir an eurem Mond vorbei ...“
Und wirklich, schon grüßte der Mann im Mond herüber. Es war ein Astronaut, der gerade einige Gesteinsproben sammelte und sich verwundert hinter dem Ohr gekratzt hätte, wenn das in einem Raumanzug möglich wäre. Babsi kam gerade noch dazu, ihm zuzuwinken und schon waren sie vorbei.
Rund um sie funkelten die Sterne, die Milchstraße zog sich wie ein endloses Band - unzählige Sonnen, die fröhlich vor sich hintrudelten.

„Fred? Ich hab Angst ...“
„Aber nein, Babsi, wir reisen ganz sicher, bis auf ... duck dich! Schnell!“, warnte er und schon flogen ihnen kleine und größere Steine um die Ohren.
„Meteoriten“, erklärte Fred, „wenn sie auf die Erde fallen, werden sie zu Sternschnuppen und du darfst dir was wünschen.“
„Ziersteine und Hundehäufchen“, gluckste sie und Fred musste lauthals lachen.
„Es ist nicht mehr weit. Siehst du das Sternbild des kleinen Bären? An seinem Ende befindet sich der Polarstern – auch Alrukaba genannt – doch wir Freds nennen ihn lieber Apfelsinenstern.“
Ui, kleiner Bär, dachte Babsi, also Eisbären und keine Pinguine.
Laut sagte sie: „Wie ist es denn so im kleinen Bären?“
Kaum hatte sie das gefragt, legte sich Fred mit dem ganzen Gewicht nach rechts. Das Sonnenstrahlensurfbrett machte einen Schlenker und schon zogen sie in Richtung Ursa minor, wie der kleinen Bär von den großen Astronomen genannt wurde. Still und dunkel war es dort. „Da ist nichts. Gar nichts ... zwischen den Sternen“, sagte Babsi erstaunt.
„Doch, doch, quortp. Warte nur, bis sich unsere Augen an den schwachen Widerschein der Planeten gewöhnt haben.“
Das Mädchen hatte es sich ganz anders vorgestellt: Ein richtiger kleiner Bär, der sie willkommen hieß, der sich vielleicht kraulen ließe und mit dem man herumtollen könnte.
„Warum nennen die Astronomen es einen Bären, wenn gar keine Bären da sind?“, sagte Babis enttäuscht.
Fred zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Die Großen haben halt manchmal seltsame Phantasien.“

Sie waren dem Polarstern ganz nahe gekommen. Er war warm – genauso wie Vati es gesagt hatte. Und in einiger Entfernung konnte Babsi nun auch Planeten entdecken. Sie zählte mit den Fingern: „Eins, zwei, drei ... vier!“
Der dritte Planet, der den Stern umkreiste, war so grün, wie das Fell seiner Einwohner.
Unzählige grüne Freds empfingen sie mit lautem „Urraypr!“, was soviel wie „Hurra!“ bedeutete. Sie geleiteten das Mädchen in ein großes Observatorium, in dem ein riesiges Teleskop stand. Der Oberwissenschaftler wandte sich mit einer tiefen Verbeugung an Babsi und sagte: „Schau durch das Fernrohr. Wir haben festgestellt, dass unsere Sonne trudelt und haben Angst, dass uns etwas Schlimmes passieren wird.“
Eine schwarze Glasscheibe war vor die Linse geklebt, weil es gefährlich ist, mit einem Fernrohr ungeschützt in die Sonnen zu schauen.
Babsi blickte hindurch und sah, wie der Polarstern sanft hin- und herschwang. Er war riesig, vierzigmal größer als die heimische Sonne und wunderschön aus dieser Nähe.
Wenn Vati das sehen könnte, dachte sie, der würde sich freuen.
„Ach“, sagte das Mädchen mit der wichtigen Mine eines Astronomen, „ihr müsst keine Angst haben. Das ist ganz normal und war schon immer so. Ich erkläre es euch ...“ Sie erzählte von den Ziersteinen in ihrem Garten und wie es ist, wenn man sich mit ihnen im Kreis dreht und von dem Gewicht von Apfelsinen und Äpfeln und all den anderen komplizierten Sachen, mit denen ihr Vater seinen Tag verbringt. Nur die Hundehäufchen ließ sie diesmal aus, weil sie vielleicht doch nicht so recht wissenschaftlich waren.
Die Freds verstanden Babsis Vortrag und jubelten erleichtert. Der ganze Planet feierte ein großes Fest zu ihrer Ehre.
Wackelpudding mit Waldmeistergeschmack war das Leibgericht der Freds - sie mampften, schlabberten und kleckerten, und auch Babsi fand das sehr lecker und lustig. Die Staatskapelle spielte zum Tanz auf und alle schüttelten sich im Rhythmus der Musik. Babsi tanzte mit ‚ihrem’ Fred und drehte anschließend eine Ehrenrunde mit dem alrukabanischen Präsidenten – der einzige Grüne, der gar nicht richtig grün, sondern mehr türkis war. „So glücklich habe ich unser Volk schon sehr lange nicht mehr gesehen!“, sagte der Präsidenten-Fred und schnaufte begeistert, während er Babsi durch die Gegend wirbelte. Anschließend fuhren sie das Mädchen einmal rund um den Fred-Planeten - den die Wissenschafts-Freds „Alrukaba III“ nannten, weil er der dritte von vier war – und zeigte ihr all die besonderen Sehenswürdigkeiten. Die Meere , die voller Algen waren, schimmerten grün. Aus ihnen wurde der Wackelpudding hergestellt. Auf dem Land wuchsen riesige, tausendjährige Bäume in den Himmel, deren Blätterdach angenehm kühlen Schatten bot.
„Und wer wohnt auf den anderen drei Planeten?“, wollte Babsi wissen.
„Dort wohnen unsere Verwandten, die Schwarzen, Gelben und Roten. Ein mal ihm Jahr treffen wir uns und feiern ein riesiges Fest mit schwarzem, gelbem, rotem und grünem Wackelpudding. Du bist zwar weiß, aber wir laden dich gern zu unserer nächsten Feier ein, wenn du uns etwas leckeres Weißes mitbringst.“
„Natürlich. Sahne! Mit weißer Sahne schmeckt der Pudding noch viel besser!“
Das hörte sich für den Präsidenten-Fred interessant an – Sahne, Butter, Milch und Käse kannten die Freds nicht, da es auf ihren Planeten weder Kühe, Schafe noch Ziegen gab.

Nach Abschluss der Besichtigungstour wurde eine riesige Statue aus grünen Steinen gebaut, die Babsi zum Verwechseln ähnelte, und schuf ein neues Wort: „Babsiprtr“, was soviel wie „größte Wissenschaftlerin des Universums“ bedeutete. Dann wandte sich der türkise Präsident an Babsis Lieblingsfred und übereichte ihm einen Orden in Form einer Apfelsine. Fred war sehr stolz und sein Nacken wurde zum ersten Mal ganz grade.
„Wenn wir etwas für dich tun können, Erdenmädchen ...“, sagte der Oberwissenschaftler der Freds zum Abschied. Babsi überlegte – „Oh ja, vielleicht könnt ihr mir etwas erklären, was selbst mein Vati noch nicht weiß ...“

***

Der Vater saß am Frühstückstisch und studierte wichtige Unterlagen für seine Arbeit. „Bea, was ist denn heute mit unserer Kleinen los?“, fragte er seine Frau. „Sie ist doch sonst immer eine Frühaufsteherin.“
Kaum hatte er es gesagt, stürmte das Mädchen mit einem Stoß von Papieren die Treppe herunter.
„Vati“, rief sie aufgeregt, „ich bin zum Apfelsinenstern geflogen. Und so sieht es dort aus ...“
Sie legte eine Zeichnung auf den Tisch. Der Planet war grün und kleine Freds standen auf ihm und winkten fröhlich.
„Das ist ja wunderschön, Liebes“, lobte der Vater und sah sich die Zeichnungen an. Das erste Blatt war typisch für die Wachsmalkünste eines kleinen Mädchens, doch die anderen Zeichnungen wurden immer genauer – wissenschaftlicher.
Das unterste Blatt enthielt Formeln und komplizierte Berechnungen – „Der Ritt auf dem Sonnenstrahl“ stand am Rande in kindlicher Handschrift. Zahlenkolonnen, Zeitfaktoren, alles von Einsteins Relativitätstheorie bis hin zu utopischen Antriebstechniken – Formeln, die zum Teil nur wenige Wissenschaftler verstanden, aber niemand je entworfen hatte.
Babsis Vater wurde blass. „Woher hast du das?“
„Na, von den grünen Freds natürlich“, sagte das Mädchen, „übrigens ist der Polarstern gar nicht vierhundertdreißig Jahre entfernt, sondern nur fünf Minuten. Und die Freds haben so lange Haare, weil Scheren, Messer und alles was ziept und piekt auf ihrem Planeten verboten ist.“ Sie drehte sich um und lief in den Garten hinter dem Haus und versuchte einen Zierstein zu heben, um die Theorie des Trudelns praktisch zu erproben.
Die Mutter lachte. „Auf welche Ideen unsere Maus kommt, nur um nicht zum Friseur zu müssen, Carsten. Carsten?“
Der Vater starrte noch immer auf die Zeichnungen und glaubte zu träumen.
An diesem Tag nahm er sein großes Mädchen zum ersten Mal mit zur Arbeits und stellte sie voller Stolz den Kollegen vor. Mit stillem Staunen betrachteten sie Babsis Zeichnungen. Dann wurden die Wissenschaftler plötzlich ganz hektisch und sie bauten nach den Bildern und Formeln ein riesiges Fernrohr, das viel empfindlicher war als das alte und auch das Licht ferner Sterne viel schneller einfangen konnte.
„War das nun auch kompliziert?“, fragte Babsi ihren Vater.
„Oh ja, Maus. Aber nur für jene, die nicht wissen wie das geht“, erwiderte er mit einem Augenzwinkern und kratzte sich lächelnd hinter dem Ohr.
Und als die großen Astronomen ganz genau durch ihr neues Teleskop schauten, da sahen sie glückliche grüne Freds, die von ihrem Planeten aus winkten, „Babsiprtr – Urraypr!“ sangen und keine Angst mehr hatten ... weil die größte Wissenschaftlerin des Universums ihnen alles erklärt hatte.

Seit jenem Abenteuer betrachtete Babsi allabendlich vor dem Schlafengehen den Sternenhimmel und lernte alles über das unendliche Weltall.
Heute ist sie eine schöne junge Frau und hat selbst eine kleine Tochter. Nun ist sie es, die ihrem Mädchen das Trudeln mit den Ziersteinen erklärt und ihr einen Gutenachtkuss auf die Nase gibt.
Barbara ist jedoch keine Astronomin geworden – ihre Arbeitskleidung ist hingegen so selten wie ein vierblättriges Kleeblatt auf einer Wildwiese: Eine Ausrüstung aus festem Stoff, luftdicht und mit einem großen, gläsernen Helm, in dem sich die Sterne spiegeln – der Anzug einer Astronautin. „Lortrp“, flüstert sie in die Nacht, „es gibt noch viele dort draußen, die Hoffung brauchen – ich habe es nicht vergessen, lieber Fred.“ Leise schließt sie die Tür zum Kinderzimmer, tapst in ihrem sperrigen Raumanzug die Stufen zur Küche hinunter, gibt ihrem Mann einen Kuss im Vorbeieilen und läuft in den Garten hinter dem Haus. Jetzt muss sie sich aber beeilen, will sie zum Frühstück wieder daheim sein ... und wie der Ritt auf dem Sonnenstrahl auch bei Nacht funktioniert, erzählt sie uns vielleicht ein anderes Mal.

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