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April 2004
Augenstirnchen
von Rena Larf

Einst lebte in den Tagen der Wintersonne ein einfaches Mägdelein auf dem Lehnsgut des Herrn vom Wehelande. Ursprünglich war dieses Land dunkles grünes Moorgebiet gewesen, in dem ein harter brausender Wind wehte. Der Lehnsherr hatte das Gebiet im Auftrag des Königs trockenlegen lassen, um es fortan zu bewirtschaften.
Das Mägdelein diente dem Herrn mit der Kraft ihrer zwei Hände und tat fleissig jede ihm auferlegte Arbeit ohne zu murren. Sie war eine große, stattliche Erscheinung mit elfenhaftem Haar. Ihre enge Taille ging über in einen weiten Rock, der sich zur Schleppe verlängerte, die
ihre Gestalt noch schlanker erscheinen ließ. Von überall her kamen die jungen Adeligen zum Herrn vom Wehelande und meldeten ihr Begehr an, die schöne Maid zu freien.
Der Lehnsherr verweigerte jedoch strikt jedes Anbandeln, weil das bedeutet hätte, dass er das Mägdelein aus seinen Diensten hätte entlassen müssen. Dies konnte er aber nicht zulassen, weil die junge Frau eine besondere Gabe hatte: sie verfügte über die Kraft, in die Vergangenheit zu blicken und Dinge und Geschehnisse zu sehen, die jedem anderen Lebenden verborgen blieben. Das Mägdelein hatte in der Innenfläche seiner linken Hand eine sichelförmige Narbe, die sich zu einem Auge öffnete, wenn es die Hand an ihre Stirne legte. Das hatte ihr in nah und fern den Namen Augenstirnchen eingebracht. Von weither kamen die Ratsuchenden jeden Standes, auch wenn Augenstirnchen es vermieden hatte, ihre Gabe zu sehr herauszustellen, aus Scheu und Furcht vor dem Gerede der Menschen. Diese wollten aber wissen, was mit ihrer Vergangenheit zu tun hatte, weil sie sich daraus für ihre Zukunft wundersame Einsichten versprachen. So kamen Frauen daher, die sich von ihr über das Schicksal ihrer Männer berichten ließen, die für den König in den Krieg gezogen und noch nicht zurückgekehrt waren; es kamen Adelige daher, die wissen wollten, wo ihre Urväter die Goldschätze vergraben hatten und denen dieses Wissen durch die Generationen abhanden gekommen war. Aber auch einfache Bauern oder Ritter und Marketender erschienen beim Mägdelein und ließen sich bei der Vervollständigung ihrer Stammbäume helfen. Denn viele wertvolle Bücher waren in den Wirren unzähliger Kriege verloren gegangen. So war Augenstirnchen mit ihrer Gabe für viele Suchenden die einzige Verbindung zu diesem verlorenen Wissen.
Die junge Magd half wo sie konnte. Aber immer wenn sie die Hand an die Stirne legte, raubte ihr das so viel Kraft, dass sie danach oft vollkommen erschöpft zusammenbrach. Den Herrn vom Wehelande kümmerte dies indes nur wenig. Er ließ sich den Ausfall ihrer Arbeitskraft von den Anreisenden fürstlich entlohnen.
Augenstirnchen wurde immer schwächer und schwächer und konnte des Nächtens keine Ruhe mehr finden. Ihr Schlaf wurde immer unruhiger und sie sah in ihren Träumen Dinge, auch ohne dass sie das Auge in ihrer Hand zum Sehen brauchte. So verfolgte sie immer wieder ein unangenehmer Alptraum, er war immer gleich, nur ein Fragment in Zeit und Raum. Sie träumte stets von einem Mann von kräftiger Statur, behangen mit Schilf und grünem, pelzigen Moos, der bis zu den Waden in einem Wirrwarr aus sich windenden, grünlich-schleimigen Schlangen stand. Er streckte immer wieder die Hand nach Augenstirnchen aus, sodass sie oftmals schreckhaft aus diesem Traum hochfuhr und kerzengerade und schweißgebadet auf ihrem nächtlichen Lager saß. Dann wieder sah sie Bilder, wo dieser Mann mit einem weißen
Rüschenhemd in einem Garten zwischen Wicken kniete, deren süßlichen Duft sie gar wahrnehmen konnte. Sie selbst trug eine bodenlange,bunt geblümte Schürze über ihrem Gewand und hatte einen Krug mit frischem Wasser in der Hand. Sie lächelte ihn an, es war warm und er drehte sich zu ihr um...
Jedes Mal jedoch, wenn sie hoffte, sein Gesicht zu erkennen, legte sich ein dichter Nebel über diese Vergangenheit und Augenstirnchen blieb mit einem lähmenden Seufzer der Ungewissheit zurück.
Als sie zwischen ihrem Tagwerk und der Gabe des Sehens für die Heranreisenden immer klappriger und dürrer wurde, schwand ihre Hoffnung immer mehr, eine Antwort auf ihr eigenes Schicksal zu finden. Der Herr vom Wehelande wurde unwirsch, weil Augenstirnchen ihre Arbeit kaum noch verrichten konnte und auch immer müder wurde und ihre Gabe kaum
noch einsetzen konnte. Dies bedeutete jedoch einen großen Verlust in seiner Landeskasse.
Er ließ Augenstirnchen zu sich auf das Gut rufen und stellte ihr in Aussicht, sie mit dem nächstbesten Adeligen, der um ihre Hand anhielt, zu vermählen, da sie ja nun fortan für ihn nicht mehr von Nutzen war. Augenstirnchen verzweifelte an der Welt, haderte mit ihrem Schicksal und wünschte sich Angesichts dieser Aussichten, dass sie nur ein einziges Mal in die Zukunft – und nicht wie sonst nur in die Vergangenheit – blicken könnte.In ihre Zukunft!
Kaum hatte sie diesen Wunsch begehrt, hob sich ihr linker Arm wie von Geisterhand in die Höhe und die Innenfläche der Hand legte sich mit dem Auge an ihre Stirne.
Sie erschrack heftig, als sie ihren eigenen Tod sah. Es war wie ein kühler Nebel, der sich langsam um ihr Herz legte. Ein banges Zittern erfüllte sie und es schien ihr, als ob sich die grüne Erde unter ihr auftuen wolle und die schleimigen Schlangen aus ihrem Alptraum sie in die Tiefe des Moores zerren würden.
Wie eine Rasende rannte Augenstirnchen in die Scheune des Schmieds, der gerade sein Mittagsmahl zu sich nahm, legte die linke Hand auf den Amboss und schlug sich mit einem Schrei, der nicht von dieser Welt zu sein schien, ihre Hand ab. Nie wieder würde sie mit ihrer beiden Hände Arbeit dem Herrn vom Wehelande zu Diensten sein wollen. Niemals wieder würde sie diese Hand an ihre Stirne legen, weder um in die Vergangenheit noch in die Zukunft blicken zu können. Denn wenn die Menschen erst einmal davon erfahren würden, wäre sie verdammt auf ewig, ihnen die Leere in ihren Herzen zu füllen. Und sie selbst wollte niemals in die Versuchung kommen, ihre Gabe einzusetzen, um zu erfahren, wann der Tod sie ereilen würde. Als ihre Hand auf den staubigen Boden der Schmiede fiel, öffnete sich das sichelförmige Auge ein letztes Mal und schloß sich für immer, als Augenstirnchen ohnmächtig vor Schmerz zusammensackte.
Viele Tage und Nächte später, in denen sie dem Tode näher war als dem Leben, der hohe Blutverlust sie in tiefe Fieberträume stürzte und der Herr vom Wehelande sie längst von seinem Lehnsgut verdammt hatte, wachte Augenstirnchen auf einem weichen, warmen Moosbett auf. Über ihr strahlte und funkelte die Nachmittagssonne durch die wippenden
Baumkronen. Augenstirnchen stützte sich mühsam auf und sah, dass ihre verstümmelte Hand fachmännisch umsorgt worden war. Sie fühlte einen pochenden Schmerz und dennoch war ihr warm und friedlich ums Herz. Ein süßlich-schwerer, fast betäubender Blumenduft lag in der Luft. Augenstirnchen erkannte Wicken, die sich um Zitronenminze rankten an einem zarten Geländer.
Als sie sich aufsetzte, auf ihrem Mooslager an sich runterschaute, entdeckte sie ein bunt geblümtes Schürzenkleid, das ihre schlanke Gestalt umhüllte. Langsam und leicht schwankend stand Augenstirnchen auf und teilte den Efeuvorhang, um hinaus ins Freie zu treten. Sie stand inmitten eines zauberhaften Bauerngartens voller, bunt blühender Blüten von außerordentlich beeindruckender Schönheit. Weit hinten in der Tiefe einer Lichtung sah sie eine männliche Gestalt vor einem Schuppen hocken. Das Rüschenhemd, das jener trug, war so weiß wie Schnee.
Als Augenstirnchen leisen Schrittes dem schmalen Pfad in den Garten hinunter folgte, drehte er sich um und lächelte sie an...


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