Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Mai 2004
Die große Reise des kleinen Plim
von Ines Haberkorn


Es war ein klarer, kühler Morgen im Monat Mai als Plim das Licht der Welt erblickte. Das schimmerte rosarot durch die Vorhänge seiner Wiege, in der er taufrisch auf weichem Blütenstaub lag und den Himmel bestaunte. Wie hübsch der doch aussah. Blau mit violett und ein bisschen Orange. Schiffe segelten darunter hin und Plim winkte ihnen zu, bis er eine Stimme hörte.

„Wenn du nicht aufhörst zu zappeln, dann werde ich meine Blütenblätter schließen“, sagte sie. „Dann ist’s aus mit dem Blick auf Himmel und Wolken.“

Vor Schreck lag Plim ein paar Sekunden mucksmäuschenstill. Dann siegte die Neugier.

„Wer bist du denn?“, fragte er.

„Die Tulpe.“

„Die Tulpe“, wiederholte Plim. „Und was ist eine Tulpe?“

„Eine Blume, und zwar die Blume, in der du wohnst.“

„Ich wohne in einer Blume, die Tulpe heißt. Das ist hübsch.“ Vor Freude jauchzte Plim. „Hier werde ich für immer bleiben.“

Das Jauchzen hatte wohl ein Sonnenstrahl gehört. Ungeniert lugte er über den Rand der Blütenblätter und entdeckte Plim.

„Was für ein frischer Tautropfen“, sagte er und pflückte ihn von seinem Bett aus Blütenstaub. „So einen wie dich suche ich gerade.“ Damit trug er ihn hoch hinauf in den Himmel zu einem Wolkenschiff und setzte ihn mitten hinein.

„Gute Reise, kleiner Tropfen.“ Er winkte und huschte davon.

„Hey, ich will heim in meine Tulpe“, rief Plim ihm nach. Doch der Sonnenstrahl kehrte nicht zurück und Plim blieb nichts anderes übrig, als es sich im Schiff bequem zu machen. Er suchte sich einen netten Platz, von dem aus er hinunter auf die Wiesen, Felder und Wälder blicken konnte. Das fand er recht hübsch, sodass er das Wolkenschiff zu mögen begann. Na gut, dachte er, dann ist eben das Schiff mein Zuhause.

Doch er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da kamen von allen Seiten neue Wassertropfen in das Wolkenschiff. Manche von ihnen waren furchtbar dick, drängelten und schubsten die kleinen Tropfen von einer Seite zur anderen. Plim wurde getreten und geknufft und wusste schließlich gar nicht mehr, wohin er sollte. Da gab es plötzlich einen furchtbaren Krach. Das Wolkenschiff barst mitten entzwei und all die großen und kleinen Wassertropfen purzelten kopfüber in die Tiefe. Plim platschte auf ein Ahornblatt und rutschte von dort in ein feines Gespinst aus silbrig schimmernden Fäden, an denen es sich herrlich schaukeln ließ. Er schaukelte hin und her und rauf und runter, bis er müde wurde und sich auf einem der Fäden ausstreckte. Ein hübsches Plätzchen, dachte er dabei. Das wird mein neues Zuhause sein. Dem rechtmäßigen Hausherrn, einer feisten Spinne mit Tattoo auf dem Rücken, passte das jedoch überhaupt nicht. Breitbeinig marschierte sie quer über ihr Netz zu Plim.

„Runter von meinem Netz, du Flegel. Du zerreißt mir die Fäden. Hast du eine Ahnung, wie viel Mühe es macht, die zu reparieren?“ Sie boxte Plim in die Seite, sodass der mit samt dem Faden heftig zu schwingen begann, schließlich den Halt verlor und auf die Erde plumpste, wo schon viele andere Tropfen saßen und sich über Plims Ankunft freuten.

„Jetzt sind wir endlich so viele, dass wir auf die Wanderung gehen können“, jubelten sie, fassten sich und Plim bei den Händen und flitzten los. Über Stock und Stein ging die Reise. Immer mehr Tropfen schlossen sich ihnen an und sie sausten schneller und schneller, bis sie müde wurden. Da beschlossen sie zu rasten, suchten sich eine gemütliche Kuhle zwischen Erde und Gras und sammelten sich dort.

„Wir wollen für immer Freunde bleiben“, sagten sie und kuschelten sich eng aneinander. Das gefiel Plim. Freunde zu haben ist hübsch, denn Freunde sind wie ein Zuhause, dachte er und träumte zufrieden in den hellen Tag. Von der rosaroten Tulpe träumte er, vom Wolkenschiff und dem Spinnennetz. Und während er so träumte, vernahm er unter sich ein Wimmern, das sich anhörte wie:

„Hilfe, ich ersticke!“

Gleichzeitig bemerkte er wie sich ein Regenwurm aus dem Erdboden wand.

„Schert euch zum Bach, wo ihr hingehört.“, schimpfte der Regenwurm. „Wenn ihr auf meinen Luftlöchern hockt, muss ich ersticken.“

„Oder aus dem Boden kriechen“, mischte sich eine dicke Amsel ein und stürzte sich auf den Regenwurm. Der zappelte wild bis die Amsel ihn endlich verschluckte. Das fanden Plim und seine Freunde entsetzlich und schnell schlüpften sie in das Regenwurmloch, um sich vor der Amsel zu verstecken. Nur hatte das Loch kein Ende, sondern mündete in einen finsteren Gang und der wiederum in einen nächsten und der in einen anderen und immer so weiter. In einer langen Reihe hasteten die Tropfen durch das unterirdische Labyrinth. Schon fürchtete Plim, sie hätten sich für immer darin verirrt, da bemerkte er einen Lichtschein.

„Hier entlang!“, rief er und zerrte die anderen mit sich. Das Licht fiel durch ein großes Loch am Ende des Tunnels und als sie das erreicht hatten, blieben sie ganz still stehen und sahen staunend hinaus auf eine Menge Tropfen, die dicht gedrängt und geschäftig an ihnen vorüber eilten.

„Das ist der Bach“, sagte einer und sprang zu den vielen Tropfen.

„Der bringt uns zum Fluss.“ Ein zweiter folgte dem ersten nach.

„Und der Fluss trägt uns ins Meer.“ Jetzt sprang ein dritter hinterher.

„Was ist das Meer?“, fragte Plim. „Ist das ein Zuhause?“

„Vielleicht“, antworteten die anderen Tropfen und schlossen sich ihren Freunden an. Beinahe wäre Plim ganz allein zurück geblieben. Zum Glück fand er den Bach ganz hübsch und auch den Gedanken im Meer ein Zuhause zu finden. Also sprang auch er und landete wohlbehalten zwischen den vielen Tropfen. Nun ging die Reise geschwind. Der Bach brachte sie zum Fluss und der Fluss trug sie ins Meer. Darin gab es so viele Tropfen, dass Plim vor Überraschung gar nicht wusste, ob er das Meer nun hübsch fand oder nicht.

Und während er noch überlegte und staunte, wurde er von anderen Tropfen untergehakt. Sie nahmen mit ihm in der Mitte einen großen Anlauf und sprangen jauchzend in die Höhe, raus aus dem Meer, hoch hinauf in den Himmel und über die Klippen hinweg. Das gefiel Plim.

„Das Meer ist hübsch. Hier will ich immer bleiben!“, jubelte er übermütig und sprang besonders hoch. Dabei prallte er ganz heftig gegen die Klippe und zerstob in viele winzig kleine Tröpfchen. In dem Moment kam eine Windböe vorüber, nahm die Plimtröpfchen huckepack und sauste mit ihnen davon.

„Das ist aber gar nicht hübsch“, wisperten die Plimtröpfchen dem Wind ins Ohr. „Kaum Zuhause muss man wieder fort.“

„So ist das nun einmal“, antwortete der Wind. „Ein Wassertropfen muss wandern, hinauf in die Wolken, von dort hinunter auf die Erde, weiter in die Bäche und Flüsse und zum Meer. Dann beginnt die Reise von neuem. Rauf und runter, so ist euer Leben. Man nennt es auch den Wasserkreislauf.“ Und der Wind trug die Plimtröpfchen über den Strand zu einer Wiese, auf der der Klatschmohn blühte.

„Hübsch, sehr hübsch“, sagten die Plimtröpfchen, während sie vorsichtig vom Rücken des Windes auf die roten Blütenblätter umstiegen. „Aber lange werden wir trotzdem nicht bleiben.“





Ines Haberkorn, Mai 2004



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