Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Mai 2004
Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen...
von Anne Zeisig

„Mach di fort vom Hof, du undankbares Flitterl! Dem Hergott hättest es danken müssen, dass wir di Speis und Trank geben haben!“ Zornig schubste die Bäuerin die Magd Petronella zur Tür hinaus. Sie stolperte, fiel die Stiege hinunter und blieb auf dem Boden liegen. Ein heftiger Husten schüttelte Petronella.
„Mutter!“ Der zwölfjährige Konrad huschte an der Bäuerin vorbei und hielt sich schützend die Arme über den Kopf.
„Armes Balgerl!“, rief die Bäuerin und warf Petronellas Habseligkeiten hinterher. Das Bündel traf Konrads Rücken und er fiel auf seine Mutter.
Wie eine mächtige Hexe mit Knorpelnase und einer dicken Warze im roten Gesicht kam dem Jungen die Bäuerin vor, als er noch einmal kurz zu ihr hochsah, bevor sie die schwere Eichentür hart ins Schloss fallen ließ.
„Und unser Saisonlohn? “, wollte Konrad noch fordern. Er stand auf, rieb sich den Rücken und wandte sich voller Sorge seiner Mutter zu, um sie hochzuziehen.
„Lass gut sein, Konrad. Aufmüpfigkeit steht uns nit zu.“ Sie schnürte das Bündel fester, band es sich um die Taille und wischte den Staub von ihrem Leinendirndl.
„Aber warum müssen wir uns alleweil ducken vor die Leut`?“, fragte Konrad, kniete nieder, zog sich den Ärmel seiner Strickjacke über die Hand und polierte die Holzschuhe seiner Mutter. Petronella zog ihn hoch: „Mach dir keine Sorgen nit. Wir werden noch vorm Abend einen Hof finden, der mei Arbeitskraft braucht.“ Sie nahm ihn bei der Hand und eilig verließen sie das Gehöft.
„Wieder an andrer Hof!“, maulte Konrad. Er griff in die Seitentasche seiner Lederhose, zog ein Stück Brot heraus und biss ab. „Nirgendwo ist unser Zuhaus`“, sagte er kauend, „wieder a andre Schul. Wo i mi doch g’rad so gut mit dem Oberlehrer verstanden hab. Wollt uns erzählen, wer den deutschen Pavillion auf der Weltausstellung in Barcelona baut und was es mit dene schwarzen Freitag an der New Yorker Börse auf sich hat.“
Erneut quälte ein Hustenanfall die Mutter. Sie keuchte: „Jessas Kind! New York! Barcelona! Schauen müssen wir, vor der Dunkelheit den Bergbauern Forsthanserl zu erreichen.“
Die Sonne senkte sich über den Wipfeln der Wälder und der Feldweg schien unendlich zu sein. Der Staub juckte zwischen Konrads Zehen und immer wieder blieb er stehen, um sich die kleinen Steinchen von der Fußsohle zu wischen.
Petronella drängte zum Weitergehen, denn die Oktoberabende waren bereits sehr kühl. Sie knotete ihr wollenes Schultertuch fester um den Hals und ordnete die Fransen. Dann ging es weiter mit schnellem Schritt hinauf.
Konrad war froh, dass sie nun endlich den weichen, moosigen Waldweg erreicht hatten. Die Mutter setzte sich auf einen umgelegten Baumstamm. Sie atmete schwer, und obwohl sie fröstelte, standen ihr Schweißperlen auf der Stirn: „Gleich haben wir `s geschafft, Bub.“ Petronella rang mit dem Atem.
„Bist krank?“ Konrad wedelte ihr mit einem Farnbündel Luft zu.
„I wo! Und nu sei gstad, damit `s das Wild nit erschreckst.“ Sie stand schwerfällig auf und sah erfreut den hellen Waldrand in der Dämmerung. Petronella wies mit ausgestrecktem Arm dorthin: „Und dass du beim Forsthanserlbauern auch folgsam bleibst, wenn die Bäuerin dir Arbeit abverlangt.“ Konrad nickte und drückte die Hand seiner Mutter fest. Alles wollte er tun! Wenn sie doch nur endlich einmal für eine lange Zeit auf einem Hof bleiben könnten. Dann würde die Mutter auch was sparen und ihm Holzschuhe kaufen.
„A herrlichs Land!“, schwärmte Petronella, als sie den Waldsaum erreicht hatten und der Hof zu sehen war. „Hast halt viel im Leb’n geseh’n von deiner Heimat, mein Sohn.“ Der Junge hatte nicht verstanden, was die Mutter mit dem Wort Heimat meinte. Und jetzt, wo die Mutter müde gähnte, da traute er sich nicht, sie zu fragen.
„Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken. Nur ein Blümlein spricht: `Vergiss deine Mutter nicht´ “, flüsterte Petronella leise und zog ihrem Sohn mit den Fingern den Scheitel nach. Wie groß er geworden war.
„In der Kirch’ hat der Pfarrer gesagt, du sollst Vater und Mutter ehren.“ Konrad sah hinauf zu seiner Mutter. Wie blass sie war. Er wagte nicht zu fragen, warum er keinen Vater hat. Konrad hatte sich abends im Bett oft ausgemalt, dass sein Vater 1916 nicht aus dem Krieg heim gekehrt sei und deshalb die Mutter nicht mehr hat heiraten können. Manchmal träumte Konrad auch davon, als Koch auf einem großen Schiff nach New York zu fahren. In zwei Jahren, wenn er nach der achten Klasse aus der Schule entlassen werden würde. Petronella nahm die Hand ihres Sohnes: „Gleich sind wir da.“


. . .

„Abgemacht ist `s!“ Der alte Bauer Forsthanserl und sah hinüber zu seiner Frau. Dann wandte er sich an Petronella: „An gerechten Lohn zahl i dir, wennst übern Winter mei Weiberl bei der Flickarbeit zur Hand gehst und der Bub auch mit anpacken tät.“
Konrad nickte artig und trank hastig die Milch aus, welche ihm die Bäuerin in einem Blechnapf reichte.
`Übern Winter´, dachte Konrad. Er würde hier oben auch gerne im Frühling und Sommer das Vieh auf den Bergweiden hüten.
„Wir san fleiß’ge Leut“, erklärte Petronella und schob der Bäuerin ihr Arbeitsbuch hinüber.
Die Alte nickte und flüsterte, damit Konrad nichts hören konnte: „Aber den Bub lässt bei dir in der Kammer nächt’gen, und verdrah mir net die Köpf` der Knechte. Liebschaften gibt ´s da heroben alleweil nit, dös sag i dir gleich.“ Sie legte das Arbeitsbuch in eine Schatulle und zischte leise: „Dös gilt auch für den jungen Herrn Pfarrer, welcher heuer die G’meinde übernommen hat.“
„Is scho recht“, antwortete Petronella, senkte den Blick und nahm einen Strumpf zum Stopfen aus dem Korb.
Die Bäuerin stieg mit dem Buben die schmale Stiege hinauf und zeigte ihm die Kammer, wo er auf der Strohmatratze am Boden schlafen könne: „Bist ja scho recht an großer Bub.“ Sie legte Bettwäsche auf das Bett und zeigte auf den Strohballen neben dem Schrank: „Kannst Kissa und Deck`n fülla, damit `s warm is in der Nacht.“, und flüsterte im Hinausgehen, „so ist ´s, wenn a Kind in Sünd` entstanda ist .Jo mei.“ Sie seufzte.
„Mei Vater war a Soldat!“, rief Konrad noch und haute wütend mit der Faust auf den Strohballen ein. Aber die Bäuerin war längst die Stiege hinab gegangen.

. . .

„Geh Bauer, lass gut sein.“ Petronella legte die Stopfarbeit beiseite und wehrte die Hand des Bauern ab, welche an ihrem Schultertuch nestelte. „Da krieg i Ärger mit dein Weib und bin mei Arbeit alleweil wieder los.“
„Tu gleich nit so gschamig“, sagte der Bauer, setzte sich auf die Eckbank gegenüber des Herrgottswinkels und goss sich Weizenbier in den Krug, „dich krieg i schon noch, Maderl.“
Petronella kniff ihre Augen zusammen: „Bevor du mi kriegst, Bauer, tat i deiner Frau erzählen, was für ein Hallodrie du bist! War auch schon in der Stadt in Stellung, da kenn i mie aus mit so Mannsbilder, wie du einer bist!“
Der Bauer nahm erneut ein Schluck Bier, wischte sich den Schaum von den Lippen und zischte: „Nimms Maul nit so voll! Wenn d’ Stellung in der Stadt so gut war, warum bist wieder aufs Land z’rück?“
„Weil i mei Heimat lieb. Und Arbeit hat `s hier genug“, flüsterte Petronella, unterdrückte einen Hustenkrampf und nahm das Stopfzeug in die Hände.
„Landarbeiter hat `s auch genug“, antwortete der Bauer und stopfte sich seine Pfeife.
Petronella hob den Kopf und sah dem Alten in die Augen: „I bin viel rumkommen, Bauer, da hab ich viel g’lernt und mach mei Sach gut.“
Die Bäuerin betrat die Küche, begutachtete die Stopfarbeit der Magd, nickte anerkennend und teilte ihr die Arbeit für den nächsten Tag zu.
Der Bauer fragte seine Frau: „Fährst morgen mit der ersten Magd in aller Herrgottsfrüh’ nunter in d` Kreisstadt?“ Er zog genüsslich an der Pfeife.
Sie bejahte und erinnerte ihn daran, dass der Geselle vom Schmied die Nägel gebracht habe, also könnten die Knechte morgen die Weidenzäune reparieren.

. . .


Konrad war unter die Bettdecke ins Bett seiner Mutter gekrochen und schmiegte sich eng an sie. Eigentlich müsste sie böse mit ihm sein, denn seinetwegen waren sie vom letzten Hof gejagt worden.! Aber er hatte es doch nur gut gemeint. Er war so stolz gewesen, als die Bäuerin seine Arbeit gelobt hatte. Mit geschickten Fingern hatte er zum ersten Mal eine Kuh gemolken! Und weil er das so gut konnte, glaubte er, es wäre sicher auch noch lobenswert, die Ziege zu melken. Aber als er die Milch in die Kanne umfüllen wollte, da rutschte ihm der Eimer aus den Händen und die Milch ergoss sich auf den Stallboden. „Um Himmels willen!“, hatte die Bäuerin geschrieen, „die gute Ziegenmilch für den Kaas hat der depperte Bub vergossen!“ Dann war sie ins Haus zur Mutter gelaufen und hatte getobt und gezetert . Konrad hörte, wie der Bauer auch die Mutter böse beschuldigte: „Listig`s Weib! Mit die Reize an christlich`s Mannsbild zur Sünd` bringen!“
„Bist grantig!“, hatte sich die Mutter verteidigt, „weil i dich hab abblitzen lassen!“
Das war der Bäuerin zuviel und sie mussten den Hof verlassen.

So war das gewesen. `Aber hier´, so dachte Konrad, würden er und seine Mutter sich wohl fühlen.
„Mutter“, flüsterte Konrad und wischte mit der flachen Hand über das verschwitzte Gesicht von Petronella, „hier will i bleib`n. Werd Obacht geben, mei Arbeit richtig zu machen.“ Die Mutter zitterte und atmete schwer: „War nit dei Schuld, Konraderl, der Bauer war an Mistkerl. Kein Rockzipferl war sicher vor dene Saukerl.“ Sie setzte sich auf und zog den Sohn an ihre Brust: „Hör gut zu, Konraderl. In Krumau wohnt mei Schwester Anna-Maria Rosskagerl. An alts, aber liebs Weiberl. Dort hast deine Wurzeln, Bub.“ Wieder wurde Petronella von einem Hustenanfall geschüttelt Warum redete die Mutter so ernste Worte, dessen Sinn der Junge gar nicht verstand. Bäume, Blumen und Gemüsepflanzen hatten Wurzeln. Aber er, ein Kind, doch nicht.
„Warum besuchen wir die Tant nicht am Sonntag nach dem Kirchgang?“, fragte Konrad neugierig.
Petronella strich sich fahrig mit den Händen durch ihr strähniges Haar: „Ist nit gut auf mich zu sprechen all die Jahr’. Aber dich wird s’ mögen.“

. . .

Konrad war bereits mit dem Stallausmisten fertig und beobachtete auf dem Oberboden, wie eine Spinne ihr Netz spannte. Noch hatte er Zeit, bevor er sich auf den Weg hinab ins Nachbardorf machen musste, um am Schulunterricht teilzunehmen. Freunde hatte er nicht. Konrad brauchte keine Freunde. Ja, er war sogar froh, dass es hier auf dem Hof keine Kinder gab. Bauernkinder waren stets böse zu ihm gewesen und hatten ihn verspottet.
Er sah durch einen Schlitz im Dielenboden, wie die Mutter den Stall mit Eimer und Melkschemel betrat. Sanft tätschelte sie den Hinterlauf der ersten Kuh und begann mit dem Melken. Unruhig tänzelte das Vieh hin und her: „Jo“, sagte Petronella beruhigend, „i bin dir fremd und magst kalt` Händ` nit.“
„Mei zwo Händ sinds warm, Dirnderl“, hörte Konrad die Stimme des Bauern. Der Bub rutschte leise zum Schlitz des nächsten Dielenbrettes, damit er den Bauern sehen konnte. Der hatte sich von hinten über seine Mutter gebeugt und sie umarmt. Was er flüsterte, konnte Konrad nicht verstehen. Die Mutter wehrte seine Umarmung ab und fiel mit dem Schemel auf den Stallboden. Der Bauer warf sich auf sie. Noch nie hatte der Junge seine Mutter so laut um Hilfe rufen hören. Blitzschnell stieg Konrad die Leiter hinab und trommelte auf den Rücken des Bauern ein: „Lass mei Mutter los!“
Schwerfällig und keuchend rappelte sich der Bauer auf: „Stell di nit a so an! Dei Mutter war a Flitterl und bleibt a Flitterl. Wenndst bei mei Weib dein Mund aufmachat täterst, dann könnt`st bleiba wo d` Pfeffer wächst!“
Konrad kniete sich zur Mutter. Ihr Kopf war leblos zur Seite geneigt und sie hatte die Augen weit und starr aufgerissen.
Erschreckt sah der Bauer zu Petronella hinab, kniete sich vor sie, tätschelte ihre Wangen und rief, sie solle zu sich kommen. Eilig holte er einen Eimer mit Wasser herbei und goss es über ihren Kopf.
„Sie rührt sich nicht!“, schrie Konrad. Wieder trommelte der Bub mit den Fäusten auf den Bauern ein.
„Des wollt i freili’ nit“, stotterte der Alte, ließ den Eimer fallen und hielt Konrad fest, „nu sei g’staad!“ Dann sah er ihm tief in die Augen: „Hör zu Bub! Dei Mutter hat sich den Kopf zerschlagert! Ist ausg’rutscht beim Melken.“
Der Junge befreite sich heftig: „Sie hat um Hilfe gerufen! Ich hab ’s gehört!“
„Ja mei“, der Bauer fuhr sich mit den Händen durch das schüttere Haar, „weil’s aus’grutscht ist, dummes Balgerl.“
Konrad stampfte mit den Füßen auf den Boden: „I bin kein Balgerl! Mei Vater ist aus dem Krieg nimmer heim komma!“
Dröhnend hallte das Lachen des Alten durch den Stall: „Wenn ’s stimmt, was die Klatschweiber in den Dörfern beim Kirchgang g’red haben damals, dann hat dei Mutter sich mit dem Herrn Pfarrer aus Krumau eing’lassen. Dei Mutter hat wohl gedacht, das Gered’ hätt a End nach all der langen Zeit, die verganga is.“ Der Bauer schüttelte den Kopf und zog Konrad hinaus aus dem Stall, „hast des nie g’wusst.“
„Ein Pfarrer darf aber doch nit heiraten und hat keine Kinder nicht!“, rief Konrad, „alleweil Lügen. Eine Tant hab i in Krumau.“ Der Bub wischte sich die Tränen aus den Augen.
. . .
„Jo mei“, hatte der herbeigerufene Mediziner gesagt, als er den Totenschein ausstellte und ihn Konrad in die kleine, zitternde Hand drückte, „a schwach’s Herzerl hat dei Mutter g’habt. Der Herr hat s gegeben, der Herr hat `s genommen. Kimmst halt mit aufs Gemeindeamt. Wirst scho irgendwo alleweil an Verwandte noch hab’n.“
„A Tant in Krumau, die Anna-Maria”, schluchzte Konrad und drückte den Totenschein eng an sein Herz: „Rosen, Tulpen und Nelken haben Wurzeln “, flüsterte der Bub, „und i soll welche in Krumau hab’n.“

Mai 2004, Anne Zeisig
















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