'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Mai 2004
Ina und Fritzi
von Annette Ryser

Das Leben von Ina, der Stationsaufsicht der Wiener U-Bahn-Haltestelle Taubstummengasse, ist wie ein U-Bahn-Schacht: düster.

Tagsüber sitzt sie in ihrer engen verglasten Kabine und wacht darüber, dass in den dunklen Gängen alles seine Ordnung hat. Nach Feierabend kehrt sie zurück in ihre kleine Einzimmerwohnung in der Wiener Neustadt, wo nur Wellensittich Fritzi auf sie wartet. Dann gönnt sie sich ein Glas Rotwein, liest eine spannende Liebesgeschichte oder setzt sich vor den Fernseher. Anschliessend legt sie sich leicht angeheitert schlafen.

Ina denkt schlecht über die heutige Zeit. Die Menschen haben keine Achtung mehr vor nichts und niemandem, denkt Ina. Die Menschen sind alle zu Egoisten geworden.

Keiner liebt mich, denkt Ina. Keiner ausser Fritzi.

Früher hatte es Georg gegeben. Georg war kurz und heftig in Inas Leben aufgetaucht und hatte sie mit zwei blauen Augen zurückgelassen. Jetzt gibt es nur noch Ina. Man muss sich selber lieb sein, denkt Ina jeden Abend vor dem Schlafengehen, während ihre Finger zielsicher ihre feuchte Spalte aufsuchen. Es gibt viel zu wenige Männer wie George Clooney, leider.

Der schlimmste Tag in Inas Leben begann wie ein guter Tag.

Sie sass den ganzen Tag entspannt in ihrer Loge, knabberte Erdnüsse und las im neuen Buch von Barbara Hodswood. Dann schlenderte sie noch ein wenig durch die belebten Strassen von Wien, gönnte sich an einer der zahlreichen Imbissbuden eine Wurst mit Semmel und viel Senf und kehrte dann zufrieden nach Hause zurück. Sie wollte ihre Mutter anrufen und sich in aller Ruhe Emergency Room anschauen.

Doch es kam anders. Oh Gott, dachte Ina. Oh Gott. Sie hörte es schon auf dem Flur vor ihrer Haustüre. Sie hörte es so überdeutlich, dass ihr davon schwindelig wurde: Stille. Nichts. Alles still. Das vertraute Zwitschern fehlte. Mit zitternden Fingern öffnete sie die Tür, betrat die totenstille Wohnung. Nur der Kühlschrank summte.

Fritzi? rief Ina. Fritzi? Fritzi?
Fritzi lag tot im Käfig.
Ina brach neben ihm zusammen. Über ihr Gesicht strömten Tränen, sie vergrub es in beiden Händen. Fritzi, jammerte sie. Aber Fritzi blieb stumm.

Ina war nun ganz alleine. Nur der Kühlschrank summte. Sie stellte den Fernseher an, machte den Ton ganz laut. Was für eine beschissene Welt, dachte Ina. Sie musste weinen bei dem Gedanken, dass auch George Clooney sie nicht retten konnte. Sie war verloren. Ihr Leben war verlebt. Sie war tot, gefangen in ihrem eigenen Käfig.

Ich bin ein verfluchter Vogel, dachte Ina.

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