Honigfalter
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Mai 2004
Augenblicke
von Ines Drosta

„Da könn’se aber froh sein, junge Frau, dasse jetzt hier wohnen“, sagt die Frau.
„Wo andere Urlaub machen“, setzt ihr Mann hinzu.
UnwillkĂŒrlich streift mein Blick das kurze krĂ€ftige Gras, fĂ€llt dann den Berg hinunter ins Tal, durch das sich der Fluss wie eine golden glitzernde Riesenschlange windet. Der trĂ€ge fließende Strom strahlt ĂŒber seine Ufer hinweg Reichtum aus, der das GrĂŒn der Wiesen satter, die Dörfer malerischer und die aufragenden Berge des bayerischen Voralpenlandes majestĂ€tisch und ewig erscheinen lĂ€sst.
Es ist ein schöner sonniger Tag. Das Ehepaar sieht mich an, sie und er, sie erwarten meine höfliche Reaktion auf ihr WortgeplÀnkel, es sollte leicht und seicht sein wie dieser Tag in der Sonne.
Ich nicke und lache, sie sind zufrieden und wandern zum Gipfelkreuz hinauf. Er wird sie und sie wird ihn fotografieren, das haben sie mir erzÀhlt. Sie sind beide Mitte 50, krÀftig gebaut stecken sie in Lederhosen und Bergschuhen, Touristen aus Norddeutschland. Fest stapfen sie den Berg hinauf, sie haben es sich verdient, sind im Urlaub.
Ich lasse mich ins Gras fallen, kraftlos, der steinige Pfad, auf dem eben noch meine Schuhe AbdrĂŒcke hinterlassen haben, wird mir fremd. Was nun?
Das „Was nun?“ kenne ich, es stammt aus einer bitterkalten Novembernacht und folgt mir seitdem, mal gerĂ€uschlos wie ein Hauch, mal laut und lĂ€stig.
Damals, im November 1989, fuhren wir das erste Mal in den Westen, Wir, das waren Steffen und ich in unserem ĂŒber 20 Jahre alten Trabant und der Westen, das war in dieser Nacht fĂŒr uns eine kleine frĂ€nkische Stadt ein paar Kilometer hinter der gefallenen deutsch-deutschen Grenze.
Es war viel los in dieser Zeit auf dieser Autobahn gen Westen, deshalb fuhren wir mitten in der Nacht und kamen um drei Uhr morgens auf einem Parkplatz an. Es war stockfinster und bitter kalt, spÀter erfuhren wir, dass die Temperatur um minus 15 Grad kreiste.
Die Stadt lebte. Ostdeutsche wie wir bevölkerten die Straßen, dick vermummte Gestalten verdichteten sich zu einem Strom. Wir ließen uns mit ihm treiben und gelangten zum Bahnhof.
„Mein Gott, hier sieht’s aus wie in einem Obdachlosenheim“, flĂŒsterte ich Steffen in der Bahnhofshalle zu und er nickte, obwohl er auch noch kein Obdachlosenheim gesehen hatte.
An langen Tischen saß unser Volk und taute langsam auf, blickte hier- und dahin und nagte an mitgebrachten FrĂŒhstĂŒcksschnitten.
Die BĂ€nke an den Tischen waren ĂŒberbesetzt. An die BahnhofswĂ€nde gelehnt saßen MĂ€nner, Frauen und Kinder auf ost- und westdeutschen Zeitungen.
Ein alter Mann, in unserem vertrauten SÀchsisch vor sich hin fluchend, sammelte AbfÀlle in einen Sack. Ein paar Jungen umlagerten zwei Spielautomaten.
Steffen ergatterte ein Bankeckchen fĂŒr uns. Wir wĂŒrden uns abwechseln und warten, bis es draußen hell war und die GeschĂ€fte öffneten. Warten, wie alle hier.
Ich schreckte hoch. Neben mir begannen ein paar junge MĂ€nner mit BierkrĂŒgen in der Hand das Deutschlandlied zu grölen.
Es war kalt, bitter kalt. Wir waren hier, um einen Blick auf das Wunderland zu werfen. Es war eine kalte Nacht.
Wir holten unser BegrĂŒĂŸungsgeld ab, verbrachten den Tag in den GeschĂ€ften der Stadt und standen am Nachmittag im HeimwĂ€rtsstau. In dieser Stadt waren wir seitdem nie wieder.
Ich blinzele. Die Sonne brennt. Das nette Touristenpaar hat das Gipfelkreuz fast erreicht, die Frau dreht sich um und winkt mir, ich winke zurĂŒck. Sie hat mich gefragt, wie lange ich hier in Oberbayern wohne. 13 Jahre. Gibt keine Arbeit in Ostdeutschland, wissen Sie. Ja, ja.
Was nun? Werde mich mal auf den RĂŒckweg machen. Sehe dunkle Schatten auf dem Fluss, der durch ein fremdes Tal fließt. Vielleicht habe ich zu lange in die Sonne geschaut.


Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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