Ganz schön bissig ...
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Mai 2004
Bringst du mich heim?
von Florian Tietgen

»Ich möchte heim«, weint Lisa flehentlich und blinzelt mich sehnsüchtig an. »Bringst du mich heim?« Immer stellt sie die gleiche Frage, jeden Tag.
»Morgen bringe ich dich heim.«
Es ist das Einzige, das sie nie vergisst. Wenn alles andere in den Tiefen ihres Gedächtnis verschollen ist, dieses Versprechen ist es nie.
»Du hast versprochen, mich heim zu bringen.«

Wissen Sie, wie weh das tut, wenn ich mich mit ihr daheim befinde?
Ich habe die Butter im Besenschrank gefunden, verziert mit den Fusseln einer alten Socke und den Farbresten schwarzer Schuhcreme.
Sie hat mich geweckt heute Nacht, als sie zitternd und ruhelos mit etwas kämpfte. Ich habe mit mir gerungen, ob ich aufstehen sollte, um ihr Gesellschaft zu leisten in ihrer Schlaflosigkeit, um ihr zuzuschauen bei ihren rastlosen Wegen durch die Wohnung, und mich beschimpfen zu lassen. Ich habe mich entschlossen, weiterzuschlafen, Lisa zu ignorieren, uns den Schmerz nicht anzutun, den wir verspüren, wenn sie sich hilflos mit Dingen abmüht, die sie einmal gekonnt hat.
Manchmal fehlt mir die Kraft dazu, aufzustehen und ihre Nächte zu begleiten.
Es ist, als ob jemand in ihrem Gehirn auf die Bremse tritt, nicht dauerhaft, sondern stotternd, damit Lisa nicht ins Schleudern gerät.
Der Arzt reibt sich nachdenklich die buschigen Augenbrauen hinter seiner Brille und räuspert sich, bevor er fragt: »Wie alt ist Ihre Frau?«
»Achtundsechzig«, gebe ich ihm Auskunft.



Die ersten Tritte waren leicht, das Bremspedal nur kurz einmal angetippt, für ein Wort, für eine Zahl oder für einen Preis. Kaum spürbar musste sie manche Wege zwei Mal gehen, wenn sie beim Tischdecken eine Gabel zu wenig aufgelegt oder vergessen hatte, dass Georg oder Werner, unsere Söhne, zum Essen kommen würden. Dann wurde das Pedal wieder losgelassen und sie lachte, machte Witze über ihren Alzheimer und holte das Vergessene nach.

Ab und zu erkundigte sie sich, welchen Tag wir denn hätten, und wenn ich ihr sagte »Sonntag«, dann fragte sie, ob die Post schon gekommen sei.

»Ist das nicht schrecklich, Karl?«, fragte Lisa mich verzweifelt und den Tränen nahe. »Ich konnte mir doch früher alles merken.« Sie suchte ein Wort, eines, das ihr nicht einfallen wollte, so sehr sie auch darüber nachdachte. Je mehr sie überlegte, umso weniger kam sie darauf, was sie sagen wollte. Ihr Gesicht verzog sich und Tränen perlten ihre Wangen herunter.
Wenn ich ihr doch bloß hätte helfen können.
Doch ich konnte nur raten, konnte versuchen aus den Wirren ihrer Sätze das Wort zu erahnen, das sie suchte, und musste bei jedem Vorschlag darauf gefasst sein, etwas an den Kopf zu bekommen. Aber sie hatte nur Wörter für mich, die ihr noch einfielen, wütend hinausgeschleudert, tränenerstickt, sinn- und atemlos.
»Es fängt mit K an«, schrie sie mich an, »mit K wie Kaffee oder wie Kaufmann!« Wenn sie sich nicht so verzweifelt an diesem Wort festgeklammert hätte, vielleicht hätte sie ein anderes gefunden, kein besseres, aber wenigstens ein anderes, um nicht über die Suche nach dem Begriff zu vergessen, was sie hatte sagen wollen?

Die Wut wurde immer mehr zum Vorboten der Trauer, sie trommelte mit den Fäusten auf meine Brust, hämmerte ihren Zorn in mich ein und fiel dann zusammen, kauerte sich in den Sessel, zog die Beine an und schluchzte wie ein kleines Kind, bereit mich anzufauchen, wenn ich sie in den Arm nehmen wollte.

Wenn Lisa früher einmal weinen musste, dann wollte sie von mir getröstet werden, in meinen Armen ruhen und sich dort Kraft holen. Sie hat nicht oft geweint. Sie war stark genug gewesen, fröhlich und humorvoll. Wenn ihr ein Missgeschick passiert war, konnte sie über sich lachen. So wundervoll über sich lachen, wie sie es über mich gekonnt hatte, wenn mir etwas misslang. Es war ansteckend gewesen, meine Wut verflog und ich habe frohen Mutes einen zweiten Versuch wagen können.

Eines Tages hat Lisa aufgehört zu lachen.
Nun fragte sie, und wenn ich antwortete, schrie sie: »Warum weißt du immer alles besser?« Dann fing sie an zu weinen: »Und warum bin ich so dumm und werde immer dümmer?«
»Es ist das Alter«, versuchte ich sie zu trösten, »da lässt das Gedächtnis nach. Schau, was ich alles nicht mehr kann!«
Doch sie ließ sich nicht trösten, sie taumelte zwischen Wut und Trauer, kauerte sich in ihren Sessel, um gleich wieder aufzustehen, ohne zu wissen, warum.

Die doppelten Wege häuften sich, wurden zu dreifachen Wegen, wenn Lisa in der Küche nicht mehr wusste, warum sie dort war und was sie dort holen wollte. Sie schaute mich mit funkelnden Augen an, wie sie es nie getan hatte, unzufrieden mit sich, mit mir und mit dem Leben, welches das Alter ihr aufzwingen wollte.

»Es ist das Alter«, erklärte uns der Arzt, den wir aufsuchten. Es war einer der besseren Tage, sie wusste, warum wir hier waren und konnte von ihrer Vergesslichkeit und ihrer Schlaflosigkeit erzählen. Der Doktor bedauerte: »Gegen das Alter gibt es keine Medizin.«
Wir gingen in die Apotheke, kauften eine Flasche Buerlecithin, damit Lisa wenigstens wieder besser schlafen könnte. Dann gingen wir nach Hause und ich las ihr vor, was auf dem Beipackzettel stand.
»Wenn es das Alter ist, warum hast du es dann nicht?«, brüllte Lisa mich an, weinte wie immer dabei und erwartete eine Antwort.
»Vielleicht altert jeder anders?«, versuchte ich, sie zu besänftigen. »Ich kann mich nicht mehr so tief bücken wie früher, nicht so schwer heben, nicht so viel arbeiten.« Sie merkte den Betrug, sie wusste, dass sie den Jahren auch die Tribute zu zollen hatte, die ich geben musste.

Die Bremse kann nicht so langsam getreten werden, dass wir nicht ins Schleudern geraten beim Zuschauen am eigenen Zerfall.

Auch wenn sie las, fehlten die Wörter. Sie hatte die Buchstaben verlernt, konnte sie nicht mehr in einen Zusammenhang bringen. Auch sie waren ins Schleudern geraten.
Sie konnte nicht mehr kochen, sie hielt die Erbsen in der Hand und wollte sie mit der Schote ins Wasser geben. Hielt sie ein Messer und ein Stück Brot in der Hand, wusste sie nicht, wie sie die Butter verteilen sollte. Sie konnte den ganzen Tag nichts tun, als auf dem Sofa zu sitzen und mir zuschauen, wie ich lernte.
Ich musste lernen, um sie zu versorgen, aber ich quälte sie damit. Jeder Erfolg musste verteidigt werden, gegen ihre eifersüchtige Wut darauf. Jede Hilfestellung wurde von Hass begleitet, wo ich Dankbarkeit erhofft hatte.

»Geh noch mal zum Arzt!«, forderten Georg und Werner mich auf, wenn sie in regelmäßigen Abständen anriefen oder zu Besuch kamen. »So kann es nicht weitergehen.«
Lisa freute sich über die Söhne, freute sich über den Besuch in ihrer langweilig und ärgerlich gewordenen Welt. Aber sie verwechselte ihre Namen, sprach sie falsch an oder fragte sie nach den falschen Berufen. Sie brachte immer mehr durcheinander.
»Geh noch mal zum Arzt! Und lasse dir nicht erzählen, es sei das Alter!«


Der Arzt im Krankenhaus, in das wir überwiesen wurden, reibt sich nachdenklich die buschigen Augenbrauen hinter seiner Brille und räuspert sich, bevor er fragt: »Wie alt ist Ihre Frau?«
»Achtundsechzig«, gebe ich ihm Auskunft.
Er schweigt und schüttelt bedächtig den Kopf. Es macht mir Sorgen, wie er an seinen Brauen reibt, während er aus einer Schublade ein paar bunte Pappen hervorholt. Dann wendet er sich an Lisa und hebt seinen Kugelschreiber in die Luft: »Was ist das?«
»Ein Stift«, antwortet Lisa und lächelt dabei leicht entrüstet. »Herr Doktor, Sie wollen mich veräppeln.« Sie fuchtelt dabei mit dem Zeigefinger vor seinen Augen. »Das dürfen Sie mit einer alten Frau nicht machen.«
Der Arzt schüttelt nur den Kopf, sanftmütig, als ob er mit ihr flirten, würde und meint: »Das würde ich nicht wagen, Frau Greiner.« Er steht auf und holt einen Blumentopf von der Fensterbank, kleine Usambaraveilchen, die Lisa besonders liebt. »Und was ist das?«
Sie schüttelt den Kopf, schaut mich an und bittet mich um Hilfe, doch der Arzt gibt mir schnell ein Zeichen, indem er den Finger auf die Lippen legt. Er stellt den Blumentopf zurück und zeigt auf seine Armbanduhr.
Lisa sieht auf ihre, dann schüttelt sie wieder den Kopf und zuckt mit den Schultern: »Ich bin zu alt für solche Spielchen. Ich möchte heim.«
»Sie dürfen bald heim«, verspricht ihr der Arzt, »aber erst müssen wir Sie ein paar Tage hier behalten.
»Aber dann darf ich heim?«
Der Doktor nickt ihr freundlich zu, bevor er mich fragt: »Wie lange geht das schon so?«
»Zwei Jahre«, antworte ich ihm. »Es war erst nicht so schlimm, nicht Besorgnis erregend, aber im letzten Jahr ging es rapide bergab.
Wieder reibt er sich die Brauen, während er die Pappen zurück in die Schublade legt.
»Es ist das Alter, da hat der Kollege recht, es könnte aber merh sein.«
Will ich die Diagnose hören? Will ich das Wort hören, dass er aussprechen könnte? Wenn er weiter so an seinen Brauen reibt, wird er irgendwann keine mehr haben. Ich unterbreche ihn, bevor er aussprechen kann, was Lisa fehlt. »Was kann man dagegen tun?«
»Ich möchte Sie nicht beunruhigen.«
Weiß er als Arzt nicht, dass nichts so beunruhigend ist, wie diese Worte?
»Wir werden Ihre Frau ein paar Tage hier behalten«, erklärt er mir, »sie beobachten und sehen, ob mein Verdacht sich bestätigt.« Dabei versucht er so zu schauen, als klopfte er mir aufmunternd auf die Schultern. »Wenn es Alzheimer ist, gibt es Medikamente«, fährt er fort. »Teure Medikamente. Wir werden dann noch ein paar Tage brauchen, die Dosierung einzustellen.«
Ich schweige, Lisa schweigt auch, sie sieht mich nur ängstlich an, als ich mich aufstehe.
Der Doktor hat sich auch von seinem Stuhl erhoben, begleitet uns zum Empfang, von wo aus wir in Lisas Krankenzimmer gebracht werden sollen.
Lisa nehme ich an die Hand. Sie folgt mir brav, wie ein kleines Kind, starrt mit weit aufgerissenen Augen in die bedrohlich große Welt und traut sich nicht, mich loszulassen.

Ich schäme mich für die ruhigen Nächte, die ich ohne sie genieße, für die Erleichterung, die es bedeutet, sie fern zu wissen, fern und in der Obhut von Menschen, die für sie sorgen. Wie viel kann Liebe aushalten? Wie viel Veränderungen kann ein Mensch ertragen, ohne aufzugeben? Wie viel Schlaf habe ich nachzuholen?
Ich besuche Lisa jeden Tag im Krankenhaus, ich trockne dort ihre Tränen und ich freue mich über ihr Lachen. Es gibt Tage, an denen geht es ihr so gut, dass sie in einer Zeitschrift blättern kann, dass sie auf den Fotos etwas erkennt, und dass sie sich über die Blumen freut und über das Obst, das ich ihr mitbringe. Es gibt Tage, an denen kann sie sich den Apfel selbst in kleine Stücke schneiden, oder sie erinnert sich an die Zauberäpfel, die sie den Söhnen mit in den Kindergarten gegeben hat.
Georg und Werner kommen auch zu Besuch. Lisa strahlt dann über das ganze Gesicht, so wie ihre Kinder, wenn sie die Namen richtig zuordnen kann.
Jedes Mal ist es ein Kampf, zu gehen.
»Bring mich heim!«, fordert sie mich auf, »bring mich bitte heim!«, doch ich weiß nicht, was dieses Heim für sie bedeutet.
Als ich sie heimbringen darf, sie wieder mit in unsere Wohnung nehmen kann, geht es ihr besser.
»Gehen Sie mit ihr spazieren«, rät mir der Doktor zum Abschied und drückt mir einen Brief für unseren Hausarzt und ein paar Broschüren in die Hand. »Bewegung wird ihr gut tun.«
Ich verspreche es ihm.
Wie schön ist es, jede Kleinigkeit zu erleben, die sie selbstständig erledigen kann, wie zermürbend der Tanz zwischen Verzagen und Hoffnung, zwischen guten und schlechten Tagen.
Wie schäme ich mich für die Beleidigungen, mit denen sie den Zivildienstleistenden bedenkt, wenn sie sich über ihre schwindende Zulänglichkeit ärgert, wenn sie mal wieder bewusst erlebt, wie die Bremse in ihrem Gehirn getreten wird.

Wenn er da ist, habe ich die Zeit, zu unserem Arzt zu gehen, kann ihn um ein weiteres Rezept bitten, doch er schüttelt resigniert den Kopf.
»Ich darf es Ihrer Frau nicht mehr verschreiben, Herr Greiner«, erklärt er mir mit ehrlichem Bedauern.
»Es hat doch geholfen«, wende ich ein. Ich weiß nicht, was ich ihm sagen kann. Natürlich heilt es die Krankheit nicht, aber es milderte die Folgen, sodass wir damit leben konnten.
»Ich weiß.« Der Arzt schafft es immerhin, mir in die Augen zu schauen. »Ich weiß, dass es geholfen hat. Aber schon eine Packung überschreitet das Budget, das ich für einen Patienten im Quartal habe, um ein Dreifaches.« Jetzt senkt er doch lieber den Blick, weicht mir doch lieber aus, nestelt nervös an seinem Kragen und reicht mir die Hand. »Ich darf es nicht, tut mir Leid.«

Kann ich ihr noch helfen, sie so liebevoll behandeln, wie sie es verdient? Habe ich überhaupt noch die Kraft dazu?
Als der Taxifahrer, der uns zu St. Anna fahren soll, an der Tür klingelt, hat Lisa die Hosen voll. Ich weiß nicht, wie sie es schafft, ihre Schließmuskel immer in solchen Momenten zu öffnen. Ich hatte sie extra noch vorher zur Toilette gebracht, hatte aufgepasst, dass sie alles erledigte. Doch als es läutet, sehe ich den feuchten Fleck in der Hose, sehe, wie sich ein flüssiger brauner Streifen über ihren rechten Socken zieht, sehe die Angst aus ihrem Darm laufen, mit der sie mich erpressen will, sie nicht fortzubringen.
Ich laufe die Treppen runter, bitte den Taxifahrer, den Zähler schon anzuschalten, und ein bisschen zu warten, renne, so schnell ich es in meinem Alter noch kann, ärgerlich und in meinem Beschluss bestärkt wieder in die Wohnung, um sie zu reinigen. Ein paar ihrer Kleidungsstücke sind zum Glück noch nicht in dem großen Koffer. Sie wird ja an den Wochenenden zu mir kommen. Ich schaffe es nicht mehr, sie zu pflegen, kann sie nicht aus der Wanne heben, sie nicht den ganzen Tag betreuen, so sehr mir die ambulante Pflege und die Söhne auch helfen. Ich habe die Kraft nicht mehr.
Ich ziehe Lisa aus, wische sie sauber und wechsle ihre Kleidung. Sie sperrt sich, hält die Arme steif. Lieber will sie nackt hier vor mir stehen, als sich in die große Ungewissheit fahren lassen.

Das Foyer sieht einladend aus, in das ich Lisa zerre. Fest umschließe ich ihre Hand, schaue mich um, ob niemand beobachtet, wie ich ihren Willen breche, die Füße der kleinen zierlichen Person über den gewienerten Boden schleife, da sie sich selbst immer stärker gegen jede Fortbewegung sträuben, je näher sie an den vertäfelten Tresen gezogen werden.
»Konzentriere dich!«, befehle ich mir, als ich mit der Dame am Empfang das Formular ausfülle, doch die Gedanken wandern zu besseren Tagen, zu Tagen, an denen sie mich mit ihrem Lachen verzauberte, anstatt mich in ihrer Wut auf sich selbst zu beschimpfen.
Sie wird sich ihr Zimmer mit jemandem teilen müssen, wird kein Reich mehr für sich haben, keinen Raum, in den sie sich zurückziehen kann. Dafür gibt man hier acht auf sie, passt auf, dass sie sich nicht verirrt, ist Leitplanke, an der das Schleudern abgefangen wird.

Die Wohnung ist leer ohne sie. Niemand, der dazwischenredet, wenn die Nachrichten im Fernsehen laufen, keiner, der Fragen stellt, wenn ich mir den Musikantenstadl anschaue. Wem darf ich jetzt das Fleisch klein schneiden, wem in die Wanne helfen oder bei den nächtlichen Wanderungen zusehen? Die ersehnte Ruhe ist Grabesstille. Keine Musik kann sie durchbrechen.

Die Nachmittage sind die einzige Abwechslung. Die tägliche Busfahrt zu St. Anna, bei Lisa im Zimmer sitzen, ihr die Hand halten und ihr etwas erzählen, auch wenn sie es nicht versteht.
Sie beschwert sich über ihre Mitbewohnerin, ohne den Namen zu wissen. Aber sie vergisst nie, dass sie ihr unsympathisch ist.
Wenn ich dann ihre Stimme mitnehme in meine Einsamkeit, frage ich mich, ob ich es hätte schaffen können. Hätte ich?

Es ist wie eine Strafe, dass sie mich nicht erkennt, wenn ich sie zu mir hole, wenn sie mit uns am Kaffeetisch sitzt, mit Georg, Werner und mir, und uns anschweigt, weil sie nicht weiß, wo sie ist.
»Bringst du mich heim?»
Ich wünschte, ich könnte es, meine Liebe, von ganzem Herzen wünschte ich, dich heim bringen zu können.

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