Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
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In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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Juni 2004
Frühstück in Andorra
von Ines Haberkorn

Während ich sorgfältig ein Fenster nach dem anderen und die Terrassentür verschloss, lauerte ich angespannt auf das Läuten des Telefons. Ich war mir sicher, dass Mutter anrufen und das Treffen mit mir absagen würde. So wie sie es seit acht Jahren praktizierte, indem sie immer wieder neue Ausreden erfand, alle möglichen Leiden bemühte, nur um nicht nachgeben zu müssen. Doch stur konnte auch ich sein. Das hatte ich längst bewiesen.
„Du bist mein Augenlicht, mein Herz, das Einzige, was mir im Leben noch geblieben ist.“ Das sagte sie so oft, dass ich es nicht mehr hören konnte. Sie nannte es Mutterliebe, ich den unsichtbaren Kerker, in dem ich mich lebendig eingemauert fühlte. Zu oft erdrückten mich ihre Gefühle, raubten mir die Luft zum Atmen. Mit sechsundzwanzig brach ich dann aus, verließ sie und Deutschland, um mir in Andalusien ein eigenes Leben aufzubauen. Ihre Welt zerbrach, denn sie verstand es nicht, war einfach nur am Boden zerstört. Seitdem beschränkte sich unser Kontakt auf zwei oder drei Telefonate im Jahr, den üblichen Smalltalk und immer mal wieder ein Versuch von ihr, mich nach Deutschland und in ihre Arme zu locken, der letzte vor fünf Tagen.
„Vergiss es“, hatte ich geantwortet. „Ich komme nicht nach Deutschland. Warum kommst du nicht nach Spanien?“ Kaum ausgesprochen, war mir diese Idee in den Sinn gekommen, dieser aberwitzige Gedanke, Brüskierung und Kompromissangebot in einem.
„Wenn du mich wirklich sehen willst, dann treffen wir uns in der Mitte. Komm nach Andorra.“ Ich erinnere mich noch genau an die absolute Stille in der Leitung. Sekundenlang nicht einmal ein Atmen von ihr. Dann ein trotziges:
„Gut.“
Und dieses ‚Gut’ hieß morgen früh zehn Uhr in der Hauptstadt, Andorra la Vella.
Die letzte Tür war verschlossen, das Gitter vorgelegt und kein Telefon hatte bisher geklingelt. Okay, dann eben nicht. Wenn sie das Spiel bis auf die Spitze treiben wollte, dann sollte sie es tun. Ich gab nicht nach, kein bisschen. In Gedanken sah ich sie zuhause sitzen, vor dem Telefon und auf meinen Anruf warten. Garantiert hoffte sie, dass ich unser Treffen absagte, damit nicht sie sich schuldig fühlen musste. Aber nicht mit mir. Lieber fuhr ich die zwölfhundert Kilometer von Almuñecar nach Andorra umsonst, als ihr diesen Gefallen zu tun.
Ich verstaute den Schlüssel in der Handtasche und schlenderte zum Auto. Morgend-licher Dunst hing in den Tälern, geschwängert von stinkendem Rauch. Hier in Andalusien verbrannte man so ziemlich alles unter freiem Himmel, vom Gartenabfall bis zum Autoreifen.
Die Handtasche landete mit Schwung auf dem Beifahrersitz. Dann stieg ich ein und fuhr los. Wolkenloser Himmel, so weit das Auge reichte. Wenn das über dem Landesinneren ebenso aussah, konnte ich mich auf eine Schwitztour einrichten. Mein alter Ford besaß noch keine Klimaanlage. Aber lieber schwitzte ich in Spanien, als in Deutschland zu verfaulen. Laut Wetterkarte lag das Land mal wieder unter Wolken, fünfzehn Grad und Regen im Juni. Tja, alles hatte eben seinen Preis, auch das saftige Grün, an dem Mutter sich immer so ergötzte. Ich konnte es irgendwann nicht mehr ersehen, nicht mehr ertragen, dieses nichts sagende, eintönige Grün. Es erdrückte mich genauso wie ihre Liebe.
Mein Handy steckte in der Wagentür. Nachdem ich die gewundene Küstenstraße nach Motril hinter mir gelassen hatte und Richtung Granada abgebogen war, warf ich einen prüfenden Blick aufs Display. Der Empfang war gut. Wenn sie jetzt anrief, konnte ich in einer halben Stunde wieder zu Hause sein und meinen Kaffee auf der eigenen Terrasse trinken. Und ich würde ihn nach meiner ganz persönlichen Vorliebe trinken, nicht gefiltert nach deutscher Art, sondern in der Espressomaschine gebrüht und mit heißer Milch aufgegossen, Café con leche. Dazu würde ich mich an den wettergegerbten Holztisch setzen, der ebenso nach Farbe lechzte wie die Wüste nach Wasser, und mir vorstellen, wie sie die Nase darüber rümpfen würde, dass ich den Kaffee aus dem Pott und nicht aus der Tasse trank, dass ich kein Tischtuch, oder wenigsten ein Platzdeckchen auflegte und dass an meinen Fenstern keine blütenweißen Gardinen prangten, sondern verstaubte Bastjalousien.
Rechts neben mir tauchte die Sierra Nevada aus dem Dunst auf. War es sonst nur der Pico Veleta, der im Juni ein Schneehäubchen trug, so lag diesmal noch der gesamte Kamm unter winterlichem Weiß. Am Fuß der Berge dagegen, im Generalife, den Gärten der Alhambra, würden jetzt die Rosen in prachtvollster Blüte stehen. Man bückte sich, um süßen Blütenduft einzuatmen und hob einfach den Kopf, um auf schneebedeckte Berggipfel zu blicken. Was für ein krasser, faszinierender Gegensatz. Zwei Welten, die scheinbar unvereinbar aufeinander prallten und doch in Harmonie miteinander existierten.
Ich trat energischer aufs Gaspedal, ließ Granada hinter mir, dann Jaén. Fast schnur-gerade durchquerte die Straße jetzt das Land. Links und rechts schimmerte das silbrige Grün von Olivenbäumen, Plantagen, Hektar um Hektar, dazwischen Wein. La Mancha, das Land von Don Quijote. Und da stand er auch schon, seinen treuen Knappen Sancho an der Seite, und schwenkte die rote Kelle. Guardia Civil – Verkehrskontrolle. Kurz vor Madrid keine Seltenheit. Sancho musterte das Wageninnere, während der Don mich nach dem Woher und dem Wohin befragte.
„Nach Andorra“, antwortete ich und ergänzte in Gedanken: frühstücken mit einer Mutter, die nicht da sein wird, weil sie nicht akzeptieren konnte, dass sich meine Vorstellungen vom Leben nicht mit den ihren deckten. Dass ich anders war als sie, dass ich anders dachte, anders fühlte. Dass Liebe Loslassen bedeutete.
Ein mitleidiges Lächeln auf den Lippen, winkte Don Quijote mich weiter. Sicher hatte er die stickige Hitze in Wageninneren bemerkt, die mich noch für ein paar Stunden knechten und mir eine schlichte Dusche wie ein Geschenk des Himmels erscheinen lassen würde.
Bald lag Zaragoza hinter mir, dann Lleida. Gegen zwanzig Uhr fand ich ein Hostal am Fuße der Pyrenäen und mietete mich für eine Nacht ein. Am nächsten Morgen brach ich in aller Frühe auf, natürlich ohne Frühstück. Frühstücken würde ich in Andorra, egal ob mit oder ohne meine Mutter und zwar bei McDonalds. Kein Kellner, der einen bediente, Kaffee im Pappbecher, nicht in der Tasse, dazu ein Croissant, das man nicht wie ein deutsches Brötchen aufschneiden und akkurat mit Butter und Konfitüre bestreichen oder mit Wurst belegen konnte, sondern das man einfach in die Hand nahm und davon abbiss. Ich wusste, dass sie das nicht mochte. Darum hatte ich es gewählt, demonstrativ, um ihr weh zu tun, wie sie mir wehtat mit ihrem Unverständnis, mit ihrer Liebe, die nichts als Besitzergreifung war.
Die Bergstraße hatte sich ganz schön gezogen. Es war kurz vor zehn, als ich mein Auto parkte, nicht direkt bei McDonalds, sondern in einer Nebenstraße. Ich brauchte den Moment zu Fuß. Außerdem waren wir um zehn verabredet, und ich wollte keinesfalls pünktlich auf die Minute erscheinen. Auch wenn ich mir im Grunde sicher war, sie nicht anzutreffen, hätte das zu sehr ihren Erwartungen entsprochen. Und das war das Letzte, was ich wollte: ihren Erwartungen entsprechen.
Fünf Minuten nach zehn Uhr trat ich ein und blickte mich um. Natürlich war sie nicht da. Was hatte ich auch anderes erwarten können. Ich holte mir einen Becher Kaffee, auf ein Croissant verspürte ich keinen Appetit, und setzte mich an einen freien Tisch. Frühstück in Andorra. Es waren nur drei Worte. Aber sie trieben mir Tränen der Wut in die Augen. Gerade als ich sie abwischen wollte, spürte ich eine Berührung. Etwas streifte meinen Rücken, meine Schulter. Wütend drehte ich mich um und blickte in ein faltiges Gesicht umrahmt von grauen Haaren. Acht Jahre waren eine lange Zeit in einem kurzen Leben.
„Mama!“
Erregt sprang ich auf, stieß den Kaffeebecher um und schämte mich dafür. Doch das hielt mich nicht davon ab, meine Arme um ihren Hals zu schlingen.
„Mama. Wie lieb, dass du gekommen bist.“

© Ines Haberkorn

wortstreich@web.de

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