| | Mutterliebe aus Vaters Sicht von Klaus Schmeing
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„Was mag in den Köpfen der Frauen vor sich gehen, wenn sie Mütter werden?“ kommt mir in den Sinn, als ich die Entbindungsstation des städtischen Krankenhauses betrete und mich wundere, wen ich dort vorfinde.
Wer mag es sein? Jedenfalls ist es nicht die Frau, die ich gestern hier her begleitet hab. Die ich hegte und pflegte mit ihrem kugelrunden Babybauch.
Sie ist anders geworden, wie sie da liegt. Zeigt Seiten, die ich nicht an ihr kenne.
Irgendetwas mag mit ihr passiert sein, während sie bei Nacht den Presswehen ausgesetzt war. Was es wohl gewesen ist? Ein Überhang an Oxytocin?
Zumindest erscheint sie mir jetzt – in ihrer Müdigkeit und Abgeschlagenheit nach gestriger Geburtsprozedur – plötzlich wie ein wildes Tier, dessen Aufmerksamkeit sich nur um eines dreht: dem Schutz der Brut!
Und die ist, nach neunmonatiger Wartezeit, ein kleiner Junge. Propper und quietschfidel. Ein Stammhalter. Wahrer Stolz eines jeden Vaterherzen.
Und Vaterherzen sind stark.
Meines jedoch sollte beinahe nicht so stark für das sein, was mich nach der Entlassung der Zwei fortan Zuhause erwarten sollte.
Kaum Daheim, bemerkte ich wie sich die Umgebung um mich wie im Zeitraffer veränderte.
Wo einst die Fernsehzeitung lag, befand sich nun eine Broschüre mit Strickmustern zur Anfertigung von Babysöckchen. Mein CD-Regal, jetzt leergeräumt, diente als Ablagemöglichkeit für diverse ernährungstechnische und medizinische Kinderbücher. Auch das Telefon war nicht mehr an seinem Ort. Musste jetzt jederzeit griffbereit sein sofort den Kinderarzt zu konsultieren, sollte sich die Farbe der Baby-Kaka auch nur um eine zarte Nuance verändert haben. Ansonsten war es ausgestöpselt. Damit es den Babyschlaf nicht stört.
Meinen sportlichen Flitzer war ich los. Wurde ersetzt durch einen klapprigen Kombi. Und allsonntäglich zeigte man sich mit dem Teutonia-Kinderwagen stolz in der Stadt.
Eins wurde mir klar: Jetzt bin ich out. Bin nicht mehr der geliebte Ehemann, den sie sich einst unter vielen erwählt hatte.
Jetzt würde es vermutlich eher beiläufig zur Kenntnis genommen, wenn mich ein vorbeifahrender Bus erwischt und meine Innereien kreuz und quer durch die Umgebung gematscht hätte. Vielmehr wäre es für sie viel interessanter, wenn der Sprössling ein neues Wort erlernt hätte.
Dennoch hielt ich mich aufrecht. Gab nicht klein bei. Männerehre! Sagte mir im inneren Dialog, seien schließlich nur noch 2200 Tage bis der Kleine die Schulreife erlangt. Dann würde alles besser.
Bis dahin lebte ich mein Vaterherz. Erstes Fußballspiel im heimischen Garten. Sohnemann gerade beim ersten Schritt.
„Pass auf, das er nicht hinfällt!“ hör ich meine Frau von der Terrasse.
„Ja Schatz!“ nicke ich. Ignoriere, was sie eben gesagt.
Bemüht mich abzufinden mit der Rolle des Überflüssigen.
Tief in mir, total im Klaren: Mach die Klappe jetzt bloß nicht zu weit auf. Bist schneller raus, als du denkst! Denn auch die Liebe hat keine Macht gegen das pure Hormon!
So machte ich freundliche Mine zum bösen Spiel. Lebte mich mit Sohnemann aus.
Hab mit dem Kleinen gescherzt. Ihn mir auf die Schulter gesetzt. Bin durchs Haus getollt. „Pass auf, dass er sich nicht stößt!“ kommt von hinten.
„Ja Schatz!“
Wichtigste Regel einen jungen Vaters: Die Frau hat immer Recht!
Jedenfalls sollte man ihr diesen Glauben lassen.
Habe so das Beste draus gemacht. Mir abendfüllende Vorträge angehört über neueste Erkenntnisse aus der Pädagogik. Wie Skinner das mal gemacht hat, Makarenko und Piaget.
„Ach so!“ heuchelte ich aufmerksam. Mit einem Auge dabei immer zum stummgeschalteten Fußballspiel auf dem Fernseher geschielt.
Weiter ging`s. Wo bislang meine ACDC-Platten im Hintergrund röhrten, dudelte mir nun die Musik von Rolf Zuchovski ins Genick.
Wo einst meine saufenden und rauchenden Skatbrüder bei uns um den Wohnzimmertisch saßen, versammelte sich nun der städtische Mini-Club.
Rauchen verboten!
Ich hielt die Klappe, servierte den Kaffee und beäugelte aus dem Hintergrund die mit Oxytocin durchtränkten Weiber. Hörte ihnen zu, wie sie plauderten ihre Ehemänner hinaus geworfen zu haben. Ihnen die Anwälte hinterher gehetzt.
Nein, ich verhielt mich intelligenter. Spielte deren Spielchen mit. War unscheinbarer, gab mich liebevoller. Mir war klar, ich lag im Trend. Musste nichts weiter tun, als mich strikt an die Anweisungen meiner Frau zu halten – um dann insgeheim doch das zu tun, was ich für richtig hielt. Ich musste nur warten. Die Zeit vergehen lassen. Die arbeitete ja immerhin für mich.
Nicht selten traf ich auf manch armen Schlucker. Kam ins Gespräch mit ihm, wie er betrunken vor regionaler Pommesbude stand. Mir erzählte wie seine Frau ihn unmittelbar nach der Geburt des Sohnes aus dem Hause warf. Die Anwälte zogen ihm die Hosen aus. Das Jugendamt sprach ihm das Besuchsrecht ab. Ruckzuck hätte ein neuer Mann an der Seite seiner Exfrau seinen Platz gefunden. Einer, der eben nicht der Vater ihres Kindes war. Einem, von dem sie sich nicht reinreden lassen musste.
Ich drückte ihm einen Taler in die Hand. Für ein weiteres Bier. Hatte Mitleid mit ihm.
So traf ich Zuhause ein. Legte Abend für Abend zuvor ein Lächeln auf. Nur mein Haar wurde von mal zu mal einen grauer.
Über Jahre hinweg nahmen wir als Familie sämtliches Hindernis. Durchlebten alle Kinderkrankheiten, die es gab. Nahmen erste Graffities des Zöglings an heimischer Tapete in Kauf. Zeigten uns aktiv im Elternbeirat des Kindergartens.
Unsere Wohnzimmerwand, verziert durch ein sonntägliches Familienfoto. Der Kleine, als Baby, im Matrosenanzug. Alles strahlt.
Meine Bücher wurden zerfetzt oder bemalt. Schallplatten zerkratzt und CDs zerbrochen. Das Band aus meinem Lieblings-Videofilm herausgezerrt. Ich nahm es mit Fassung.
Der Sohn war einst klein. Aber er sollte nicht klein bleiben. Schließlich nahte der erste Schultag. Alles versammelte sich aufgeregt vor dem großen Portal. Die Lehrer stellten sich vor. Die Kinder betraten erstmals den Klassenraum. Ich war dabei. Sah es mir an. Und genau genommen trat mir eine kleine Träne durch die Augenwinkel hervor. Natürlich aus Stolz. Aber auch, weil mir nun bewusst war: Auftrag erfüllt. Die 2200 Tage sind rum. Ich hab überlebt.
Die Eltern bleiben auf dem Schulhof zurück. Voller Inbrunst und Melancholie blicke ich auf das Portal, als seien die Kinder noch da. Meine Frau bemerkt den stolzen Blick. Zärtlich nimmt sie mich in den Arm. Gibt mir sachte einen Kuss: „Schatz? Ich bin schwanger!“
© Klaus – A. Schmeing
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